Ich - Herbart, Mill, Spencer, Lipps
Aus der Summation oder der Wechselwirkung von Vorstellungen, Empfindungen (und Gefühlen) entspringt das Ich nach verschiedenen Philosophen. HERBART findet im Begriff des einfachen, reinen Ich als Subjekt-Objekt einen »Widerspruch«, indem das Ich als vorstellend sein Vorstellen u.s.w. »unendliche Reihen« mit sich führt (Psychol. als Wiss. I, § 27; Lehrb. zur Psychol.3, S. 142). Das Ich als einfacher »Träger« einer Vielheit von Zuständen ist ein »Unwesen« (Hauptpunkte d. Metaphys. S. 74). Das Ich setzt sich nur im »Zusammen« mit anderen Wesen (l.c. S. 76). Es ist »ein Mittelpunkt wechselnder Vorstellungen« (Met. II, 403), eine »Komplexion« (Lehrb. zur Psychol.3, S. 140). »Bei jedem Menschen erzeugt sich das Ich vielfach in verschiedenen Vorstellungsmassen« (l.c. S. 141). Das Ich liegt in den jeweilig apperzipierenden Vorstellungsmassen. Es ist »ein Punkt, der nur insofern vorgestellt wird und werden kann, als unzählige Reihen auf ihn, als ihr gemeinsames Vorausgesetztes, zurückweisen« (Psychol. als Wiss. II, § 132). Im Sinne Herbarts bestimmt G. A. LINDNER das reine Ich als den idealen Vereinigungspunkt aller nicht nach außen projicierten Vorstellungen, durch den eine allgemeine Bezogenheit aller Vorstellungen aufeinander hergestellt wird (Lehrb. d. empir. Psychol.9, S. 14l). »Das von allen einzelnen Bestimmungen des Seelenlebens abhängige und mit ihnen sich beständig verändernde Ich heißt das historische oder empirische Ich des Menschen.« Es ist streng genommen »eine stetige Aufeinanderfolge ineinander übergehender Iche« (l.c. S. 143). BENEKE betrachtet das Ich als Resultat einer Verschmelzung von Vorstellungen (Pragmat. Psychol. II, § 37; Lehrb. d. Psychol.3, § 151). - Nach J. ST. MILL ist das Ich nur die Summe succedierender Erlebnisse, es besteht in der »permanent possibility of feeling« (Examin.). Nach H. SPENCER resultiert das Ich aus der Wechselwirkung gleichzeitiger Vorstellungsgruppen (Psychol. § 219). Nach CZOLBE ist das Ich ein Summationsprodukt von Vorstellungen (Entsteh. d. Selbstbew. S. 11). - DROBISCH bemerkt: »Die Kontinuität der Reihe der einzelnen zeitlich unterschiedenen empirischen Iche ist das, was in der psychischen Erfahrung dem bleibenden reinen Ich der Spekulation entspricht« (Empir. Psychol. S. 146). VOLKMANN betont: »Das Ich ist nichts als ein psychisches Phänomen, d.h. die Vorstellung des Ich ist nicht die Vorstellung eines Wesens - denn dieses ist die Seele - oder einer Zusammensetzung von Wesen, sondern lediglich das Bewußtsein einer Wechselwirkung innerhalb eines unübersehbaren Vorstellungskomplexes« (Lehrb. d. Psychol. II4, 170). Zunächst ist das Ich »der empfindende und begehrende Leib«, dann »das Bewußtsein des vorstellenden und begehrenden Innern«, endlich die »Vorstellung des denkenden und wollenden Subjektes« (l.c. S. 162, 164, 167). - Nach LIPPS »scheiden wir mit zunehmender Erfahrung, was ursprünglich eine ungetrennte Einheit bildet, den Inhalt der Welt und den Inhalt unserer Persönlichkeit, oder kürzer die Welt und das Ich« (Grundt. d. Seelenleb. S. 408). »Wir können die Inhalte unseres freien Vorstellens als die erste Zone um den eigentlichen Kern des Ich, das wollende und vorstellende Ich als das Ich der ersten Zone bezeichnen. Unser Körper bildet dann die zweite Zone. Als dritte Zone können wir dann die Welt der Dinge außer uns bezeichnen« (l.c. S. 443). Nach RIBOT ist das Ich ein Komplex coordinierter Bewußtseinselemente, in deren jeweiligem Zusammenhange die Einheit des Ichbewußtseins besteht (Mal. de la Personnal.3, p. 169; Mal. de la Volonté p. 87, 120, 169, 176; Psychol. d. Sentim. II, C. 5). Nach J. DUBOC ist das