Von großen Ereignissen
Es gibt eine Insel im Meere — unweit den glückseligen Inseln Zarathustras — auf welcher beständig ein Feuerberg raucht; von der sagt das Volk, und sonderlich sagen es die alten Weibchen aus dem Volke, daß sie wie ein Felsblock vor das Tor der Unterwelt gestellt sei: durch den Feuerberg selber aber führe der schmale Weg abwärts, der zu diesem Tore der Unterwelt geleite.
Um jene Zeit nun, als Zarathustra auf den glückseligen Inseln weilte, geschah es, daß ein Schiff an der Insel Anker warf, auf welcher der rauchende Berg steht; und seine Mannschaft ging ans Land, um Kaninchen zu schießen. Gegen die Stunde der Mittags aber, da der Kapitän und seine Leute wieder beisammen waren, sahen sie plötzlich durch die Luft einen Mann auf sich zukommen, und eine Stimme sagte deutlich: „Es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit!“ Wie die Gestalt ihnen aber am nächsten war — sie flog aber schnell gleich einem Schatten vorbei, in der Richtung, wo der Feuerberg lag — da erkannten sie mit größter Bestürzung, daß es Zarathustra sei; denn sie hatten ihn alle schon gesehn, ausgenommen der Kapitän selber, und sie liebten ihn, wie das Volk liebt: also daß zu gleichen Teilen Liebe und Scheu besammen sind.
„Seht mir an!“ sagte der alte Steuermann, „da fährt Zarathustra zur Hölle!“ —
Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der Feuerinsel landeten, lief das Gerücht umher, daß Zarathustra verschwunden sei; und als man seine Freunde fragte, erzählten sie, er sei bei Nacht zu Schiff gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle.
Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber kam zu dieser Unruhe die Geschichte der Schiffsleute hinzu — und nun sagte alles
Volk, daß der Teufel Zarathustra geholt habe. Seine Jünger lachten zwar ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar: „eher glaube ich noch, daß Zarathustra sich den Teufel geholt hat.“ Aber im Grunde der Seele waren sie alle voll Besorgnis und Sehnsucht: so war ihre Freude groß, als am fünften Tage Zarathustra unter ihnen erschien.
Und dies ist die Erzählung von Zarathustras Gespräch mit dem Feuerhunde:
Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. Eine dieser Krankheiten heißt zum Beispiel: „Mensch“.
Und eine andere dieser Krankheiten heißt „Feuerhund“: über den haben sich die Menschen viel vorgelogen und vorlügen lassen.
Dies Geheimnis zu ergründen ging ich über das Meer: und ich habe die Wahrheit nackt gesehn, wahrlich! barfuß bin zum Halse.
Was es mit dem Feuerhund auf sich hat, weiß ich nun; und insgleichen mit all den Auswurf- und Umsturz-Teufeln, vor denen sich nicht nur alte Weibchen fürchten.
„Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe!“ rief ich, „und bekenne, wie tief diese Tiefe ist! Woher ist das, was du da heraufschnaubst?
Du trinkst reichlich am Meere: das verrät deine versalzte Beredsamkeit! Fürwahr, für einen Hund der Tiefe nimmst du deine Nahrung zu sehr von der Oberfläche!
Höchstens für den Bauchredner der Erde halt’ ich dich: und immer, wenn ich Umsturz- und Auswurf-Teufel reden hörte, fand ich sie gleich dir: gesalzen, lügnerisch und flach.
Ihr versteht zu brüllen und mit Asche zu verdunkeln! Ihr seid die besten Großmäuler und lerntet sattsam die Kunst, Schlamm heiß zu sieden.
Wo ihr seid, da muß stets Schlamm in der Nähe sein, und viel Schwammichtes, Höhlichtes, Eingezwängtes: das will in die Freiheit.
„Freiheit“ brüllt ihr alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben an „große Ereignisse“, sobald viel Gebrüll und Rauch um sie herum ist.
Und glaube mir nur, Freund Höllenlärm! Die größten Ereignisse — das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden.
