Energie - Gesetz der Konstanz der Energie


Das Gesetz der Konstanz der Energie hat seine Vorläufer in dem Gesetz der Erhaltung der Materie (Bewegung) und der Kraft. ARISTOTELES spricht von einer Erhaltung des Ganzen bei Veränderung der Teile (oite aei ta auta merê diamenei, oute gês oute thalattês, alla monon ho pas onkos, Meteor. II 3 358 b 29). TELESIUS schreibt der Materie einen Erhaltungstrieb zu, vermöge dessen die Masse unverändert bleibt (vgl. LASSWITZ, Gesch. d. Atom I, 331). Nach DESCARTES bleibt die Bewegungsgröße (m v) konstant (s. Bewegung). HUYGHENS lehrt in mathematischer Weise die Erhaltung der lebendigen Kraft im Universum (Horolog. oscillatorium IV, hyp. I, II). So auch LEIBNIZ: »... il se conserve non seulement la même quantité de la force mouvante, mais encore la même quantité de direction vers quel coté qu'on le prenne dans le monde« (Erdm. p. 133; vgl. p. 108, 429 f., 520, 645, 702, 711, 723) und D'ALEMBERT (Traité de dynam. 1743, p. 109). KANT erklärt: »Quantitas realitatis absolutae in mundo naturaliter non mutatur, nec augescendo nec decrescendo« (Cogn. phil. nov. diluc. sct. II, prop. X).

Wissenschaftlich exakt begründet wird das Gesetz der Konstanz der Energie (Kraft) von JOULE, R. MAYER, HELMHOLTZ. Nach R. MAYER gibt es »nur eine Kraft. Im ewigen Wechsel kreist dieselbe in der toten wie in der lebenden Natur«. Die Kraft ist »unzerstörlich«. Eine Äquivalenz in den Wechselwirkungen der Kräfte besteht (Bemerkung. üb. die Kräfte der unbelebten Natur, in Liebigs Annalen der Chemie 1842; Die organ. Bewegung... 1845; vgl. Sigwart-Festschrift S. 159 ff.). Nach HELMHOLTZ kann lebendige Kraft eine ebenso große Menge Arbeit wiedererzeugen, wie die, aus der sie entstanden war (Vorträge u. Red. I4, S. 33 f.). Das Energieprinzip besagt, daß »das Naturganze einen Vorrat wirkungsfähiger Kraft besitzt, welcher in keiner Weise weder vermehrt noch vermindert werden kann, daß also die Quantität der wirkungsfähigen Kraft in der unorganischen Natur ebenso ewig und unveränderlich ist, wie die Quantität der Materie« (l.c. S. 41). Die Quantität der Gesamtkraft in der Natur ist unveränderlich (l.c. S. 152). »Alle Veränderung in der Natur besteht darin, daß die Arbeitskraft ihre Form und ihren Ort wechselt, ohne daß ihre Quantität verändert wird. Das Weltall besitzt einfürallemal einen Schatz von Arbeitskraft, der durch keinen Wechsel der Erscheinungen verändert, vermehrt oder vermindert werden kann und der alle in ihm vorgehende Veränderung unterhält« (l.c. S. 187; vgl. I, 227, 380 ff.). Ähnlich O. LIEBMANN (Anal. d. Wirkl.2, S. 384 f.).

