Materie - Herbart, Lotze, Nietzsche

HERBART betrachtet die ausgedehnte Materie als »objektiven Schein«, als Erscheinung. »Ebendieselbe Materie aber ist real, als eine Summe einfacher Wesen, und in diesen Wesen geschieht wirklich etwas, welches die Erscheinung einer räumlichen Existenz zur Folge hat.« Den innern Zuständen der »Realen« (s. d.), den »Selbsterhaltungen«, gehören »gewisse Raumbestimmungen, als notwendige Auffassungsweisen für den Zuschauer« zu, die »eben weil sie nichts Reales sind, sich nach jenen innern Zuständen richten. müssen«, so daß »ein Schein von Attraktion und Repulsion« entspringt, deren Gleichgewicht den Dichtigkeitsgrad u.s.w. der Materie bestimmt (Lehrb. zur Psychol.3, S. 110 f.). »Die Kohäsion und Dichtigkeit jeder Materie hängt ab von einem Gleichgewichte zwischen Attraktion und Repulsion, welches beides nicht von gewissen räumlichen Kräften der einfachen Wesen, sondern von der formalen Notwendigkeit herrührt, daß der äußere Zustand, d. i. die räumliche Lage, dem innern Zustande, d.h. den Selbsterhaltungen der Wesen, völlig entspreche« (Psychol. als Wissensch. II, § 153). Die Materie entsteht durch partielle Durchdringung der »Realen«. Je nach der Art und Stärke des Gegensatzes entsteht die feste oder starre Materie, der Wärmestoff (Caloricum), das Electricum, der Äther. Die Materie ist »kein Continuum, sondern ursprünglich eine starre Masse« (All. Met. II, § 246 ff., 253 ff., 269 ff., 274; Lehrb. zur Psychol.3, S.111). Die Materie besteht aus unräumlichen Elementen, aus Monaden (Encykl. d. Philos. S. 221; vgl. Lehrb. zur Einl.5, S. 178 ff., 314 ff.). Eine innere Bildsamkeit kommt ihr zu. Als Erscheinung von immateriellen realen Wesen betrachten die Materie die Herbartianer VOLKMANN, R. ZIMMERMANN (Anthropos.), O. FLÜGEL, u. a. - RENAN erklärt: »Alles geht von der Materie aus, aber die Idee ist es, die alles belebt.« »Nichts besteht ohne Materie, aber die Materie ist nur die Bedingung des Seins, nicht die Ursache« (Philos. Dial. u. Fragm. p. 41 f.). Nach TRENDELENBURG versteht das Denken die Materie nur durch die Bewegung als deren Wesen. W. WEBER hat den Begriff einer »Masse, an welcher die Vorstellung der räumlichen Ausdehnung gar nicht notwendig haftet« (bei FECHNER, Atomenl.2, S. 88 f.). Nach LOTZE ist die Materie »ein System unausgedehnter Wesen..., die durch ihre Kräfte sich ihre gegenseitige Lage im Raume vorzeichnen, indem sie der Verschiebung untereinander wie dem Eindringen eines Fremden Widerstand leisten, jene Erscheinung der Undurchdringlichkeit und der stetigen Raumerfüllung hervorbringen« (Mikrok. I2, 403). »Es bleibt... bloß die eine Ansicht übrig, die einfachen Wesen oder die Atome der Physik als unausgedehnte Mittelpunkte von Kräften, d.h. von aus- und eingehenden Wirkungen, jede stetige Materie aber als eine bloße Erscheinung anzusehen, die aus einer Vielheit wechselwirkender discreter Atome besteht« (Gr. d. Met.2, S. 79). Die träge Materie ist kein Wahrnehmungsgegenstand, sondern eine Hypothese (Med. Psychol. S. 58 ff.). Die Eigenschaften der Materie sind nur »Formen des äußerlichen Verhaltens mehrerer Subjekte gegeneinander« (l.c. S. 63). ULRICI faßt alle Materie als »Kraftäußerung« auf, als Erscheinung der »einfachen Zentral- und Widerstandskräfte« eines Dinges, nicht als totes Substrat (Leib u. Seele S. 30 ff.). Der Stoff ist nur die Erscheinung der Kraft, ist an sich Kraft, Widerstandskraft (Gott u. d. Nat. S. 456 ff., 19). Ähnlich K. SNELL (Streitfr. d. Mat. S. 327). Nach M. CARRIERE ist die Materie »das Phänomen, die Erscheinung des Zusammentreffens der Kraft