Wirklichkeit - Aristoteles, Kant, Hegel, Fichte

Von fundamentaler Bedeutung ist die Unterscheidung der Potentialität (s. d.) und Aktualität (s. Energie) bei ARISTOTELES. Mit der Körperlichkeit (s. d.) identifizieren die Wirklichkeit die Stoiker und Epikureer (Diog. L. X, 67). - Die Scholastiker sprechen von »actualitas«, »actus« im Aristotelischen Sinne (s. Realität, Actus). Während der Realismus (s. d.) das Wirkliche als unabhängig vom Bewußtsein bestimmt, setzt der Idealismus (s. d.) alle Wirklichkeit innerhalb des (endlichen und unendlichen, subjektiven und objektiven) Bewußtseins (s. Objekt, Realität). So BERKELEY (s. Objekt, Ding). HUME erklärt: »Der Inhalt einer Erinnerung muß zweifellos, da er auf den Geist mit einer Lebhaftigkeit einwirkt, die der des unmittelbaren Eindrucks gleicht, in unseren geistigen Vorgängen jederzeit besonderes Gewicht haben und sich dadurch leicht von bloßen Phantasiebildern unterscheiden. Die Eindrücke oder Vorstellungen der Erinnerungen nun vereinigen wir zu einer Art von System, das alles umfaßt, von dem unsere Erinnerung sagt, daß es uns einmal, sei es als innere Perzeption, sei es als Sinneseindruck, gegenwärtig war. und alles, was diesem System angehört, zusammen mit den jetzt in uns gegenwärtigen Eindrücken, belieben wir als ›Wirklichkeit‹ zu bezeichnen. Dabei bleibt unser Geist indessen nicht stehen. Mit diesem System von Perzeptionen sind durch die Gewohnheit oder, was dasselbe sagt, durch die Beziehung von Ursache und Wirkung anderweitige Vorstellungen verknüpft. Vermöge dieser Verknüpfung wendet der Geist dann auch diesen letzteren seine Tätigkeit zu, und da er dabei inne wird, daß für ihn eine Art Notwendigkeit besteht, gerade diesen Vorstellungen sich zuzuwenden, daß die Gewohnheit oder die kausale Beziehung, die ihn dazu zwingt, jede Veränderung (in der Richtung, die sie dem Vorstellen aufnötigt) ausschließt, so faßt er diese Vorstellungen in ein neues System zusammen, das er gleichfalls mit dem Namen ›Wirklichkeit‹ beehrt. Das erste dieser Systeme ist der Gegenstand der Erinnerung und der Sinne, das zweite ist der Gegenstand des Urteilsvermögens« (Treat. III, sct. 9, S. 147 f.. vgl. damit KANTS Realitätsbegriff, s. d. und unten).

Nach CHR. WOLF ist wirklich, »was in dem Zusammenhang der Dinge, welcher die gegenwärtige Welt ausmachet, gegründet ist« (Vern. Ged. I, § 572). Wirklichkeit ist »Erfüllung des Möglichen« (l. c. §14). MENDELSSOHN erklärt: »Das erste, von dessen Wirklichkeit ich überführt bin, sind meine Gedanken und Vorstellungen. Ich schreibe ihnen eine ideale Wirklichkeit zu, insoweit sie meinem Innern beiwohnen und als Abänderungen meines Denkvermögens von mir wahrgenommen werden. Jede Abänderung setzet etwas zum voraus, das abgeändert wird. Ich selbst also, das Subjekt dieser Abänderung, habe eine Wirklichkeit, die nicht bloß ideal, sondern real ist.« »Wir haben hier also die Quelle einer zwiefachen Wirklichkeit: die Wirklichkeit der Vorstellungen und die Wirklichkeit des vorstellenden Dinges« (Morgenst. I, 1, S. 12 ff.). Für die objektive Wirklichkeit einer Sache bietet Bürgschaft das Übereinstimmen der Sinne und der Mitmenschen (l. c. S. 15 f.). TETENS bestimmt: »Das Wirkliche ist etwas Objektivisches, ein Gegenstand, etwas, das von der Empfindung und Vorstellung unterschieden ist« (Philos. Vers. I, 395). Daß »Wirklichkeit« (Existenz) undefinierbar sei, betont FEDER (Log. u. Met. S. 228).