FECHNER betont: »Nicht die Größe der eben vorhandenen lebendigen Kraft, aber die Größe der vorhandenen lebendigen Kraft zusammen mit der... potentiellen Kraft« ist für die Welt eine konstante Größe (Elem. d. Psychophys. 1889, I, 32). H. SPENCER verlegt die »persistence of force« in das Absolute selbst (First Principl. § 58 ff.). RIEHL hält das Energieprinzip für eine »unmittelbare Konsequenz des Kausalitätsprincips«, welche eine Denkforderung und zugleich durch Erfahrung bewiesen ist (Phil. Krit. II 1, 259, 263). STALLO führt das Äquivalenzprinzip auf den Satz: Aus nichts wird nichts zurück (Die Begr. u. Theor. d. mod. Phys. S. 3S; vgl. dagegen KROMANN, Unsere Naturerk. S. 296, 303, 316; ff.; SIGWART, Log. II2, S. 531, 633 f.; P. VOLKMANN, Erkenntnistheor. Grundz. d. Naturwiss. S. 48, 150, 168; E. v. HARTMANN, Weltansch. d. mod. Phys. S. 13; L. BUSSE, Geist u. Körper S. 451 ff.). Nach K. LASSWITZ ist Energie »eine Realität im Raume und unterscheidet dadurch die Natur als das Gebiet des notwendigen Geschehens von dem geistigen Gebiete, das wir erleben« (Wirkl. S. 113). Im Seelischen gibt es keine Energie (ib.). Die Konstanz der Energie der Welt setzt die Geschlossenheit der Natur voraus (l.c. S. 104; vgl. S. 111). Über das Energieprinzip finden sich Bemerkungen bei DUBOISREYMOND (7 Welträtsel 1891, S. 94), PAULSEN (Einl. in d. Philos. S. 90), KÜLPE (Einl. in d. Philos. S. 133), ADICKES (Kant contra Haeckel, S. 32 f.), HÖFFDING (Psychol. S. 69). EBBINGHAUS erklärt: »Bei allen Umwandlungen der körperlichen Dinge ineinander und bei allem Wechsel des Geschehens an ihnen bleibt stets ein Faktor in seinem Gesamtwerte unverändert, an dem sie alle in wechselndem Maße Anteil haben, nämlich ihre Fähigkeit (unter geeigneten Umständen) mechanische Arbeit zu verrichten« (Grdz. d. Psychol. I, S. 29 f.). STUMPF sieht im Energieprinzip ein »Gesetz der Transformation«; »wenn kinetische Energie (lebendige Kraft in sichtbarer Bewegung) in andere Kraftformen umgewandelt und diese schließlich in kinetische Energie zurückverwandelt werden, so kommt der nämliche Betrag zum Vorschein, der ausgegeben wurde« (Leib u. Seele S. 24). Das Energieprinzip läßt eine psychophysische Wechselwirkung (s. d.) zu (l.c. S. 33). MACH erklärt: »Schätzt man jede physikalische Zustandsänderung, nach der mechanischen Arbeit, welche beim Verschwinden derselben geleistet werden kann, so kann man alle physikalischen Zustandsänderungen, so verschiedenartig dieselben sein mögen, mit demselben gemeinsamen Maß messen und sagen: Die Summe aller Energien bleibt konstant« (Populärwiss. Vorles. S. 182 f., 156). Das Energieprinzip hat keine unbedingte Gültigkeit, es gilt nur für jene Fälle, in welchen die Prozesse wieder rückgängig gemacht werden können (Wärmelehre2, S. 345 f.; vgl. Die Gesch. u. die Wurzel des Satzes der Erhalt. d. Arbeit 1872). Nach OSTWALD besagt das Gesetz der Energie, »daß es in der Natur eine gewisse Größe von immaterieller Beschaffenheit gibt, die heb allen zwischen den betrachteten Objekten stattfindenden Vorgängen ihrem Wert beibehält, während ihre Erscheinungsform auf das vielfältigste wechselt« ( Energet.2, S. 10). Alle Umwandlungen der Arbeit lassen ihren Betrag unverändert (Vorles. üb. Naturphilos.2, S. 155; vgl. S. 159, 247). Energie ist »Arbeit, oder alles, was aus Arbeit entsteht und sich in Arbeit umwandeln läßt« (l.c. S. 158). Die Energie ist die »allgemeinste