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XI. Die französische Tagespresse

Paris, den 3. Juni 1840.

Die Pariser Tagesblätter werden, wie überhaupt in der ganzen Welt, auch jenseits des Rheins gelesen, und man pflegt dort der heimatlichen Presse, im Vergleich mit der französischen, den Wert derselben überschätzend, alles Verdienst abzusprechen. Es ist wahr, die hiesigen Journale wimmeln von Stellen, die bei uns in Deutschland selbst der nachsichtigste Zensor streichen würde; es ist wahr, die Artikel sind in den französischen Blättern besser geschrieben und logischer abgefaßt, als in deutschen, wo der Verfasser seine politische Sprache erst schaffen und durch die Urwälder seiner Ideen sich mühsam durchkämpfen muß; es ist wahr, der Franzose weiß seine Gedanken besser zu redigieren; und er entkleidet dieselben vor den Augen des Publikums bis zur deutlichsten Nacktheit, während der deutsche Journalist, weit mehr aus innerer Blödigkeit als auch Furcht vor dem tödlichen Rotstift, seine Gedanken mit allen möglichen Schleiern der Unmaßgeblichkeit zu verhüllen sucht; und dennoch, wenn man die französische Presse nicht nach ihrer äußeren Erscheinung beurteilt, sondern sie in ihrem Innern, in ihren Bureaux, belauscht, muß man eingestehen, daß sie an einer besonderen Art von Unfreiheit leidet, die der deutschen Presse ganz fremd und vielleicht verderblicher ist als unsere transrhenanische Zensur. Alsdann muß man auch eingestehen, daß die Klarheit und Leichtigkeit, womit der Franzose seine Gedanken ordnet und abhandelt, aus einer dürren Einseitigkeit und mechanischen Beschränkung hervorgeht, die weit mißlicher ist als die blühende Konfusion und unbeholfene Überfülle des deutschen Journalisten! Hierüber eine kurze Andeutung:

Die französische Tagespresse ist gewissermaßen eine Oligarchie, keine Demokratie; denn die Begründung eines französischen Journals ist mit so vielen Kosten und Schwierigkeiten verbunden, daß nur Personen, die imstande sind, die größten Summen aufs Spiel zu setzen, ein Journal errichten können. Es sind daher gewöhnlich Kapitalisten oder sonstige Industrielle, die das Geld herschießen zur Stiftung eines Journals; sie spekulieren dabei auf den Absatz, den das Blatt finden werde, wenn es sich als Organ einer bestimmten Partei geltend zu machen verstanden, oder sie hegen gar den Hintergedanken, das Journal späterhin, sobald es eine hinlängliche Anzahl Abonnenten gewonnen, mit noch größerem Profit an die Regierung zu verkaufen. Auf diese Weise, angewiesen auf die Ausbeutung der vorhandenen Parteien oder des Ministeriums, geraten die Journale in eine beschränkende Abhängigkeit, und, was noch schlimmer ist, in eine Exklusivität, eine Ausschließlichkeit bei allen Mitteilungen, wogegen die Hemmnisse der deutschen Zensur nur wie heitere Rosenketten erscheinen dürften. Der Redakteur en chef eines französischen Journals ist ein Kondottiere, der durch seine Kolonnen die Interessen und Passionen der Partei, die ihn durch Absatz oder Subvention gedungen hat, verficht und verteidigt. Seine Unterredakteure, seine Lieutenants und Soldaten gehorchen mit militärischer Subordination, und sie geben ihren Artikeln die verlangte Richtung und Farbe, und das Journal erhält dadurch jene Einheit und Präzision, die wir in der Ferne nicht genug bewundern können. Hier herrscht die strengste Disziplin des Gedankens und sogar des Ausdrucks. Hat irgendein unachtsamer Mitarbeiter das Kommando überhört, hat er nicht ganz so geschrieben, wie die Konsigne lautete, so schneidet der Redakteur en chef ins Fleisch seines Aufsatzes mit einer militärischen Unbarmherzigkeit, wie sie bei keinem deutschen Zensor zu finden wäre. Ein deutscher Zensor ist ja auch ein Deutscher, und bei seiner gemütlichen Vielseitigkeit gibt er gern vernünftigen Gründen Gehör; aber der Redakteur en chef eines französischen Journals ist ein praktisch einseitiger Franzose, hat seine bestimmte Meinung, die er sich ein für allemal mit bestimmten Worten formuliert hat, oder die ihm wohlformuliert von seinen Kommittenten überliefert worden. Käme nun gar jemand zu ihm und brächte ihm einen Aufsatz, der zu den erwähnten Zwecken seines Journals in keiner fördernden Beziehung stände, der etwa ein Thema behandelte, das kein unmittelbares Interesse hätte für das Publikum, dem das Blatt als Organ dient, so wird der Aufsatz streng zurückgewiesen und mit den sakramentalen Worten: Cela n’entre pas dans l’idée de notre Journal. Da nun solchermaßen von den hiesigen Journalen jedes seine besondre politische Farbe und seinen bestimmten Ideenkreis hat, so ist leicht begreiflich, daß jemand, der etwas zu sagen hätte, was diesen Ideenkreis überschritte und auch keine Parteifarbe trüge, durchaus kein Organ für seine Mitteilungen finden würde. Ja, sobald man sich entfernt von der Diskussion der Tagesinteressen, den sogenannten Aktualitäten, sobald man Ideen zu entwickeln hat, die den banalen Parteifragen fremd sind, sobald man etwa nur die Sache der Menschheit besprechen wollte, würden die Redakteure der hiesigen Journale einen solchen Artikel mit ironischer Höflichkeit zurückweisen; und da man hier nur durch die Journale oder durch ihre annoncierende Vermittlung mit dem Publikum reden kann, so ist die Charte, die jedem Franzosen die Veröffentlichung seiner Gedanken durch den Druck erlaubt, eine bittere Verhöhnung für geniale Denker und Weltbürger, und faktisch existiert für diese durchaus keine Preisfreiheit – Cela n’entre pas dans l’idée de notre Journal.

