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Zur Wiederkehr von Hofmannsthals Todestag1

Sich nicht nachbilden, nicht übernehmen zu lassen, gehört, wenn nicht zum Wesen des Vornehmen überhaupt, ganz bestimmt und im höchsten Grade zu dem, welches Hofmannsthal in so vielen Modulationen seines Wesens und seiner Geschöpfe von der frühen bis zur reifen Zeit ausprägte. Es ist nun ein Jahr her, daß die Einsicht in dieses Unnachahmliche quälend, wohl nicht allein seinen Freunden, sich aufdrängte, als der Tod dieses Mannes mit einem Schlage tat, was der Lebende gewiß stets vermieden hätte, nämlich die Unbeholfenheit der Schreibenden bloßstellte, die nun, da sie Hofmannsthal wollten »Gerechtigkeit widerfahren lassen«, glaubten, auf keine andere Weise das tun zu können, als indem sie seine Haltung und seine Sprache zu imitieren versuchten: und dabei traten sie beiden zu nahe. Aber ist es nun überhaupt möglich, das, was Hofmannsthal gab, in einer anderen Sprache anzudeuten, als in der er sprach? Anzudeuten, gewiß nicht; auszudeuten, bestimmt. Doch um es auszudeuten, hätte man daran glauben müssen. Und gerade da fehlte es. Man war ungläubig, hatte es hier und da vielleicht auch aus triftigen Gründen sein können, war es aber zumeist aus den billigsten: man verstand nicht. Es versagte aber nicht nur das Publikum, das in Hofmannsthals Schaffen eigensinnig sich an das Weltläufige, Amüsante hielt und abrückte, als die großen Arbeiten anthologischer, repräsentativer Art kamen, die seinem Programm der »Schöpferischen Restauration« dienten; es verleugnete ihn genau so sein frühester Gefährtenkreis, und wie hart und blind man unter Stefan Georges Freunden und Schülern gegen den »Abtrünnigen« sein konnte, hat noch zuletzt Wolters in seinem Buch »Stefan George und die Blätter für die Kunst« in einem sehr viel fragwürdigeren Sinne öffentlich gemacht, als jemals Hofmannsthal seine esoterischsten Schöpfungen. Der grenzenlosen Entfremdung, die um sein Grab war, scheint nun in dieser Sammlung »Loris, die Prosa des jungen Hofmannsthal« der Genius des Toten weniger entgegenzutreten, als leidend sich zu entrücken. Nirgends ist er verletzbarer, nirgends aber auch unverwundbarer an den Tag getreten, und indem er sich wehrlos dem Übelwollen seiner Zeitgenossen ergibt, trifft ihn nicht ein einziges ihrer Geschosse. Das ist Loris, weniger aus dem Gesichtspunkt seines ersten Erscheinens, als seiner heutigen Wiederkunft angesehen. Wenn eine Gestalt durch erlittenes Unrecht schön werden kann, dann ist es die Hofmannsthals, und gerade dieser Schönheit Züge begegnen, dem kommenden Schicksale vorgeformt, schon in dem Stück, das man diesem Bande mit Recht voranstellte – den vorher ungedruckten »Stadien«. Sie stammen aus dem Anfang der neunziger Jahre; erstaunlich, wie tief hier der Abstand vom Erlebten in das Erleben selber eingebettet ist. Ähnlich in fast allen wichtigen Essays dieser selbstbeschauenden Reihe, die doch nirgends ins Reflexive und Analytische fallen. So nahe können das Mesquine und das Vornehme beieinanderliegen: die Nachgiebigkeit, das Weniger an Haltung, die Hofmannsthal hier bei Amiel so schroff herausstellt, sind bei ihm selber Siegel des Fürstlichen. Bisweilen haben ihm wohl die Freunde Georges nichts mehr verdacht als gerade dies Fürstliche, das von ihrer imperatorischen Haltung so äußerst verschieden ist. Einige Stücke über Pater und die Schwestern Barrison deuten an, daß er in jener frühesten Zeit seine liebsten Bilder in englischem Kostüm bei sich empfing. Auch hat er Schöneres, Unverderblicheres nie geschrieben, als die kleine Studie über die Schwestern Barrison, »Englischer Stil«. – Wer dieser Loris gewesen ist, wird der Leser des Buches wohl fühlen, erfassen wird es der Kritiker aber minder aus der Betrachtung dieses Bandes, denn aus dem ganzen Werk selbst. Darum ist Max Mell so ganz auf dem richtigen Wege, wenn er in seinem Nachwort, um das Bild des Loris zu fassen, eine der dunkelsten Stellen im späten Werk Hofmannsthals anzieht und an die künftigen Kinder erinnert, denen der Kaiser der »Frau ohne Schatten« in der Höhle begegnet. Wenn auch dieses Nachwort noch nicht das Letzte über Loris sagt, so kann ein Vorwort, wie diese wenigen Zeilen es sind, nur eben auf seinen Schatten weisen, der keinen Platz braucht, um seines Weges zu ziehen.



  1. Loris. Die Prosa des jungen Hofmannsthal. Mit einem Nachwort von Max Mell. Berlin: S. Fischer Verlag 1930. 284 S.