Willensfreiheit - Kant, Schiller, Jacobi

KANT verbindet den empirisch-phänomenalen (psychologischen) Determinismus mit einem ethisch-metsphysischen Indeterminismus. Zunächst einige begriffliche Bestimmungen der Freiheit. Frei ist die Handlung, welche »iis rationibus determinatur, quae motiva intelligentiae suae infinitae, quatenus voluntatem certo certius inclinant, includunt, non a caeca quadam naturae efficacia proficiscuntur« (WW. I, 382 ff.). Freiheit ist (praktisch) negativ Unabhängigkeit von den Antrieben der Sinnlichkeit, positiv Selbstbestimmung seitens der Vernunft, des vernünftigen Willens. »Die Freiheit der Willkür ist jene Unabhängigkeit ihrer Bestimmung durch sinnliche Antriebe. Dies ist der negative Begriff derselben. Der positive ist: das Vermögen der reinen Vernunft, für sich selbst praktisch zu sein« (WW. VII, 11. Krit. d. rein. Vern. S. 429). Frei ist »ein Wille, dem die bloße gesetzgebende Form der Maxime allein zum Gesetze dienen kann« (WW. V, 30). »In der Unabhängigkeit nämlich von aller Materie des Gesetzes (nämlich eines begehrten Objekts) und zugleich doch Bestimmung der Willkür durch die bloße allgemeine gesetzgebende Form, deren eine Maxime fähig sein muß, besteht das alleinige Prinzip der Sittlichkeit. Jene Unabhängigkeit aber ist Freiheit im negativen, diese eigene Gesetzgebung eben der reinen und als solchen praktischen Vernunft ist Freiheit im positiven Verstande« (l. c. S. 35). Im »kosmologischen« Sinne ist Freiheit »das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Kausalität also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer andern Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte. Die Freiheit ist in dieser Bedeutung eine rein transzendentale Idee, die erstlich nichts von der Erfahrung Entlehntes enthält, zweitens deren Gegenstand auch in keiner Erfahrung bestimmt gegeben werden kann« (Krit. d. rein. Vern. S. 428 f.). Die Ethik fordert aber die Freiheit, und so muß sie angenommen werden. Wie ist aber eine solche Freiheit möglich, da doch der Satz der Kausalität (s. d.) a priori für jede mögliche Erfahrung gilt? Deswegen, antwortet Kant, weil eben Erfahrungsobjekte nur Erscheinungen, Sinnendinge sind, über diese hinaus hat die (Natur-)Kausalität keine Geltung. so kann der Mensch als Sinnenwesen im Handeln determiniert und als Vernunftwesen, »causa noumenon« (»intelligibler Charakter«, s. d.), doch frei sein. und so wird die Antinomie (s. d.) gelöst. »Ist... Naturnotwendigkeit bloß auf Erscheinungen bezogen und Freiheit bloß auf Dinge an sich selbst, so entspringt kein Widerspruch, wenn man gleich beide Arten von Kausalität annimmt oder zugibt« (Prolegom. S. 128. Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 135). Als intelligibel ist jede Kausalität als Handlung eines Dinges an sich selbst, als sensibel nach den Wirkungen derselben in der Sinnenwelt zu betrachten (Krit. d. rein. Vern. S. 432). »Die Wirkung kann in Ansehung ihrer intelligiblen Ursache als frei und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben nach der Notwendigkeit der Natur angesehen werden« (l. c. S. 331). Als Erscheinung ist das Handeln naturgesetzlich bestimmt (l. c. S. 433), als Ding an sich ist der Wille frei (ib.), unabhängig vom Einflusse der Sinnlichkeit, so daß er seine Wirkungen in der Sinnenwelt »von selbst« anfängt, ohne daß die Handlung in ihm selbst anfängt (l. c. S. 434). In der Erscheinung sind alle Handlungen des Menschen »aus seinem empirischen Charakter und den mitwirkenden andern Ursachen nach der Ordnung der Natur bestimmt und wenn wir alle Erscheinungen seiner Willkür bis auf den Grund erforschen könnten, so würde es keine einzige mögliche Handlung geben, die wir nicht mit Gewißheit vorhersagen und aus ihren vorhergehenden Bedingungen als notwendig erkennen könnten« (l. c. S. 440 ff.). »Alle Handlungen vernünftiger Wesen, sofern sie Erscheinungen sind, stehen unter der Naturnotwendigkeit. eben dieselben Handlungen aber, bloß respektive auf das vernünftige Subjekt und dessen Vermögen, nach bloßer Vernunft zu handeln, sind frei« (Prolegom. § 53). Der Vernunftbegriff der Freiheit bekommt durch den Grundsatz der Sittlichkeit (s. d.) Realität (Krit. d. prakt. Vern. 1. Tl., 1. B., 3. Hptst.). Das Subjekt betrachtet sich »als bestimmbar durch Gesetze, die es sich selbst durch Vernunft gibt«, unabhängig von empirischen Ursachen (l. c. S. 118). Insofern kann jedes vernünftige Wesen mit Recht sagen, es hätte eine gesetzwidrige Handlung unterlassen können (ib.). Die freie Wahl des Charakters ist »eine intelligible Tat vor aller Erfahrung« (Relig. S. 40). Die Freiheit ist nicht gesetzlos, sondern Autonomie (s. d.), Selbstgesetzgebung. ein freier Wille ist ein Wille unter sittlichen Gesetzen (Grundleg. zu ein. Met. d. Sitt. 3. Abschn., S. 85 f.). »Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum in praktischer Hinsicht wirklich frei, d. i. es gelten für dasselbe alle Gesetze, die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind« (l. c. S. 87). »Wir nehmen uns in der Ordnung der wirkenden Ursachen als frei an, um uns in der Ordnung der Zwecke unter sittlichen Gesetzen denken« (l. c. S. 90). »Als ein vernünftiges, mithin zur intelligiblen Welt gehöriges Wesen kann der Mensch die Kausalität seines eigenen Willens niemals anders als unter der Idee der Freiheit denken« (l. c. S. 92 ff.).

