Perseus
Perseus, der Sohn des Zeus, wurde mit seiner Mutter Danae von dem Großvater Akrisios, Könige von Argos, dem ein Orakelspruch gesagt hatte, daß ein Enkel ihm Leben und Thron rauben würde, in einen Kasten eingeschlossen und ins Meer geworfen; Zeus behütete sie in den Stürmen des Meeres, und sie schwammen bei der Insel Seriphos ans Land. Dort herrschten zwei Brüder, Diktys und Polydektes. Diktys fischte eben, als der Kasten angeschwommen kam, und zog ihn ans Land. Beide Brüder nahmen sich der Verlassenen liebreich an; Polydektes erhob die Mutter zu seiner Gemahlin, und der Sohn des Zeus, Perseus, wurde von ihm sorgfältig erzogen.
Als Perseus herangewachsen war, überredete ihn sein Stiefvater, auf Taten auszuziehen und etwas Großes zu unternehmen. Der mutige Jüngling zeigte sich willig, und bald waren sie einig darüber, daß Perseus der Medusa ihr furchtbares Haupt abschlagen und dem Könige nach Seriphos bringen sollte. Perseus machte sich auf den Weg und kam unter Leitung der Götter in die ferne Gegend, wo Phorkys, der Vater vieler entsetzlicher Ungeheuer, hauste. Zuerst traf er auf drei seiner Töchter, die Graien oder Grauen; diese waren grauhaarig von Geburt an; alle drei miteinander hatten sie nur ein Auge und einen Zahn, den sie einander gegenseitig abwechslungsweise zum Gebrauche liehen. Perseus nahm ihnen beides weg, und als sie ihn flehentlich baten, das Unentbehrlichste ihnen doch wiederzugeben, zeigte er sich zur Zurückerstattung nur unter der Bedingung bereit, daß sie ihm den Weg zu den Nymphen zeigen sollten. Diese waren andere Wundergeschöpfe, die Flügelschuhe, einen Schubsack als Tasche und einen Helm von Hundefell besaßen. Wer sich damit bekleidete, konnte fliegen, wohin er wollte, sah, wen er wollte, und wurde von niemand gesehen. Die Töchter des Phorkys zeigten dem Perseus den Weg zu den Nymphen und erhielten Zahn und Auge von ihm zurück. Bei den Nymphen fand und nahm er, was er wollte, warf den Schubsack um, schnallte die Flügelschuhe an seine Knöchel und setzte den Helm aufs Haupt. Dazu erhielt er von Hermes eine eherne Sichel, und so ausgerüstet flog er zu dem Ozean, wo die andern drei Töchter des Phorkys, die Gorgonen, hausten. Die dritte, die Medusa hieß, war allein sterblich; darum war auch Perseus ausgesandt worden, ihr Haupt zu holen. Er fand die Ungeheuer schlafend, ihre Häupter waren mit Drachenschuppen übersäet, mit Schlangen statt Haaren bedeckt; große Hauzähne hatten sie, wie Schweine, eherne Hände und goldene Flügel, mit welchen sie flogen. Jeden, der sie ansah, verwandelte dieser Anblick in Stein. Das wußte Perseus. Mit abgewandtem Gesicht stellte er sich deswegen vor die Schlafenden und fing nur in seinem ehernen, glänzenden Schilde ihr dreifaches Bild auf So erkannte er die Gorgo Medusa heraus, Athene führte ihm die Hand, und schnitt dem schlafenden Ungeheuer ohne Gefährde das Haupt ab. Kaum war dies vollbracht, so entsprang dem Rumpfe ein geflügeltes Roß, der Pegasus, und ein Riese, Chrysaor. Beides waren Geschöpfe des Poseidon oder Neptunus. Perseus schob nun das Haupt der Medusa in den Schubsack und entfernte sich rücklings, wie er gekommen war. Indessen hatten sich die Schwestern Medusas vom Lager erhoben. Sie erblickten den Rumpf der getöteten Schwester und erhoben sich auf ihren Fittichen, den Räuber zu verfolgen. Diesen aber verbarg der Nymphenhelm vor ihren Augen, und sie konnten ihn nirgends innewerden. In der Luft faßten inzwischen den Perseus die Winde und schleuderten ihn, wie Regengewölk, bald da-, bald dorthin. Als er über den Sandwüsten Libyens schwebte, rieselten blutige Tropfen vom Medusenhaupte auf die Erde nieder, welche