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Schriftstellernöten

Offener Brief des Dr. Heine an Herrn Julius Campe, Inhaber der Hoffmann und Campeschen Buchhandlung zu Hamburg

(1839)

Mein liebster Campe!

Wenn Sie oder andere darauf gerechnet haben, daß mir der „Telegraph“ des Herrn Gutzkow hier nicht zu Gesicht komme, irrten Sie sich. Dasselbe ist der Fall, wenn Sie sicher darauf bauten, daß ich auf die darin abgedruckte Erklärung in betreff des „Schwabenspiegels“, aus persönlichen Rücksichten, nichts erwidern würde. Enthielte jene Erklärung nur eine rohe Beleidigung, so würde ich gewiß schweigen, alter Freundschaft willen, auch aus angeborener Milde die aufbrausenden Mißlaunen des Gemütes gern entschuldigend, zumal in dieser schweren Zeit, wo soviel Widerwärtigkeiten wie auf den Schriftsteller, so auch auf den Buchhändler eindringen und einer dem andern, wenigstens der Vernünftigere dem Leidenschaftlichern, manche Unbill verzeihen sollte … Aber, liebster Freund, wenn ich auch, alle Empfindlichkeit besiegend, die rohe Beleidigung ruhig hinnähme, so ist doch Ihre Erklärung von der Art, daß sie allerlei bedenkliche Interpretationen zuläßt, die das Ansehen meines Wortes und also auch jene heiligen Interessen, denen mein Wort gewidmet ist, gefährden können. Nur als Abwehr jener Interpretationen schreibe ich Ihnen diesen offenen Brief.

Ich machte in der „Zeitung für die elegante Welt“ dem Publikum die Anzeige, das bei Ihnen erschienene „Jahrbuch der Literatur“ enthalte einen Aufsatz von mir, betitelt „Schwabenspiegel“, welcher im Interesse der darin besprochenen Personnagen, durch die heimlichen Umtriebe ihrer Wahlverwandten, dergestalt verstümmelt worden, daß ich die Autorschaft desselben nicht mehr vertreten könne. – Hierauf, liebster Campe, ließen Sie im „Telegraphen“ des Herrn Gutzkow die Erklärung drucken, jene Verstümmelungen fielen lediglich der königlich sächsischen Zensur zur Last!, und Sie setzten hinzu die Worte: „Wir bemerken dieses deswegen, um den Gegnern Heinrich Heines deutlich zu machen, was sie unter der heimlichen Betriebsamkeit ihrer Wahlverwandten zu verstehen haben.“

Zunächst also widersprechen Sie mir, und zwar ganz apodiktisch, von oben herab, ohne Angabe irgendeines Beweises, der etwa Ihre Aussage bestätige. Ich könnte nun Ihrem kargen Nein ein ebenso kurzes Ja entgegensetzen, und es käme alsdann darauf an, wessen Wort in Deutschland den meisten Glauben fände. Aber, wie ich schon erwähnt habe, ich will zu der rohen Beleidigung kein Seitenstück liefern, ich will Sie nicht der Unwahrheit, sondern nur des Irrtums zeihen, und bei diesem betrübsamen Geschäfte stütze ich mich nicht auf meine individuelle Glaubwürdigkeit, sondern nur auf Tatsachen, die Sie selbst anerkannt, und auf die allerhöchste Autorität der Logik. Das Faktum der erwähnten Umtriebe steht daher nicht direkt in Frage; später, wenn die Einmischung mancher Personen weniger indiskret und meine Furcht vor einer gewissen roten Kreide weniger hemmend sein wird, werde ich auf jenes Faktum zurückkehren. Heute beschränke ich mich auf einige Erörterungen, wonach das Publikum selbst beurteilen möge, ob Sie, teurer Freund, hinlänglich berechtigt waren, meinen Worten in der erwähnten inoffiziosen Weise zu widersprechen.

