Ästhetik - Antike, Neuzeit
Die Anfänge der Ästhetik finden sich schon im Altertum. SOKRATES setzt das Schöne in das Taugliche, Gute, Zweckmäßige (XENOPHON, Memor. 3, 8; 4, 69; Sympos. 5, 3 squ.). Nach den Kynikern ist nur das Gute schön, das Schlechte häßlich (Diog. L. V, 12). PLATO (obgleich selbst Künstler) schätzt die Kunst (soziologisch) gering, weil sie nur Nachahmung (mimêsis) von Nachahmungen (eidôla) bietet (Kunstwerke- Nachahmungen der empirischen Dinge, diese = Abbilder, Erscheinungen der Ideen). Die Schönheit (die von der Gutheit nicht scharf unterschieden wird) beruht auf dem Hindurchscheinen der Idee durch das Sinnliche (Phaedr. 250 B. squ.), auf der Wirkung des peras im Unbestimmten (apeiron), auf der Wahrnehmung des Harmonischen und Symmetrischen (metriotês kai symmetria), welches an sich (kath' hauto) gefällt, ursprüngliche Gefühle (oikeias oder symphytous hêdonas) erzeugt (Phileb. 51, Tim). Wert hat nur eine das Gute nachahmende, sittlichen Zwecken dienende Kunst (Republ.). ARISTOTELES unterscheidet bildende (poiêsis) und praktische Tätigkeit (praxis). Die Kunst ( technê) ist die nach Regeln wirkende Gestaltungskraft, sie vollendet das von der Natur nicht zu Ende Geführte oder ahmt die Natur nach: Holôs de hê technê ta men epitelei ha hê physis asynatei apergasasthai, ta de mimeitai (Phys. II, 8, 199a, 15 squ.). Doch betrachtet die Kunst das Einzelobject als Stellvertreter einer Gattung, sie ahmt mehr das Typische nach: hê men gar poiêsis mallon ta katholou, hê d'historia ta kath' hekaston legei (Poet. 9). Das Schöne besteht in (taxis kai symmetria kai to ôrismenon l.c. c. 7). Psychologiseh wird die Kunst begründet durch den dem Menschen angeborenen Nachahmungstrieb sowie durch das ursprüngliche Wohlgefallen an Erzeugnissen der Nachahmung als solchen (l.c. c. 4). Die Kunst dient der Unterhaltung (diagôgê) und Erholung (anesis) mittelst Gefühlsanregung und Katharsis (s. d.) der Affekte (Pol. VIII, 7). So auch die Tragödie (s. d.). PLOTIN begründet eine speculativ-idealistische, eine intellectualistische Gehalts-Ästhetik. Die Kunst ahmt das Seiende, die Ideen (s. d.) selbst nach; der Künstler erhebt sich zum logos dessen, was er wahrnimmt, aus sich selbst das in der Gegebenheit Fehlende schöpfend: ouch haplôs to horômenon mimountai hai technai, all' anatrechousin epi tous logous, ex hôn hê physis. eita kai polla par hautôn poiousin. Kai prostitheasi gar hotô ti elleipei, hôs echousai to kallos (Enn. V, 8, 1). Das Schöne ist »das an der Idee gleichsam Hervorstrahlende« (Enn. VI, 2, 18). In der Natur besteht das Urbild der sinnlich erscheinenden Schönheit, das intelligible Urschöne (Enn. V, 8, 1 ff.; VI, 2, 18). SENECA bemerkt: »Omnis ars naturae imitatio est« (Ep. 65). - THOMAS definiert die Kunst als »ratio recta aliquorum operum faciendorum.« (Sum. th. II, 1, 57, 3). Das Schöne gefällt unmittelbar (»pulchrum autem dicatur id cuius ipsa apprehensio placet«; l.c. II, 1, 27, 1, ad 3). Eine neuscholastische Ästhetik lehrt S. MEIER (Der Real. als Princ. d. sch. Künste 1900). Im Sinne des Thomismus lehrt JUNGMANN: »Die Schönheit der Dinge ist deren Gutheit, insofern sie durch diese dem vernünftigen Geiste, auf Grund klarer Erkenntnis desselben, Gegenstand des Genusses zu sein sich eignen« ( Ästhet. 1884, S. 149).
Die intellektualistische Richtung der Ästhetik, d.h. die Auffassung des ästhetischen Genießens als einer Art Erkenntnis, kommt in Deutschland seit LEIBNIZ zur Geltung. LEIBNIZ erklärt die Lust an harmonischen Verhältnissen durch die Annahme eines unbewußten Zählens und Vergleichens und bringt das Schöne mit dem Vollkommenen, Zweckmäßigen in Zusammenhang (Opp. Erdm. p. 7, 8). CHR. WOLF: »Pulchritudo consistit in perfectione rei, quatenus ea vi illius ad voluptatem in nobis producendam apta« (Psych. emp. § 543 f.). Schönheit ist »rei aptitudo producendi in nobis voluptatem, quod sit observabilitas perfectionis« (l.c. § 545). A. BAUMGARTEN definiert die Schönheit als »perfectio phaenomenon« (Met. § 662), die durch »cognitio sensitiva« erfaßt wird (s. oben). Nach MENDELSSOHN (der das Begierdelose des Ästhetischen betont, WW. II, 294 f.) beruht Schönheit »in der undeutlichen Vorstellung einer Vollkommenheit« (Br. üb. d. Empf. 2, S. 8; Bibl. d. schön. Wiss. I, 331 ff.); sie setzt »Einheit im Mannigfaltigen« voraus (l.c. 5, S. 27 f.). Ähnlich SULZER, der den moralischen Zweck der Kunst betont (Allgemeine Theorie der schönen Künste 1792), ESCHENBURG u. a. - Nach HEMSTERHUIS beruht die Schönheit auf dem guten Verhältnis eines Gegenstandes zur auffassenden Seele, auf der leichten Übersichtlichkeit des Mannigfaltigen; schön ist das, was in kürzester Zeit die größte Fülle von Vorstellungen erzeugt (Oeuvr. philos. 1792). - Von Einfluß auf die deutsche Ästhetik sind die Versuche einer psychologischen Theorie des Schönen bei den Engländern gewesen. SHAFTESBURY leitet das Gefühl des Schönen aus der Wahrnehmung von Ordnung, Einheit, Harmonie durch den inneren Sinn ab und setzt das sittlich Gute (s. d.) dazu in Beziehung (Sens. comm. IV, 3). HOME unterscheidet »eigene« Schönheit (»intrinsic beauty«) und »Schönheit der Beziehung« (»relativ beauty«). Erstere ist Gegenstand der Empfindung, letztere erfordert »understanding and reflection«. »In a word, intrinsic beauty is ultimate: relative beauty is that of means relating to some good or purpose« (Elem. of Crit. I, 3, p. 195 ff.). Nach BURKE ist die Schönheit eine soziale Emotion, indem uns das Schöne zum Zusammensein mit ihm reizt, in uns Liebe, sanfte und gesellige Gefühle erregt. »We call beauty a social quality« (Enqu. I, 10). Die Schönheit ist ohne Zweckbewußtsein (»in beauty the effect is previous to any knowledge of the use«). Zur Liebe und zum Geschlechtlichen setzt ERASMUS DARWIN das Ästhetische in Beziehung (Zoonom. XVI, 6). Bei angehäufter Energie ist die Sinnesbetätigung als solche schon lustvoll (l.c. XL, 6). Vom Schönen ist das Erhabene (s. d.) zu unterscheiden.