sie auffing und zu bunten Schlangen belebte. Seitdem ist jenes Erdreich an feindseligen Nattern so ergiebig. Perseus flog nun weiter westwärts und senkte sich endlich im Reiche des Königes Atlas nieder, um ein wenig zu rasten. Dieser hütete einen Hain voll goldener Früchte mit einem gewaltigen Drachen. Umsonst bat der Besieger der Gorgone ihn um ein Obdach. Für sein goldenes Besitztum bange, stieß ihn Atlas unbarmherzig von seinem Palaste fort. Da ergrimmte Perseus und sprach: „Du willst mir nichts gönnen; empfange du wenigstens ein Geschenk von mir.“ Er holte die Gorgo aus seinem Schubsacke hervor, wandte sich ab und streckte sie dem König Atlas entgegen. Groß wie der König war, wurde er augenblicklich zu Stein und in einen Berg verwandelt; Bart und Haupthaar dehnten sich zu Wäldern aus; Schultern, Hände und Gebein wurden Felsrücken; sein Haupt wuchs als hoher Gipfel in die Wolken. Perseus nahm seine Fittiche wieder und schnallte sie sich an die Sohlen, hängte sich den Schubsack um, setzte den Helm auf und schwang sich in die Lüfte. Auf seinem Fluge kam er an eine Küste Äthiopiens, wo der König Kepheus regierte. Hier sah er an eine hervorragende Meeresklippe eine Jungfrau angebunden. Wenn nicht ihr Haupthaar ein Lüftchen bewegt hätte und in ihren Augen Tränen gezittert, so würde er sie für ein Marmorbild gehalten haben. Fast hätte er in der Luft die Flügel zu bewegen vergessen, so bezaubert war er von dem Reize ihrer Schönheit. „Sprich, schöne Jungfrau“, redete er sie an, „du, die du ganz anderes Geschmeide verdientest, warum bist du hier in Banden? Nenne mir doch den Namen deines Landes, nenne mir deinen eigenen Namen!“ Das gefesselte Mädchen schwieg verschämt; sie scheute sich, den fremden Mann anzureden, und hätte gern ihr Angesicht mit den Händen bedeckt, wenn sie sich hätte regen können. So aber konnte sie nur ihre Augen mit quellenden Tränen füllen. Endlich, damit der Fremdling nicht glauben möchte, sie habe eine eigene Schuld vor ihm zu verbergen, erwiderte sie: „Ich bin Kepheus’, des Königs der Äthiopier, Tochter und heiße Andromeda. Meine Mutter hatte gegen die Töchter des Nereus, die Meeresnymphen, geprahlt, schöner zu sein als sie alle. Darüber zürnten die Nereiden, und ihr Freund, der Meeresgott, ließ eine Überschwemmung und einen alles verschlingenden Haifisch über das Land kommen. Ein Orakelspruch versprach uns Befreiung von der Plage, wenn ich, die Tochter der Königin, dem Fische zum Fraße hingeworfen würde. Das Volk drang in meinen Vater, dieses Rettungsmittel zu ergreifen, und die Verzweiflung zwang ihn, mich an diesen Felsen zu binden.“
Sie hatte die letzten Worte noch nicht ausgesprochen, als die Wogen aufrauschten und aus der Tiefe des Meeres ein Scheusal auftauchte, das mit seiner breiten Brust die ganze Wasserfläche umher einnahm. Das Mädchen jammerte laut auf; zugleich sah man Vater und Mutter herbeieilen, beide trostlos, doch in der Mutter Zügen drückte sich noch dazu das Bewußtsein der Schuld aus. Sie umarmten die gefesselte Tochter, aber sie brachten ihr nichts mit als Tränen und Wehklagen. Jetzt begann der Fremdling: „Zum Jammern wird euch noch Zeit genug übrigbleiben; die Stunde der Rettung ist kurz. Ich bin Perseus, der Sprößling des Zeus und der Danae; ich habe die Gorgone besiegt; und wunderbare Flügel tragen mich durch die Luft. Selbst wenn die Jungfrau frei wäre und zu wählen hätte, wäre ich kein verächtlicher Eidam! Jetzt werbe ich um sie mit dem Erbieten, sie zu retten. Nehmet ihr meine Bedingung an?“ Wer hätte in solcher Lage gezaudert? Die erfreuten Eltern versprachen ihm nicht nur die Tochter, sondern auch ihr eigenes Königreich zur Mitgift.
