Den strengen Zusammenhang der Philosophie mit den Einzelwissenschaften betont, ohne dem Positivismus (s. d.) zu verfallen, WUNDT. Die Philosophie soll den ganzen Umfang wissenschaftlicher Erfahrung zur Grundlage nehmen (Ess. 1, S. 18). Die Philosophie geht den Einzelwissenschaften nicht voran, sondern sie folgt ihnen nach (Einl. in d. Philos. S. 38. Philos. Stud. XIII, 432). Die Philosophie führt die Arbeit der Einzelwissenschaft weiter, vollendet de (Syst. d. Philos2, S. V. Syst. d. Philos.2. S. XI. Einl. in d. Philos. S. 28). Sie ist aber nicht eine bloße Sammlung der Prinzipien der Einzelwissenschaften (wie bei COMTE u. a.), sondern sie muß jedes Problem erkenntniskritisch prüfen (Philos. Stud. V, 31). Sie muß den allgemeinen Erkenntnissen der Wissenschaften die endgültige systematische Ordnung geben (Log. II2 2, 25. Einl. in d. Philos. S. 16 ff.. Syst. d. Philos.2, S. VI). Alles Philosophieren beruht auf einem »Trieb nach Systematisierung des Erkennens und seiner Methoden« (Einl. in d. Philos. S. 31). Bloße »Wertlehre« kann die Philosophie nicht sein, da schon in jeder Wissenschaft Wertungen notwendig sind, auch kann sie nicht rein normativ sein, denn jede normative Wissenschaft ist zugleich explicativ (Einl. in d. Philos. S. 30 ff.). Zweck der Philosophie ist die »Zusammenfassung unserer Einzelerkenntnisse zu einer die Forderungen des Verstandes und die Bedürfnisse des Gemütes befriedigenden Welt- und Lebensanschauung« (Syst. d. Philos.2, S. 1, 15. Einl. in d. Philos. S. 5 ff.). Die Philosophie ist eine »allgemeine Wissenschaft, welche die durch die Einzelwissenschaften vermittelten allgemeinen Erkenntnisse zu einem. widerspruchslosen System zu vereinigen hat« (Syst. d. Philos.2, S. 17. Einl. in d. Philos. S. 17). »Überall, wo sich zwischen den Auffassungen auf verschiedenen Gebieten ein Widerspruch herausstellen wollte, ist es die Philosophie, die den Grund desselben aufzuklären und dadurch womöglich den Widerspruch zu beseitigen hat« (Syst. d. Philos.2, S. 17. Einl. in d. Philos. S. 19). Ihren Inhalt hat die Philosophie mit den Wissenschaften gemein, aber sie nimmt einen andern Standpunkt der Betrachtung ein, indem sie den Zusammenhang der Tatsachen und Begriffe ins Auge faßt (Syst. d. Philos.2 S. 21, 30. Philos. Stud. V, 1 ff., 48). Die Philosophie ist eine Geisteswissenschaft, denn sie stützt sich wesentlich auf psychologische Erfahrungen (Syst. d. Philos. S. 14, 28. Philos. Stud. V, 48. Einl. in d. Philos. S. 27, 82). Die Methode der Philosophie ist die wissenschaftliche überhaupt (Log. II2 2, 631 ff.). Wissenschaftslehre ist die Philosophie nur in dem Sinne, daß sie »die Methoden und Ergebnisse der Einzelwissenschaften als den eigentlichen Gegenstand ihrer Forschungen betrachtet,« ihr Ziel aber ist »die Gewinnung einer Weltanschauung, die dem Bedürfnis des menschlichen Geistes nach der Unterordnung des Einzelnen unter umfassende theoretische und ethische Gesichtspunkte Genüge leistet« (Log. II2, 641 f., 643. Syst. d. Philos.2, S. 105. Ess. 2, S. 60). Kritisch ist die Philosophie, indem sie von vornherein mit klarem Bewußtsein über ihre Voraussetzungen und Verfahrungsweisen Rechenschaft zu geben hat, indem sie ferner die logischen Motive des Erkennens nachweist (Log. II2 2, 631. Syst. d. Philos.2, S. 192. Philos. Stud. VII, 12 f., 15. vgl. Üb. d. Aufgabe d. Philos. 1874. Einfloß d. Philos. auf d. Erfahrungswissensch. 1876). Die Philosophie gliedert sich in: 1) genetische (Erkenntnislehre, s. d.) und 2) systematische Philosophie (Prinzipienlehre: Metaphysik. Naturphilosophie, Geistesphilosophie = Ethik, Rechtsphilosophie, Ästhetik, Religionsphilosophie, Geschichtsphilosophie) (Einl. in d. Philos. S. 85. Syst. d. Philos.2, S. 31). Wie Wundt auch W. JERUSALEM (Einführ. m d. Philos.), KREIBIG (Werttheor. S. 1) u. a. KÜLPE bezeichnet als Aufgabe der Philosophie: 1) die, wissenschaftliche Ausbildung einer Weltansicht. 2) die Untersuchung der Voraussetzungen aller Wiesenschaft. 3) die Vorbereitung neuer Einzelwissenschaften (Einl. in d. Philos.2, S. 263).
