Lyrik
Lyrik (gr. lyrikê sc. technê von lyra = Leier) heißt eins der drei Teilgebiete der Poesie. Die lyrische Poesie (als besondere Dichtungsart neben Epos und Drama gerechnet seit Batteux 1746, Les beaux arts réduits à un même principe) drückt die Empfindungen und die sie begleitenden Gedanken des Menschen aus. Der Lyriker zeigt das Menschenherz und vor allem das eigene. Er gibt also das Bild der Innenwelt. Aber da die Empfindungen und Vorstellungen des Menschen von der ihn umgebenden Welt bestimmt sind, so nimmt die Lyrik auch die Natur und die Außenwelt in sich auf, aber nur, wie sie sich in der Seele des Menschen spiegeln, als inneres Bild und Besitztum. In der Seele des Menschen wechseln die Empfindungen und Gedanken, die Zustände und Stimmungen. Das einzelne lyrische Gedicht ist daher nur eine enger beschränkte Einheit und liefert kein Weltbild; aber die Gesamtheit der lyrischen Gedichte eines Dichters kann seine Weltausicht wiedergeben und sich zu einer großen Konfession zusammenstellen. Vollständigkeit, Genauigkeit, Ausführlichkeit widersprechen dem lyrischen Stile. Die Lyrik deutet die Lage, in der sich der Mensch befindet, nur an, führt oft in Sprüngen lebhaft vorwärts und liebt Helldunkel und Dämmerung. Sie verlangt Schwung und Bewegung, entwickelt reiche und mannigfaltige Rhythmen und Strophen und sucht die Verbindung mit der Musik. Sie ist entweder Lyrik der Begeisterung, wenn sie den Aufschwung der Seele zu großen und erhabenen Gegenständen darstellt (Hymnus, Ode), oder Lyrik der Stimmung, wenn sie das Aufgehen des Menschen in einer wirksamen Situation entwickelt (Lied), oder Lyrik der Betrachtung, wenn sie das mit Reflexion durchsetzte Gefühl beim Aus- oder Nachklingen einer Empfindung wiedergibt (Elegie, Sonett, Epigramm, philosophische Lyrik). Dem Inhalte nach knüpft die Lyrik an alles an, was die Natur, das Leben, die Wirklichkeit und die Phantasie bieten, an Gott, Natur, Leid und Freud, Liebe, Freundschaft, Vaterland u.a.m. Von aller Dichtung ist sie der Mittelpunkt. Keine Poesie ist natürlicher als die Lyrik. Die wahre Lyrik ist trotzdem erst von Goethe geschaffen. Alles vorher ist nur Vorstufe, alles nach ihm ist durch ihn bestimmt. Goethe selbst sagt von der Lyrik: „Alles Lyrische · muß im ganzen sehr vernünftig, im einzelnen ein bißchen unvernünftig sein“ (Maximen und Reflexionen II, 123).