»Machen Sie das mal den ganzen Tag –!«
Von außen sieht alles ganz anders aus als von innen.
Nimmt einer auf dem Bahnhof Abschied, dann zieht er das Taschentuch, wenn der Zug anruckt, und macht Winke-Winke, und dann sieht er noch eine Hand, und dann geht er ab. Es war ein richtiger Abschied. Der Stationsvorsteher aber guckt gar nicht mehr hin; der sieht das nämlich alle Tage. Und da sieht das ganz, ganz anders aus … !
Sitzen Sie mal in dem kleinen Käfig und knipsen Billetts! »Die Fahrkarte!« – »Die Fahrkarte, die Dame!« – Und knips, knips, knips … und dann ziehts – und dann kommt eine Kontrolle – und dann hat einer sein Billett verloren, und wir sollen die Schuld haben – und dann kommt gar keiner – und dann ziehts –
Sitzen Sie mal den ganzen Tag in der Zeitungsbude! Na, gar nicht, als ob das nun so ein furchtbar schwerer Dienst wäre … aber man kann doch nicht immerzu lesen, man muß doch auch aufpassen – ›Berlin am Abend‹ – ›Den neuen Sport‹ – »Mojn, Herr Müller!« – »Is noch nicht raus … kommt erst in ner halben Stunde!« – »Na, Frolleinchen, vielleicht noch was Hübsches für die Mode … mit Schnittmustern … ?« und dann die Straße – jeden Stein kennt man auswendig – neulich war hier der Zusammenstoß … von außen ist ja son Zeitungskiosk ganz bunt – aber von innen sieht das ganz anders aus!
Oder meinen Sie, es macht Spaß, den ganzen Tag die müden Knochen mit den Reklametafeln rumzutragen? Ich guck alle Leute an – mich guckt keiner an: sie lesen bloß auf einem. Diese Pflastertreterei … aber was soll man machen … man ist schon froh, dass man wenigstens die Arbeit gekriegt hat … Sieht von außen ganz leicht aus … aber zehn Stunden rumpesen ist keine Kleinigkeit …
Und sitzen Sie mal den ganzen Tag am Steuer von dem Autobus – das schwere Ding um die Ecke rumkriegen … und dann Verspätung … und dann glitscht der Asphalt … und die Verantwortung … und die Schupos … und Kontrolle … und passieren soll nichts … und immer mit die Ruhe! Ja, da denkt kaum einer dran von denen, die hinten raufsteigen – die denken bloß an sich – is ja auch richtig … – aber von innen sieht das eben ganz anders aus …
Und der im Fahrstuhl – immer rauf und wieder runter – immer dasselbe, den ganzen Tag: »Spielwaren, Haushaltungsgegenstände, Errrfrischungsraum!« und wieder rauf und wieder runter …
Und der Mann im Karussell …
Und der Wärter bei den Affen …
Und der Lokomotivführer …
Und wir alle – wir alle –:
Wir sind Menschen im Käfig. Mitunter ganz ulkig für die, die vorübergehen. Aber von innen –: da sieht das ganz, ganz anders aus.
Theobald Tiger
Arbeiter Illustrierte Zeitung, 1930, Nr. 13, S. 249.