Identität, Satz der, oder Identitätsprinzip (»principium identitatis«). A ist (=) A (s. d.), d.h. jeder Begriff soll im Denkverlaufe als der gleiche und in gleichem Sinne gesetzt und behandelt werden. Der Satz ist die Grundnorm unseres Denkens, zugleich ein Ausdruck der Identität (s. d.) unseres Ich, welches, um seine Einheit zu behaupten, sich in seinem Wollen und Denken gleichbleiben und, wenn es Wahrheit haben will, die Konstanz der Begriffe bewahren muß. Unter allen Umständen und in allen Verwicklungen und Umhüllungen muß der Begriff als eben der gleiche Begriff fixiert werden können.
Angedeutet ist das Identitätsprinzip schon bei PARMENIDES: chrê to legein te noein t' eon emmenai; esti gar einai, mêden d' ouk einai (Mull. v. 43). Ferner bei PLATO: Oukoun epistêmê men ge pou epi tô onti (pephyke), to on gnônai hôs echei, (Rep. 478 A; vgl. Phaedo 101 ff.). ARISTOTELES: dei gar pan to alêthes auto heautô homologoumenon einai pantê (Anal. pr. I 32,47 a 8; Met. IX 10, 1051 b 3). ANTONIUS ANDREAE: »Ens est ens« (Quaest. super XII libr. metaphys. 1495, IV, 3, 5). J. BURIDAN: »Quidlibet est vel non est. Nihil idem est et non est« (PRANTL, G. d. L. IV, 19). Auf negative Weise auch DESCARTES: »Impossibile est idem simul esse et non esse« (Princ. philos. I, 49). Positiv LOCKE: »Whatever is, is«, »the same is the same.« Dieser Satz ist zweifellos sicher, aber er ist »a trifling proposition«, ist wertlos (Ess. IV, ch. 7, § 1 ff.; ch. 8, § 2 f.). LEIBNIZ: »Chaque chose est ce qu'elle est« (Nouv. Ess. IV, ch. 2, §1). Identische Sätze haben Wert, indem man auf Grund von Folgerungen und Definitionen zeigt, daß andere Wahrheiten sich darauf zurückführen lassen (l.c. ch. 8, § 3 f.). CHR. WOLF: »Quodlibet, dum est, est, hoc est, si A est, utique verum est, A esse. - Idem ens est illud ipsum ens, quod ens, seu omne A est A« (Ontolog. § 55, 288). »Wenn ich ein Ding B für das Ding A setzen kann, und es bleibet alles wie vorhin, so ist A und B einerlei« (Vern. Ged. I, § 17). BAUMGARTEN: »Omne possibile A est A, seu quicquid est, illud est, seu omne subiectum est praedicatum sui« (Met. § 11). H. S. REIMARUS: »Ein jedes Ding ist das, was es ist« (»Regel der Einstimmung«, Vernunftlehre4, 1782, § 12 f., § 115, 117). Nach KANT ist die Identität einer Erkenntnis mit sich selber das formale Kriterium der Wahrheit (Krit. d. r. Vern. S. 82; Log. S. 73 ff.). »Was nicht ist, ist nicht« (Prinzip. prim. sct. I, prop. II). Das Identitätsprinzip ist der oberste Grundsatz für die Ableitung der Wahrheiten (l.c. prop. III). »Einem jeden Subjekte kommt ein Prädikat zu, welches ihm identisch ist« (Unters. üb. d. Deutl. d. Grunds. d. nat. Theol. u. d. Mor. 3, § 3). BARDILI nennt das Identitätsprinzip »die Regel aller Regeln des Denkens« (Gr. d. erst. Log. S. 334). Denken ist Rechnen, Setzen eines Einen und Selben im Vielen (l.c. S. 3). Das Eine ist das Unwandelbare, das A, welches nie sich selbst ungleich, nie Non-A werden kann (l.c. S. 5). Den »Grundsatz der Einerleiheit« bezieht G. E. SCHULZE auf »das Verhältnis der vollkommensten Gleichheit, worin ein Begriff mit seinen sämtlichen Merkmalen steht«; er sagt