Wahrnehmung - Überweg, Brentano, Husserl

ÜBERWEG erklärt: »Von der bloßen Empfindug unterscheidet sich die Wahrnehmung dadurch, daß das Bewußtsein in jener nur an dem subjektiven Zustand haftet, in der Wahrnehmung aber auf das Element geht, welches wahrgenommen wird und daher... dem Akte des Wahrnehmens als ein anderes und objektives gegenübersteht.« Die Wahrnehmung ist »die unmittelbare Erkenntnis des neben- und nacheinander Existierenden«. »Die äußere oder sinnliche Wahrnehmung ist auf die Außenwelt, die innere oder psychologische Wahrnehmung auf das psychische Leben gerichtet« (Log.4, § 36). »Ich perzipiere (sehe, höre etc) nicht die Sinnesempfindungen selbst, sondern mittelst ihrer vermöge eines mit ihnen sich verbindenden Denkens das Außending« (Welt- u. Lebensansch. S. 91). »Infolge der Affektion des Nerven, z.B. der Netzhaut, entsteht in uns eine sinnliche Empfindung. Unmittelbar ist nur diese in unserem Bewußtsein. alles übrige ist eine Deutung derselben. Wir deuten sie unwillkürlich... auf ein äußeres Objekt, und dies ist es, was die Sprache nennt: das Objekt sinnlich wahrnehmen« (l. c. S. 26 f.). Die Übereinstimmung von Wahrnehmung und Objekt bedeutet nur: »Jedem einzelnen Element der einen Reihe entspricht ein bestimmten Element der andern, und jede Kombination von Elementen der einen Reihe wird durch die gleiche Kombination der entsprechenden Elemente der andern Reihe wiedergegeben. aber das einzelne Element der einen Reihe steht zu dem entsprechenden Elemente der andern nicht im Verhältniss der Ähnlichkeit, sondern nur im Verhältnisse der gesetzmäßigen Verknüpfung« (l. c. S. 28). Nach E. V. HARTMANN kann sehr wohl »die sinnliche Wahrnehmung ein Doppeltes einschliefen, die bewußtseinsimmanenten Sensationen und die transzendentkausalen Beziehungen derselben auf eine vom Bewußtsein unabhängige Substantielle Ursache« (Gesch. d. Met. I, 555). Das gemeine Bewußtsein »glaubt die von ihm unabhängigen Dinge selbst wahrzunehmen, erkennt aber dz e Wahrnehmungstätigkeit als etwas zum Dinge selbst Hinzukommendes an. Es unterscheidet nicht das Ding von dem Wahrnehmungsbild, wohl aber das Ding als nicht wahrgenommenes von dem Dinge als wahrgenommenes« (l. c. S. 557 f.). Nach HAGEMANN ist die Dingwahrnehmung oder Anschauung die »unmittelbare Auffassung räumlicher Gegenstände und weiterhin eines Dinges mit seinen Merkmalen mittelst unserer Sinne« (Psychol.3, S. 55. vgl. GUTBERLET, Psychol.2, 1890). - v. KIRCHMANN erklärt: »Alle Wahrnehmungsvorstellungen haben miteinander gemein, daß sie 1) ihren Inhalt als einen seienden setzen, 2) daß sie das Seiende außerhalb der Wahrnehmung setzen, 3) daß sie den Inhalt der Wahrnehmung als gegeben und nicht von der wahrnehmenden Seele erzeugt annehmen und 4) daß sie diesen Inhalt als einen einzigen setzen, in dem die Unterschiede erst als das Spätere hervortreten« (Kat. d. Philos.3, S. 21. vgl. Lehre vom Wissen4, S. 10, 68).

