Neuwied; Herrnhuter.
Seelenunzucht
Von Koblenz fuhren wir nach Neuwied, und besahen dort das Brüderhaus der Herrnhuter, nebst den mancherlei Werkstätten dieser fleißigen und geschickten Gesellschaft. Ihre Kirche ist ein einfaches, helles Gebäude, das mir recht gut gefiel. An die Stelle der Agapen oder Liebesmahle der ersten Christen, ist hier ein gemeinschaftliches Teetrinken in der Kirche eingeführt, wozu sich die ganze Gemeine von Zeit zu Zeit versammelt. Meine Vorliebe zum Tee ist es nicht allein, die mich mit diesem Gebrauch versöhnt. Wenn ich schon nicht mitschwärmen mag, so ist mir doch eine Schwärmerei ehrwürdig, sobald sie auf Geselligkeit und frohen Genuß des Daseins führt. Diese Stimmung läßt sich, wie Du leicht denken kannst, mit der herrnhutischen Einrichtung, welche die unverheirateten Männer und Weiber mit klösterlicher Strenge von einander trennt, schon nicht so leicht in eine Gleichung bringen. Ich glaube in meiner Erfahrung hinlänglichen Grund zu der Überzeugung zu finden, dass man in der Welt nie stärker gegen das Böse und seine Anfechtungen ist, als wenn man ihm mit offener Stirn und edlem Trotz entgegengeht: wer vor ihm flieht, ist überwunden. Wer steht uns auch dafür, dass, wo der gebundene Wille mit der erkannten Pflicht im Kampf liegt, die Sünden der Einbildungskraft nicht unheilbarer und zerrüttender sein können, als die etwanigen Folgen eines gemischten und durch freiwillige Sittsamkeit gezügelten Umgangs! Gibt es nicht wollüstige Ausschweifungen der Seele, welche strafbarer als physische Wollüste sind, da sie den Menschen im wesentlichsten Teile seines Daseins entnerven? Die lehrreichen Schriften der berühmten Guyon, die freilich wohl in einer ganz andern Absicht gedruckt worden sind, und die Bekenntnisse des wackern Jamerai Düval schildern die Krankheit der Entzückten durch alle ihre verschiedenen Stadien, als eine metaphysische Selbstschändung. Bei einem eingeschränkten Erkenntnisvermögen und einer armen Einbildungskraft sind die Symptome nicht gefährlich, und das Übel bleibt in den Schranken, die ihm die Unerheblichkeit des Individuums anweist. Wenn hingegen diese Seelenepidemie ein gebildetes, edles Wesen ergreift, dann äußern sich Wirkungen, welche Völker vergiften, die bürgerlichen Verhältnisse stören und die Sicherheit des Staats untergraben können. Die Täuschung, womit man sich über den Gegenstand dieser Entzückungen hintergeht, ist so vollkommen, dass die tiefste Tiefe, wohin der menschliche Geist sinken kann, dem Verblendeten die höchste Stufe der Tugend, der Läuterung und der Entwicklung zum seligen Genuss scheint. Genau wie die Entartung des physischen Triebs die Gesetze der Natur beleidigt, eben so muß in einem noch ungleich höheren Grade der Seelenraub strafbar sein, den man durch jene unnatürliche Vereinigung mit einer Idee, am ganzen Menschengeschlecht begeht. Geistesarmut ist der gewöhnliche, jedoch von allen gewiß der unzulässigste Vorwand zu dieser Theopornie, die erst in der Einsamkeit und Heimlichkeit angefangen, und dann ohne Scheu öffentlich fortgesetzt wird. Zuerst ist es Trägheit, hernach Egoismus, was den Einfältigen über die natürlichsten Mittel, seinem Mangel abzuhelfen, irre führt. Ist hingegen eine Seele reich und groß? O dann suche sie ein Wesen ihrer Art, das Empfänglichkeit genug besitzt, sie ganz zu fassen, und ergieße sich in ihr! Selten oder nie wird es sich ereignen, dass ein Geist dieser endlichen Erde einzeln und ohne Gleichen steht; – und bliebe nicht diesem Erhabenen selbst, der kein Maß für seine Größe fände, der göttliche Genuß noch übrig, sich Mehreren teilweise hinzugeben und Allen Alles zu werden? Die Weisheit der Natur ist zum Glück noch mächtiger und konsequenter, als die Torheit der Menschen, und ehe man es sich versieht, führt sie auch den Schwärmer wieder in das Gebiet des Wirklichen zurück. Bei den Herrnhutern ist überdies dafür gesorgt, dass man sich nicht zu weit aus demselben verlieren kann. Fleiß und Arbeitsamkeit sind kräftige Verwahrungsmittel gegen das Überhandnehmen der Seelenkrankheiten, die sie nur dann begünstigen, wenn allzugroße Anstrengung, allzulanges Einsitzen, allzustrenge Diät die Kräfte des Körpers untergraben. Ein Kennzeichen, woran wir deutlich sahen, dass die Schwärmerei hier sehr erträglich sein müsse, und dass die guten Leute auf die Weisheit der Kinder dieser Welt nicht ganz und gar Verzicht getan hätten, war der hohe Preis, den sie auf alle ihre Fabrikate setzten. Ich weiß in der Tat nicht, wie ich diesen mit ihrem unstreitig sehr musterhaften Fleiß reimen, und wie ich mir die Möglichkeit eines hinlänglichen Debits dabei denken soll.