Ehre und Tugend


Die Welt ist voll von Frauen, die ihre Pflichten gegenüber ihren Gatten erfüllt zu haben glauben, wenn sie ihre Ehre wahren; mit ihrer höchst mittelmäßigen Tugend geben sie aber ihr säuerliches Wesen mit in Kauf, ihre Frömmelei, namentlich aber ihre ablehnende Haltung gegenüber jedem Vergnügen, das von dem Erlaubten abweicht. Beständig auf ihrer Tugend herumreitend, bilden Frauen solcher Art sich ein, man könne ihnen nicht genug Ehre erweisen, und dass sie sich nach alledem die übertriebenste blöde Ziererei mit Fug erlauben dürfen: wer wollte da nicht eine noch so liederliche Frau vorziehen!

 

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Nr. 203, VIII. Jahr

12. Mai 1906.


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