Ich gestehe Ihnen, ich wollte kaum meinen Augen trauen, als mir im „Telegraphen“ die besagte Erklärung zu Gesicht kam. Hätte ich nicht längst gewußt, unter welchen Einflüssen Sie stehen, wahrhaftig, die größten Besorgnisse für die Gesundheit Ihres Hauptes wären in mir aufgestiegen. Armer Freund! als Sie jene Erklärung schrieben oder unterschrieben, litten Sie jedenfalls an einer entsetzlichen Untreue des Gedächtnisses, Sie hatten ganz vergessen, was in Ihren jüngsten Briefen steht, und am allerwenigsten erinnerten Sie sich dessen, was Sie mir zu anderen Zeiten schrieben, wo ich ebenfalls über Verstümmelung meiner Schriften Klage führte. In der Tat, es war Ihre Schuld, wenn solche Klagen sich mehrmals wiederholten, wenn ich, getränkt von diesen Bitternissen, alle Lust und Freude an der leidigen Schriftstellerei einbüßte, wenn ich lieber mit verbissenen Lippen ganz schwieg, als daß ich mein gefälschtes Wort den schmählichsten Mißverständnissen bloßstellte. Das fing an mit den „Französischen Zuständen“. Milde und billigdenkend, wie ich bin, verzieh ich Ihnen gern die ungeheuren Verwüstungen in der Vorrede; Sie gestanden mir, daß Sie letztere, um großen Ungelegenheiten vorzubeugen, der Zensur überliefert, obgleich das Buch über zwanzig Druckbogen enthielt … Sie waren damals eben in den heiligen Ehestand getreten, hatten jetzt Frau und Kind, und ich konnte Sie nicht geradezu verdammen. Ich berücksichtigte auch bei meiner nächsten Publikation diese veränderte Lage des vermählten Verlegers, und den ersten Teil des „Salons“ konnten Sie getrost ohne die Vorsichtsmaßregel der Zensur in Druck geben. Sie hatten mich sicher gemacht, und vertrauungsvoll schickte ich Ihnen den zweiten Teil des „Salons“, der ebenfalls über zwanzig Bogen stark und keiner Zensur unterworfen war; auch hatten Sie damals wieder so viel Keckes in die Welt hineingedruckt, z.B. Börnes Briefe, daß ich meinte, der Campe sei wieder der alte Campe … Aber ich verrechnete mich, eben weil Sie so viele ultraliberale Bücher und Büchlein verlegt hatten, glaubten Sie bedeutend einlenken zu müssen, und es war eben mein armer zweiter Band des „Salons“, den Sie sakrifizierten, den Sie auf den Altar der Zensur niederlegten, als Sühnopfer für Ihre Preßsünden. Das Buch wurde gehörig abgeschlachtet und dergestalt vermetzgert, daß seine ganze patriotische Bedeutung verlorenging, daß man eine gewisse theologische Polemik, die bittere Schale, für den eigentlichen Kern desselben halten konnte, daß dadurch zur Verkennung und zur Verleumdung meines Strebens vollauf Gelegenheit gegeben ward. In der Anzeige, die ich deshalb publizierte, mochte ich vielleicht zu weit gehen, indem ich das mir widerfahrene Mißgeschick Ihnen allein zur Last legte; aber ganz konnte ich Sie niemals von aller Schuld freisprechen. Wir brouillierten uns damals und versöhnten uns wieder, flickten das geborstene Zutrauen, und bald darauf sandte ich Ihnen „Die romantische Schule“, die Sie ebenfalls druckten … nachdem Sie dieselbe aus plötzlicher Angst, Gott weiß an welchem Orte, wieder zur Zensur geliefert und an Leib und Leben verstümmeln ließen! Diesmal brauchte ich mich etwas weniger zu ärgern, da unter dem Titel „Zur Geschichte der neuern schönen Literatur“ in einer hier zu Paris erschienenen Ausgabe der unverstümmelte Text jenes Buches zum größten Teil enthalten und ich mich also vor boshaften Mißdeutungen einigermaßen geschützt glaubte. Auch war Ihre Furcht vor greller Verantwortlichkeit damals nicht ungegründet, eine gewisse Schwüle verkündigte das Gewitter, welches bald darauf, als Bundestagbeschluß gegen das Junge Deutschland, bei uns einschlug. Während es schon donnerte und gelinde blitzte, reichte ich Ihnen die versöhnliche Hand, zuckte die Achsel, unterwarf mich den regierenden Sternen, der fatalen Notwendigkeit, und beschloß, hinfüro nur leichte Phantasiespiele drucken zu lassen, die, aller politischen Beziehungen bar, überall die Zensur passieren würden …