WOLFF bestimmt die Wahrnehmung als »ein unmittelbares, d.h. ohne Schluß und sonstige Denktätigkeit vermitteltes Innewerden oder Wissen unser selbst und der Dinge um uns« (Üb. d. Zusammenh. uns. Vorstell. mit Dingen S. IV). Dabei funktioniert die Seele wie ein Spiegel, durch den die Dinge nicht modifiziert werden (l. c. S. V). Wahrnehmen ist »Wissen eines Gegenständlichen, wobei das Wissen seine eigene Natur gleichsam verhüllt« (l. c. S. X). Es ist »Übergang eines realen Seins in ein Wissen« (l. c. S. XV). Auf der Wahrnehmung beruht alles Wissen (l. c. S. 110). Nach UPHUES ist die Empfindung die Auffassung der Sinneseindrücke als Bewußtseinsinhalte, die Wahrnehmung hingegen »unmittelbare (nicht durch Schluß vermittelte) Auflassung eines gegenwärtigen... Objekts«. Die sinnlichen Qualitäten bilden den Gegenstand der äußeren Wahrnehmung. »In jedem Wahrnehmungsakt tritt das Objekt als verschieden und unabhängig vom Wahrnehmungsakt auf« (Wahrn. u. Empfind. S. V, 3, 9, 14, 25 ff.). Später bestimmt Uphues die Wahrnehmung als »die Vergegenwärtigung eines Transzendente, d.h. dessen, was nicht Bewußtseinsvorgang ist, in ursprünglichen Empfindungen«. Sie ist »Gegenstandsbewußtsein«, ist auf ein Transzendentes gerichtet, das nicht in der Wahrnehmung selbst enthalten ist (Psychol. d. Erk. I, 157, 162. vgl. Objekt. Gegenstandsbewußtsein ist in das Urteil verlegt). Ähnlich lehrt H. SCHWARZ (Vgl Wahrnehmungsprobl. 13. 370 ff.. s. Objekt). - Nach BRENTANO ist die Wahrnehmung intentional (s. d.) auf ein Objekt (s. d.) gerichtet. sie enthält schon ein Anerkennen, ein Urteil. Nach HÖFFDING enthält die Wahrnehmung schon eine das Gegebene gesetzmäßig verarbeitende Bewußtseinstätigkeit (Psychol. S. 179). ZIEHEN bestimmt: »Die Empfindung ist gewissermaßen das brach liegende Rohmaterial, die Wahrnehmung dasselbe, aber in Verarbeitung begriffene Material« (Leitfad. d. physiol. Psychol.2, 63. 17). »Empfindungen, denen die Aufmerksamkeit zugewandt wird, bezeichnen wir als Wahrnehmungen« (l. c. S. 170). Nach LIPPS ist Wahrnehmen nicht eine Tätigkeit, die Objekte zu etwas macht, was sie nicht waren. »Wir verwandeln doch nicht reale Objekte in ideelle, außerhalb der Wahrnehmung existierende Gegenstände in Wahrnehmungsbilder, sondern erzeugen letztere, welche wir wahrnehmen, vorstellen, empfinden« (Grundtats. d. Seelenleb. S. 21). Nach J. BERGMANN hat die äußere Wahrnehmung die innere zur Voraussetzung, denn sie ist »Bewußtsein des Empfundenen als Empfundenen«. »Umgekehrt werden wir uns keiner Empfindung bewußt, ohne ihren Inhalt, das Empfundene, auszuscheiden und zu objektivieren« (Grundl. ein. Theor. d. Bewußts. S. 7). Das Wahrnehmen ist mehr als Empfinden und Anschauen, Wir setzen wahrnehmend substantielle, wirkungsfähige Dinge. Das äußere Wahrnehmen ist ein Denken, ein Meinen, weil es etwas als seiend setzt, unter den Wahrheitsbegriff fällt (Vorles. üb. Met. S. 109 ff., 121). HUSSERL erklärt: »Die Wahrnehmungsvorstellung kommt einfach dadurch zustande, daß die erlebte Empfindungskomplexion von einem gewissen Artcharakter, einem gewissen Auffassen, Meinen beseelt ist« (Log. Unters. II, 75. vgl. S. 616 ff.. 705). Nach REHMKE ist die Wahrnehmung Empfindung und Raumbewußtsein zugleich (Allgem. Psychol. S. 166 ff.). Nach PREYER wird die Empfindung zur Wahrnehmung dadurch, »daß die unmittelbar eindringende Empfindung vom beginnenden Intellekt in Raum und Zeit eingeordnet wird« (Seele d. Kind. S. 227). Nach RIEHL ist die Wahrnehmung »eine räumlich und zeitlich begrenzte Mehrheit von Empfindungen« (Philos. Krit. II 1, 187). Im Wahrnehmen ist das Subjekt abhängig vom Objekte (l. c. S. 188). Das Objekt ist in der Wahrnehmung enthalten (l. c. S. 196). Die Wahrnehmung schließt schon ein primitives Urteil ein (l. c. S. 199). - Nach SCHUBERT- SOLDERN ist die Wahrnehmung die »Aufnahme eines gegenwärtigen neuen Inhaltes in einen alten schon verflossenen« (Gr. ein. Erk. S. 338). Keine Wahrnehmung ohne Reproduktion und umgekehrt (l. c. S. 337). - Nach M. KEIBEL sind es die »Beziehungen zum eigenen Leibe, zum Ablauf der Vorstellungen, zum Gefühl und Begehren«, die einen Inhalt als Wahrnehmung charakterisieren (Wert und Urspr. d. philos. Transzend. S. 5. vgl. J. BAUMANN, Philos. als Orient. S. 233 f.). R. AVENARIUS bestimmt: »Alle Elemente oder Charaktere, welche als ›Sachen‹ gesetzt sind, sind zugleich des weiteren als ›Wahrgenommenes‹ charakterisiert« (Krit. d. rein. Erfahr. II, 78 f.. vgl. Objekt).


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