Wahl, Wählen (proairesis, electio, eligere) ist ein Wollen mit Überlegung (s. d.), mit einem Kampf der Motive (s. d.), ein Bevorzugen (»Lieber-wollen«) eines unter mehreren Motiven, nämlich desjenigen, welches zurzeit den höchsten Wert (s. d.) für das Subjekt hat (s. Wille).
ARISTOTELES bemerkt: hê proairesis dê hekousion men phainetai, ou tauton de, all' epi pleon to hekousion (Eth. Nic. III 4, 1111b 6 squ.). ontos de tou proairetou bouleutou orektou tôn eph' hêmin, kai hê proairesis an eiê bouleutikê orexis tôn eph' hêmin. ek tou bouleusasthai gar krinantes oregometha kata tên bouleusin (l. c. III 6, 1113a 9 squ.). - ALBERTUS MAGNUS bestimmt: »Prohaeresis habitus est intelligibilis, regens in eligentia eligendorum« (Sum. th. II, 25, 2). Nach THOMAS ist die »electio« »nihil aliud, quam duobus propositis alterum alteri praeoptare« (2 sent. 24, 1. vgl. Sum. th. I, 59, 3 ob. 1). - Zur Apperzeption setzt die Wahl die Schule HERBARTS in Beziehung (vgl.G. SCHILLING, Lehrb. d. Psychol. S. 174 f.). Nach G. O. SCHNEIDER ist die Wahl ein »Komplex von Aufmerksamkeitsakten«. Der Wahlakt bezweckt stets »die Unterordnung spezielleren und näher liegender unter einen allgemeineren, ferner liegenden und indirekteren Zweck« (Der menschl. Wille, S. 288 f.). Das Wählen ist »ein abwechselndes Apperzipieren und ein Vergleichen der Bedingungen, in denen die spezielleren Erfolge einzelner Handlungen zu einem allgemeineren indirekten Erfolge, dem vorgestellten Zwecke, stehen« (l. c. S. 320). Nach WUNDT besteht ein Wahlvorgang da, wo der Motivenkampf »deutlich wahrnehmbar der Handlung vorangeht« (Gr. d. Psychol.5, S. 224: vgl. HÖFFDING, Psychol.2, S. 450 f.). Nach KÜLPE gibt es keinen besonderen Bewußtseinsakt des Wählens. Die Überlegung ist nur »eine mehr oder weniger verwickelte, assoziativ begründete Reihe von Reproduktionen« (Gr. d. Psychol. S. 462 I f.). Nach RIBOT ist der Wahlakt (volition) nur ein Urteil ohne Wirksamkeit (Malad. de la volont. p. 29). Daß das Bewußtsein sich den Eindrücken gegenüber stets auswählend verhalte, betont besonders W. JAMES (Princ. of Psychol. I, 284 ff.. vgl. RENOUVIER, Nouv. Monadol. p. 95). Nach H. SCHWARZ ist das Wählen ein Vorgang, der »zwischen zwei Willensregungen entscheidet« (Psychologie d. Willens S. 246). Das Lieberwollen, Vorziehen ist ein besonderer Willensakt (l. c. S. 288). Analytisch ist das Vorziehen, wenn es sich richtet »nach dem Verhältnis von solchem Bessern und Schlechtern, das schon vorher anderweitig geprägt ist«. Synthetisch ist das Vorziehen, »das erst durch seinen eigenen Akt anzeigt, wo in einem gegebenen Falle das Bessere liegt« (l. c. S. 290) »Alles analytische Lieber-wollen folgt zuletzt einer Regel: wir ziehen stets das vor, bei dessen Nichtsein uns etwas fehlt, und wir setzen stets das hintan, was im Kontrast damit nur unsatt gefällt« (l. c. S. 295). Die Wahl (Entscheidung, Entschließung) ist »ein deutliches Lieberwollen (Vorziehen), dem Erwägungen anläßlich streitender Wünsche vorangegangen sind« (ib.). Das Wählen ist ein Urphänomen (l. c. S. 318). Das Wählen hat kein Motiv, ist aber eines (l. c. S. 357). - Vgl. Wille, Willensfreiheit.