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Verbalinjurie

Es kann kein Zweifel darüber sein, daß auch Worte wie Waffen eine Verwundung oder Verletzung hervorbringen können. Denn Worte erwecken Vorstellungen und Vorstellungen können den sogenannten Willen zu Taten bringen, die verwunden oder verletzen. Wenn der Ingenieur auf einen Knopf drückt, der tausend Meter entfernt eine Mine zum Explodieren bringt, so wird die Elektrizität die Zwischenursache zwischen seiner Absicht und der Entzündung des Pulvers; die Maschine ist dann auf Auslösung durch Elektrizität eingestellt. Wenn der Hauptmann seiner wohlgebildeten Truppe Feuer kommandiert, so ist die Maschine auf Auslösung durch ein Wort eingestellt und etwas wie Elektrizität mitbeteiligt. Es kann auch ein Räuberhauptmann sein. Die Schüsse fallen und das Blei reißt Löcher ins Fleisch. Ebensolche Wirkungen können Worte in Form von Lügen, Verleumdungen, Denunziationen, Enthüllungen haben. Worte können Waffen werden oder doch Maschinenteilchen einer komplizierten Waffe.

Man rechnet aber auch zu den Verletzungen durch Worte die Beleidigungen, und das ist so dumm, daß niemals ein Tier mit einfacher Sprache darauf gekommen wäre. In solchen Torheiten luxuriert nur die überfütterte Menschensprache. Beleidigungen sind Schüsse mit Platzpatronen. Es knallt, weil die Luft erschüttert wird, aber es fliegt kein Blei aus dem Rohr. Die Verletzung gehört zu den Einbildungen, freilich in der europäischen Gesellschaft zu den Einbildungen, die selbst wieder nicht ohnmächtig sind, weil sie Zwangskurs haben wie schlechtes Papiergeld. Den Platzpatronen ohne Kugel steht als Ziel das Gespenst der Ehre gegenüber. Und so genau kennen einander diese Masken, daß das Gespenst der Ehre umfällt, sobald es knallt. Das ist eigentlich Feigheit von dem Gespenst, heißt aber Mut bei den Fahnenträgern des Gespenstes.

Je mehr Ehre der einzelne verbrieft hat, für desto stärker gilt die Verletzung durch den Knall der Platzpatrone. Ist die Luft vor den Ohren eines Fürsten in die Schwingungen Lump oder Dummkopf gebracht worden, so heißt das Geräusch Majestätsbeleidigung. Und es wird mit Recht hart bestraft von allen Menschen, deren Ehre umfällt, wenn es knallt. Die Strafbestimmung müßte lauten: Die Majestät wird beleidigt, wenn der Schatten einer Peitsche sie berührt. Und die Strafe müßte darin bestehen, daß der Erreger des unbeliebten Geräusches einmal durch den Schatten eines Galgens oder eines Zuchthauses geführt würde.

Einen Purzelbaum macht der Begriff der Beleidigung, wenn der Knall vor Gottes Ohren losgeht. Man nennt dies mit Bauernschlauheit nicht Gottesbeleidigung, sondern Gotteslästerung. Der Staat ist denn doch so modern geworden, daß er die Eselei nicht zu vertreten wagt, für die beleidigte Allmacht als Duellant einzutreten. Als ob der liebe Gott altersschwach geworden wäre und selbst die Pistole nicht mehr halten könnte. Es wird also der Schein erweckt, als ob man bei dieser Gruppe von Schimpfworten nicht die angeknallte Person, sondern die durch den Knall unangenehm berührten Zeugen schützen wollte. Das ist aber nicht wahr. Wollte man das Ärgernis bestrafen, so wäre die Erklärung, es gebe keinen Gott, das schwerste Ärgernis. Diese Lehre aber duldet der Staat, teils weil er sich vor seinen besten Geistern schämt, teils weil die angewandten Naturwissenschaften doch ein schönes Stück Geld einbringen. Wer den lieben Gott beschimpfen will, der muß ihn doch als ein wirkliches Wesen vorstellen; er gehört also zu den Frommen und kann kein groß Ärgernis geben. Nur Gläubige beschimpfen Gott. Der Abruzzenmörder, der die Madonna ohrfeigt, weil sie ihm bei der letzten Unternehmung nicht beigestanden hat, ist ein frommer Mann und kein Gottesbeleidiger. Ein Kirchenstaat wird ihn demnach auch als einen guten Bürger behandeln.

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