Violinstriche
Horch, zwei wohlbekannte Violinstriche! Diese zwei Violinstriche, hier in diesem Augenblick, mitten auf der Straße! Habe ich den Verstand verloren? ist es mein eignes Ohr, welches aus Liebe zu Mozarts Musik schon aufgehört hat, zuzuhören? Ist es ein Geschenk der Götter an mich Unglücklichen, der wie ein Bettler an des Tempels Tür sitzt? ein Ohr, das selber vorträgt, was es selbst vernimmt? Nur diese zwei Violinstriche: denn jetzt höre ich nichts weiter. Sowie sie in jener unsterblichen Ouvertüre aus tiefen Choralklängen hervorbrechen, so arbeiten sie sich hier aus dem Gelärme der Straße hervor, mit der vollen überraschenden Kraft einer Offenbarung. - Es muß doch hier in der Nähe sein: denn jetzt höre ich deutlich die leichte Tanzmelodie. - Also, ihr seid's, das unglückliche Künstlerpaar, dem ich diese Freude verdanke. - Der eine von ihnen, etwa siebzehn Jahre alt, trug einen grünen Kalmucksrock, mit großen Hornknöpfen. Der Frack war für ihn viel zu groß. Er hielt die Violine dicht unter dem Kinn; die Mütze war tief in die Augen gedrückt; seine Hand war unter einem fingerlosen Handschuh versteckt, die Finger von der Kälte rot und blau. Der andre war älter; er hatte einen Kutschermantel an. Sie waren beide blind. Ein kleines Mädchen, vermutlich ihre Führerin, stand vor ihnen, steckte ihre Hände unter ihr Halstuch. Allmählich sammelten wir wenigen Bewunderer dieser Töne uns umher: ein Postbote mit seinen Briefpaketen, ein kleiner Junge, ein Dienstmädchen, ein paar Lastträger. Die herrschaftlichen Karossen rollten lärmend vorüber; die Lastwagen übertönten diese Musik, welche in einzelnen Tönen auftauchte. - Unglückliches Künstlerpaar, wisset, dass diese Töne alle Herrlichkeit der Welt in sich schließen. - War dies nicht wie eine Ratsversammlung?
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