Nach O. LIEBMANN ist Freiheit das Bestimmtsein der Handlungen durch den Ich, durch den eigenen Willen, durch »selbstgewählte Maximen« (Üb. d. individ. Beweis f. d. Freih. d. Willens 1866, S. 118 ff.). Nach WINDELBAND ist Freiheit »Herrschaft des Gewissens«, vernunftgemäßes Handeln (Prälud. S. 239), also nicht Unmotiviertheit (l. c. S. 222 ff.). Freiheit ist »das Ideal eines den höchsten Zwecken mit vollem Bewußtsein sich unterwerfenden Denkens und Wollene« (l. c. S. 245). Daß der Wille ohne zureichenden Grund handle, ist eine Täuschung (Die Lehren vom Zufall, S. 9). Jede Handlung ist »die notwendig erfolgende Resultante aus den gegebenen Bedingungen und aus der Natur der entscheidenden Seele« (ib.). Die Freiheit liegt in der kausalen Aktivität des Bewußtseins (l. c. S. 11). Sie ist »nur die Freiheit der Überlegung, die Fähigkeit, die auf den Willen wirkenden Motive zu erkennen und durch das Bewußtsein zwischen ihnen eine Entscheidung zu treffen, die von der Eigentümlichkeit des jedesmal entscheidenden Bewußtseins abhängen muß und eben darum eine in kausaler Notwendigkeit bedingte Wirkung ist« (ib.). Nach ADICKES ist das Wollen »eine Resultante aus dem Wesen des Handelnden und den äußeren Umständen, in denen er sich befindet« (Eth. Prinzipienfragen, Zeitschr. f. Philos. II, 116 ff., 185). - Nach H. COHEN bildet die Willensfreiheit keinen Gegensatz zur Gesetzlichkeit. Freiheit ist »die Energie des Willens«, »Erhaltung des Subjekts in der Erhaltung seiner Handlungen« (Log. S. 259). Nach NATORP ist die Willensfreiheit zunächst »die Freiheit des Bewußtseins, die Erhebung des geistigen Blicks, des Gesichtspunktes des praktischen Urteils über den vermeinten Zwang des Naturgesetzes, das doch nie unbedingt zu zwingen vermag, denn es selbst ist nicht unbedingt. es läßt tatsächlich das Urteil des Willens frei. Das Gesetz der Idee dagegen ist eben dann für ihn richtend, im Doppelsinn des Richtunggebenden und des richterlich Entscheidenden« (Sozialpäd.2, S. 47). Der Wille ist nicht durch die ihm augenblicklich vorliegenden empirischen Daten voraus gebunden, er selbst entscheidet (l. c. S. 48). Schon im bloßen Urteilen liegt eine Freiheit. Das praktische Urteil stellt sich dem Objekt gesetzgebend gegenüber (l. c. S. 70). Die Wahl wird durch die eigenen Gesetze des Willens entschieden (vgl. Grundlin. ein. Theor. d. Willensbild., Arch. f. syst. Philos. I, 86 ff.. Ist das Sittengesetz ein Naturges.?, Arch. f. syst. Philos. II, 235 f.).
Da es kein grundloses, unmotiviertes Handeln gibt, muß nach WUNDT der psychologische Determinismus verfochten werden. Durch das Freiheitsbewußtsein selbst wird schon jeder Fatalismus unmöglich gemacht, denn es sagt aus, daß wir ohne Zwang handeln können. In der Wahlfähigkeit selbst liegt schon die (relative) Freiheit. Im Wollen liegt schon das Gefühl der Selbsttätigkeit, die besonders im Denken nach immanenten Gesetzen sich bekundet. Die Affekte der Willenshandlungen sind stets durch bestimmte innere Ursachen bedingt, aber nicht restlos in diesen enthalten, sondern das Gesetz des Wachstums geistiger Energie (s. d.) kommt hier zur Geltung. Frei sein heißt »mit dem Bewußtsein der Bedeutung handeln, welche die Motive und Zwecke für den Charakter des Wollenden besitzen« (Eth.2, S. 462 ff.. Vorles.2, S. 462 ff.. Grdz. d. phys. Psychol. II4, S. 575 ff.. Essays 11, S. 304). Aktuelle Motive und Charakter (Persönlichkeit) sind die Faktoren der Willenshandlung (Eth.2, S. 478). Ethisch frei handelt, wer »nur der innern Kausalität folgt, die teils durch seine ursprünglichen Anlagen, teils durch die Entwicklung seines Charakters bestimmt