Wahrnehmung - Lazarus, Wundt, James

Nach LAZARUS ist die Wahrnehmung nichts Einfaches, sondern enthält eine geistige Tätigkeit (Leb. d. Seele II2, 35 ff., 39 f.). Nach GLOGAU ist die Wahrnehmung »kein ruhendes Innewerden, sondern intuitiver, d. i. unmittelbarer Verstand« (Abr. I, 87. vgl. STEINTHAL, Einl. in d. Psychol. I). SIGWART erklärt: »In den Wahrnehmungen haben wir es zunächst mit subjektiven Ereignissen zu tun, nur die Gegenwart der Vorstellung ist das unmittelbar Gegebene, ihre Beziehung auf ein Ding außer uns ein zweiter Schritt« (Log. I2, 339). Nach B. ERDMANN ist die Sinneswahrnehmung der »Inbegriff der geistigen Vorgänge, durch welche aus den physikalischen oder physiologischen Reizen, die unsere Sinnesorgane erregen, und den physiologischen Vorgängen, welche diese Erregungen zum Gehirne leiten, Vorstellungen von Gegenständen außerhalb des wahrnehmenden Subjekts entstehen« (Log. I, 38). Die »Perzeptionsmasse« ist ein »Komplex derjenigen Bedingungen..., die dem neuen Reiz entstammen« (Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. X, 338 f.). Wahrnehmen heißt nach A. RAU »gewisse Sensationen von einem Objekte empfangen und diese als ähnlich mit denen erkennen, welche ähnlich beschaffene Objekte früher in uns erregten« (Empfind. u. Denk. S. 372). Nach STUMPF ist Wahrnehmen Bejahen, Anerkennen eines Inhalts (Tonpsychol. S. 96). Nach W. ENOCH wird die Empfindung durch ein Denken zur Wahrnehmung (Der Begr. id. Wahrnehm. 1890, S. 54 ff.). WUNDT definiert: »Vorstellungen, welche sich auf einen wirklichen Gegenstand beziehen, mag dieser nun außer uns existieren oder zu unserem eigenen Körper gehören, nennen wir Wahrnehmungen oder Anschauungen. Bei dem Ausdruck ›Wahrnehmung‹ haben wir die Auffassung des Gegenstandes nach seiner wirklichen Beschaffenheit im Auge« (Grdz. d. physiol. Psychol. II4, 1). »Nicht jede Vorstellung gilt uns als Wahrnehmung, sondern nur dann geschieht dies, wenn wir aus zweifellos voraussetzen, daß der Vorstellung ein Objekt entspreche. Die Wahrnehmung ist... das als wahr Angenommene.« Äußere Wahrnehmungen sind »diejenigen Vorstellungen, denen wir unmittelbar eine gegenständliche Existenz in der Außenwelt geben. Es ist aber zu beachten, daß wir solche objektiven Wahrnehmungen gar nicht unmittelbar zugleich als subjektive Zustände unseres Bewußtseins auffassen. Die Vorstellung des gesehenen Gegenstandes ist eins mit dem Gegenstand selber. erst eine nachträgliche Reflexion unterscheidet diesen von seinen subjektiven Bilde« (Log. I2, 424). In der Wahrnehmung sind schon reproduktive Elemente enthalten (Völkerpsychol. I 1, 533). Nach W. JERUSALEM ist die Wahrnehmung ein »Komplex von Empfindungen..., den unser Bewußtsein zur Einheit zusammenfaßt« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 45). Wir nehmen nicht unsere Zustände, sondern die Dinge der Umgebung wahr (l. c. S. 46). Die Wahrnehmung des Kindes enthält die Deutung des erlittenen Widerstandes als Wirkung eines fremden Willens (s. Introjektion). »Der Komplex von Tast- und Bewegungs-, speziell Widerstandsempfindungen wird als wollendes, dem Kinde entgegenwirkendes Wesen gefaßt und ist damit herausgestellt und objektiviert. Die Wahrnehmung ist demnach das einfachste, primitivste Urteil. Sie formt und objektiviert den ungeordneten, verwirrenden Empfindungsinhalt. Die Apperzeption vollzieht sich jedoch unbewußt« (Urteilsfunct. S. 219 f.). JODL bestimmt: »Alles, was Gegenstand unseres Bewußtseins ist und auf irgend eine Weise gegeben oder gegenwärtig ist, jede Bewußtseinserscheinung, Bewußtseinserregung, jeder Bewußtseinsinhalt kann im weitesten Sinne, Wahrnehmung' genannt werden.