Übersetzungen
Wer übersetzt, arbeitet in zwei Sprachen. Sein Material vielmehr: sein Organ – ist neben seiner Muttersprache nicht sowohl der fremde Text als vielmehr dessen Sprache. Aus beiden Sprachen baut er etwas auf und kann gemeinhin schon von Glück sagen, wenn sein Gerüst ein wenig länger als ein Kartenhaus sich hält. Und wie beklommen folgt man der leichten Hand, die Vers auf Vers wie Stockwerk auf Stockwerk türmt, bis oftmals ein geringfügiger Fehler im letzten das Ganze sang- und klanglos zu Fall bringt. Wie willig aber neigt dafür das Ephemere, der Effekt, sich dieser Gattung; er hat im Schrifttum nirgendwo ein höheres Recht als hier. Von neuem sieht man dies an Übertragungen Verlainischer Gedichte bestätigt, die Alfred Wolfenstein1 soeben veröffentlicht. Es sind sehr geglückte darunter. Bei Verlaine will das viel sagen. Vergebens griffe einer sehr weit aus, um diese Dichtungen ins Deutsche einzubringen. Hier liegt die Kunst des Übersetzens in der Entspannung. Wie ein Träumender mit der schwächsten Gebärde, der kaum eben sich regenden Hand, in seiner Nähe langgesuchte Schätze zu greifen glaubt, so greift der deutsche Sprachgeist wirklich nur in seiner nächsten Nähe die Worte, aus denen Verlaines zögernder Stimmfall zurücktönt. Was er in ihnen dichtet, ist deutscher Poesie unnennbar verwandt. Nur wer im allerbeschränktesten Räume die Sicherheit und die Gelassenheit der Geste sich wahrt, kommt zu Glücksfunden wie: Wehmütige Zwiesprache – Weisheit – Sonette VIII – Das Meer ist schöner – Kasper Hauser singt – Die Abendsuppe. Daß gerade die restlose Übertragung der »Romances sans paroles« nur in einer lückenlosen Folge geneigtester Stunden gelingen könnte, beweist das berühmte »II pleut sur mon cœur«, das in deutscher Gestaltung, nicht gerade glücklich, den Band eröffnet. Wenn anderswo unscheinbare Zusätze, wie aus technischer Verlegenheit ein Übersetzer sie einschmuggelt, den Versbau (wie die Höllenmaschine einen Palast) verheeren, so ist das ein altes Leidwesen, das sich natürlich auch in diesem Bande hin und wieder bestätigt. Dem ungeachtet bleiben diese ehrfurcht- und liebevollen Übertragungen ein sehr würdiger Anlaß, erneut im Verlaine zu blättern. Man täte es mit ungestörterem Genuß, wenn das Register den Standort der einzelnen Stücke in der großen Messeinschen Ausgabe nachweisen würde.
Gleichzeitig publiziert man eine Übersetzung Rimbauds, des »Antipoeten«, wie Wolfenstein diesen berufensten Widersacher der Dichtung kürzlich genannt hat. In diesem Punkte ist sein Übersetzer, Franz von Rexroth2, ihm sehr kongenial. Doch warum Ironie, geschweige denn Galle, an eine Neuerscheinung verschwenden, welche die literarische Unmündigkeit ihres Autors so entschieden bekundet, daß die Kritik es bestenfalls mit dem Verlag als dessen Vormund zu tun hätte. Der Autor scheint auf Schonung ein Recht zumal in Anbetracht des Fleißes zu haben, der ihn von Rimbaud nicht allein alles, was nicht niet- und nagelfest (will sagen: nicht Prosa) ist, in zierliche Verschen im Sinne der Frida Schanz übertragen hieß, sondern dazu ihm eingab, die Leichtigkeit dieses Unternehmens dadurch zu bekräftigen, daß er gelegentlich in »fehlerhaften« Sonetten Rimbauds im Vorbeigehen die obligaten vierfachen Reime nachträgt (Ma Bohème, Le Mal, Au Cabaret Vert). Weniger leicht als das Reimen fällt das Französische ihm: »Si jamais j'ai quelque or« übersetzt er: »Wenn mir kein Gold mehr eigen«. Proben der eigentlich dichterischen Leistung mögen unterbleiben. Wenn eine Einleitung von Dr. R. Dereich am Schlusse längerer ungemein »einführender« Darlegungen über Rimbaud bemerkt: »Die Neuübertragungen Franz von Rexroths sind bei aller architektonischen und dichterischen Strenge erfüllt von einer inneren Musik und in ihrem expressionistischen Faltenwurf verblüffend zeitgemäß«, so haben wir dem nichts hinzuzufügen als drei Ausrufungszeichen.