ist« (l. c. S. 477). Die besondere Gestaltung, welche geistige Erzeugnisse annehmen werden, ist nie im voraus zu bestimmen, wegen des Wachstums geistiger Energie (l. c. S. 465). »Im einzelnen Fall können die innern Bestimmungsgründe des Handelns von dem äußern Zuschauer sowohl wie von dem Handelnden selbst nie vollständig erfaßt werden, denn sie verlieren sich in der Totalität der Ursachen des Geschehens« (Grdz. d. phys. Psychol. II4, 577). Daher ist der Mensch praktisch frei und verantwortlich (ib.). »Was den menschlichen Willen vor den äußeren Motiven determiniert, ist der Charakter«(l. c. S. 576). Daß die freie, persönliche Tat, die aus der ganzen Vergangenheit des (überindividuellen, ererbten) Charakters entspringt, schlechthin aus der Totalität der Ursachen des Geschehens sich herleitet, gewissermaßen »ein Geschenk der Gottheit« ist, bedingt die Vereinigung der psychologischen Freiheit mit einem metaphysischen Determinismus, nach welchem für die universale Weltbetrachtung, »die freie Tat des Einzelnen einem allgemeinen Weltgrunde sich unterordnet« (l. c. S. 576 ff.. Vorles.2, S. 470 ff.. Essays, S. 303 f.. Log. I2, 554 f.). In Gott sind Freiheit und Notwendigkeit vereinigt (Log. I2, 555). Ähnliche Ansichten über die Willensfreiheit bei ELSENHANS (Zeitschr. f. Philos. 112. Bd., 1898, S. 294), H. ACHTER (Von d. menschl. Freiheit, 1895), P. MICHAELIS (Die Willensfreih., 1896) u. a. Teilweise auch FOUILLÉE (s. unten) (L'évolut. des id.-forc. p. LXXXVI ff.), G. VILLA: »Der Mensch ist intellektuell und moralich frei, aus dem Grunde, weil niemand seinen Handlungen eine Grenze setzen und einen genauen Weg wird vorschreiben können, und weil niemand, da sie alle von Motiven hervorgerufen sind, wird verbieten können, daß immer neue Motive entstehen, welche seine künftigen Handlungen lenken« (Einl. in d. Psychol. S. 441 f.. von älteren italienischen Philosophen lehren einen psychologischen Determinismus ROMAGNOSI, ARDIGÒ u. a.). - R. WAHLE erklärt: »Der Charakter ist... die Willensart des Menschen selbst, die Richtung des Willens für seine Wahlentscheidung. Dann ist also nicht ein objektiv außenstehender Faktor maßgebend für den Willen, sondern der Wille selbst ist es eben, welcher aus sich heraus determiniert, was für ihn Wert hat« (Das Ganze d. Philos. S. 439). - Die Bestimmtheit des Willens durch die Motive und den Charakter des Handelnden betont auch SIGWART (Klein. Schrift. II, 157, 160. vgl. über die Selbständigkeit des Willens: Log. II2, 750 ff., 760. s. Notwendigkeit).
Einen strengeren, naturalistischen (mechanischen) Determinismus vertreten verschiedene Denker. So MOLESCHOTT (Kreisl. d. Leb. S. 39), C. VOGT (Bild. aus d. Tierleben, S. 12), L. BÜCHNER (Kraft u. Stoff, S. 276 f.), J. C. FISCHER (Die Freih. d. menschl. Willens u. d. Einh. d. Naturgesetze, 1871), A. MAYER, (Monist. Erkenntnislehre, S. 52), E. HÄCKEL (Welträtsel, S. 19, 151), auch QUÉTELET (s. Statistik), BUCKLE (Gesch. d. Civilisat. S. 25) u. a. Nach RÉE ist die Willensfreiheit Illusion, das Wollen ist streng gesetzlich bestimmt (Die Illus. d. Willensfreih. 