Mit solcher Resignation schickte ich Ihnen den dritten Teil des „Salons“, welcher eine harmlose Märchensammlung und eine literarisch wilde, doch politisch sehr zahme Vorrede enthielt; das Buch erlangte wirklich das volle Imprimatur, bis auf die Vorrede, womit sich sonderbare Dinge zutrugen. Diese war nämlich gegen den Stuttgarter Denunzianten gerichtet, und derselbe, wie ich erst später erfuhr, genoß damals bei gewissen Behörden eines außerordentlichen Schutzes. Freilich, der Angeber muß vom Staate geschützt werden, wenn er auch der erbärmlichste Schuft ist; sonst ist keine Polizei möglich. Zum Unglück für meine arme Vorrede ward dem erwähnten Denunzianten noch außerdem, durch die heimlichen Umtriebe seiner Wahlverwandten, überall Vorschub geleistet. Er stand nicht allein; so wie seine Denunziationen nicht bloß öffentlicher Art waren, so hatte er auch eine Menge im Dunkel einherschleichender Gehülfen. Ja, jene Denunziationen waren nicht bloß öffentlicher Art, bestanden nicht bloß in gedruckten Artikeln; vielleicht erinnern Sie sich, daß Sie sich damals erboten, mir einen eigenhändigen Brief zu verschaffen, den Herr Wolfgang Menzel kurz vor dem Erscheinen der Bundestagsbeschlüsse an Theodor Mundt geschrieben und worin er blödsinnigerweise seine häscherlichen Schelmereien selber verriet.

Aber Sie vergessen alles, lieber Campe, Sie vergessen sogar, daß Sie selber, bei Gelegenheit der Vorrede zum dritten Teile des „Salons“, gegen die geheimen Umtriebe der Menzelschen Wahlverwandten mit aller Macht zu kämpfen hatten und dergleichen nur durch Gegenlist vereiteln konnten. Namentlich beklagten Sie sich damals über einen gewissen Dr. Adrian, Zensor in Gießen, wohin Sie das Buch zum Druck gegeben; auf ihn warfen Sie die Schuld, daß der Inhalt, der bis zum Erscheinen desselben ein Geheimnis bleiben sollte, schon gleich in Stuttgart bekannt wurde. In Ihrem Briefe vom 21. Oktober 1836 schrieben Sie mir:

„Gesagt habe ich Ihnen, daß Adrian Ihr Zensor in Gießen ist, derselbe, der ‚Bilder aus England‘ schrieb. Dieser gab in den ‚Phönix‘ eine Notiz, daß der ‚Salon‘ III mit hessischer Zensur in Gießen gedruckt würde. Ich mittelte das aus und habe durch den Redakteur Duller den Beweis in Händen, daß er es mitteilte. Diese Notiz ging in andre Blätter über und könnte so die Konfiskation des Ganzen zur Folge haben. Die Absicht dieser Insinuation liegt nicht tief.“

In einem späteren Briefe klagten Sie, daß man Sie mit dem Imprimatur monatelang hinhalte – (in der Tat, es verflossen über neun Monate, ehe das Buch erschien) –, und Ihr Verdacht steigerte sich. Endlich, nachdem man Sie lange an der Nase herumgeführt, schrieben Sie mir folgendes in Ihrem Briefe vom 5. April 1837:

„Denken Sie, Adrian will das Imprimatur nicht für die Vorrede erteilen. Der Drucker hat an das Ministerium requiriert. Die Minister haben gelacht, aber so ein H......tt, der ‚Skizzen aus England‘ schreibt, ist auf seinem Posten allmächtig, sein Rezensent Menzel gilt ihm mehr als Heine, er will also Pietät üben.“

Diese Erinnerungen mögen Ihnen einen ungefähren Begriff davon geben, was ich unter dem Ausdruck „die geheimen Umtriebe der Wahlverwandten“ eigentlich verstehe. Eine präzise Definition ist hier unmöglich. Das sind Dinge, die weit eher gerochen als gesehen und betastet werden. Sie könnten mir ebensogut zumuten, den Wind mit fester Hand zu erfassen oder die Dunkelheit zu beleuchten … Es kann mir da wohl begegnen, daß, sowie ich mit der Laterne herankomme, die Schatten, die ich jedem zeigen wollte, spurlos verschwunden sind.