Nicht um die Erfinder von neuem Lärme: um die Erfinder von neuen Werten dreht sich die Welt; unhörbar dreht sie sich.
Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Lärm und Rauch sich verzog. Was liegt daran, daß eine Stadt zur Mumie wurde, und eine Bildsäule im Schlamme liegt!
Und dies Wort sage ich noch den Umstürzern von Bildsäulen. Das ist wohl die größte Torheit, Salz ins Meer und Bildsäulen in den Schlamm zu werfen.
Im Schlamme eurer Verachtung lag die Bildsäule: aber das ist gerade ihr Gesetz, daß ihr aus der Verachtung wieder Leben und lebende Schönheit wächst!
Mit göttlicheren Zügen steht sie nun auf, und leidendverführerisch; und wahrlich! sie wird euch noch Dank sagen, daß ihr sie umstürztet, ihr Umstürzer!
Diesen Rat aber rate ich Königen und Kirchen und allem, was alters- und tugendschwach ist — laßt euch nur umstürzen! Daß ihr wieder zum Leben kommt, und zu euch — die Tugend! —“
Also redete ich vor dem Feuerhunde: da unterbrach er mich mürrisch und fragte: „Kirche? Was ist denn das?“
„Kirche?“ antwortete ich, „das ist eine Art von Staat, und zwar die verlogenste. Doch schweig still, du Heuchelhund! Du kennst deine Art wohl am besten schon!
Gleich dir selber ist der Staat ein Heuchelhund; gleich dir redet er gern mit Rauch und Gebrülle — daß er glauben mache, gleich dir, er rede aus dem Bauch der Dinge.
Denn er will durchaus das wichtigste Tier auf Erden sein, der Staat; und man glaubt’s ihm auch.“ —
Als ich das gesagt hatte, gebärdete sich der Feuerhund wie unsinnig vor Neid. „Wie?“ schrie er, „das wichtigste Tier auf Erden? Und man glaubt’s ihm auch?“ Und so viel Dampf und gräßliche Stimmen kamen ihm aus dem Schlunde, daß ich meinte, er werde vor Ärger und Neid ersticken.
Endlich wurde er stiller, und sein Keuchen ließ nach; sobald er aber stille war, sagte ich lachend:
„Du ärgerst dich, Feuerhund: also habe ich über dich Recht!
Und daß ich auch noch recht behalte, so höre von einem andern Feuerhunde: der spricht wirklich aus dem Herzen der Erde.
Gold haucht sein Atem und goldigen Regen: so will’s das Herz ihm. Was ist ihm Asche und Rauch und heißer Schleim noch!
Lachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewölke; abgünstig ist er deinem Gurgeln und Speien und Grimmen der Eingeweide!
Das Gold aber und das Lachen — das nimmt er aus dem Herzen der Erde: denn daß du’s nur weißt — das Herz der Erde ist von Gold.“
Als dies der Feuerhund vernahm, hielt er’s nicht mehr aus, mir zuzuhören. Beschämt zog er seinen Schwanz ein, sagte auf eine kleinlaute Weise Wau! Wau! und kroch hinab in seine Höhle. —
Also erzählte Zarathustra. Seine Jünger aber hörten ihm kaum zu: so groß war ihre Begierde, ihm von den Schiffsleuten, den Kaninchen und dem fliegenden Manne zu erzählen.
„Was soll ich davon denken!“ sagte Zarathustra. „Bin ich denn ein Gespenst?
Aber es wird mein Schatten gewesen sein. Ihr hörtet wohl schon einiges vom Wanderer und seinem Schatten?
Sicher aber ist das: ich muß ihn kürzer halten — er verdirbt mir sonst noch den Ruf.“
Und nochmals schüttelte Zarathustra den Kopf und wunderte sich. „Was soll ich davon denken!“ sagte er nochmals.
„Warum schrie denn das Gespenst: „Es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit!“
Wozu ist es denn — höchste Zeit?“
Also sprach Zarathustra.