Idee - Platon, Sokrates, Demokrit


Als Form, Gestalt kommt idea vor bei ANAXAGORAS, DEMOKRIT, der die Atome (s. d.) als ideai = schêmata bezeichnet, auch bei den Pythagoreern (Sext. Empir. Pyrrh. hypot. III, 18). Den Megarikern (?) wird die Ansicht zugeschrieben, das wahre Sein bestehe in unkörperlichen »eidê«(noêta atta kai asômata eidê biazomenoi tên alêthinên ousian einai (Plat., Sophist. 246 B). - Schon SOKRATES betont die Allgemeinheit und objektive Wesenheit des Begriffes. PLATO nimmt diesen (und den Eleatischen Gedanken des zeitlosen Seins) auf, um das beständige Werden der Dinge (im Sinne des HERAKLIT und des PROTAGORAS) auf feste Seinseinheiten zu gründen (vgl. ARISTOTELES, Met. I 6, 987 a 29 squ.; XIII 4, 1078b 30). So entsteht der Begriff der »Idee«, welcher das als selbständige, reale Wesenheit geschaute und gedachte Einheitlich-Typische einer Gattung von Dingen bezeichnet. Nur das Seiende kann erkannt werden, was also wahrhaft als Erkenntnis sich gibt, das ist in einem Sein gegründet. Kein echter Begriff ohne Seinsgrundlage (mê onti mên agnoian ex anankês apedomen, onti de gnôsin, ep. V, 478 C). Das Konkret-Allgemeine, Anschaulich-Abstrakte, das ewig Gleiche an einer Klasse von Objekten, die Norm, an der sie gleichsam gemessen werden, das Apriorische (s. d.) in unseren Werturteilen ist die »Idee« (vgl. Phaedo 102), aber zugleich ist diese eine unabhängig vom Erkennen bestehende, wirksame, unkörperliche, raum- und zeitlose Wesenheit. Die »Idee« ist der (hypostasierte) Inhalt des Gattungsbegriffes, sie beruht auf einer Vermengung ästhetischer und erkenntnistheoretischer mit mythischen und metaphysischen Bestimmungen. Die Idee soll jedenfalls nicht bloß ein subjektiver Begriff (logos) sein, sondern an und für sich und wesenhaft (auto kath' hauto meth' hautou) sein (Sympos. 211 B). Die Ideen sind »getrennt« (chôris) von den sinnlichen Dingen, sie sind in einer übersinnlichen Sphäre (en ouraniô topô). Sie sind die Ur- und Musterbilder aller Dinge, paradeigmata, die Dinge nur ihre Schattenbilder, Erscheinungen, »Nachahmungen« (mimêseis), indem sie an ihnen, den Ideen, »teilhaben« (methexis). Die Ideen sind den Dingen »gegenwärtig« (parousia), die Dinge sind in »Gemeinschaft« (koinôniamit ihnen (Phaedo 100 D): Ta men eidê tauta hôsper paradeigmata hestanai en tê physei, ta de alla toutoin eoikenai kai einai homoiômata; kai hê methexis hautê tois allois gignesthai tôn eidôn ouk allê tis ê eikasthênai autois ) (Parmen. 132 D); tên de methexin tounoma monon metebalen. hoi men gar Pythagoreioi mimêsei ta onta phasin einai tôn arithmôn, Platôn de methexei (Arist., Met. I 6, 987 b 9 squ.). Die Ideen sind ewig seiend, unveränderlich, unvergänglich, sinnlich unwahrnehmbar, nur intelligibel (sie sind nooumena; tas d' au ideas noeisthai men, horasthai d' ou Republ. VI, 507 B; pantapasin einai kath' hauta tauta anaisthêua hyph' hêmôn eidê, nooumena monon, Tim. 51 D; kata tauta eidos echon, agennêton kai anôlethron... aoraton de kai allôs anaisthêton, touto ho dê noêsis eilêchen episkopei l.c. 52 A; hê gar achrômatos te kai aschêmatistos kai anaphês ousia ontôs ousa psychês kybernêtê monô theatê nô Phaedr. 247 C). Von allem, was begrifflich bestimmt werden kann, gibt es Ideen, von Natur- und Kunstobjekten, von guten und schlechten, schönen und häßlichen Dingen: eidos gar pou ti hen hekaston eiôthamen tithesthai peri hekasta ta polla hois tauton onoma epipheromen (Rep. 596 A; vgl. Parmen. 130, Theset. 