Willensfreiheit - Platon, Aristoteles, Augustinus

Die antike Philosophie kennt nur den Begriff einer ethisch-psychologischen Freiheit, teilweise mit Hinneigung zum strengen Determinismus. Über die Upanishads vgl. Deussen, Allg. Gesch. d. Philos. I 2, 188 ff.. über die griechische Philosophie: Trendelenburg, Notwend. u. Freih. in d. griech. Philos., Histor. Beitr. zur Philos. II, 113 ff. - Nach SOKRATES ist frei, wer vernünftigsittlich handelt (Xenoph., Memor. IV, 5). Der von den Begierden Gefesselte ist nach PLATO unfrei (Phaed. 81 B). Der Mensch ist verantwortlich (aitia helomenou, Rep. X, 617 E). Wer eine schlechte Seele hat, handelt schlecht, wer eine gute, gut (Repr. I, 353. vgl. über Präexistenz X). Nach ARISTOTELES ist unfrei das von außen erzwungene und das unwissentliche Handeln (dokei de akousia einai ta bia ê di' agnoian gignomena, Eth. Nic. III 1, 1110 a). Freiwillig wird getan, was mit Bewußtsein getan wird (legô d' hekousion men ..., ho an tis tôn eph' hautô ontôn eidôs kai mê agnoôn prattê, l. c. V 10, 1135 a 24). Freiwillig handeln heißt, aus sich selbst handeln, selbst das Prinzip des Handelns sein (ontos d' akousiou tou bia kai di' agnoian, to hekousion doxeien an einai hou hê archê en autô eidoti ta kath' hekasta en hois hê praxis, l. c. III 3, 1111a 20 squ.). Der freie Mensch ist die Quelle seiner Taten (anthrôpos - archê tôn praxeôn, l. c. III 5, 1112 b 31). Nicht jeder, der hekousion handelt, hat auch Wahlfreiheit (l. c. III 4, 1111 b 8). Wir können proaireisthai tagatha ê ta kaka (l. c. III 4, 1112 a 1). eph' hêmin dê kai hê aretê, homoiôs de kai hê kakia (l. c. III 7, 1113b. vgl. hingegen Diog. L. VII, 149. vgl. Kastil, Zur Lehre von d. Willensfreih. in d. Nikomach. Eth. 1901). Die Stoiker suchen ihren metaphysischen Determinismus (vgl. Plut., Peri heimarm. 11) (s. Notwendigkeit, Schicksal) mit einem ethisch - psychologischen (relativen) Indeterminismus zu vereinbaren. Sie unterscheiden das, was wir in unserer Gewalt haben, von dem außer uns Notwendigen (Cicer., De fato 16, 36). Frei ist, wer das erstere tut, und zwar um so freier, je vernünftiger, weiser, affektbeherrschender er ist (monon t' eleutheron sei der Weise, tous de phaulous doulous. einai gar tên eleutherian autopragias, tên de douleian sterêsin autopragias, Diog. L. VII 1, 121). (Nach EPIKTET besteht das eph' hêmin besonders auch in der chrêsis tôn phantasiôn, Fragm. 169). CICERO erklärt: »Ad animorum motus voluntarios non est requirenda externa causa. motus enim voluntarius eam naturam in se ipse continet, ut sit in nostra potestate nobisque pareat, nec id sine causa« (De fato 24). Auch das ist Freiheit, sich (durch synkatathesis, s. d.) dem Weltlauf zu fügen: »Ducunt volentem fata, nolentem trahunt« (SENECA, Ep. 107). Die Epikureer betonen neben der strengen Naturkausalität die Freiheit des Willens (to par' hêmin adespoton. vgl. Diog. L. X, 133). Das vernünftige Handeln ist frei (vgl. Cic., Acad. II, 30. De nat. deor. I, 25. De fato 10, 21. Gomperz, Neue Bruchst. Epik. S. 11. vgl. LUCREZ: »sua cuique voluntas principium dat, et hinc motus per membra rigantur«, De rer. nat. II, 260. »esse in pectore nostro quiddam quod contra pugnare obstareque possit«, l. c. 274 squ.). Nach PLOTIN ist das vernünftige Handeln frei. »Wenn nun die Seele, durch äußere Einflüsse bedingt, etwas tut und betreibt, wie einem blinden Anstoß gehorchend, dann darf man weder ihre Tat noch ihren Zustand freiwillig nennen. Wenn sie dagegen der Vernunft als dem reinen leidenschaftslosen und eigentlichen Führer in ihrem Wollen folgt, so ist ein solcher Wille allein als frei und selbständig zu bezeichnen, so ist dies unsere Tat, die nicht von anderswoher kam, sondern von innen, von der reinen Seele« (Enn. III, 1, 9. vgl. III, 2, 10). Grundlose Willkür aber gibt es nicht (kai gar to ta antikeimena dynasthai adynamias esti, l. c. VI, 8, 21). Im Intelligiblen war die Seele absolut frei (l. c. VI, 4. 8). »Ohne Körper ist sie ihre eigenste Herrin, frei und außerhalb der kosmischen Ursache. aus ihrer Bahn in den Körper hinabgezogen, ist sie nicht mehr in allen Stücken ihre eigene Herrin, da sie ja mit andern Dingen zu einer Ordnung verbunden ist« (l. c. III, 1, 8). - Nach ALEXANDER VON APHRODISIAS ist das Zustimmen (die synkatathesis) in unserer Gewalt (Quaest. II, 207 Spr.). Indeterminist ist auch SIMPLICIUS (vgl. Siebeck, Gesch. d. Psychol. I 2, 352 f.).

Die Freiheit des Willens lehren JUSTINUS, NEMESIUS, GREGOR VON NYSSA (die proairesis ist adoulôton ti chrêma kai autexousion en tê eleutheria tês dianoias keimenon, vgl. Siebeck, G. d. Psychol. I 2, 380), ORIGENES (freie Willensentscheidung schon im Intelligiblen), PELAGIUS (Freiheit ist, wo »facultas per rationem eligendi. Liberum arbitrium est nobis semper unum ex duobus eligere, cum semper utrumque possamus«. vgl. F. Mach, Die Willensfreih. d. Mensch., 1887, S. 250 ff.. K. Klein, Die Freiheitslehre d. Origenes, 1894), CLEMENS ALEXANDRINUS (oute de hoi epainoi, oute hoi psogoi, outh' hai kolaseis dikaiai, mê tês psychês echousês tên exousian tês hormês kai aphormês, Strom. I, 17). - Die absolute Willensfreiheit besaß nach AUGUSTINUS der Mensch nur vor dem Sündenfall Adams. Diese Freiheit hat der Mensch eingebüßt. Doch ist das Handeln insofern frei, als der Wille selbst ein Vermögen des Sichentscheidens ist (»nihil tam in nostra potestate, quam ipsa voluntas est«, De lib. arb. I, 12. III, 3. III, 25. De grat. et lib. arb. 3). »Moveri per se animum sentit, qui sentit in se esse voluntatem. Nam si volumus, non alius de nobis vult. Et iste motus animae spontaneus est. hoc enim ei tributum est a Deo« (De div. 83, 8). Mit einem gewissen metsphysischen (theologischen) Determinismus wird ein psychologischer Freiheitsbegriff verbunden. Zuletzt ist alles Handeln vom göttlichen Willen abhängig. SCOTUS ERIUGENA bemerkt: »Ubi rationabilitas, ibi necessario libertas« (De praed. 8, 5).


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