§ 3. Ständische Lage
Ständische Lage soll heißen eine typisch wirksam in Anspruch genommene positive oder negative Privilegierung in der sozialen Schätzung, begründet auf:
a) Lebensführungsart, – daher
b) formale Erziehungsweise, und zwar
α. empirische oder:
β. rationale Lehre, und den Besitz der entsprechenden Lebensformen;
c) Abstammungsprestige oder Berufsprestige. Praktisch drückt sich ständische Lage aus vor allem in:
α. connubium,
β. Kommensalität, – eventuell
γ. oft: monopolistischer Appropriation von privilegierten Erwerbschancen oder Perhorreszierung bestimmter Erwerbsarten,
δ. ständischen Konventionen (»Traditionen«) anderer Art.
Ständische Lage kann auf Klassenlage bestimmter oder mehrdeutiger Art ruhen. Aber sie ist nicht durch sie allein bestimmt: Geldbesitz und Unternehmerlage sind nicht schon an sich ständische Qualifikationen, – obwohl sie dazu führen können –, Vermögenslosigkeit nicht schon an sich ständische Disqualifikation, obwohl sie dazu führen kann. Andererseits kann ständische Lage eine Klassenlage mit- oder selbst allein bedingen, ohne doch mit ihr identisch zu sein. Die Klassenlage eines Offiziers, Beamten, Studenten, bestimmt durch sein Vermögen, kann ungemein verschieden sein, ohne die ständische Lage zu differenzieren, da die Art der durch Erziehung geschaffenen Lebensführung in den ständisch entscheidenden Punkten die gleiche ist.
»Stand« soll eine Vielheit von Menschen heißen, die innerhalb eines Verbandes wirksam
a) eine ständische Sonderschätzung, – eventuell also auch
b) ständische Sondermonopole in Anspruch nehmen.
Stände können entstehen
a) primär, durch eigene ständische Lebensführung, darunter insbesondere durch die Art des Berufs (Lebensführungs- bzw. Berufsstände),
b) sekundär, erbcharismatisch, durch erfolgreiche Prestigeansprüche kraft ständischer Abstammung (Geburtsstände),
c) durch ständische Appropriation von politischen oder hierokratischen Herrengewalten als Monopole (politische bzw. hierokratische Stände).
Die geburtsständische Entwicklung ist regelmäßig eine Form der (erblichen) Appropriation von Privilegien an einen Verband oder an qualifizierte Einzelne. Jede feste Appropriation von Chancen, insbesondere [von] Herren [gewalten oder Erwerbs] chancen, neigt dazu, zur Ständebildung zu führen. Jede Ständebildung neigt dazu, zur monopolistischen Appropriation von Herrengewalten und Erwerbschancen zu führen.
Während Erwerbsklassen auf dem Boden der marktorientierten Wirtschaft wachsen, entstehen und bestehen Stände vorzugsweise auf dem Boden der monopolistisch leiturgischen oder der feudalen oder der ständisch patrimonialen Bedarfsdeckung von Verbänden. »Ständisch« soll eine Gesellschaft heißen, wenn die soziale Gliederung vorzugsweise nach Ständen, »klassenmäßig«, wenn sie vorzugsweise nach Klassen geschieht. Dem »Stand« steht von den »Klassen« die »soziale « Klasse am nächsten, die »Erwerbsklasse« am fernsten. Stände werden oft ihrem Schwerpunkt nach durch Besitzklassen gebildet.
Jede ständische Gesellschaft ist konventional, durch Regeln der Lebensführung, geordnet, schafft daher ökonomisch irrationale Konsumbedingungen und hindert auf diese Art durch monopolistische Appropriationen und durch Ausschaltung der freien Verfügung über die eigene Erwerbsfähigkeit die freie Marktbildung. Davon gesondert.