Polemische Arbeiten, wobei das Interesse des Augenblicks in Anspruch genommen wird, verlieren durch Verzögerung des Drucks den besten Teil ihres Wertes; nichtsdestoweniger dankte ich Ihnen, daß Sie unter dem Titel „Über den Denunzianten“ die erwähnte Vorrede des dritten „Salon“-Teils als Broschüre unverstümmelt herausgaben. Ich schöpfte wieder neuen Glauben an Ihren Druckmut, ich ward wieder sicher. Nicht wenig mußte ich mich daher verwundern, als ich, bei Ihnen anfragend, wie es mit dem Druck des zweiten Bandes des „Buchs der Lieder“ aussehe, die Antwort erhielt: Nicht so dumm, diesmal sei das Manuskript nicht nach Gießen zur Zensur geschickt worden, sondern nach Darmstadt, und von dort wäre noch keine Nachricht angelangt. Ich mußte herzlich lachen, daß der heldenmütige Verleger der Börneschen Schriften jetzt sogar meine harmlosen Liebeslieder zur Zensur gibt … Aber meine gute Laune schwand, als ich, der ich nichts von Geographie verstehe, mich bei einem ehemaligen deutschen Lohnkutscher näher erkundigte und den Bescheid empfing: Darmstadt und Gießen, das sei wie Speck und Schweinefleisch, da sei kein Unterschied, ein Torzettel aus Darmstadt gelte auch in Gießen, und der Gießener Gassenvogt sei ein leiblicher Vetter des Herrn Zollinspektors zu Darmstadt. Ich ward daher nicht sonderlich überrascht, als ich nach mehreren Monaten von Ihnen den Klagebrief erhielt, man habe wieder Sie an der Nase herumgeführt und das Imprimatur verweigert. Da ich zu diesem Buche eine Nachrede geschrieben, die, polemischen Inhalts, durch solche Druckverzögerung das Interesse der Aktualität schon ein bißchen eingebüßt hatte, gab ich gern Ihrem Vorschlage Gehör, diese Nachrede in einem „Jahrbuch der Literatur“, welches Sie im Oktober auszugeben versprachen, gleich abdrucken zu lassen. Leider besitze ich den hier erwähnten Brief nur zum Teil, da ich mich bei Empfang desselben in der Bretagne befand und eine Stelle des Briefes, welche Herrn D. betraf, ausschnitt und demselben nach Paris zuschickte; es befindet sich daher im Briefe eine Lücke, was mir sehr leid ist; denn ich möchte gern die Originalworte anführen, womit Sie mir den treuesten Abdruck meiner Nachrede versprachen und mir zugleich über Herrn Gutzkow ein sehr naives Geständnis machten. Der Brief ist vom 9. August 1838, und folgende Worte haben sich darin erhalten:

„Mit Gutzkow habe ich heute abend ein Unternehmen ausgeheckt, das für die Interessen der Literatur von Wichtigkeit sein wird; nämlich ein ‚Jahrbuch der Literatur‘, das im Oktober dieses Jahrs ausgegeben werden soll und künftig alle Jahre folgen wird. Wir haben Journale, Monats- und Quartalschriften genug – Was diese sich erlauben, wissen die zur Fahne Gehörenden zur Gnüge. Das Jahrbuch soll in letzter Instanz entscheiden, die Akten mustern. Ihre Nachrede würde hierin ganz am richtigen Platze sich befinden. Gutzkow trug mir auf, das Ihnen zu sagen. Rosenkranz, Jung, König, Riedel, Daumer, Schücking, Dingelstedt etc. geben Beiträge. Die übersichtlichen Artikel von 1830 an gibt Gutzkow. Der sogenannten jungen Literatur wird Nutzen daraus werden. Wienbarg wird was geben. Ihren Aufsatz hätte Gutzkow dafür gar gern. Oder wollen Sie einen andern geben? Falls Sie den Nachtrag gedruckt wissen wollen …“

Bei diesen Worten beginnt die erwähnte Lücke. Ich erhielt zu gleicher Zeit Brief von Herren Gutzkow, worin er sich mir freundlich und liebevoll nahte, was er wahrlich guten Fuges tun konnte, da ich schon frühzeitig in meinen Schriften seinen Genius mit gehöriger Würdigung begrüße hatte und ich auch späterhin, in bedrängtester Zeit, als die Genossen ihn gleichsam im Wettlauf desavouierten, unumwunden meine Sympathie für ihn aussprach. Sie wissen, wie ich sein Vertrauen ehrte, und sehr gern überließ ich dem „Jahrbuch der Literatur“ die erwähnte Nachrede, für welche Herr Gutzkow mir den Titel „Schwabenspiegel“ vorschlug.

Sie können sich nun leicht eine Vorstellung davon machen, wie schmerzlich, widerwärtig schmerzlich mein Gemüt berührt wurde, als nach solchen Vorgängen Ende Dezember das „Jahrbuch der Literatur“ mir zu Händen kam und ich meine arme Nachrede, die jetzt einen prätentiösen Titel trug, so gründlich verstümmelt fand, daß ich nicht nur um meine Genugtuung an den darin besprochenen Personnagen geprellt schien, sondern daß, durch Verfälschung der Beiwörter, Ausmerzung der Übergänge und sonstige Entstellung der Form, auch mein artistisches Ansehen bloßgestellt worden. Das hat wahrlich kein Zensor getan, denn auch nicht eine Silbe war in dem Aufsatz, die nach Politik oder Staatsreligion roch, und wenn ich ihn später in seiner ursprünglichen Gestalt abdrucke, wird jedem einleuchten, daß die schäbigen Finger, die hier ihr dunkles Werk vollbracht, zugleich die Spur ihrer Absichten zurückgelassen haben. Sie sind unschuldig daran, liebster Campe, ich bin davon überzeugt; denn als ich Ihnen über diesen Frevel gleich schrieb, antworteten Sie mir mit Verwunderung, und aus Ihrem Briefe vom 25. Dezember 1838 will ich nur die Worte anführen:

„– – Mir schien es auch, daß etwas fehlte; ich verlangte daher das Manuskript zur Vergleichung, wie Sie aus dem Fragmente des Briefes vom Faktor der Druckerei sehen. Zuvor schrieb mir P. (der Schriftsteller und Buchdruckereibesitzer), Ihr Aufsatz allein fände Anstand beim Zensor. Ich hatte befohlen, und meine Briefe an die Druckerei bezeugen es, wenn Sie sie sehen wollen, daß ich erklärte: wenn etwas gestrichen würde, worauf ich nicht gefaßt war, solle der Artikel wegbleiben.“

Eingeständlich hatten Sie also bestimmten Befehl gegeben, im Fall die Zensur an meinem Artikel streichen wolle, ihn lieber gar nicht zu drucken … Wie kommt es nun, daß der Artikel dennoch, trotz diesem Befehl, so entsetzlich zusammengestrichen und dennoch gedruckt wurde? Oder gibt es Befehle, die höher geachtet werden als die Ihrigen und denen Sie selbst nur blindlings gehorchen? Sie erregen jedenfalls die bedenklichsten Zweifel an Ihrer Selbständigkeit, wenn Sie die Verstümmelung meines Artikels lediglich der königlich sächsischen Zensur zur Last legen.

