Freundschaft


Man hüte sich daher vor der Freundschaft. Wie müssen wir einen Freund definieren? Ein Freund ist nicht das, was die Philosophen das notwendige Andre nennen, sondern das überflüssige Dritte. Was sind die Zeremonien der Freundschaft? Man trinkt Brüderschaft, öffnet eine Ader und mischt sein Blut mit dem des Freundes. Wann dieser Augenblick kommt, ist schwer zu sagen, aber er kündigt sich selber in rätselhafter Weise an; man fühlt's, dass man sich nicht mehr »Sie« nennen kann. Wenn dieses Gefühl einen ergriffen hat, dann hat man sich nicht getäuscht, wie Geert Vestphaler es tat, als er mit dem Scharfrichter Brüderschaft trank.

Was sind die sichern Merkmale der Freundschaft? Das Altertum antwortet - aber äußerst langweilig: idem velle, idem nolle, ea demum firma amicitia. Was ist die Bedeutung der Freundschaft? Gegenseitige Assistenz mit Rat und Tat. Darum schließen zwei Freunde sich so eng aneinander an, und zwar obgleich einer dem andern oft nur im Wege steht. Ja, man kann einander in Geldverlegenheiten unterstützen, kann einander helfen, wenn man den Überzieher an- oder auszieht, und einer ist des andern gehorsamster Diener; man kann einander seine aufrichtigsten Neujahrswünsche bringen, item seine Gratulationen zur Hochzeit, zur Taufe, zur Beerdigung.

Aber muß man sich auch vor der Freundschaft hüten, so soll man deshalb doch nicht ganz und gar ohne Berührung mit den Menschen leben. Im Gegenteil, es können diese Verhältnisse zuweilen auch einen tieferen Schwung annehmen, nur dass man immer, auch wenn man eine Weile die Bewegung teilt, davon laufen kann. Nun meint man wohl, es könne unangenehme Erinnerungen hinterlassen, wenn ein Verhältnis aufgelöst werde. Das ist jedoch ein Mißverständnis. Das Unangenehme ist nämlich ein pikantes Ingrediens in den Mühseligkeiten des Lebens. Außerdem kann dasselbe Verhältnis in anderer Weise eine neue Bedeutung erlangen. Auf eins muß man sehen und das ist dies: man renne sich niemals fest und habe daher immer das Vergessen zur Hand. Der erfahrene Landmann bracht dann und wann, und die soziale Klugheitslehre empfiehlt dasselbe. Alles kehrt wieder, aber stets in anderer Weise; was einmal in die Rotation aufgenommen ist, bleibt in derselben, wird aber in der Betriebs-Methode variiert. Ganz konsequent hofft man also seine alten Freunde und Bekannt; in einer bessern Welt wiederzufinden, aber man teilt nicht die Furcht der Menge, sie möchten sich so sehr verändert haben, dass man sie nicht wiedererkennen werde; man fürchtet eher, sie möchten ganz unverändert geblieben sein. Es ist wirklich unglaublich, was selbst der unbedeutendste Mensch durch solche vernünftige Behandlung gewinnen kann.


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