Vorstehende Andeutungen befördern vielleicht das Bedürfnis mancher unbegreiflichen Erscheinungen, und ich überlasse es dem deutschen Leser, allerlei nützliche Belehrung daraus zu schöpfen. Zunächst aber mögen sie zur Aufklärung dienen, weshalb die französische Presse in betreff der Juden von Damaskus nicht so unbedingt sich zu Gunsten derselben aussprach, wie man gewiß in Deutschland erwartete. Ja, der Berichterstatter der Leipziger Zeitung und der kleineren norddeutschen Blätter hat sich keine direkte Unwahrheit zuschulden kommen lassen, wenn er frohlockend referierte, daß die französische Presse bei dieser Gelegenheit keine sonderliche Sympathie für Israel an den Tag legte. Aber die ehrliche Seele hütete sich wohlweislich, den Grund dieser Erscheinung aufzudecken, der ganz einfach darin besteht, daß der Präsident des Minister-Konseils, Herr Thiers, von Anfang an für den Grafen Ratti-Menton, den französischen Konsul von Damaskus, Partei genommen und den Redakteuren aller Blätter, die jetzt unter seiner Botmäßigkeit stehen, in dieser Angelegenheit seine Ansicht kundgegeben. Es sind gewiß viele honette und sehr honette Leute unter diesen Journalisten, aber sie gehorchen jetzt mit militärischer Disziplin dem Kommando jenes Generalissimus der öffentlichen Meinung, in dessen Vorkabinett sie sich jeden Morgen zum Empfang der Ordre du jour zusammenfinden und gewiß ohne Lachen sich einander nicht ansehen können; französische Haruspizes können ihre Lachmuskeln nicht so gut beherrschen wie die römischen, von denen Cicero spricht. In seinen Morgenaudienzen versichert Herr Thiers mit der Miene der höchsten Überzeugung, es sei eine ausgemachte Sache, daß die Juden Christenblut am Passahfeste söffen, chacun à son goût, alle Zeugenaussagen hätten bestätigt, daß der Rabbiner von Damaskus den Pater Thomas abgeschlachtet und sein Blut getrunken – das Fleisch sei wahrscheinlich von geringern Synagogenbeamten verschmaust worden; – da sähen wir einen traurigen Aberglauben, einen religiösen Fanatismus, der noch im Oriente herrschend sei, während die Juden des Occidents viel humaner und aufgeklärter geworden und mancher unter ihnen sich durch Vorurteilslosigkeit und einen gebildeten Geschmack auszeichne, z. B. Herr von Rothschild, der zwar nicht zur christlichen Kirche, aber desto eifriger zur christlichen Küche übergegangen und den größten Koch der Christenheit, den Liebling Talleyrand’s, ehemaligen Bischofs von Autun, in Dienst genommen. – So ungefähr konnte man den Sohn der Revolution reden hören, zum größten Ärger seiner Frau Mutter, die manchmal rot vor Zorn wird, wenn sie dergleichen von dem ungeratenen Sohn anhören muß, oder wenn sie gar sieht, wie derselbe mit ihren ärgsten Feinden verkehrt, z. B. mit dem Grafen Montalembert, einem Jung-Jesuiten, der als das tätigste Werkzeug der ultramontanen Rotte bekannt ist. Dieser Anführer der sogenannten Neokatholiken dirigiert die Zelotenzeitung „l’Univers“, ein Blatt, welches mit ebensoviel Geist wie Perfidie geschrieben wird; auch der Graf besitzt Geist und Talent, ist jedoch ein seltsames Zwitterwesen von adligem Hochmut und romantischer Bigotterie, und diese Mischung offenbart sich am naivsten in seiner Legende von der heiligen Elisabeth, einer ungarischen Prinzessin, die er en parenthèse für seine Kousine erklärt, und die von so schrecklich christlicher Demut gewesen sein soll, daß sie mit ihrer frommen Zunge den räudigsten Bettlern die Schwären und den Grind leckte, ja daß sie vor lauter Frömmigkeit sogar ihren eigenen Urin soff.