aus, »dem Verstande sei es unmöglich, einen Begriff und dessen Merkmale als einander ungleich zu setzen« (Gr. d. allg. Log.3, S. 32 f.). KRUG erklärt: »Der Begriff ist für den Verstand das Ding selbst, welches gedacht wird, und die Merkmale des Dinges sind auch die Merkmale des Begriffes. Zwischen dem Begriffe (A) und seinen sämtlichen Merkmalen (b, c, d...) findet daher ein solches Verhältnis statt, daß, wenn ich das eine setze, ich auch das andere setzen, und wenn ich beides einander entgegensetze, ich es als völlig gleich oder einerlei setzen muß« (Handb. d. Philos. I, 126). FRIES: »Halte ich... im Subjekt und Prädikat eines Urteils dieselbe Vorstellung fest, so liegt darin die bloße Wiederholung meines eigenen Gedankens. Daraus entspringt erstens der Satz der Identität: Einen Begriff, den ich im Subjekt eines bejahenden Urteils denke, kann ich auch in das Prädikat desselben setzen« (Syst. d. Log. S. 176). »Jedes Ding ist das, was es ist« (l.c. S. 177). J. G. FICHTE leitet den Satz der Identität, »A = A«, aus einer »ursprünglichen Tathandlung« des Ich ab. Der Satz »Ich- Ich« (»Ich bin«) begründet den Satz »A = A« (Gr. d. g. Wiss. S. 11). »Wird im Satze ›Ich bin‹ von dem bestimmten Gehalte, dem Ich, abstrahiert, und die bloße Form, welche mit jenem Gehalt gegeben ist, die Form der Folgerung vom Gesetztsein auf das Sein, hörig gelassen..., so erhält man als Grundsatz der Logik den Satz: ›A = A‹.« Erwiesen wird er dadurch, daß »das Ich, welches A gesetzt hat, gleich ist demjenigen, in welchem es gesetzt ist« (l.c. S. 11 f.). SCHELLING erklärt: »Das höchste Gesetz für das Sein der Vernunft und, da außer der Vernunft nichts ist, für alles Sein..., ist das Gesetz der Identität« (WW I 4,116). »Der oberste formale Grundsatz ›A = A‹ ist... nur möglich durch den Akt, der im Satz ›Ich = Ich‹ ausgedrückt ist - durch den Akt des sich selbst Objekt werdenden, mit sich identischen Denkens« (Syst. d. tr. Ideal. S. 5,). Der Satz »A = A« ist »das einzige Prinzip unbedingter und absoluter Erkenntnis« (WW. I 6, 147). In ihm spricht sich aus »die ewige und notwendige Gleichheit des Affirmierenden und des Affirmierten, des Subjekts und des Objekts; in ihm spricht sich also auch allein jenes Selbsterkennen der ewigen Gleichheit und demnach die höchste Erkenntnis der Vernunft aus« (ib.). ESCHENMAYER: »Nach dem Satz: ›Das Ich ist sich selbst gleich‹, entsteht die logische Formel ›A = A‹. Das Ich ist das Identische im Wissen und im Sein, es ist in allen Funktionen... das Gleiche, und diese ursprüngliche Identität ist es, was sich im formalen Denken nieder abspiegelt« (Psychol. S. 296). - Nach HEGEL lautet der Satz der Identität: A = A, negativ: A kann nicht zugleich A und nicht A sein. Es ist kein wahres Denkgesetz, nur, »das Gesetz des abstrakten Verstandes«. »Die Form des Satzes widerspricht ihm schon selbst, da ein Satz auch einen Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat verspricht, dieser aber das nicht leistet, was seine Form fordert.