Substanz« des Geschehens (l. e. S. 146, 152 f., 280), aus Energien besteht die sog. »Materie« (s. d.) (Überwind. d. Mater. S. 2S). Masse ist Kapazität für Bewegungsenergie, Raumerfüllung ist Volumenergie. Die Energie bedarf keines Trägers, ist selbst das Wirkliche. »Alles, was wir von der Außenwelt wissen, können wir in der Gestalt von Aussagen über vorhandene Energien darstellen« (l.c. S. 103). Auch das Psychische (s. d.) kann als eine Energieform aufgefaßt werden. Qualitative Energetiker sind auch NACH und HELM. Dagegen betont WUNDT die Notwendigkeit der mechanistischen Naturauffassung. Das Energieprinzip ist schon eine Folge der einfachen mechanischen Prinzipien. Die Energetik trägt ferner dem »Postulat der Anschaulichkeit« keine Rechnung (Syst. d. Philos.2, S. 484 ff.). Das Energieprinzip schließt ein das Konstanz-, Äquivalenz-, und Entropieprincip. Konstant ist nur die Gesamtenergie. Der Satz von der Erhaltung der Energie ist zunächst ein a priori angenommenes Prinzip. »Seine Geltung für die Erfahrung hat aber dieses Prinzip nur bewahren können, weil sich alle Beobachtungen mit demselben in Übreinstimmung bringen lassen« (Log. I2, 621 ff., II2 1, 302 ff., 453 ff.; Syst. d. Philos.2, S. 481 ff.; Phil. Stud. XIII, 375). Das Äquivalenzprinzip kann auf das psychische Geschehen nicht angewandt werden. Hier besteht ein Gesetz des Wachstums der Werte, ein »Prinzip des Wachstums geistiger Energie«. Psychische Energie ist die »Größe eines psychischen Wertes im Hinblick auf die ihm zukommende geistige Wirkungsfähigkeit« (Phil. Stud. X, 116); »psychische Energiegröße« ist »die qualitative Wirkungsfähigkeit in der Erzeugung von Wertgraden« (Gr. d. Psychol.5, S. 396). Die Zunahme der psychischen Energie bildet die Kehrseite der physischen Konstanz. Sie »gilt nur unter der Voraussetzung der Kontinuität der psychischen Vorgänge. Als ihr in der Erfahrung unzweifelhaft sich aufdrängendes psychologisches Korrelat steht ihr darum die Tatsache des Verschwindens psychischer Werte gegenüber« (ib.). Das Konstanzprinzip der Naturwissenschaft erstreckt sich nur auf quantitative Beziehungen, abstrahiert vom Qualitativen, so daß kein Widerspruch zwischen diesem und dem Wachstumsprinzip besteht. Die subjektiven Werte können zunehmen, ohne daß die Massen und Energien des physischen Organismus ihre Konstanz einbüßen (Syst. d. Philos.2, S. 304, 307; Log. II2, S. 275 f.; Phil. Stud. X, 116; Eth.2, S. 464). LAZARUS erklärt, in der Seele bleibe alles erhalten, nicht bloß der Zusammenhang, die Resultante einer geistigen Verbindung, auch die Elemente, im Unterschiede von den physischen Prozessen (Leb. d. Seele II2, 392 f.). Gegen das Wachstumsprinzip sind die Anhänger einer assoziativen Parallelismuslehre, auch MÜNSTERBERG will das Konstanzprinzip auf das Psychische angewandt haben. JODL erkennt nur ein Wachstum der psychisch-physischen Leistungsfähigkeit des Organismus an, der infolge der Reaktionen auf verschiedene Reize sich stetig verändert (Lehrb. d. Psychol. S. 88). ZIEHEN versteht unter Energie der Vorstellung die Stärke derselben (Leitfad. d. phys. Psychol.2, S. 122). - Gegen die »Energetik« im Sinne Ostwalds erklärt sich A. RIEHL, welcher bemerkt: »Es muß als irreführend bezeichnet werden, wenn von der Energie als einer einzigen Größe neben Raum und Zeit geredet wird, da jede Energieform sich vielmehr als das Produkt zweier Größen darstellt: eines Kapazitäts- und