Nach ADICKES, ist die Philosophie eine selbständige Wissenschaft, sie ist Theorie des Denkens (Logik, Erkenntnistheorie), Metaphysik, im weiteren Sinne auch Psychologie, Ethik, Ästhetik (Zeitschr. f. Philos. 117. Bd., S. 49, 52 f.). Sie hat »die allgemeinen Bedingungen und Prinzipien des Denkens und Erkennens zu untersuchen und festzustellen. Sie darf nicht in die Einzelwissenschaften eingreifen« (l. c. 112. Bd., S. 230). Nach RIEHL ist die Philosophie »allgemeine Wissenschafts- und praktische Weisheitslehre«, »Wissenschaft und Kritik der Erkenntnis« (Philos. Krit. II 2, S. 10 ff., 15f.). Die Erfahrung selbst und als solche ist der Gegenstand der wissenschaftlichen Philosophie (Zur Einf. in d. Philos. 6. 22). Ziel der Philosophie ist, dem Menschen »eine lebensrolle Weltanschauung zu geben, die sich an alle Seiten seiner Natur wendet« (l. c. S. 23). Insofern die Wissenschaft Werte entdeckt, schafft, ist sie mehr als Wissenschaft (1 c. S. 9). Die Philosophie als »Kunst der Geistestführung« ist von der Philosophie als Erkenntnistheorie zu unterscheiden (ib.). Die Philosophie darf nicht metaphysisch sein (l. c. S. 5). Nach H. LORM ist sie nur Erkenntnistheorie (Grundlos. Optimism. S. 145). Die Kantianer (s. d.) bestimmen die Philosophie wesentlich als Erkenntniskritik (s. d.) und Ethik. - Als Wertlehre, normative Wissenschaft von den allgemeingültigen Werten, bestimmt die Philosophie WINDELBAND (Gesch. d. Philos.2, S. 548), sie ist »die kritische Wissenschaft von den allgemeingültigen Werten« (Prälud. S. 28). »Das Objekt der Philosophie bilden die Beurteilungen« (l. c. S. 32). »Philosophie also ist die Wissenschaft vom Normalbewußtsein,« »von den Prinzipien der absoluten Beurteilung« (Logik, Ethik, Ästhetik, l. c. S. 39, 45 f.). Nach NIETZSCHE ist die Philosophie eine »Kunst in ihren Zwecken und in ihrer Produktion. Aber das Mittel, die Darstellung in Begriffen, hat sie mit der Wissenschaft gemein«. Der Philosoph bestimmt und schafft Werte, er strebt nach einheitlichem Beherrschen der Welt (WW. X, S. 199 ff.. VII, 1, 211). Die Philosophen sind »Befehlende und Gesetzgeber«, sie haben die »Rangordnung der Werte« zu bestimmen (Zur Genealog. d. Moral S. 38). »Der Philosoph sucht den Gesamtklang der Welt in sich nachtönen zu lassen und ihn aus sich herauszustellen in Begriffen« (WW. X, S. 19). Nach A. DÖRING ist die Philosophie »Güterlehre« (Üb. d. Begr. d. Philos. 1878. Philos. Güterlehre S. 438).
Auf Psychologie, auf innerer Erfahrung basieren die Philosophie FRIES (s. Psychologie) und BENEKE: Philosophie ist angewandte Psychologie (s. d.) (Kant u. d. philos. Aufg. uns. Zeit 1832. Die Philos. S. 37 f.). Nach LIPPS ist die Philosophie »Geisteswissenschaft oder Wissenschaft der innern Erfahrung« (Gr. d. Seelenleb. S. 3). Im Sinne BRENTANOS definiert A. MARTY die Philosophie als das »Wissensgebiet, welches die Psychologie und alle mit der psychischen Forschung nach dem Prinzip der Arbeitsteilung innigst zu verbindenden Disziplinen umfaßt« (Was ist Philos.?). Vgl. JANET, Princ. de mét. et de psychol. I, 3 ff., 130 ff.: E. DE ROBERTY, Qu'est-ce que la philos.? Rev. philos. 53, p. 225 ff. Vgl. Metaphysik, Psychologismus, Problem, Wissenschaftslehre.