KANT nennt »wirklich« alles, »was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt« (Krit. d. rein. Vern. S. 203), alles Erfahrbare oder mit Wahrnehmungen gesetzmäßig zu Verknüpfende. Das Dasein der Dinge hängt mit unseren Wahrnehmungen in einer »möglichen Erfahrung« zusammen (l. c. S. 206 f.. s. Sein, Realität). »Alle äußere Wahrnehmung also beweiset unmittelbar etwas Wirkliches im Raume, oder ist vielmehr das Wirkliche selbst« (l. c. S. 316). »Das Reale äußerer Erscheinungen ist... wirklich nur in der Wahrnehmung und kann auf keine andere Weise wirklich sein« (l. c. S. 318), wegen der Subjektivität des Raumes (s. d.) und der Kategorien (s. d.). »Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, deren man sich bewußt ist, zwar nicht eben unmittelbar von dem Gegenstande selbst, dessen Dasein erkannt werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgend einer wirklichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknüpfung in einer Erfahrung überhaupt darlegen« (l. c. S. 206 f.). KRUG erklärt: »Wirklichkeit kündigt sich nur durch Wirksamkeit an« (Fundamentalphilos. S. 134) - Nach BOUTERWEK ist Wirklichkeit der »Inbegriff alles dessen..., was zum Dasein gehört oder eine Folge des Daseins ist« (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 119). Es unterscheidet sich das Wirkliche vom bloß Gedachten (ib.). Das Ideale ist das »Übersinnlich-wirkliche« (l. c. S. 120). Das Absolute ist das »Urwirkliche« (ib.). ANCILLON bemerkt: »Die Anschauungen -nämlich die äußern - sind von inniger Überzeugung der Wirklichkeit der sinnlichen Welt begleitet, von einem wahren Glauben... an die Existenx dieser Welt. ein Glaube, der uns angeboren ist« (Glaub. u. Wiss. in d. Philos. S. 61).

Nach J. G. FICHTE ist Wirklichkeit »Wahrnehmbarkeit, Empfindbarkeit« (Syst. d. Sittenlehre S. 95. vgl. Gr. d. g. Wissensch. S. 414). SCHELLING erklärt: »Nichts... ist für uns wirklich, als was uns, ohne alle Vermittlung durch Begriffe, ohne alles Bewußtsein unserer Freiheit, unmittelbar gegeben ist« (Naturphilos. I, 303). »Nur einer freien Tätigkeit in mir gegenüber nimmt, was frei auf mich wirkt, die Eigenschaften der Wirklichkeit an« (l. c. S. 305) Nach HEGEL ist die Wirklichkeit eine ontologische Kategorie. Sie ist »die unmittelbar gewordene Einheit des Wesens und der Existenz, oder des Innern und Äußern« (Encykl. § 142. Log. II, 184). Wirklichkeit ist höher als Sein und Existenz (Log. II, 200). Die Wirklichkeit ist 1) das Absolute, 2) eigentliche Wirklichkeit, 3) Substanz (l. c. II, 185). Reale Wirklichkeit ist zunächst die existierende Welt (l. c. S. 208). Das Wirkliche ist »das Sich-selbst-setzende und In-sich-lebende, des Dasein in seinem Begriffe« (Phänomenol. S. 36). »Das Geistige allein ist das Wirkliche« (l. c. S. 19). Alles Wirkliche ist als solches vernünftig, alles Vernünftige wirklich (Rechtsphilos., Vorr. S. 17. s. Vernunft, Panlogismus, Idee). Nach K. ROSENKRANZ ist die Wirklichkeit die »Einheit des Innern mit dem Äußern« (Syst. d. Wissensch. S. 75). Die Wirklichkeit ist »1) unmittelbar die reale als die Einheit des Wesens und seiner Erscheinung. 2) die formale, als die Unterscheidung des Wesens von seiner Erscheinung mit der Beziehung von jenem zum Übergang in diese. 3) die absolute als die sich selbst vermittelnde Einheit des Wesens mit seiner Erscheinung, welche die Möglichkeit des Unterschiedes von sich ausschließt« (1. 0. S. 75 ff.). Nach HILLEBRAND ist Wirklichkeit »das Sein, insofern es sich selbst als Einheit seines Unterschiedes setzt«, »die Positivität der absolut gegenwärtigen Realität«, »die Auflösung der Kraft in das Wirken« (Philos. d. Geist. II, 58 f.). Nach CHR. KRAUSE ist das Wirkliche das, »was in vollendeter Bestimmtheit in der Zeit gestaltet wird« (Vorles. S. 127 f.), »was in der Zeit erwirket und wirksam ist« (Abr. d. Rechtsphilos. S. 2. vgl. AHRENS, Naturrecht I, 248). Nach C. H. WEISSE ist Wirklichkeit »Ursachlichkeit«. »Nicht also in dem Setzen des Daseins durch sein Wesen oder seine substantielle Möglichkeit überhaupt, sondern in dem Setzen bestimmten Daseins durch anderes gleichfalls schon bestimmtes Dasein besteht, was wir die Wirklichkeit nennen« (Grdz. d. Metaphys. S. 436). Die Wirklichkeit besteht im »Prozesse der Kausalreihe« (l. c. S. 441). Die wahre Wirklichkeit ist »das Wirken der einen Substanz auf die andere«. »Wirklich ist nur, was wirkt.« Die Wirklichkeit ist die »Totalität des Seienden« (l. c. S. 448 f.). Was der Verstand für Wirklichkeit nimmt, ist die gemeine Wirklichkeit. die wahre Wirklichkeit ist die vernünftige, d.h. die kategorial richtig bestimmte (l. c. S. 449). Auch SCHOPENHAUER bestimmt Wirklichkeit als Inbegriff alles Wirksamen (W. a. W. u. V. I. Bd., § 4). ULRICI erklärt: »Wirklich ist alles, was mit dem Eintreten der Bedingungen, durch das Übergehen der Vermögen in Wirksamkeit und die damit erfolgende Aufhebung der realen Möglichkeit als Wirkung jener Wirksamkeit entsteht« (Log. S. 393).


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