Maitag
27. Mai 1916. Weltkrieg. Wir zerschmettern mit unseren 35 Zentimeter-Mörsern die perfiden Italiener. Ein heißer, glühender, dampfender Tag in Wien. Selbst die Achselhöhlen der gepflegtesten lieblichsten jungen Wienerinnen schwitzen und nässen die zarte Bluse. Gar net schlecht! Ach, wenn es nur immer Sommer bliebe! Die Zimmerpflanzen müssen begossen und stark begossen werden, Straßenknaben schlafen halbnackt auf dem Pflaster in Häuserecken. Was immer stetig bleibt, ohne Rücksicht auf Temperaturen, ist die Eifersucht. »Weshalb hast Du gestern den Herrn G. angelächelt, weshalb, weshalb, weshalb?!« Genug des »weshalb«. Das sagt man aber im Winter, das sagt man im Frühling, im Sommer, im Herbste!
Da gibt es keine Temperatur-Unterschiede!
Die Blumen verschmachten, die Hunde lechzen nach Wasser, aber der Liebende sagt: »Weshalb, Anna, Anna, Anna, hast du mir das gerade angetan und antun können?!«
27. Mai 1916, Weltkrieg, 24 Grad Reaumur, wir zerschmettern die Italiener im Val Sugana. Aber der Liebende spürt keine Hitze, er sagt: »Anna, Anna, wie konntest Du Herrn W.v.G. beim Abschiede so anlächeln?!«