Geschichte der Chartistenbewegung


Der Chartismus war allerdings von seinem Anfange 1835 an hauptsächlich eine Bewegung unter den Arbeitern, aber noch nicht scharf von der radikalen kleinen Bourgeoisie getrennt. Der Arbeiterradikalismus ging Hand in Hand mit dem Radikalismus der Bourgeoisie; die Charte war das Schibboleth beider, sie hatten ihre "Nationalkonvente" jedes Jahr zusammen, es schien eine Partei zu sein. Die kleine Bourgeoisie war damals gerade infolge der Enttäuschung über die Resultate der Reformbill und wegen der schlechten Geschäftsjahre 1837 bis 1839 sehr kriegerisch und mordlustig gestimmt, sie ließ sich also die heftige Chartistenagitation sehr gut gefallen. Von der Heftigkeit dieser Agitation hat man in Deutschland keine Vorstellung. Das Volk wurde aufgefordert, sich zu bewaffnen, oft auch geradezu, sich zu empören; man fabrizierte Piken, wie früher zur Zeit der französischen Revolution, und 1838 war unter andern ein gewisser Stephens, ein methodistischer Geistlicher, in Bewegung, der dem versammelten Volke von Manchester sagte:

"Ihr braucht euch nicht zu fürchten vor der Macht der Regierung. vor den Soldaten, Bajonetten und Kanonen, die euren Unterdrückern zu Gebote stehen; ihr habt ein Mittel, das ist viel mächtiger als alles das, eine Waffe, gegen welche Bajonette und Kanonen nichts ausrichten; und ein zehnjährig Kind kann diese Waffe schwingen - ihr braucht bloß ein paar Zündhölzchen zu nehmen und ein Bündel Stroh, das in Pech getränkt ist, und ich will sehen, was die Regierung und ihre Hunderttausende von Soldaten gegen diese eine Waffe ausrichten, wenn sie kühn gebraucht wird."5)

Zu gleicher Zeit aber zeigte sich schon jetzt der eigentümliche, soziale Charakter des Arbeiter-Chartismus. Derselbe Stephens sagte in einer Versammlung von 200 000 Menschen auf Kersall Moor, dem erwähnten Mons sacer von Manchester:

"Der Chartismus, meine Freunde, ist keine politische Frage, wobei es sich darum handelt, daß ihr das Wahlrecht bekommt usw.; sondern der Chartismus, das ist eine Messer- und Gabel-Frage, die Charte, das heißt gute Wohnung, gutes Essen und Trinken, gutes Auskommen und kurze Arbeitszeit."

 

________________

5) Wir haben gesehen, wie die Arbeiter sich dies zu Herzen nahmen.


 © textlog.de 2004 • 22.11.2024 18:32:42 •
Seite zuletzt aktualisiert: 10.10.2005 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright