Introjektion

Introjektion: Hineinlegung, Übertragung (»Projektion«) des eigenen Ich, Subjektiven, der eigenen Lebendigkeit, Beseeltheit, des eigenen Fühlens und Wollens, des Innenseins auf Objekte der Außenwelt (s. Objekt) in und mit der Wahrnehmung derselben und in und mit dem Denken derselben nach Kategorien (s. d.). Die Introjektion beruht psychologisch auf einem Prozess der Assimilation (s. d.), indem die Wahrnehmung des dem eigenen psychophysischen Ich Analogen die (nicht objektiv wahrgenommene, aber instinktiv reproduzierte) »Innerlichkeit« des Ich (Vorstellung von dessen Fühlen und Streben) mit der Objektwahrnehmung zur Einheit verschmelzen läßt, so daß dieses nun unmittelbar (ohne Schluß) als ein ichartiges Wesen, Gegen-Ich, später als Kraftcentrum (s. d.) erscheint. Die Dinge (s. d.) sind hiernach »Qualitätenkomlexe«, »Introjektionsqualitäten«.

Schon HUME erklärt: »Man beobachtet oft, daß der Geist große Neigung besitzt, sich selbst in die Gegenstände der Außenwelt zu projizieren« (Treat. III, sct. 14, S. 226). Die Introjektion berücksichtigen in verschiedenem Umfange SCHOPENHAUER, SCHLEIERMACHER, BENEKE, RITTER, ÜBERWEG (Syst. d. Log., § 39), LOTZE (Mikrok. III2, 539), HORWICZ (Psychol. Analys. II 1, 145 ff.), NIETZSCHE, NOIRÉ (Einl. u. Begr. e. mon. Erk. S. 31 f., 169, 176), L. BUSSE, J. WOLFF, W. JERUSALEM, H. CORNELIUS (Einl. in d. Philos. S. 22), A. BIESE, A. H. LLOYD (Dynamic Idealism 1898), TEICHMÜLLER u. a. Vgl. Objekt) Kategorien, Kraft, Kausalität, Urteil, Apperzeption (fundamentale). Der Terminus »Introjektion« (»Einlegung«) stammt von R. AVENARIUS (Menschl. Weltbegr. S. 25 ff., 27). Er versteht darunter die Tatsache, daß der Mensch in seine Mitmenschen »Vorstellungen« von Umgebungsbestandteilen als »innere« Zustände hineinlegt, wodurch eine Spaltung der natürlichen Einheit der empirischen Welt in »Innen- und Außenwelt«, »Objekt und Subjekt«, eine »Verdoppelung« der Welt erfolgt (l.c. S. 28 ff.). So wird die Wirklichkeit »verfälscht«. Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese Verfälschung durch die Introjektion zu beseitigen, die Introjektion zu eliminieren, zurückzunehmen (l.c. S. 77 ff.; vgl. S. 83 ff.). Durch »Ausschaltung« der Introjektion und durch Ersetzung derselben durch die »empiriokritische Principialcoordination« (s. d.) wird der »natürliche Weltbegriff« restituiert (l.c. S. 93). Ein »Innensein« neben einem »Äußeren« gibt es hiernach nicht, ebenso keinen Gegensatz zwischen »psychisch« (s. d.) und »physisch«, nur einen Erfahrungsinhalt, bald »absolut«, bald »relativ« (s. d.) betrachtet. Die ursprüngliche, »natürliche« Annahme ist: »Der Mitmensch ist Zentralglied einer Prinzipialkoordination, deren Gegenglied z.B. ein Baum, aber auch ›Ich‹ sein kann« (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 18. Bd., S. 147). Durch Introjektion wird diese Annahme dahin verfälscht: »Alle wahrgenommenen Umgebungsbestandteile - als ›Wahrnehmungen‹ - sind nichts als ›Vorstellungen in uns‹« (l.c. S. 153). Das Wahrnehmungsobjekt wird in den aussagenden Menschen (bezw. in dessen Gehirn) hineinverlegt (ib.). »Diese Introjektion ist es, welche allgemein aus dem ›Vor mir‹ ein ›In mir‹ macht, aus dem ›Vorgefundenen‹ ein ›Vorgestelltes‹, aus dem ›Bestandteil der (realen) Umgebung‹ einen ›Bestandteil des (ideellen) Denkens‹, aus dem ›Baum‹ mit seinen mechanischen Energien eine ›Erscheinung‹ von jenem Stoff, aus welchem die Träume gewebt sind« (l.c. S. 154). Diese Introjektion beruht auf einem Fehlschluß (l.c. S. 157 ff.). So auch F. CARSTANJEN, R. WILLY, J. PETZOLDT, J. KODIS, W. HEINRICH u. a. Dagegen erklärt W. JERUSALEM, die (wohlverstandene) Introjektion gehöre zum natürlichen Weltbegriff, indem jede Auffassung mitmenschlicher als mehr als mechanischer Bewegungen, als Äußerungen von Gedanken, Gefühlen, Willensimpulsen, schon eine Introjektion voraussetzt. »Ich muß mir im Innern des Menschen ein Kraftcentrum vorstellen, wenn ich seine Rede verstehen soll« (Urteilsfunct. S. 244 f.). Seine eigene Theorie des Urteils (s. d.) bezeichnet Jerusalem als »Introjektionstheorie« (l.c. S. 244; Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 18. Bd., S. 170). Vgl. Psychisch.


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