Urteil (apophansis, iudicium: BOËTHIUS, proloquium: VARRO, effatum: SERGIUS, enunciatio: CICERO, propositio: APULEIUS. vgl. Prantl, G. d. Log. I, 519, 580. Urteil im logischen Sinne schon bei LEIBNIZ, allgemein geworden seit CHR. WOLF), ist sowohl das Urteilen, der Urteilsakt als der Urteilsspruch, das Geurteilte, der Urteilsinhalt. Der Urteilsakt ist ein psychologischer Vorgang, etwas Subjektives, Individuelles, wenn auch seiner Natur nach Typisches. der Urteilsinhalt, das Geurteilte, das Produkt der Urteilsfunktion, der »Sinn« des Urteils, das, was es »meint«, kann auch Subjektiv-individuell sein, ist aber, wenn schlechthin wahr (s. d.), objektiv, allgemeingültig, gilt unabhängig von Zeit und Raum, vom Belieben und Tun des EinzelSubjekts, gilt »an sich«, d.h. hier für ein Bewußtsein, ein Erkennen überhaupt, einerlei ob es jetzt von diesem oder jenem Individuum gedacht wird (z.B. ein logisches, mathematisches Aziom). Psychologisch ist das Urteil eine Leistung der Apperzeption (s. d.), ein Akt der apperzeptiven Analyse mit anschließender Synthese, ein Herausheben eines Teilinhaltes aus einer »Totalvorstellung« (s. d.) mit sich anschließender Ineinssetzung des gedanklich Getrennten, wobei der eine Teil als Subjekt (s. d.), der andere als Prädikat (s. d.) fungiert. Damit findet schon (primär) eine Anwendung der »Kategorien« (s. d.) statt. Das Subjekt gilt ursprünglich oder sekundär als »Träger« (Substanz, s. d.) der im Prädikate ihm zugeschriebenen, als seine Teilstücke, Momente, Eigenschaften, Zustände, Tätigkeiten betrachteten Merkmale. So wie das Ich stets von sich als einheitlichem Zentrum seine Einzelerlebnisse unterscheidet, um sie immer wieder auf sich zu beziehen, so beurteilt es die Objekte als »Subjekte« ihrer »Eigenschaften«. Die ursprüngliche Bedeutung der Urteilsfunktion wird im logisch-wissenschaftlichen Gebrauch verdunkelt, so daß nun das Urteil in erster Linie als ein Zuordnen, Zuerkennen von Merkmalen als momentane oder konstante Momente an ein Subjekt, an ein Wahrgenommenes oder Gedachtes, Einzelnes oder Allgemeines, Konkretes oder Begriffliches erscheint. Rein logisch wird das Urteil zu einer (verschiedenartigen) In-Beziehung-Setzung, Synthese von Begriffen. Je nach den Gesichtspunkten, Intentionen des Urteilenden gibt es beschreibende, erzählende (historische), benennende, erklärende, classificatorische, Identificationsurteile, kausale Existentialurteile, »Beurteilungen« (Werturteile, s. d.), Urteile über Urteile. Ferner teilt man die Urteile ein nach der Quantität (s. d.), Qualität (s. d.), Relation (s. d.), Modalität (s. d.), ferner in analytische und synthetische Urteile (s. unten). - Jedes Urteil macht (primär) Anspruch auf Gültigkeit (s. d.), der »Glaube« (s. d.) an die Wahrheit seines Ausspruches ist ihm immanent, es »setzt« (s. d.) etwas als zu Recht bestehend oder als nicht zu Recht bestehend fordert Allgemeingültigkeit, kann sie aber nicht immer beanspruchen. Sprachlich erhält das Urteil seinen Ausdruck und seine deutliche Gliederung im Satz (s. d.). Das Urteilen ist der Grundprozess des lebendigen Denkens (s. d.), es betätigt sich schon an und in der Wahrnehmung (s. d.), läßt Begriffe (s. d.) entstehen, die es dann wieder zur Einheit verbindet, und verknüpft Urteile zu Schlüssen (s. d.). Erst das Urteil setzt eigentlich die Außenwelt (s. d.) als Inbegriff deutlich gesonderter Objekte unseres Erkennens, in Urteilen (und deren Niederschlage, den Begriffen) rekonstruiert (mit unendlicher Annäherung) das Denken die Verhältnisse der Dinge, der Wirklichkeit. Die Erfahrung (s. d.) im engeren Sinne ist selbst schon das Ergebnis methodisch (s. d.) gefällter Urteile und Urteilsverknüpfungen.
Verschiedene Ansichten bestehen über die Natur der Urteilsfunktion bezw. über das, was an dieser das eigentlich Wesentliche sei. ferner über die Bedeutung der Beziehung von Subjekt und Prädikat. Zu unterscheiden sind: 1) Theorien, welche als (Haupt-)Funktion des Urteils die In-Beziehung-Setzung, Synthese von Prädikat und Subjekt ansehen. Logisch gliedern sie sich in: a. Umfangs- , b. Inhaltstheorien (nach a. ist der Umfang, nach b. der Inhalt des Urteils für dessen Geltung maßgebend. s. unten). 2) Theorien, welche die Urteilsfunktion in einen »Glauben« (s. d.), ein »Anerkennen« (s. d.) u. dgl. setzen. 3) Betonung des analytischen Charakters des Urteils. 4) Introjektionstheorie.
Begriff und Definition des Urteils bei:
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