186 A; dagegen Ideen nur von Naturobjekten nach Aristot., Met. I 6, 987 b 9 squ.). Den Ideen wird auch Wirksamkeit, Leben, Vernunft zugeschrieben (Theaet. 248, Phaed., Phileb.; vgl. Aristot., Met. I 9, 991b 3). Untereinander stehen die Ideen im Verhältnis der Subordination u.s.w., also in einem den logischen Verhältnissen der Begriffe analogen Zusammenhange. Alle sind sie der höchsten Idee, der Idee des Guten (s. d.), unterworfen, welche die Zweckursache (hou heneka, Phileb. 54 C), der letzte Seins- und Erkenntnisgrund ist (Republ. VI, 508 E), als Gottheit (s. d.) alles leitet und regelt. Später bestimmt Plato die Ideen als (Ideal -) Zahlen (s. d.), die aus dem hen als peras und dem apeiron (s. d.) entstanden sind. Das Pythagoreische Element, das der Ideenlehre schon von Anfang an immanent ist, kommt so für sich zur Geltung. - Bezüglich der Ideenlehre bestehen verschiedene Auffassungen: 1) Die Platonischen Ideen sind selbständige Wesenheiten außer den Dingen (ARISTOTELES u. a.). So sind nach BENDER die Ideen »ideale Wesenheiten, welche hinter, über und außer den Dingen ein selbständiges Leben führen« (Metaph. und Myth. S. 154), schöpferische Mächte, die an und für sich existieren (ib.). ÜBERWEG-HEINZE erklärt: »Die Platonische Idee..., ursprünglich logisch gedacht, ist das reine urbildliche Wesen, an welchem die miteinander unter den nämlichen Begriff fallenden oder einander gleichartigen Dinge teilhaben. Sie ist in ästhetischem und ethischem Betracht das in seiner Art Vollkommene, hinter welchem die gegebene Wirklichkeit stets zurückbleibt. In logischem und ontologischem Betracht aber ist die Idee das reale Objekt des Begriffs... Die Idee geht auf das Allgemeine; aber sie wird von Plato wie ein raum- und zeitloses Urbild der Individuen vorgestellt.« »Die Verselbständigung der Ideen scheint bei Plato allmählich eine immer vollere geworden zu sein« (Gr. d. Gesch. d. Philos. I9, 183 f.). - 2) Die Ideen sind in den Dingen, diesen immanent, aber Wesenheiten: TEICHMÜLLER (Stud. S. 137). Nach J. E. ERDMANN ist die Idee »das gemeinschaftliche Wesen und wahre Sein der unter ihr befaßten Einzelwesen« (Grundr. I, 99). - 3) Die Ideen sind grundlegende, normative Gedanken, allgemeingültige Setzungen in der Form von Begriffen oder Urteilen, apriorische Erkenntnisfaktoren. Schon LOTZE bemerkt: »Nichts sonst wollte Plato lehren als... die Geltung von Wahrheiten, abgesehen davon, ob sie an irgend einem Gegenstande der Außenwelt, als dessen Art zu sein, sich bestätigen; die ewig sich selbst gleich bleibende Bedeutung der Ideen« (Log.2, S. 513). Nach H. COHEN sind die Platonischen Ideen nicht metaphysische Wesenheiten, sondern »Grundlegungen« (hypotheseis) zum Aufbau der Objektenwelt (Log. S. 268; vgl. Zeitschr. f. Völkerpsychol. IV, 403 ff.). So auch P. NATORP: Methoden und nicht Dinge sind die Ideen, »Denkeinheiten, reine Setzungen des Denkens und nicht äußere, wenn auch übersinnliche ›Gegenstände‹« (Platos Ideenlehre S. 73, 215), sie sind »Grundlagen zur Erforschung der Phänomene. Diese ›haben teil‹ an ihnen, d.h. sie sind, wenn nicht darzustellen, doch zu denken als stufenmäßige Entwicklungen der Verfahrungsweisen, welche die Ideen bedeuten. Die Idee sagt das Ziel, den unendlich fernen Punkt, der die Richtung des Weges der Erfahrung bestimmt; denn sie sagt das Gesetz ihres Verfahrens« (l.c. S. 215 f.). Vgl. WILLMANN, Gesch. d. Idealism. III, 209), AUFFARTH, Die platon. Ideenlehre 1883, LUTOSTAWSKI, The Origin and Growth of Platons Logic.


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