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Karl Marx  
(1818-1883)


Marx, Karl, geb. 5. Mai 1818 in Trier, studierte Jurisprudenz, Nationalökonomie, Philosophie, promovierte 1841 in Berlin, begründete 1843 mit A. Rüge in Paris die »Deutsch-französischen Jahrbücher«, ging nach Belgien, wo er ausgewiesen wurde, dann wieder nach Frankreich, wo ihm dasselbe widerfuhr, lebte dann in London, gest. 14. März 1883 daselbst.

Marx, der Begründer des »wissenschaftlichen« Sozialismus (gegenüber den »ideologischen« Utopien älterer Lehren) ist von Hegels Begriff des dialektischen Prozesses, von L. Feuerbachs Radikalismus und Positivismus, sowie von französischen Denkern beeinflußt. Der Hegelsche Gedanke, daß alles Sein ein »Prozeß« ist, eine dialektische Selbstbewegung, ist ihm sympathisch. Nur hat Hegel die Dinge auf den Kopf gestellt, indem er alles aus Ideen ableitet. Die richtige Methode ist, die naturnotwendige, gesetzliche Entwicklung der Dinge und Verhältnisse selbst zu untersuchen und den realen treibenden Kräften der historisch-sozialen Entwicklung, die in den Köpfen der Handelnden zu Motiven werden, nachzugehen. Wenn diese »materialistische« Geschichtsauffassung, die gleich zur »ökonomischen« wird, alle Geschichte, alles Geistesleben, alle Kultur aus dem Wirken natürlicher Mächte ableitet, so darf nicht vergessen werden, daß Marx zu diesen Mächten auch die menschlichen Kräfte und Strebungen rechnet, welche innerhalb des Ablaufes der Ereignisse auch eine dynamisch-aktive Rolle spielen, so wenig sie imstande sind, den (aus der Natur dieser und anderer Kräfte notwendig resultierenden) Lauf der Dinge abzuändern. Zwar nicht der Wille, aber alle Willkür ist hier ausgeschaltet.

Ohne ihren Willen gehen die Menschen soziale Verhältnisse ein, welche zugleich ökonomische Verhältnisse sind, indem die Gesellschaft eine ökonomische Struktur besitzt, in die wir hineingeboren werden. Die technisch bedingten Produktionsverhältnisse bilden nun die »reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen«. »Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.« »Mit der Erwerbung neuer Produktionskräfte verändern die Menschen ihre Produktionsweise, und mit der Veränderung der Produktionsweise, der Art. ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, verändern sie alle ihre gesellschaftlichen Verhältnisse.« Die ökonomischen Faktoren sind also die letzten und eigentlich wirksamen Agentien der Geschichte, die anderen, »ideologischen« Gebilde (Religion usw.), wirken auch mit, ja sie wirken sogar auf die wirtschaftlichen Verhältnisse zurück, aber sie wirken nicht primär, sondern nur als Reflexe, Abhängige des Ökonomischen und des von diesem bedingten Sozialen (z. B, der Klassenverhältnisse). Die Entwicklung der Gesellschaft vollzieht sich nun so, daß der ökonomische Untergrund, der sich verändert hat, mit dein überlebten juristischen und ideologischen Oberbau in Widerspruch gerät, der zu einer sozialen Veränderung führt, wobei es zu Klassenkämpfen kommt. Der Widerspruch zwischen der sozialisierten, kollektiven Produktionsweise des Großbetriebes und der individualistischen, »anarchischen« Rechts- und Eigentumsordnung, die das Kapital in den Händen weniger Kapitalsmagnaten anhäuft und immer mehr Proletarier schafft, dieser Widerspruch sprengt endlich die kapitalistische Hülle, welche die Produktion fesselt. Die »Expropriateure«, die »Ausbeuter« des »Mehrwertes« (= unbezahlte Arbeitszeit), den die Arbeiter schaffen, werden jetzt selbst expropriiert, das Eigentum an Produktionsmitteln wird kollektiv, die Gesellschaft wird sozialistisch, der nur dem Klasseninteresse dienende Staat hört auf und es herrscht jetzt die Vereinigung produktiver Menschen. Diese Gesellschaftsordnung kommt »von selbst«, d.h. infolge der historisch-sozialen Triebkräfte; sie kommt, wenn die Verhältnisse es fordern, höchstens können wir die Entwicklung beschleunigen.

Den Marxismus vertreten (außer Marxs Mitarbeiter Fr. Engels) Kautsky, Bebel, F. Mehring, Bernstein (Revisionist), Cunow, C. Schmidt, M. Adler, O. Bauer, Woltmann (zum Teil), Lafargue (Schwiegersohn Marxs), Labriola, Plechanow, Loria, Kelle-Krausz u. a.

 

 

Schriften: Die heilige Familie (mit F. Engels), 1845 (gegen Bruno Bauer). - Misère de la philosophie, 1847; deutsch 1855, 3. A. 1895. - Manifest der kommunistischen Partei, 1847. - Zur Kritik der politischen Ökonomie, 1859: 2. A. 1907. - Das Kapital, I. Bd., 1867, 4. A. 1892; II. Bd, 1885, 2. A. 1893; III. Bd., 1894; 3 Bde., 2. - 5. A., 1903 f. - Theorie über den Mehrwert, 1905. - F. Mehring, Aus dem literarischen Nachlaß von K. Marx, F. Engels und F. Lassalle, 1902. - Vgl. P. BARTH, Die Geschichtsphilosophie Hegels und der Hegelianer bis auf Marx und Hartmann, 1890. - KAUTSKY, K. Marxs ökonomische Lehren, 1887. - L. WERYHO, Marx als Philosoph, 1894. - PLECHANOW, Beitrage zur Geschichte des Materialismus, 1896. - A. v. WENCK-STERN, Marx, 1896. - L. WOLTMANN, Der historische Materialismus, 1899. - MASARYK, Die philosophischen und soziologischen Grundlagen des Marxismus, 1899. - OTTOMAR LORENZ, Die materialistische Geschichtsauffassung, 1897. - WEISENGRÜN, Das Ende des Marxismus, 2. A. 1900. - MAX ADLER, Marx als Denker, 1908. - HAMMACHER, Das philosophisch-ökonomische System des Marxismus, 1909. - CHARASOFF, Das System des Marxismus, 1910. - GOLD-SCHEID (s. d.). - VORLÄNDER, Kant u. Marx, 1911.


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(Aus: Rudolf Eisler (1876-1927): Philosophen-Lexikon. Leben, Werke und Lehren der Denker, 1912)


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