1885). Aber es besteht doch eine Fähigkeit, Triebe niederzukämpfen (Philos. S. 330). Auch NIETZSCHE ist Determinist. Der Glaube an Willensfreiheit ist ein Irrtum, alles Handeln ist Ergebnis gegenwärtiger und vergangener Einflüsse (Menschl. II, 1897, S. 36, 63 ff.). Unser Freiheitsgefühl beruht darauf, daß in uns ein stärkerer Reiz den schwächeren unterdrückt (WW. XII, 1, 44). »Freiheit« ist nur »Überlegenheits-Affekt in Hinsicht auf den, der gehorchen muß« (WW. VII, 1, 19). Streng deterministisch ist die Lehre von N. KURT (Willensfreiheit? Eine krit. Untersuch. f. Gebildete aller Kreise 1890, S. 32, 39, dargestellt bei Müffelmann, l. c. S. 90 f.). Einen psychologischen Determinismus verschiedener Färbung vertreten folgende ausländische Denker. So HÖFFDING (Psychol.2, S. 471. s. Motiv). Die Persönlichkeit des Handelnden bestimmt den Grad der Freiheit (l. c. S. 213 f.). - Determinist ist J. ST. MILL (Log. II, 439 ff.), welcher den »battle between contrary impulse« der »contending powers« berücksichtigt (Examin. p. 584). Determinist ist auch A. BAIN (Emot. and Will, p. 493 ff.). Es besteht eine »uniformity of sequence between motive and action« (Ment. and Mor. Sc. sct. IV, ch. 11, p. 396 ff.). die Regel gilt, »that the same motive, in the same circumstances, will be followed by the same action« (ib.). Nach LEWES ist der Organismus selbst eine Bedingung der Tätigkeit (Probl. III, p. 103), einer Mannigfaltigkeit von Erregungen (l. c. p. 108). H. SPENCER bestimmt als frei das aus der Gesamtheit psychischer Faktoren resultierende Wollen (Psychol. § 219). Vgl. J. WARD, Encycl. Brit. XX, 72 f., ferner die unter »Psychologie« aufgezählten englischen Psychologen. Nach EMERSON ist der Mensch frei, in sofern er denkt, sittlich ist. der Mensch ist selbst ein Teil des Schicksals, das sein Tun bestimmt (Lebensführ. C. 1, S. 10, 19 ff.). - Nach A. FOUILLÉE bedingt das »moi tout entier« meine Handlung, die ganze Persönlichkeit wirkt (Psychol. d. id.-forc. II, 277 ff.).
Freiheit ist »le maximum possible d'indépendance pour la volonté, se déterminant sous l'idée même de cette indépendance, en vue d'une fin dont elle a également l'idée« (l. c. p. 290). Die Wahlfähigkeit (»pouvoir de choisir«) ist »le pouvoir d'être déterminé par un jugement et un sentiment de préférence« (l. c. p. 299). Nach G. RENARD ist der Wille frei, »wenn der Entschließung eine regelrechte Überlegung vorausging, wenn der Geist bei vollkommener Kenntnis der Sache die Motive hat abwägen können, wenn keine äußere Gewalt für diese oder jene Seite den Ausschlag gegeben hat, wenn kein Irresein die Auffassung der Dinge getrübt hat« (Ist der Mensch frei? S. 159). Nach RIBOT bestimmen Motiv und Charakter das Handeln (Der Wille, S. 28). Nach PAULHAN besteht die psychologische Freiheit darin, »à agir selon nos désirs, a réaliser notre volonté, à ne pas être contrarié par les circonstances dans l'exercice de notre activité« (Physiol. de l'esprit, p. 106). - Vgl. J. EDWARDS, Freedom of the Will, 1754. FEDER, Log. u. Met. S. 326 ff.. K. PH. FISCHER, Die Freih. d. menschl. Willens, 1833. CHALYBAEUS, Wissenschaftslehre, S. 304 ff.. J. H. SCHOLTEN, Der freie Wille, 1874. C. GÖRING, Üb. d. menschl. Freih. u. Zurechnungsfäh. 1876. A. LABRIOLA, Della libertà morale, 1873. SCHAARSCHMIDT, Zur Widerleg. d. Determin., Philos. Monatshefte XX, 1884, 193 ff.. LEHMANN, Das Probl. d. Willensfreih., 1887. E. NAVILLE, Le libre arbitre, 1890. SPITTA, Die Willensbestimmungen u. ihr Verh. zu den impuls. Handl., 1892. WIENER, Die Freih. d. Willens, 1892. TRÄ- GER, Wille, Determinismus, Strafe, 1895. BERGER, Das Probl. d. Willensfreih., 1896. BAUMANN, Über Willens- u. Charakterbildung, 1897. FR. WAGNER, Freih u. Gesetzmäß. in d. menschl. Willensakt., 1898. TÜRCKHEIM, Zur Psychol. d. Willens, 1900. CALDEMEYER, Vers. ein. theoret. u. prakt. Erklär. d. Willensfreih., 1903. G. L. FONSEGRIVE, Essai sur le libre arbitre, sa théorie et son histoire, 1887. O. PFISTER, Die Willensfreiheit, 1904. Weitere Litteratur bei MÜFFELMANN, Das Probl. d. Willensfreih. in d. neuest. deutsch. Philos., 1002. - Vgl. Motiv, Determinismus, Freiheit, Wille, Wahl, Zurechnung.