in uns mit Kräften außer uns; die Kräfte in ihrer Wechselbeziehung bringen den Stoff hervor« (Sittl. Weltordn. S. 32). Die Materie ist Widerstandskraft (l.c. S. 33). Nach J. H. FICHTE ist die ausgedehnte Materie nur ein »Phänomen... auf dem Augenpunkte unseres Bewußtseins«, Erscheinung, Bild eines Realen (Psychol. I, 34 f.). E. v. HARTMANN bestimmt die Materie (die vom sinnlichen »Stoff« zu unterscheiden ist) als »System von Atomkräften«, »Dynamidensystem« (wie REDTENBACHER), »System von Atomkräften mit gewissem Gleichgewichtszustande« (Philos. d. Unbew.3, S. 474, 484), objektive Erscheinung unbewußter Willenskräfte (s. d.). Der Begriff der Materie ist nicht zu eliminieren (Weltansch. d. mod. Phys. S. 206 ff.; ähnlich A. DREWS, Das Ich S. 261 ff.). Nach R. HAMERLING ist die Materie, genau besehen, ein Immaterielles (Atomist. d. Will. II, 47). »Materie ist in alle Ewigkeit nichts anderes als die Combination sinnfälliger Wirkungen immaterieller Kräfte« (l.c. S. 49), nur »Folgeerscheinung von Kraft«, nicht Ursache und Träger derselben (1.c. S. 50 f., ähnlich NIETZSCHE, s. Mechanisch). Nach G. SPICKER ist die Materie »nichts anderes als die mittelst der Empfindung vorgestellte Kraft« (K. H. u. B. S. 196). Dynamisch bestimmen die Materie auch VACHEROT (La science et la conscience 1866), CH. LEVÈQUE (La science et l'invisible 1865), BOUILLIER (Le princ. vitale2, 1874), P. JANET, WALLACE, ZÖLLNER, A. WIESNER. Nach HELLENBACH ist die Materie nur eine Zusammensetzung individueller Kraftwesen (Der Individual. S. 188). Ein System von Kräften ist sie nach DU PREL (Mon. Seelenl. S. 301). O. CASPARI führt die Materie auf Kraft zurück (Zusammenh. d. Dinge S. 5). Nach F. ERHARDT liegt die Realität der Materie in der Kraft (Wechselwirk. zw. Leib u. Seele S. 101 ff.). - Nach RENOUVIER ist die Materie die Erscheinung von Monaden (s. d.). FECHNER betrachtet das Materielle als die Erscheinung desselben, was an sich geistig ist (Zend-Av. II, 164). Geistigem und Materiellem liegt ein Wesen zugrunde (l.c. E, 149). Die Materie ist für den naiven Verstand das »Handgreifliche«, für den Physiker die »allgemeinste Unterlage der Naturerscheinungen« (Physikal. u. philos. Atom.2, S. 105 f.). Nach E. SPENCER ist die Vorstellung der Materie »nur das Symbol irgend einer Form jener Macht..., die uns absolut und für immer unbekannt bleibt« (Psychol. I, § 63; First. princ. § 16). »Die Darstellung aller objektiven Tätigkeiten in Ausdrücken der Bewegung ist nur eine Darstellung und nicht eine Erkenntnis derselben« (Psychol. I, § 63, S. 166). Die Vorstellung der Materie beruht auf der Wahrnehmung des Widerstandes. »It follows, that forces are standing in certain relations from the whole content of our idea of matter« (First princ. I, § 3). LEWES erklärt: »Matter is the felt viewed in its statical aspect« (Probl. II, 262). »Force« ist »activity of the felt«. »Matter is the symbol of all the known properties« (l.c. p. 264). RIEHL bestimmt die Materie als die (phänomenale) »Substanz im Raume«, »die von den räumlichen Empfindungen des Drucks und des Widerstandes abgeleitete Vorstellung des Realen, als Substrat der objektiven Teilvorstellung« (Philos. Kritic. II 1, 274 f.). Nach R. WAHLE ist die Materie eine bloße subjektive Wirkung, eine Vorstellung; ihr entspricht eine unbekannte Ursache (Kurze Erkl. S. 172). Sie ist kein Agens, ist ohne Kräftigkeit (Das Ganze d. Philos. S. 107 ff.). Nach MAINLÄNDER ist die Materie »die apriorische gemeinsame Form für alle Sinneseindrücke« (Philos. d. Erlös. S. 7).


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