Satz des Widerspruchs

 

Widerspruchs, Satz des, (»principium contradictionis«), ist das logische Denkgesetz, daß zwei einander kontradiktorisch (s. d.) entgegengesetzte Urteile nicht zugleich, im gleichen Sinne und in der gleichen Beziehung, von der gleichen Sache ausgesagt werden dürfen, gelten können (A nicht = Non-A). Es ist ein Postulat, eine Norm für jedes logische Denken, sich nicht selbst untreu zu werden, nicht um so viel aufzuheben, als es erst setzt, weil es sonst überhaupt nicht vom Fleck kommt. Das DenkSubjekt kann und will (bewußt) sich nicht widersprechen, da es seine Einheit in allen seinen Aktionen, also auch in seinen Denkakten bewahren will. Der logische Denkwille bedingt kategorisch die Vermeidung von Widersprüchen resp. die Beseitigung, Elimination solcher, die intra- oder intersubjektiv im Denken auftauchen.

Der Satz des Widerspruchs wird verschieden formuliert, bald in bezug auf die Denkakte, bald mehr in bezug auf die Denkobjekte. Bei PARMENIDES findet sich der Satz in der Form: estin ê ouk estin (Mull., Fragm. v. 72. Simpl. ad Phys. f. 31 B). PLATO: mêdepote enantion esti heautô to enantion (Phaed. 103 C). Nach ARISTOTELES kann etwas nicht zugleich (in der gleichen Beziehung) sein und nicht sein: legô d'apodeiktikas tas koinas doxas, ex hôn hapantes deiknyousin, hoion hoti pan anankaion ê phanai ê apophanai, kai adynaton hama einai kai mê einai (Met. III 2, 996 b 28 squ.). to gar auto hama hyparchein te kai mê hyparchein adynaton tô autô kai kata to auto (Met. IV 3, 1005 b 19). adynaton gar hontinoun tauton hypolambanein einai kai mê einai, kathaper tines oiontai legein Hêrakleiton (Met. IV 3, 1005 b 23). - Vgl. AMMONIUS, In de interpret. f. 94. PHILOPONUS (axiôma tês antiphaseôs, In Anal. post. f. 30 b squ.). - ALBERTUS MAGNUS bestimmt: »Contraria non possunt esse simul in eodem secundam idem et per se« (Sum. th. II, 114, 1). FR. MAYRONIS erklärt: »De quolibet dicitur affirmatio vel negatio et de nullo ambo simul« (vgl. Prantl, G. d. L. III, 287). J. BURIDAN bestimmt: »Quodlibet est vel non est.« »Nihil idem est et non est.« »Idem inesse et non inesse simul eidem secundum idem - est impossibile« (vgl. Prantl, G. d. L. IV, 19). DESCARTES formuliert den Satz (der eine »ewige Wahrheit« ist): »Impossibile est idem simul esse et non esse« (Princ. philos. I, 49). LOCKE hält den Satz des Widerspruches für ableitbar (Ess. I, ch. 2). Dagegen hält ihn für angeboren (s. d.) und bezieht ihn aufs Urteil LEIBNIZ. Er bedeutet, daß »de deux propositions contradictoires l'une est vraie, l'autre fausse« (Nouv. Ess. IV, ch 2, § 1. Theod. I, § 44). »Nos raisonnements sont fondés sur deux. grands principes, celui de la contradiction, en vertu duquel nous jugeons faux qu' en enveloppe, et vrai ce qui est opposé ou contradictoire au faux« (Monadol. 31. Gerh. VI, 612). CER. WOLF bestimmt: »Eam experimur mentis nostrae naturam, ut, dum ea iudicat aliquid esse, simul iudicare nequeat, idem non esse« (Ontolog. § 27). »Fieri non potest, ut idem simul sit et non sit« (l. c. § 28). »Es kann etwas nicht zugleich sein und auch nicht sein« (Vern. Ged. I, § 10). Nach BAUMGARTEN ist nichts zugleich A und Non-A (Met. p. 3). Nach CRUSIUS besagt das Gesetz, »daß nichts in ganz einerlei Verstande und zu einerlei Zeit sein und auch nicht sein könne« (Vernunftwahrh. § 13 ff.). H. S. REIMARUS formuliert: »Ein Ding kann nicht zugleich sein und nicht sein« (Vernunftlehre, § 14).

Nach FEDER ist es unmöglich, »daß dasselbe zugleich sei und nicht sei«. Ein widerspruchsvoller Satz ist für uns absolut undenkbar, gibt keinen Begriff (Log. u. Met. S. 224 f.). BASEDOW bezieht den Satz des Widerspruchs auf die Worte (Philaleth. II, § 143). Nach LAMBERT ist der Satz auf einfache Begriffe nicht anwendbar (Architekt. I. Hpst., § 7). PLATNER erklärt: »Widerspruch ist in einem Begriffe, wenn seine Prädikate einander aufheben« (Philos. Aphor. I, § 820). »Wo in einem Begriffe Widerspruch ist, da wird gesetzt, daß etwas zugleich sei und auch nicht sei. Der Grundsatz ›Es ist nicht möglich, daß etwas zugleich sei und auch nicht sei‹ heißt der Satz des Widerspruches« (l. c. § 821).

KANT bestimmt: »Keinem Subjekte kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht« (WW. II, 302). »Keinem Dinge kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht.« Dieser Satz ist »das allgemeine und völlig hinreichende Prinzipium aller analytischen Erkenntnis« (Krit. d. rein. Vern. S. 151 f.. vgl. Wahrheit). KRUG bezeichnet das Gesetz als Grundsatz der Setzung oder des Nicht-Widerspruchs (Log. S. 45). FRIES erklärt: »Jedem Dinge kommt ein Begriff entweder zu oder er kommt ihm nicht zu« (Syst. d. Log. S. 121. vgl. S. 190). G. E. SCHULZE formuliert: »Widersprechendes ist ungedenkbar« (Gr. d. allg. Log.3, S. 28). Nach BOUTERWEK ist der Widerspruch »das direkte Gegenteil der Einheit des Denkens. und nur in dieser Einheit sind alle Gedanken ein Eigentum des Ich oder des denkenden Wesens selbst« (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 36).

 


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