« Sie »enthält nichts als den allgemeinsten Charakter des Objektseins für ein Subjekt, des Angeschaut- oder Erlebtwerdens... Bewußtsein und Wahrgenommenes ist daher identisch« (Lehrb. d. Psychol. S. 94 f.). Streng genommen, ist alle Wahrnehmung eine »innere«, im Bewußtsein stattfindende. Unter der äußeren Wahrnehmung sind zu verstehen »alle diejenigen Erregungen unseres Bewußtseins, welche wir als Wirkungen auf Gegenstände beziehen, die nicht wir selbst sind und durch die wir Eindrücke von Bewegungen oder Zuständen derselben zu empfangen glauben« (Lehrb. d. Psychol. S. 107). - Nach KÜLPE gibt es keine Wahrnehmungstätigkeit neben dem Ich. »Der Tatbestand, welcher durch das Wort ›Wahrnehmen‹ bezeichnet wird, ist in der Abhängigkeit gegeben in welcher sich die Sinneseindrücke von der Aufmerksamkeit, der den Willen unterworfenen Stellung der Sinnesorgane und anderen Zuständen des wahrnehmenden Subjekts befinden« (Philos. Stud. VII, 405. vgl. Gr. d. Psychol. S. 386 f.). Nach H. CORNELIUS ist das Wahrnehmen nichts als das Vorfinden, Bemerken eines Phänomens (Vers. ein. Theor. d. Existentialurt. S. 10), Bemerken eines Inhalts (Psych. S. 174 f.). Die Wahrnehmungen sind Subjektiv, insofern die Bewußtseinsinhalte sind, objektiv, »insofern sie einem objektiv existierenden Zusammenhange angehören, als Eigenschaften von Dingen beurteilt werden« (l. c. S. 116 ff.). Der Wahrnehmungsakt ist schon ein Existentialurteil (Vers. ein. Theor. d. Existentialurt. S. 18). - Nach P. NATORP gibt die Wahrnehmung nur Antwort »auf die Fragen, welche die Erkenntnis zuvor gestellt und in den ihr eigenen Begriffen gleichsam voraus formuliert hat« (Sozialpädag. S. 26). Nach P. STERN enthält die Wahrnehmung eines Gegenstandes »bereits die Wahrnehmung einer unendlichen Reihe von Teilwahrnehmungen« (Probl. der Gegebenh. S. 35 ff.. vgl. Impression: PALÁGYI). - Nach PALÁGYI gibt es keinen Gegensatz von äußerer und innerer (s. d.) Wahrnehmung (Log. S. 240). Nach H. KROELL ist die Wahrnehmung »das Resultat der Reizumgestaltungen, die sich vom Eintritt in den zentripetalen Ast bis zum Neuronengebiet der Sinneszentren und derjenigen Rindenganglien, in welche die biotischen Reize einstrahlen, vollziehen« (Die Seele im Lichte des Monism S. 36).

Wahrnehmung und Empfindung, »perception« und »sensation«, unterscheidet W. HAMILTON. Die Perzeption, Wahrnehmung ist objektiv, ist Gegenstandsbewußtsein, und dieses ist um so stärker, je schwächer die »sensation« ist (Lect. on Met.. vgl. Mc COSH, Cogn. Powers I, 1. vgl. SPENCER, Psychol. II, § 353. CARPENTER, Ment. Physiol. ch. 5). Nach BAILEY ist die »perception of external things through the organs of sense« »a direct mental fact or phenomenon of consciousness not susceptible of being resolving into anything else« (Lect. on the hum. mind p. 13 ff.). Nach FERRIER ist die Wahrnehmung gleichfalls einfach, ursprünglich, ist »the absolutely elementary in cognition, the ne plus ultra of thought« (Lect. and remains p. 411). Nach S. LAURIE hingegen ist die Wahrnehmung Resultat eines Schlußprocesses (Met.2, 1889). Nach HODGSON ist die Wahrnehmung eine Objektivierung von Bewußtseinsinhalten (vgl. Philos. of Reflect. I, 255 ff.). Nach A. BAIN ist die »percept on of matter« das »objekt consciousness«, es ist »connected with the putting forth of muscular energy, as opposed to passive feeling« (Ment. and. Mor. Sciene. I, ch. 7, p. 197 f.). Nach LEWES ist die »Aperception« eine »assimilation of the objekt by the Subjekt« (Probl. I, 189). H. SPENCER erklärt: »Bei der Empfindung ist das Bewußtsein