Nach diesen Andeutungen begreift man jetzt sehr leicht die illiberale Sprache jener Oppositionsblätter, die zu einer andern Zeit Mord und Zeter geschrien hätten über den im Orient neu angefachten Fanatismus und über den Elenden, der als französischer Konsul dort den Namen Frankreichs schändet.

Vor einigen Tagen hat Herr Benoit Fould auch in der Deputiertenkammer das Betragen des französischen Konsuls von Damaskus zur Sprache gebracht. Ich muß also zunächst den Tadel zurücknehmen, der mir in einem meiner jüngsten Berichte gegen jenen Deputierten entschlüpfte. Ich zweifelte nie an dem Geist, an den Verstandeskräften des Herrn Fould; auch ich halte ihn für eine der größten Kapazitäten der französischen Kammer; aber ich zweifelte an seinem Gemüte. Wie gern lasse ich mich beschämen, wenn ich den Leuten Unrecht getan habe und sie durch die Tat meinen Beschuldigungen widersprechen. Die Interpellation des Herrn Fould zeugte von großer Klugheit und Würde. Nur sehr wenige Blätter haben von seiner Rede Auszüge gegeben; die ministeriellen Blätter haben auch diese unterdrückt und die Thier’schen Entgegnungen desto ausführlicher mitgeteilt. Im „Moniteur“ habe ich sie ganz gelesen. Der Ausdruck: „La religion à laquelle j’ai l’honneur d’appartenir“, mußte einen Deutschen sehr frappieren. Die Antwort des Herr Thiers war ein Meisterstück von Perfidie; durch Ausweichen, durch Verschweigen dessen, was er wisse, durch scheinbar ängstliche Zurückhaltung wußte er seine Gegner aufs köstlichste zu verdächtigen. Hörte man ihn reden, so konnte man am Ende wirklich glauben, das Leibgericht der Juden sei Kapuzinerfleisch. – Aber nein, großer Geschichtsschreiber und sehr kleiner Theologe, im Morgenland ebensowenig wie im Abendland erlaubt das alte Testament seinen Bekennern solche schmutzige Atzung; der Abscheu der Juden vor jedem Blutgenuß ist ihnen ganz eigentümlich, er spricht sich aus in den ersten Dogmen ihrer Religion, in allen ihren Sanitätsgesetzen, in ihren Reinigungszeremonien, in ihrer Grundanschauung vom Reinen und Unreinen, in ihrer tiefsinnig kosmogonischen Offenbarung über die materielle Reinheit in der Tierwelt, welche gleichsam eine physische Ethik bildet und von Paulus, der sie als eine Fabel verwarf, keineswegs begriffen worden. – Nein, die Nachkömmlinge Israel’s, des reinen, auserlesenen Priestervolks, sie essen kein Schweinefleisch, auch keine alten Franziskaner, sie trinken kein Blut, ebensowenig wie sie ihren eigenen Urin trinken, gleich der heiligen Elisabeth, Urmuhme des Grafen Montalembert.