« »Das Sprechen nach diesem sein-sollenden Gesetze der Wahrheit... gilt mit vollem Recht für albern« (Encykl. § 115). Gering gewertet wird der Satz der Identität von BENEKE (Syst. d. Log. I, 105), DROBISCH (Log.3, § 58), ÜBERWEG (Log. § 71), LOTZE (Gr. d. Log. S. 25), nach welchem das Identitätsprinzip die einfache Wahrheit ausdrückt, »daß jeder denkbare Inhalt sich selbst gleich und verschieden von jedem andern sei« (ib.). Nach ULRICI ist der Satz der Identität (»Jedes Ding... ist sich selber gleich zu denken«) »nur die Formel, der allgemeine Ausdruck... für die bestimmte Art und Weise, in welcher die unterscheidende Tätigkeit sich vollzieht« (Log. S. 94). Nach J. H. FICHTE; ist der Sinn des Identitätsprincips der, »daß das Denken das sich gleich bleibende, mit sich ›identische‹ Wesen der Dinge aus der wechselvollen, nicht identischen Beschaffenheit derselben in bloßer Wahrnehmung hervorzuarbeiten habe« (Psychol. II, 108). CZOLBE hält die Annahme eines notwendig-allgemeinen Gesetzes der Identität für »durchaus überflüssig«. Es ist eine »selbstverständliche ursprüngliche Tatsache«, daß »jedergedachte einfache Inhalt sich selbst gleich (Blau stets oder nie etwas anderes als Blau ist)« (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 221). Nach SIGWART ist das Identitätsprinzip die »Forderung alles wahren Urteilens« (Log. I2, 10,). Die »Konstanz unserer einzelnen Vorstellungsinhalte« ist eine Bedingung alles Denkens (l.c. S. 106; vgl. S. 103 f., 383; II, 37). Nach SCHUPPE besteht das Identitätsprinzip nur darin, daß »jeglicher Eindruck mit jedem zweiten entweder inhaltlich als derselbe zusammenfallen oder sich von ihm unterscheiden muß« (Log. S. 40; Erk. u. Log. S. 142 f.). Nach SCHUBERT-SOLDERN sind der Satz der Identität und der Satz des Widerspruches nur »zwei Seiten des Satzes, daß alles in einer ursprünglichen Unterschiedenheit gegeben ist, soweit man von einer Vielheit ausgeht, und daß diese Vielheit nicht statthat, wo keine Unterschiedenheit statthat« (Gr. c. Erk. S. 1,2). Nach E. V. HARTMANN ist die logische Bedeutung des Satzes der Identität »nur von dem Satze vom Widerspruch abgeleitet«. »Der Satz der Identität negiert nur diejenige Nichtidentität, die nach dem Satz vom Widerspruch logisch unstatthaft wäre« (Kategorienl. S. 310).
Auf das Identitätsprinzip legen Wert TWESTEN (Die Log. 1825), W. HAMILTON (Lect. on Log. I3, 5, 79 f.), JEVONS (Princ. of Science3, § 5). WAITZ leitet es aus der Einheit der Seele ab. Es hat den Sinn: »Jede Vorstellung oder besser jede psychische Aktion als solche ist einfach und darum im strengen Sinne sich selbst gleich« (Lehrb. d. Psychol. S. 546). Nach J. BERGMANN ist das Identitätsprinzip ein »Prinzip der notwendigen Verknüpfung« (Sein u. Erk. S. 58). »Jedes Gesetzte (Attribut oder Akzidens, Substanz oder Determination einer Substanz), welches ist, ist nur Identität dessen, in Beziehung auf welches es gesetzt ist, erforderlich« (ib.). Nach L. BUSSE ist der Satz der Identität das, einzige Grundprinzip der metaphysischen Urteile (Erk. u. Met. I, 148), Nach B. ERDMANN ist das Identitätsprinzip das Grundgesetz des Vorstellens (Log. 1, 172). Das Urteil »Jeder Gegenstand ist mit sich selbst identisch« bringt das Wesen unseres Vorstellens zum Ausdruck (ib.). Das Identitätsprinzip »stellt lediglich die Setzung eines Gegenstandes dar« (l.c. S. 175). Der »Grundsatz der Nichtidentität oder der unbestimmten Verschiedenheit« lautet: »Jeder Gegenstand ist, sofern er mir mit sich selbst identisch ist, von jedem andern verschieden« (ib.). Nach HAGEMANN gebietet das Gesetz der Einerleiheit (Identität), »ein Denkobjekt als dieses und kein anderes zu denken und in ihm alle diejenigen Bestimmungen zusammenzufassen, die ihm zukommen« (Log. u. Noet.5, S. 22). Nach dem »Gesetz der Übereinstimmung (principium convenientiae)« sind »Vorstellungen, welche als Teilvorstellungen des Denkobjektes erkannt werden, mit diesem zu verbinden« (I. c. S. 23). WUNDT erklärt: »Die Funktion der Übereinstimmung stellt an unser Denken die Forderung, überall das Übereinstimmende gleichzusetzen. Daß dies geschehen solle, drückt der Satz der Identität aus« (Syst. d. Philos.2, S. 70). Der Satz bringt vor allem »die in jedem Urteil vorhandene Begriffseinheit« zum Ausdruck. »Er sagt, daß im Prädikat der nämliche Begriff festgehalten wird wie im Subjekt des Urteils, somit vollkommen zusammen bestehen kann, daß das Prädikat eine andere Seite als das Subjekt an diesem Begriff hervorhebt... Der Satz der Identität bezeichnet demnach lediglich die Stetigkeit unseres logischen Denkens«. Es ist das »fundamentalste Gesetz der Erkenntnis«. Er bezeichnet zunächst ein »Verhalten unseres Denkens gegenüber den Objekten,« zugleich aber wird vorausgesetzt, daß sich die Gegenstände des Denkens seiner Anwendung fügen (Log. I2, 55S ff.). H. COHEN: »A ist A, und bleibt A, so oft es auch gedacht wird« (Log. S. 79). Die Identität bedeutet die »Affirmation des Urteils« (l.c. S. 81).
Nach H. CORNELIUS ist die Forderung des Identitätsprincips »die Forderung der feststehenden Bedeutung der im Urteil gebrauchten begrifflichen Symbole«. Der Satz A = A ist erst »eine Folge der Erfüllung des Identitätsprincips« (Einl. in d. Philos S. 287). Das Identitätsprinzip ist der Ausdruck der Forderung des konstanten Gebrauchs der Symbole (Psychol. S. 338). Nach PALÁGYI identificiert man etwas nur dadurch, daß man in demselben ein »Unvergängliches«, »Ewiges« findet. Das tut man aber, »indem man einen Prädikatsbegriff auf einen Subjektsbegriff bezieht« (Die Logik a. d. Scheidewege S. 214). Das Identitätsprinzip lautet: »Um bloß eine Tatsache zu identificieren, müssen wir ein Doppelerlebnis haben, bezw. zwei Begriffe aufeinander beziehen, und zwar beziehen wir das stellvertretende Erlebnis auf das ursprüngliche, bezw. das Prädikat auf das Subjekt« (l.c. S. 215). Die Formel »A ist A« ist widersinnig (l.c. S. 215). Der Satz der Identität ist »die bedeutsamste von allen Wahrzeiten, die der Mensch besitzt« (l.c. S. 223), eine »Selbstoffenbarung unserer Vernunft«, unserer Kraft, zu identificieren (l.c. S. 224), das Vergängliche auf ein Ewiges zu beziehen (ib.). »Die Identität eines Inhaltes geht uns erst auf, wenn wir die Nichtidentität jener gleichlautenden Sprechhandlungen erfaßt haben, in denen wir einen und denselben Inhalt darstellen« (l.c. S. 227). »In allen Urteilen, die wahr sind, herrscht die Identität« (l.c. S. 229).