Von den nachkantischen Philosophen wird zunächst teilweise der Indeterminismus gelehrt, bald metaphysisch, absolut, bald mehr gemäßigt. Nach SCHILLER ist der Wille »als ein übersinnliches Vermögen weder dem Gesetz der Natur noch dem der Vernunft so unterworfen..., daß ihm nicht vollkommen freie Wahl bliebe, sich entweder nach diesem oder nach jenem zu richten«. »Die Gesetzgebung der Natur hat Bestand bis zum Willen, wo sie sich endigt, und die vernünftige anfängt.« Der Wille ist dem Gesetze der Vernunft verbunden, soll seine Motive von ihr empfangen. »Wendet sich nun der Wille wirklich an die Vernunft, ehe er das Verlangen des Triebes genehmigt, so handelt er sittlich. entscheidet er aber unmittelbar, so handelt er sinnlich« (Über Anmut u. Würde, Philos. Schrift. S. 137 f.). LICHTENBERG bemerkt: »Wir wissen mit weit mehr Deutlichkeit, daß unser Wille frei ist, als daß alles, was geschieht, eine Ursache haben müsse« (Bemerk. S. 108). Nach KRUG muß aus ethischen Gründen der Wille frei sein, d.h. »sich unabhängig von den Naturgesetzen des Triebes aus reiner Achtung gegen das Vernunftgebot zur Befolgung desselben selbst bestimmen können«. »Wir glauben... praktisch, daß wir frei sind, ob wir es gleich nicht theoretisch einsehen und beweisen können« (Handb. d. Philos. I, 69 f.). FRIES erklärt: »Freiheit liegt im allgemeinen im Vermögen, wählen zu können, sie ist eine Freiheit oder Autonomie der Willkür« (Handb. d. prakt. Philos. 1818, I, 196). Nach ÜBERWASSER ist die Willensfreiheit »die Unabhängigkeit unserer Seele in ihrem Wollen und Nichtwollen«, »das Vermögen unabhängiger Selbstbestimmung« (Üb. d. Begehrungsverm. S. 173 f.). Nach JACOBI ist die Freiheit eine durch das Gefühl gegebene Tatsache, keine bloße Idee (WW. IV, 2). Nach BOUTERWEK dürfen wir die Willensfreiheit nicht bezweifeln, obgleich wir sie nicht direkt begreifen (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 192 f.). »Frei heißt die Spontaneität, wenn sie, obgleich gebunden an die Rezeptivität, dennoch durch keine andere Kraft bestimmt, als durch sich selbst, einen Zustand des Gemüts von vorn anfängt« (l. c. S. 85. vgl. Apod. II, 108). Einen gemäßigten Indeterminismus vertritt G. E. SCHULZE: »Alle lebenden Wesen sind mit der Fähigkeit versehen, sich von dem Einwirken der Stoffe und Kräfte der äußern Natur auf ihr Sein bis auf einen gewissen Grad unabhängig zu machen und ihren Zustand nach der Beschaffenheit der Umstände, worunter sie sich befinden, aus sich selbst zu bestimmen. Dem Menschen ist diese Fähigkeit in einem viel höheren Grade verliehen, als irgend einem andern lebenden Wesen... Nach den Aussprüchen des Selbstbewußtseins können wir nämlich den auf unsere persönlichen Vorteile sich beziehenden Begierden die Ideen der Vernunft vom sittlich Guten oder das Bewußtsein unserer Pflichten entgegensetzen« (Psych. Anthropol.2, S. 421 f.). »Daß aber ein Mensch bei der Überlegung, ob etwas zu tun oder nicht zu tun sei, das Bewußtsein der Idee vom sittlich Guten und von der Pflicht, wenn es nicht schon in ihm vorhanden ist, erzeugt, dieses Bewußtsein den Begierden entgegensetzt und es durch die Belebung desselben zum Bestimmungsgrunde des Handelns erhebt, ist seine eigene unbedingte Tat, welche daher nicht auf einen davon noch verschiedenen Beweggrund bezogen werden darf und insofern etwas Unbegreifliches ausmacht« (l. c. S. 422 f.). Die Freiheit besteht »aus einem unbegreiflichen Eingreifen des Realgrundes unseres geistigen Lebens vermittelst der Vernunft in das Getriebe unserer geistigen Natur« (l. c. S. 424). Ohne Motive gibt es kein Wollen, im freien Wollen ist der Mensch selbst Ursache, durch seine Vernunft, die Ausübung der Freiheit ist durch die Erkenntnis des Guten und Bösen bedingt (Üb. d. menschl. Erk. S. 79 f.). Nach BIUNDE ist Freiheit »die Eigenmacht des Willens im Subjekte, Selbstmacht des Subjektes im Willen (des Vernunftzweckes)« (Empir. Psychol. II, 441 ff.), »Unabhängigkeit des Willens von Einflüssen auf denselben« (l. c. S. 467). Die menschliche Willensfreiheit ist nur eine relative (ib.), kein grundloses Handeln (l. c. S. 441).


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