Was sich bei jener Damaszener Blutfrage am betrübsamsten herausstellte, ist die Unkenntnis der morgenländischen Zustände, die wir bei dem jetzigen Präsidenten des Konseils bemerken, eine brillante Unwissenheit, die ihn einst zu den bedenklichsten Mißgriffen verleiten dürfte, wenn nicht mehr jene kleine syrische Blutfrage, sondern die weit größere Weltblutfrage, jene fatale, verhängnisvolle Frage, welche wir die orientalische nennen, eine Lösung oder Anstalten zur Lösung erfordern möchte. Das Urteil des Herrn Thiers ist gewöhnlich richtig, aber seine Prämissen sind oft ganz falsch, ganz aus der Luft gegriffen, Phantasmen, ausgeheckt im fanatischen Sonnenbrand der Klöster des Libanons und ähnlicher Spelunken des Aberglaubens. Die ultramontane Partei liefert ihm seine Emissäre, und diese berichten ihm Wunderdinge über die Macht der römisch-katholischen Christen im Oriente, während doch eine Schilderhebung jener miserablen Lateiner wahrhaftig keinen türkischen Hund aus seinem fatalistischen Ofenloch locken würde. Sie sind ebenso schwach wie verachtet. Herr Thiers meint, daß Frankreich, der traditionelle Glaubensvogt jener Lateiner, einst durch sie die Oberhand im Orient gewinnen könne. Da sind die Engländer viel besser unterrichtet, sie wissen, daß diese armseligen Nachzügler des Mittelalters, die in der Zivilisation mehrere Jahrhunderte zurückgeblieben, noch viel versunkener sind als ihre Herren, die Türken, und daß vielmehr die Bekenner des griechischen Symbols beim Sturz des osmanischen Reiches, und noch vorher, den Ausschlag geben könnten. Das Oberhaupt dieser griechischen Christen ist nicht der arme Schelm, der den Titel Patriarch von Konstantinopel führt, und dessen Vorgänger dort schmachvoll zwischen zwei Hunden aufgehängt worden – nein, ihr Oberhaupt ist der allmächtige Zar von Rußland, der Kaiser und Papst aller Bekenner des allein heiligen, orthodoxen, griechischen Glaubens; – er ist ihr geharnischter Messias, der sie befreien soll vom Joch der Ungläubigen, der Kanonendonnergott, der einst sein Siegesbanner aufpflanzen werde auf die Türme der großen Moschee von Byzanz – ja, das ist ihr politischer wie ihr religiöser Glaube, und sie träumen eine russisch-griechisch-orthodoxe Weltherrschaft, die von dem Bosporus aus über Europa, Asien und Afrika ihre Arme ausbreiten werde. – Und, was das Schrecklichste ist, dieser Traum ist keine Seifenblase, die ein Windzug vernichtet, es lauert darin eine Möglichkeit, die versteinernd uns angrinst, wie das Haupt der Medusa!

Die Worte Napoleons auf Sankt Helena, daß in baldiger Zukunft die Welt eine amerikanische Republik oder eine russische Universalmonarchie sein werde, sind eine sehr entmutigende Prophezeiung. Welche Aussicht! Günstigenfalls als Republikaner vor monotoner Langweile sterben! Arme Enkel!

Ich habe oben erwähnt, wie die Engländer viel besser als die Franzosen über alle orientalischen Zustände unterrichtet sind. Mehr als je wimmelt es in der Levante von britischen Agenten, die über jeden Beduinen, ja über jedes Kamel, das durch die Wüste zieht, Erkundigungen einziehen. Wieviel Zechinen Mehemed Ali in der Tasche, wieviel Gedärme dieser Vizekönig von Ägypten im Bauche hat, man weiß es ganz genau in den Bureaux von Downingstreet. Hier glaubt man nicht den Mirakelhistörchen frommer Schwärmer; hier glaubt man nur an Tatsachen und Zahlen. Aber nicht bloß im Orient, auch im Occident hat England seine zuverlässigen Agenten, und hier begegnen wir nicht selten Leuten, die mit ihrer geheimen Mission auch die Korrespondenz für Londoner aristokratische oder ministerielle Blätter verbinden; letztere sind darum nicht minder gut unterrichtet. Bei der Schweigsamkeit der Briten erfährt das Publikum selten das Gewerbe jener geheimen Berichterstatter, die selbst den höchsten Staatsbeamten Englands unbekannt bleiben; nur der jedesmalige Minister der äußern Angelegenheiten kennt sie und überliefert diese Kenntnis seinem Nachfolger. Der Bankier im Ausland, der einem englischen Agenten irgendeine Auszahlung zu machen hat, erfährt nie seinen Namen, er erhält nur die Ordre, den Betrag einer angegebenen Summe derjenigen Person auszuzahlen, die sich durch Vorzeigung einer Karte, worauf nur eine Nummer steht, legitimieren werden.