Nein, diesmal will ich mich nicht auf die Zensur verweisen lassen und am allerwenigsten auf die königlich sächsische Zensur, die mir eben damals, als Ihr „Jahrbuch“ erschien, einen glänzenden Beweis ihrer Milde und Liberalität gegeben hat; weil nämlich jedes Buch, das im Auslande gedruckt worden, in Deutschland die Zensur passieren muß, ehe es in den deutschen Bundesstaaten verkauft werden darf, ließ ich „Shakespeares Mädchen und Frauen“ in Leipzig zensieren, und siehe! in diesem Buche, welches doch manche politisch und theologisch anzügliche Stelle enthielt, hat die königlich sächsische Zensur kein einziges Wort gestrichen! Warum soll nun in Grimma dieselbe Zensurbehörde ein weit harmloseres Opus verstümmelt haben? Gewöhnlich kann man an kleineren Orten weit eher durch freundliche Vorstellungen der Zensurstrenge etwas abgewinnen, man gibt den unwichtigen Teil eines Buches preis, um das Bedeutendere zu retten, man vermittelt … Kurz, liebster Campe, alles, was Sie mir erwiderten, sprach mehr gegen Sie als für Sie; im Gegenteil, Sie selbst lieferten mir neue Gründe zum Argwohn; der angebliche Zensurbogen, den Sie gleichzeitig einschickten, war nichts weniger als ein mit Imprimatur versehener Zensurbogen; dabei suchten Sie mich auf allerlei fremde Fährten zu bringen, und z.B. in Ihrem Briefe vom 10. Januar schrieben Sie mir:

„– – Den Zensurbogen vom ‚Schwabenspiegel‘ habe ich Ihnen vor acht Tagen gesandt, und werden Sie daraus die Überzeugung gewonnen haben, in welchem schändlichen Verdacht Sie Gutzkow und mich hielten! Leider ist es sündlich, wie der Zensor gehandelt hat, und man sieht, daß es reine Fraubasereien sind, die er in Schutz nimmt, z.B. für Theodor Hell! Der Zensor ist ein Dresdner. Früher war es Gehe, der ist jetzt in Paris – –“

Nein, liebster Campe, Theodor Hell ist unschuldig; auch stand in meinem Artikel kein einziges Wort, das nur im mindesten denselben verletzen konnte. Auch Gutzkow, auf den, ich weiß nicht warum, Sie mich so gern anrennen lassen möchten, ist unschuldig. Er ist unschuldig wie Sie. Wenn ich vielleicht in meinem Brief an Sie etwas unwirsch von Gutzkow sprach, so geschah es zunächst, weil ich übel gelaunt war, und dann auch, weil ich ihn auf keinen Fall von einer levissima culpa freisprechen konnte. Sie sagten mir nämlich in Ihrem Briefe, daß der Zensor in Gutzkows Aufsatz gar nichts gestrichen habe, und doch in Vergleichung mit letzterem, welcher politisch-philosophisch so viele Zeitinteressen diskutierte, war mein Aufsatz nur ein armer harmloser Schwabenspiegel. Aber Herr Gutzkow, welcher dafür sorgte, daß sein Aufsatz bei der Zensur keinen Schaden litt – warum übte er für meinen Aufsatz, den ich ihm gewissermaßen anvertraut hatte, nicht dieselbe Sorgfalt? Da Sie, liebster Campe, keine juristischen Bücher verlegen, so wollte ich Ihnen deutlich machen, was ich unter levissima culpa verstehe.

Wenn ich aber überhaupt gegen Herrn Gutzkow unmutig war, so haben Sie selbst, lieber Campe, durch eine gewisse kindliche Redseligkeit am meisten dazu beigetragen. Wer hat mich zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß manche Schmähartikel, die ihr Material augenscheinlich aus Hamburg bezogen, ganz sicher aus der Feder jenes edlen Beurmann geflossen, der am Ende doch nichts anders ist als eine von den dienenden Seelen des Herrn Gutzkow? Warum in Ihrem Briefe vom 5. Februar 1839 stecken Sie mir, daß ein Herr Wihl keine Zeile schreibe, die nicht Gutzkow revidiert habe? Warum belasten Sie letztern mit der Verantwortlichkeit für alles, was jener schreibt? Und wenn jener, in einer Zeitschrift meinen „Schwabenspiegel“ besprechend, die Schwaben und sogar das Menzelsche Heldentum gegen mich in Schutz nimmt, muß ich alsdann nicht über Gutzkow mißlaunig werden, der seinem Bedienten vielmehr Ordre geben sollte, meinen Aufsatz untertänigst zu respektieren, schon aus Gründen der Delikatesse? Und wer, liebster Campe, lieferte mir eine Charakteristik des besagten Herrn Wihl, dem Sie, wie aus Ihrem Brief vom 21. Junius 1838 hervorgeht, das Manuskript des „Schwabenspiegels“, ohne mein Vorwissen, anvertraut und wochenlang in Händen ließen? Wer schrieb mir in dem schon erwähnten Brief vom 25. Dezember 1838 die folgenden Worte:

