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§ 8. Das „ego cogito“ als transzendentale Subjektivität

Hier machen wir nun, Descartes folgend, die große Umwendung, die, in rechter Weise vollzogen, zur transzendentalen Subjektivität führt: die Wendung zum ego cogito als dem apodiktisch gewissen und letzten Urteilsboden, auf den jede radikale Philosophie zu begründen ist.

Überlegen wir. Als radikal meditierende Philosophen haben wir weder jetzt eine für uns geltende Wissenschaft noch eine für uns seiende Welt. Statt schlechthin seiend, das ist uns in natürlicher Weise im Seinsglauben der Erfahrung geltend, ist sie uns nur ein bloßer Seinsanspruch. Das betrifft auch die umweltliche Existenz aller anderen Iche, so daß wir rechtmäßig eigentlich nicht mehr im kommunikativen Plural sprechen dürfen. Die anderen Menschen und die Tiere sind für mich ja nur Erfahrungsgegebenheiten vermöge der sinnlichen Erfahrung ihrer körperlichen Leiber, deren Gültigkeit, als mit in Frage stehend, ich mich nicht bedienen darf. Mit den Anderen verliere ich natürlich auch die ganzen Gebilde der Sozialität und der Kultur. Kurzum, nicht nur die körperliche Natur, sondern die ganze konkrete Lebensumwelt ist nunmehr für mich statt seiend nur Seinsphänomen. Aber wie immer es sich mit dem Wirklichkeitsanspruch dieses Phänomens verhalten und wie immer ich einmal für Sein oder Schein kritisch entscheiden mag, es selbst als mein Phänomen ist doch nicht nichts, sondern eben das, was für mich solche kritische Entscheidung überall möglich macht, also auch möglich macht, was je für mich evt. als wahres Sein — endgültig entschiedenes oder zu entscheidendes — Sinn und Geltung haben mag. Und wieder: Enthalte ich mich, wie ich es in Freiheit tun könnte und tat, jedes sinnlichen und in Sinnlichkeit fundierten Erfahrungsglaubens, so daß für mich das Sein der Erfahrungswelt außer Geltung bleibt, so ist doch dieses Mich-Enthalten, was es ist, und es ist mitsamt dem ganzen Strom des erfahrenden Lebens. Und zwar ist es für mich beständig da, beständig ist es nach einem Gegenwartsfelde wahrnehmungsmäßig bewußt in ursprünglichster Originalität, als es selbst; erinnerungsmäßig werden bald diese, bald jene Vergangenheiten desselben wieder bewußt, und darin liegt: als die Vergangenheiten selbst. Jederzeit kann ich reflektierend besondere aufmerkende Blicke auf dieses ursprüngliche Leben richten, Gegenwärtiges als Gegenwärtiges, Vergangenes als Vergangenes, als wie es selbst ist, erfassen. So tue ich nun als philosophierendes und jene Enthaltung übendes Ich.

Die in diesem reflektierenden Leben erfahrene Welt bleibt dabei in gewisser Weise für mich weiter und genau mit dem ihr jeweilig zugehörigen Gehalt erfahrene wie vorher. Sie erscheint weiter, wie sie vordem erschien, nur daß ich als philosophisch Reflektierender nicht mehr den natürlichen Seinsglauben der Welterfahrung in Vollzug, in Geltung halte, indes er doch noch mit da ist und vom aufmerkenden Blick mit erfaßt ist. Ebenso verhält es sich mit allen sonstigen Meinungen, die über die welterfahrenden hinaus meinem Lebensstrom zugehören, mit meinen unanschaulichen Vorstellungen, Urteilen, Werthaltungen, Entschließungen, Zweck- und Mittelsetzungen usw. und insbesondere den in ihnen in der natürlichen, unreflektierten, unphilosophischen Einstellung des Lebens notwendig betätigten Stellungnahmen — sofern eben diese die Welt überall voraussetzen, also einen Seinsglauben hinsichtlich der Welt in sich beschließen. Auch hier bedeutet das Sichenthalten, Außergeltungsetzen der Stellungnahmen von seiten des philosophisch reflektierenden Ich nicht ihr Verschwinden aus seinem Erfahrungsfeld. Die betreffenden konkreten Erlebnisse sind ja, sagen wir wieder, das, worauf der aufmerkende Blick gerichtet ist, nur daß das aufmerkende Ich als philosophierendes in bezug auf das Angeschaute Enthaltung übt. Auch alles, was in dergleichen Erlebnissen als Gemeintes im Geltungsbewußtsein war, das betreffende Urteil, die betreffende Theorie, die betreffenden Werte, Zwecke usw., bleibt ganz und gar erhalten — nur in der Geltungsmodifikation bloße Phänomene.

Dieses universale Außergeltungsetzen („Inhibieren“, „Außerspielsetzen“) aller Stellungnahmen zur vorgegebenen objektiven Welt, und so zunächst der Seinsstellungnahmen (betreffend Sein, Schein, Möglicherweise-Sein, Vermutlich-, Wahrscheinlich-Sein u. dgl.) — oder wie auch gesagt zu werden pflegt, diese phänomenologische epoché oder dieses Einklammern der objektiven Welt — stellt uns also nicht einem Nichts gegenüber. Was uns vielmehr, und gerade dadurch, zueigen wird, oder deutlicher: was mir, dem Meditierenden, dadurch zueigen wird, ist mein reines Leben mit all seinen reinen Erlebnissen und all seinen reinen Gemeintheiten, das Universum der Phänomene im besonderen und weiteren Sinne der Phänomenologie. Die epoché ist, so kann auch gesagt werden, die radikale und universale Methode, wodurch ich mich als Ich rein fasse, und mit dem eigenen reinen Bewußtseinsleben, in dem und durch das die gesamte objektive Welt für mich ist, und so, wie sie eben für mich ist. Alles Weltliche, alles raum-zeitliche Sein ist für mich — das heißt gilt für mich, und zwar dadurch, daß ich es erfahre, wahrnehme, mich seiner erinnere, daran irgendwie denke, es beurteile, es werte, begehre usw. Das alles bezeichnet Descartes bekanntlich unter dem Titel cogito. Die Welt ist für mich überhaupt gar nichts anderes als die in solchem cogito bewußt seiende und mir geltende. Ihren ganzen, ihren universalen und spezialen Sinn und ihre Seinsgeltung hat sie ausschließlich aus solchen cogitationes. In ihnen verläuft mein ganzes Weltleben, wohin auch mein wissenschaftlich forschendes und begründendes Leben gehört. Ich kann in keine andere Welt hineinleben, hineinerfahren, hineindenken, hineinwerten und -handeln als die in mir und aus mir selbst Sinn und Geltung hat. Stelle ich mich über dieses ganze Leben und enthalte ich mich jedes Vollzuges irgendeines Seinsglaubens, der geradehin die Welt als seiende nimmt — richte ich ausschließlich meinen Blick auf dieses Leben selbst, als Bewußtsein von der Welt, so gewinne ich mich als das reine Ego mit dem reinen Strom meiner cogitationes.

So geht also in der Tat dem natürlichen Sein der Welt — derjenigen, von der ich reden kann — voran als an sich früheres Sein das des reinen Ego und seiner cogitationes. Der natürliche Seinsboden ist in seiner Seinsgeltung sekundär, er setzt beständig den transzendentalen voraus. Die phänomenologische Fundamentalmethode der transzendentalen epoché, sofern sie auf ihn zurückleitet, heißt daher transzendental-phänomenologische Reduktion.