Widerspruch (antilegein, antiphasis, contradictio) ist das (unlogische) Verhältnis zweier Urteile, Sätze zueinander, wonach das eine eben dasselbe von ebendemselben in ebenderselben Beziehung verneint, negiert, was durch das andere behauptet, bejaht, gesetzt wird. Auch Begriffe können, als Elemente von (möglichen) Urteilen einander widersprechen (s. Kontradiktorisch, Gegensatz). Widerspruch ist vom (realen) Gegensatz (s. d.) zu unterscheiden, ersterer ist nur im Reden und Denken, letzterer kann auch in der Wirklichkeit sein. Daß das Denken sich nicht widersprechen solle, sagt der Satz vom Widerspruche (s. d.). Nach PROTAGORAS läßt sich von allem das Entgegengesetzte behaupten prôtos ephê dyo logous einai peri pantos pragmatos antikeimenous allêlois (Diog. L. IX 8, 51). kai ton 'Antisthenous logon ton peirômenon apodeiknyein hôs ouk estin antilegein, houtos prôtos dieilektai (l. c. 53. Plat., Euthyd. 286 C. Cratyl. 429 C). Nach ANTISTHENES kann man nur Identitätsurteile (s. d.) fällen, ein Widerspruch ist so nicht möglich (mê einai antilegein, Aristot., Met. V 29, 1024 b 33). Nach ARISTOTELES findet ein Widerspruch statt, wenn Bejahung und Verneinung einander entgegenstehen, und zwar in derselben Beziehung und ohne Äquivocation (s. d.) (De interpret. 6, 17 a 33 squ.). - THOMAS bestimmt »contradictio« als »oppositio affirmationis et negationis«. »Contradictio consistit in sola remotione affirmationis per negationem« (1 perih. 9 b).
Daß das Widerspruchsvolle nicht außerhalb des Denkens bestehen kann, wird wiederholt betont (vgl. GOCLEN, Lex. philos. p. 983). Nach REUCHLIN ist die Vernunft die Einheit der Gegensätze und Widersprüche des Verstandes, »in mente datur coincindere contraria et contradictoria, quae in ratione longissime separantur« (De arte cabbalist. 1517, vgl. Überweg-Heinze III9, 15. s. Koinzidenz). Nach DESCARTES können Widersprüche im göttlichen Geiste denkbar sein (Resp. VI). Ähnlich BAYLE, MALEBRANCHE (Rech. III, 1, 2), POIRET (De Deo, anima et mundo III, 16). - CHR. WOLF definiert: »Contradictio est simultanea eiusdem affirmatio et negatio« (Log. § 30). »Es wird... zu einem Widerspruche erfordert, daß dasjenige, was bekräftigt wird, auch zugleich verneint wird« (Vern. Ged. I, § 11). H. S. REIMARUS bestimmt: »Widersprechende Sätze... sind, wenn der eine Satz eben dasselbe von eben demselben Dinge bejahet, was der andere verneinet« (Vernunftlehre, § 162). Nach PLATNER ist in einem Begriffe Widerspruch, »wenn seine Merkmale einander aufheben« (Philos. Aphor. I, § 820). - Über KANT S. Gegensatz, Opposition, Antinomie. KRUG erklärt: »Im engern Sinne... heißen Begriffe widersprechend (contradictoriae), wenn sie einander unmittelbar, geradezu oder durch einfache Verneigung... aufheben, bloß widerstreitend..., wenn sie einander mittelbar oder durch Setzung eines andern... aufheben« (Handb. d. Philos. I, § 137). FRIES erklärt: »Ein Begriff und sein Gegenteil heißen widersprechende Vorstellungen« (Syst. d. Log. S. 121). SCHELLING bemerkt: »Was zum Handeln treibt, ja zwingt, ist allein der Widerspruch« (WW. I 8, 219). Nach HEGEL (vgl. PLATO, Rep. 523 squ.) ist der »Widerspruch« sowohl dem Denken wie dem Sein, der Wirklichkeit (welche an sich selbst ein Denken ist, s. Dialektik) »wesentlich und notwendig« (Encykl. § 48). Der Widerspruch, der im Begriffe (s. d.) steckt, ist das dialektische, das zur Entwicklung treibende Moment des Geschehens (Rechtsphilos. S. 40. vgl. Gegensatz, auch bei HERAKLIT). Einen Widerspruch nur im Sein, nicht im Denken statuiert BAHNSEN (s. Dialektik). - Nach HERBART hingegen kann das sich Widersprechende nicht real sein. Widerspruch ist »Unmöglichkeit eines Gedankens« (Hauptp. d. Met. S. 6). »Herausschaffung des Widerspruchs ist der eigentliche Actus der Spekulation« (l. c. S. 7), vermittelst der »Methode der Beziehungen« (s. d.). In den durch die Erfahrung uns aufgedrungenen formalen Begriffen stecken Widersprüche, deren Beseitigung die Aufgabe der Philosophie (s. d.) ist (Allg. Met., Einl. I, 5 ff.. Lehrb. zur Einl.5, § 116 ff.. HARTENSTEIN, Met. S. 62 ff.). Vgl. dagegen TRENDELENBURG, Histor. Beitr. zur Philos. 1855, II, 313 ff.. HARMS, Psychol. S. 13.
Nach TRENDELENBURG ist der Widerspruch der »Ausdruck des schlechterdings Unverträglichen, was an sich jeder Vermittlung spottet« (Log. Unters. II2, 152). FR. MAUTHNER betont: »Ein Widerspruch ist in der Wirklichkeitwelt undenkbar. Denkbar und wirklich ist er nur im Denken oder im Sprechen der Menschen« (Sprachkrit. II, 50). Nach H. COHEN ist der Widerspruch kein Moment im Denkinhalt, sondern in der Tätigkeit des Urteils (Log. S. 90 f.). M. PALÁGYI bemerkt: »In dem dualen Bau des sprachlichen Satzes liegt es begründet, daß alle unsere Gedanken ohne Ausnahme mit einem innern Widerspruche behaftet sein können, sobald unser geistiges Auge zu flimmern beginnt und wir die Dinge mit ihren sprachlichen Zeichen vermischen und verwirren« (Neue Theor. d. Raum. u. d. Zeit, S. VII f.).