Während sie dieses verhandelten, war das Untier wie ein schnellruderndes Schiff herangeschwommen und nur noch einen Schleuderwurf von dem Felsen entfernt. Da plötzlich, das Land mit dem Fuße abstoßend, schwang sich der Jüngling hoch empor in die Wolken. Das Tier sah den Schatten des Mannes auf dem Meere. Während es tobend auf diesen losging, als auf einen Feind, der ihm die Beute zu entreißen drohte, fuhr Perseus aus der Luft wie ein Adler herunter, trat schwebend auf den Rücken des Tieres und senkte das Schwert, mit dem er die Meduse getötet hatte, dem Haifisch unter dem Kopf in den Leib, bis an den Knauf. Kaum hatte er es wieder herausgezogen, so sprang der Fisch bald hoch in die Lüfte, bald tauchte er wieder unter in die Flut, bald tobte er nach beiden Seiten wie ein von Hunden verfolgter Eber. Perseus brachte ihm Wunde um Wunde bei, bis ein dunkler Blutstrom sich aus seinem Rachen ergoß. Indessen troffen die Flügel des Halbgotts, und Perseus wagte nicht länger, sich dem wasserschweren Gefieder anzuvertrauen. Glücklicherweise erblickte er ein Felsriff, dessen oberste Spitze aus dem Meere hervorragte. Auf diese Felswand stützte er sich mit der Linken und stieß das Eisen drei- bis viermal in das Gekröse des Ungetüms. Das Meer trieb die ungeheure Leiche fort, und bald war sie in den Fluten verschwunden. Perseus hatte sich indessen ans Land geschwungen, hatte den Felsen erklommen und die Jungfrau, die ihn mit den Blicken des Dankes und der Liebe begrüßte, der Fesseln entledigt. Er brachte sie den glücklichen Eltern, und der goldene Palast empfing ihn als Bräutigam. Noch dampfte das Hochzeitsmahl, und die Stunden strichen dem Vater und der Mutter, dem Bräutigam und der geretteten Braut in sorgenfreier Eile dahin, als plötzlich die Vorhöfe der Königsburg mit einem dumpfen, brausenden Getümmel sich füllten. Phineus, der Bruder des Königs Kepheus, der früher um seine Nichte Andromeda geworben, aber in der letzten Not sie verlassen hatte, nahte mit einer Schar von Kriegern und erneuerte seine Ansprüche. Den Speer schwingend, trat er in den Hochzeitssaal und rief dem erstaunten Perseus zu: „Sieh mich hier, der ich komme, die mir entrissene Gattin zu rächen; weder deine Flügel noch dein Vater Zeus sollen dich mir entreißen!“ So rief er, schon zum Speerwurfe sich anschickend: da hub sich Kepheus, der König, vom Mahle. „Rasender Bruder“, rief er, „welcher Gedanke treibt dich zur Untat? Nicht Perseus raubt dir die Geliebte; sie wurde dir schon damals entrissen, als wir sie dem Tode preisgaben, als du zusahest, wie sie gefesselt wurde, und weder als Oheim noch als Geliebter ihr deinen Beistand liehest. Warum hast du nicht selbst dir den Preis von dem Felsen geholt, an den er geschmiedet war? So laß wenigstens den, der ihn sich errungen hat, der mein Alter durch die Rettung meiner Tochter getröstet, in Ruhe!“
Phineus antwortete ihm nichts, er betrachtete nur abwechselnd mit grimmigen Blicken bald seinen Bruder, bald seinen Nebenbuhler, als besänne er sich, auf wen er zuerst zielen sollte. Endlich nach kurzem Verzuge schwang er mit aller Kraft, die der Zorn ihm gab, den Speer gegen Perseus; aber er tat einen Fehlwurf, und die Waffe blieb im Polster hängen. Jetzt fuhr Perseus vom Lager empor und schleuderte seinen Spieß nach der Türe, durch welche Phineus eingedrungen war, und er würde die Brust seines Todfeindes durchbohrt haben, wenn dieser sich nicht mit einem Sprunge hinter den Hausaltar geflüchtet hätte. Das