eines Intensitätsfaktors, die beide reelle Größen sind. Kapazität bedeutet Aufnahmefähigkeit für Energie und ist sicher von dieser begrifflich verschieden, wenn auch sachlich mit ihr verbunden. In den Kapazitäten aber, der Masse z.B. bei der kinetischen Energie, steckt der empirische Begriff der Materie, und statt diesen Begriff wirklich eliminieren zu können, hat die Energetik ihn nur anders benannt« (Zur Einf. in d. Philos. S. 148). Gegner der »qualitativen Energetik« ist auch E. v. HARTMANN, der an der mechanistischen Energetik (im Sinne von CLAUSIUS, THOMSON, MAXWELL, BOLTZMANN u. a.) festhält (Weltansch. d. mod. Phys. S. 76 ff., 190 ff.). Die Energie ist nichts Ursprüngliches, darf nicht hypostasiert werden (l.c. S. 195 ff.). L. BUSSE hält das Problem für unentschieden (Geist u. Körper S. 416). Das Energieprinzip enthält: 1) das » Äquivalenzprinzip«, es besagt, »daß bei allen Umwandlungen der körperlichen Dinge ineinander ein Faktor, die Energie, d.h. wieder die Fähigkeit, unter Umständen mechanische Arbeit zu verrichten, sich gleich bleibt, d.h. daß für jede Energie, die irgendwo zur Erzeugung eines Zustandes aufgewandt, verbraucht wird, anderswo ein gleich großes Quantum dergleichen oder einer andern Energieform auftritt«; 2) das »Konstanzprinzip«; es besagt, »daß die Gesamtenergie, über, welche das physische Weltall verfügt, sich stets gleich bleibt, also keiner Vermehrung und keiner Verminderung fähig ist« (l.c. S. 405 ff.). Das Äquivalenzprinzip bildet kein Hindernis für die Annahme einer psychophysischen Wechselwirkung, wohl aber das Konstanzprinzip (l.c. S. 407, 417 ff.), aber letzteres ist nur ein Dogma, eine petitio principii (l.c. S. 460 ff.). Mit dem Konstanzprinzip halten dagegen die Wechselwirkungstheorie (s. d.) für vereinbar: VON GROT (Arch. f. system. Philos. IV 257 f.), KÜLPE (Einl. in d. Philos.2, S. 144 f.), OSTWALD (Vorles. üb. Naturphilos. S. 373, 377 f., 396), STUMPF, REHMKE (Allg. Psychol. S. 110 ff.), ERHARDT (Die Wechselw. S. 85, 94), WENTSCHER (Über phys. u. psych. Kausal. S. 113, Eth. I, 291 ff.), E. v. HARTMANN (Mod. Psychol. S. 415), H. SCHWARZ (Psychol. d. Will. S. 375 f.), auch HÖFLER (Psychol. S. 59), JERUSALEM (Einl. in d. Philos. S. 91). Manche bezweifeln noch die Geltung des Energieprinzips für die Organismen, z.B. LADD (Phil. of Mind S. 354 f.). Aus dem universalen Konstanzprinzip folgert NIETZSCHE die »ewige Wiederkunft« (s. Apokatastasis) der Dinge. Nach H. CORNELIUS sagt das Energieprincip, »daß die in einem gegebenen System vorhandene Arbeitsmenge unverändert bleibt, solange das System nicht Arbeitsmengen nach außen abgibt oder von außen aufnimmt« (Einl. in d. Philos. S. 110). Ferner geht mit allen Änderungen in der Natur eine »Zerstreuung der Energie« Hand in Hand; keine Änderung kann jemals vollständig rückgängig gemacht werden (l.c. S. 112). REINKE erklärt: »Insofern eine Kraft die Trägheit eines Körpers überwindet, wird sie zur Energie, denn sie leistet dabei mechanische Arbeit« (Einl. in d. theoret. Biol. S. 144). Die Energien sind »wechselnde Formen einer zahlenmäßig auszudrückenden Grunderscheinung« (ib.). Die Energien in den Organismen werden von Kräften, »Dominanten« (s. d.) gerichtet, gelenkt, transformiert, reguliert (l.c. S. 169 ff.; vgl. LOTZE, Mikrok. I, 81). Vgl. Materie, Kraft, Parallelismus, Wechselwirkung, Gefühl, Spiel.


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