„Wihl ist eine Klatsche. Vor vierzehn Tagen habe ich ihn gehörig in der Kur gehabt, weil der Mensch, der mit dem ganzen schreibenden Unrat hier frère et compagnie ist, sich erdreistete, mich in eine Klatscherei zu bringen, wo ich eine Figur spielen sollte, die sich am Gängelbande Gutzkows und Wihls leiten ließe! – Es war ein dicker Knäul – – – – Nach dieser Sage aber, ‚daß ich vom ’Telegraphen’ abhängig; – daß ich tun müsse, was Gutzkow wolle‘ – sprach ich mich gegen Gutzkow so ungefähr aus, daß ich vor vier Monaten ihn bei Gelegenheit seiner Klatscherei bei Wienbarg gebeten, den Wihl als Handlanger in seine Arbeiten, aber nicht in unsere Verhältnisse, Vorhaben und dergleichen blicken zu lassen; er könne das Maul nicht halten und würde uns kompromittieren und Plane, die mühevoll entworfen worden, dadurch zuschanden machen. Gutzkow habe – – – – – – – – Wihl ist der klebrigste und eitelste Mensch, den ich kenne. Wie oft habe ich ihn auf solcher Fährte ertappt und ausgelacht! Alle unsere erbärmliche Winkelblätter lobhudeln ihn auf eine ungeheure Weise. Er ist Dichter! – steht durch Gutzkow mit allen Reputationen in Verkehr, die unsere Mauer betreten – Gleichwohl verkehrt er in der Unterwelt; der Redakteur des Neuigkeitsträgers und aufwärts bis zum Runkel sind seine Gönner und – loben ihn. Dabei ist er ohne Menschen- und Weltkunde, sündigt aus Dummheit wie aus bösem Willen – – –“

Ich habe diese Stelle aus Ihrem Briefe in der besonderen Absicht zitiert, um Sie fühlen zu lassen, wie wenig Sie für die literarische Zuverlässigkeit einer Person stehen können, die das Manuskript meines Aufsatzes wochenlang in Händen hatte …

Wer aber hat meinen „Schwabenspiegel“ verstümmelt im Interesse der Schwaben oder, um mich genauer auszudrücken, im Interesse einiger Redakteure Cottascher Zeitschriften? Wäre Sarras, Ihr zottiger Jagdgenosse, noch am Leben, auf ihn würde mein Verdacht fallen, denn er fuhr mir oft nach den Beinen, wenn ich in Ihren Laden kam, und bellte immer verdrießlich, wenn man ein Exemplar der „Reisebilder“ verlangte. Aber Sarras, wie Sie mir längst anzeigten, ist krepiert, und Sie haben sich seitdem ganz andere Hunde angeschafft, die ich nicht persönlich kenne und die gewiß, was Sie bei Ihnen erschnüffelt, schnurstracks den Schwaben apportierten, um dafür ein Brosämchen des Lobes im „Morgenblatte“ zu erschnappen!