Geschoß hatte die Stirne eines seiner Begleiter getroffen, und jetzt kam das Gefolge des Eingedrungenen mit den längst von der Tafel aufgestörten Gästen ins Handgemenge. Lang und mörderisch war der Kampf; aber der Eingebrochenen war die Mehrzahl. Zuletzt wurde Perseus, an dessen Seite sich umsonst die Schwiegereltern und die Braut schutzflehend stellten, von Phineus und seinen Tausenden umringt. Die Pfeile flogen an ihnen von allen Seiten vorbei wie Hagelkörner im Sturme. Perseus hatte die Schultern an einen Pfeiler gelehnt und sich so den Rücken gedeckt. Von da zur Heerschar der Feinde gewendet, hielt er den Anlauf der Feinde ab und streckte einen um den andern nieder. Erst als er sah, daß die Tapferkeit der Menge erliegen müsse, entschloß er sich, das letzte, aber untrügliche Mittel, das ihm zu Gebote stand, zu gebrauchen. „Weil ihr mich genötigt“, sprach er, „will ich mir die Hilfe bei meinem alten Feinde holen! Wende sein Antlitz ab, wer noch mein Freund ist!“ Mit diesen Worten zog er aus der Tasche, die ihm immer an der Seite hing, das Gorgonenhaupt und streckte es dem ersten Gegner zu, der jetzt eben auf ihn eindrang. „Suche andere“, rief dieser verächtlich beim ersten flüchtigen Blicke, „die du mit deinen Mirakeln erschüttern kannst.“ Aber als seine Hand sich heben wollte, den Wurfspieß abzusenden, blieb er mitten in dieser Gebärde versteinert wie eine Bildsäule. Und so widerfuhr es einem nach dem andern. Zuletzt waren nur noch zweihundert übrig. Da hub Perseus das Gorgonenhaupt hoch in die Luft empor, daß alle es erblicken konnten, und verwandelte die zweihundert auf einmal in starres Gestein. Jetzt erst bereut Phineus den unrechtmäßigen Krieg. Rechts und links erblickt er nichts als Steinbilder in der mannigfaltigsten Stellung. Er ruft seine Freunde mit Namen, er berührt ungläubig die Körper der Zunächststehenden: alles ist Marmor. Entsetzen faßte ihn, und sein Trotz verwandelte sich in demütiges Flehen. „Laß mir nur das Leben, dein sei das Reich und die Braut!“ rief er und kehrte sein verzagendes Angesicht seitwärts. Aber Perseus, über den Tod seiner neuen Freunde erbittert, kannte kein Erbarmen. „Verräter“, schrie er zornig, „ich will dir für alle Ewigkeit ein bleibendes Denkmal in meines Schwähers Hause stiften!“ Und sosehr Phineus bemüht war, dem Anblicke zu entgehen, so traf doch bald das ausgestreckte Schreckensbild sein Auge: sein Hals erstarrte, sein feuchter Blick erharschte zu Stein. So blieb er stehen mit furchtsamer Miene, die Hände gesenkt, in knechtischer, demütiger Stellung. Ohne Hindernis führte jetzt Perseus seine Geliebte, Andromeda, heim. Lange glückliche Tage erwarteten ihn, und er fand auch seine Mutter Danae wieder. Doch sollte er an seinem Großvater Akrisios das Verhängnis erfüllen. Dieser war aus Furcht vor dem Orakelspruche zu einem fremden Könige ins Pelasgerland geflohen. Hier half er Kampfspiele feiern, als eben Perseus ankam, der auf der Fahrt nach Argos begriffen war, wo er seinen Großvater begrüßen wollte. Ein unglücklicher Wurf mit der Scheibe traf den Großvater von des Enkels Hand, ohne daß dieser jenen kannte oder treffen wollte. Nicht lange blieb ihm verborgen, was er getan. In tiefer Trauer begrub er den Akrisios außerhalb der Stadt und vertauschte das Königreich, das ihm durch des Großvaters Tod zugefallen war. Doch verfolgte ihn der Neid des Geschickes nicht länger. Andromeda gebar ihm viele herrliche Söhne, und der Ruhm des Vaters lebte in ihnen fort.