mit gewissen Affektionen des Organismus beschäftigt, bei der Wahrnehmung wird das Bewußtsein von den Beziehungen zwischen jenen Affektionen in Anspruch genommen« (Psychol. II, § 211. vgl. § 352 f). Die Perzeption geht auf ein äußeres Objekt (l. c. § 353). Sie schließt schon ein Urteil ein: »Every act of perception implies an expressed or unexpressed assertory judgment« (l. c. II, § 314 ff.). Ein Klassifizieren liegt hier schon vor (l. c. § 320). SULLY erklärt: »In sensation the mind is comparatively passive and recipient. in perception it not only attends to the sensation (or sensations), discriminating and identifying it, but passes from the impression to the objekt which it indicates or makes known« (Outlin. of Psychol. p. 148). Die Wahrnehmung ist bewußte Auffassung eines Gegenstandes, enthält schon ein Beziehen, Verknüpfen, Interpretieren (l. c. ch. 7. Handb. d. Psychol. S. 127 ff.. vgl. TITCHENER, Outlin. of Psychol. § 43 ff.. LADD, Phys. Psychol. p. 382 ff.). Nach W. JAMES ist die Wahrnehmung (perception) »the consciousness of particular material things present to sense« (Princ. of Psychol. II, 76). Sie unterscheidet sich von der »sensation« »by the consciousness of farther facts associated with the objekt of the sensation« (l. c. p. 77. vgl. II, 1 ff.). »A pure sensation is an abstraction« (l. c. p. 3). BALDWIN definiert: »Perzeption is the apperzeptive or synthetic activity of mind whereby the data of sensation take on the forms of representation in space and time: or it is the process of the construction of our representation of the external world« (Handb. of Psychol.2, ch. 8, p. 116 ff.. vgl. ch. 7, p. 82 ff.. vgl. J. WARD, Encycl Brit. XX, 51 ff.. STOUT, Analyt. Psychol. I, 52 ff.. DEWEY, Psychol., u. a.). - Über J. ST. MILLS. Objekt.

Als unmittelbare Erfassung des Objekts (s. d.) bestimmt die Perzeption ROYER-COLLARD. VACHEROT erklärt: »Toute sensation est affective. Elle ne devient réellement représentative que par l'élimination de l'élément affectif. Alors elle se transforme en perception, et n'exprime plus qu'un rapport fixe entre des phénomènes variables. C'est le passage de l'image à l'idée. Mais cette transformation ne s'opère que par une analyse et une synthèse de l'esprit« (Met. III, 209 f.). H. TAINE erblickt in der Wahrnehmung eine wahre, normale »Halluzination« (s. d.). Nach DELBOEUF hat jemand Perzeptionen, wenn er »rapportera sa sensation à une cause en général autre que lui, et qu'il attribuera à cette cause une qualité, qui sera celle de lui procurer une sensation determinée« (Théor. génér. de la sensibil. 1876, p. 5). Nach JANET sind die Perzeptionen »les images fournies par les sens« (Princ. de mét. II, 200 ff.). Nach RENOUVIER ist die Perzeption »la conscience particulière d'un phénomène comme différiencié d'avec d'autres phénomènes« (Nouv. Monadol. p. 4). Nach FOUILLÉE ist die »sensation« eine Modifikation der »activité appétitive qui constitue la vie« (Psychol. d. id.-forc. I, 3 ff., 7 ff.). Nach H. BERGSON ist eine Perzeption die »sollicitation de mon activité« (Mat. et mém. p. 35 ff., 49 ff.). Mit ihr ist schon Gedächtnis verbunden (l. c. p. 67). Vgl. PAULHAN, Physiol. de l'esprit, p. 42 ff.. BINET, La perception extérieure. F. MARTIN, La percept. extér. et la science posit. 1894. - Vgl. E. DREHER, Üb. Wahrnehmen u. Denk. 1879. Zeitschr. f. Philos. Bd. 71 - 77. M. BRAUDE, Die Elemente der reinen Wahrnehmung, 1899. - Vgl. Empfindung, Objekt, Wahrnehmung (innere), Perzeption Vorstellung, Sensualismus, Erkenntnis, positionale Charaktere.


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