Wüßten Sie, lieber Campe, wie freundlich mir in diesem Augenblick die Sonne aufs Papier scheint, wie heiter mein Gemüt, wie schön der Namenstag, der heute gefeiert werden soll, ach! Sie würden mich bedauern, daß ich die holden Morgenstunden mit obigen Erläuterungen vertrödeln mußte! Und doch waren sie nötig, da ich Ihnen kein verletzend kurzes Dementi geben wollte. Und schweigen konnte ich auf keinen Fall, worüber Sie sich vielleicht wundern, da ich doch auf die schnödesten Beschuldigungen in öffentlichen Blättern, auf dicke Broschüren voll bösen Leumunds, ja auf ganze Mistkarren voll Verleumdung mit keiner Silbe geantwortet habe. Aber mit einem Verleger ist es eine besondere Sache. Man traut sehr wenig den Behauptungen von Leuten, die dem Schriftsteller fernestehen, denen seine Türe verschlossen ist und die nur durch die Ritzen gucken; der Verleger hingegen wird gleichsam als unser intimer Hausfreund betrachtet, man denkt, er kenne ganz genau unsere Wirtschaft; er habe überall hinter die Gardine geschaut, und man leiht seinen Aussagen ein willigeres Gehör. Ich mußte daher, um Ihre Erklärung zu entkräften, weitläufig auseinandersetzen, wie wenig Sie berechtigt waren, wo von Verstümmelung meiner Schriften die Rede ist, mit Keckheit gegen mich aufzutreten; wie wenig Sie mit Bestimmtheit meinen Behauptungen widersprechen konnten; wie unsicher der Boden, auf dem Ihre Gründe umherschwanken; und wie endlich Ihre Glaubwürdigkeit da aufhört, wo der fremde Einfluß anfängt. Wäre es mir bloß darum zu tun gewesen, den letzteren zu konstatieren und zu beweisen, daß Ihre Erklärung nur ein Produkt der Unfreiheit sei, wahrlich, zu solcher Beweisführung brauchte ich keines anderen Aktenstücks als eben jener Erklärung selbst. Denn ich frage Sie: was ist der Zweck dieser Erklärung? Hegten Sie etwa die Besorgnis, daß man die Verstümmelung meines Aufsatzes Ihnen zuschreiben könnte? In diesem Falle war die erste Hälfte der Erklärung hinreichend, und es bedurfte nicht des Zusatzes: „Wir bemerken dieses deswegen, um den Gegnern Heinrich Heines deutlich zu machen, was sie unter der ‚heimlichen Betriebsamkeit ihrer Wahlver wandten‘ zu verstehen haben.“ Oder, lieber Campe, sind Sie von meinen Gegnern so hart bedrängt worden, daß Sie ihnen durch jenen Zusatz eine persönliche Genugtuung geben mußten? Das ist auch nicht der Fall, denn Sie sind ja der große Schütz; auch hätten Sie zuviel Mut, um sich eine Erklärung abdrohen zu lassen; und am allerwenigsten würden Sie sich vor Maikäfern fürchten und vor Wolfgang Menzel, dem Achilles! Oder schrieben Sie jene Erklärung aus geheimem Haß gegen mich, um mir in der öffentlichen Meinung zu schaden? Nein, wir sind die besten Freunde, und es wäre schändlich von mir, wenn ich Ihnen die Tücke zutraute, im Mantel der Freundschaft einen meuchlenden Dolch zu verbergen! Oder erzielten Sie durch jene Erklärung irgendeinen irdischen Vorteil, und, vielleicht mit blutendem Herzen, opferten Sie den Freund einem höheren, nämlich einem merkantilischen Interesse? Nein, das kann es auch nicht sein; aus jener Erklärung dürfte Ihnen vielmehr ein pekuniärer Schaden erblühen … Mein Grundsatz: „Je mehr wir den Menschen kosten, desto mehr lieben sie uns!“ könnte mich nämlich auf den Gedanken führen, Ihre Freundschaftsgefühle indirekt zu steigern und für meine nächsten Werke das doppelte Honorar zu fordern.

Wenn also weder Delikatesse noch Furcht noch Haß noch Vorteil bei Ihrer Erklärung im Spiele sein konnte, so wird jene Erklärung nur erklärlich durch die geheimen Umtriebe jener schwäbischen Wahlverwandten, denen Sie, liebster Campe, unbewußt als Werkzeug dienen, und eben die Worte, womit Sie mir widersprachen, enthalten eine Bestätigung meiner Angaben.

Paris, den 3. April 1839

Heinrich Heine