Ich »das Bewußtseinscentrum des jeweiligen inneren Mischungsverhältnisses des Individuums« (Die Lust S. 2). Nach EBBINGHAUS ist das Ich ein reichhaltiger Komplex, die reiche Gesamtheit aller Empfindungen, (Gedanken, Wünsche etc. eines Individuums, ein »System«, keine Substanz (Gr. d. Psychol. I, S. 11, 15 ff.). Nach E. MACH besteht die scheinbare Beständigkeit des Ich »nur in der Kontinuität, in der langsamen Änderung« (Anal. d. Empfind.4, S. 3). »Das Ich ist nicht scharf abgegrenzt, die Grenze ist ziemlich unbestimmt und willkürlich verschiebbar« (l.c. S. 10). Zwischen Ich und Welt besteht kein absoluter Gegensatz (l.c. S. 11) Das Ich ist nur eine ideelle, denkökonomische Einheit von praktischer Bedeutung (l.c. S. 18). »Nicht das Ich ist das Primäre, sondern die Elemente (Empfindungen). Die Elemente bilden das Ich. Ich empfinde Grün, will sagen, daß das Element ›Grün‹ in einem gewissen Komplex von anderen Elementen (Empfindungen, Erinnerungen) vorkommt« (l.c. S. 19). »Aus den Empfindungen baut sich das Subjekt auf welches dann allerdings wieder auf die Empfindungen reagiert« (l.c. S. 21). Das Ich ist »nur eine praktische Einheit« (l.c. S. 23), »eine stärker zusammenhängende Gruppe von Elementen, welche mit anderen Gruppen dieser Art schwächer zusammenhängt« (ib.). Nach Ostwald besteht die Einheit des Ich nur in der Stetigkeit seiner Änderungen (Vorles. üb. Naturphilos. S. 411). Das Ich besteht in unseren »Erinnerungen und in dem Apparat, sie zu benutzen« (l.c. S. 410). CLIFFORD bemerkt: »Das Gefühl der Persönlichkeit ist... ein gewisses Gefühl des Zusammenhanges zwischen verblaßten Bildern vergangener Empfindungen; die Persönlichkeit selbst besteht in der Tatsache, daß derartige Verbindungen vorhanden sind, in der dem Flusse der Empfindungen zukommenden Eigentümlichkeit, daß Teile derselben aus Banden bestehen, die schwache Reproduktionen vorhergegangener Teile miteinander verbinden. Sie ist somit etwas Relatives, eine Art von Verknüpftheit gewisser Elemente und eine Eigenschaft des so erzeugten Komplexes. Dieser Komplex ist das Bewußtsein« (Von d. Nat. d. Ding. an sich S. 39). Nach H. CORNELIUS gehören alle Inhalte, die wir unserer Persönlichkeit oder unserem Ich zurechnen, dem »Zusammenhang unseres Bewußtseins« an. Die Identität des Ich ist nicht Schein, weil es immer denselben Zusammenhang bedeutet, der durch ein eigenes Gefühl charakterisiert ist. Durch psychische Prozesse bilden sich Begriffe »konstanter Faktoren unserer Persönlichkeit«, dauernder Dispositionen (Einleit. in d. Philos. S. 300; vgl. S. 326). Nach STRINDBERG ist das Ich »eine Mannigfaltigkeit von Reflexen, ein Komplex von Trieben (Begierden)« (Vergang. c. Toren I, S. 235). R. WAHLE erklärt: »Unter ›Ich‹ versteht man Fühlen, Urteilen, Willenskraft etc. So oft nun solche Gattungen von Vorkommnissen in verschiedenartigster Weise auftreten, hat man ein ›Ich‹«. Dieses Ich ist nichts Substantielles, Selbständiges (Das Ganze d. Philos. S. 72 ff.). - PREYER betont, das Ich sei nicht einheitlich, nicht unteilbar, nicht ununterbrochen. »Im Wachsein ist es stets nur da, wo die zentro-sensorischen Erregungen gerade am stärksten hervortreten, das heißt, wo die Aufmerksamkeit angespannt ist.« Das Ich ist nicht Summe, sondern Vereinigung (Seele d. Kind. S. 392). Das »Rinden-Ich« ist ein anderes als das »Rückenmark- Ich« (l.c. S. 390). Nach KROELL ist das Ich »nicht eine ureigne Kraft, sondern immer nur, wie das Bewußtsein überhaupt, ein vorübergehender und während des ganzen Lebens sich stets erneuernder Inhalt der ›Bahnen mit bewußten Erscheinungsformen‹«,. Der Mensch wird erst zum Subjekt durch seine geistige Entwicklung (Die Seele S. 56).