Eigentümliche Krankheiten
Die Kinder und jungen Leute, welche mit dem Schleppen der Kohlen und des Eisensteins beschäftigt sind, klagen allgemein über große Müdigkeit. Selbst in den am rücksichtslosesten betriebenen industriellen Etablissements finden wir eine so allgemeine und so sehr aufs äußerste getriebene Abspannung nicht. Der ganze Bericht liefert dazu auf jeder Seite eine Reihe von Beispielen. Es kommt jeden Augenblick vor, daß die Kinder, sowie sie nach Hause kommen, sich auf den steinernen Fußboden vor dem Herde werfen und sogleich einschlafen, daß sie keinen Bissen Nahrung mehr zu sich nehmen können und im Schlaf von den Eltern gewaschen und zu Bette gebracht werden müssen, ja daß sie unterwegs sich vor Müdigkeit hinwerfen und tief in der Nacht von ihren Eltern dort aufgesucht und schlafend gefunden werden. Allgemein scheint es zu sein, daß diese Kinder den größten Teil des Sonntags im Bette zubringen, um sich einigermaßen von der Anstrengung der Woche zu erholen; Kirche und Schule werden nur von wenigen besucht, und bei diesen klagen die Lehrer über große Schläfrigkeit und Abstumpfung bei aller Lernbegierde. Bei den älteren Mädchen und Frauen findet dasselbe statt. Sie werden auf die brutalste Weise überarbeitet. - Diese Müdigkeit, die fast immer bis zu einem höchst schmerzhaften Grade gesteigert wird, verfehlt ihre Wirkungen auf die Konstitution nicht. Die nächste Folge einer solchen übermäßigen Anstrengung ist, daß alle Lebenskraft zur einseitigen Ausbildung der Muskeln verbraucht wird, so daß besonders die Muskeln der Arme und Beine, des Rückens, der Schultern und der Brust, die bei dem Schleppen und Schieben hauptsächlich in Tätigkeit gesetzt werden, eine außerordentlich üppige Entwicklung erhalten, während der ganze übrige Körper Mangel an Nahrung leidet und verkrüppelt. Vor allen Dingen bleibt der Wuchs klein und zurückgehalten; fast alle Grubenarbeiter sind kurz von Körperbau, mit Ausnahme derer von Warwickshire und Leicestershire, die unter besonders günstigen Verhältnissen arbeiten. Dann wird die Pubertät sowohl bei Knaben wie Mädchen zurückgehalten, bei ersteren oft bis zum 18. Jahre; dem Kommissär Symons kam sogar ein neunzehnjähriger Knabe vor, der, mit Ausnahme der Zähne, in keinem Teile weiterentwickelt war als ein Knabe von 11 bis 12 Jahren. Diese Verlängerung der Kindheitsepoche ist im Grunde auch weiter nichts als ein Beweis gehemmter Entwicklung und verfehlt nicht, im späteren Alter ihre Früchte zu tragen. Verkrümmung der Beine, eingebogene Knie und auswärts gebogene Füße, Verkrümmung des Rückgrats und andere Mißbildungen stellen sich unter diesen Umständen und bei so geschwächten Konstitutionen infolge der fast immer gezwungenen Körperstellung bei der Arbeit um so leichter ein und sind so häufig, daß sowohl in Yorkshire und Lancashire wie in Northumberland und Durham von vielen, selbst Ärzten behauptet wird, man könne einen Grubenarbeiter unter hundert andern Leuten schon an seiner Körperbildung kennen. Besonders die Weiber scheinen sehr von der Arbeit zu leiden und sind selten, wenn überhaupt jemals, so gerade wie andere Weiber. Daß Mißbildungen des Beckens und infolgedessen schwere, ja tödliche Geburten ebenfalls aus der Arbeit der Weiber in den Gruben entstehen, wird auch hier bezeugt. Außer diesen lokalen Verkrüppelungen haben die Grubenarbeiter aber noch an einer Reihe von speziellen Krankheiten zu leiden, die ziemlich mit denen der übrigen Bergleute zusammenfallen und leicht aus der Art der Arbeit zu erklären sind. Der Unterleib leidet vor allem; der Appetit verliert sich, Magenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen treten in den meisten Fällen ein, dazu heftiger Durst, der nur mit dem schmutzigen, oft lauen Wasser des Bergwerks gelöscht werden kann; die Verdauungstätigkeit wird gehemmt und dadurch die übrigen Krankheiten gefördert. Krankheiten des Herzens, besonders Hypertrophie, Entzündung des Herzens und des Pericardium, Kontraktion der Aurikulo-ventrikular-Kommunikationen und des Eingangs der Aorta, werden ebenfalls von mehreren Seiten als häufige Übel der Grubenarbeiter angegeben und leicht durch Überarbeitung erklärt. Desgleichen die fast allgemeinen Bruchschäden, die ebenfalls die direkte Folge von übermäßiger Muskelanstrengung sind. Teils aus derselben Ursache, teils aus der - hier so leicht zu vermeidenden - schlechten, mit Kohlensäure und Kohlenwasserstoffgas gemischten, staubgefüllten Atmosphäre der Gruben entstehen eine Menge schmerzhafter und gefährlicher Lungenkrankheiten, besonders Asthma, das in einigen Distrikten mit dem 40., in andern schon mit dem 30. Lebensjahre bei den meisten Grubenarbeitern zum Vorschein kommt und sie in kurzer Zeit arbeitsunfähig macht. Bei denjenigen, die in nassen Stollen zu arbeiten haben, tritt die Beklemmung auf der Brust natürlich schon viel früher ein; in einigen Gegenden Schottlands zwischen dem 20. und 30. Jahre, während welcher Zeit die angegriffenen Lungen außerdem für Entzündungen und fieberhafte Affektionen sehr empfänglich sind. Eine eigentümliche Krankheit dieser Art Arbeiter ist das Schwarzspeien (black spittle), das aus einer Durchdringung der ganzen Lunge mit feiner Kohle entsteht und sich in allgemeiner Schwäche, Kopfschmerzen, Brustbeklemmung und schwarzer, dickschleimiger Expektoration äußert. In einigen Gegenden erscheint dies Übel in milder Form, in andern dagegen erscheint es ganz unheilbar, besonders in Schottland; hier zeigt sich außer einer Steigerung der erwähnten Symptome ein sehr kurzer, pfeifender Atem, schneller Puls (über 100 in einer Minute), abgebrochener Husten; die Abmagerung und Schwäche nimmt zu und macht den Patienten bald arbeitsunfähig. In allen Fällen führt dies Übel hier den Tod nach sich. Dr. MacKellar in Pencaithland, East Lothian, sagt aus, daß in allen den Gruben, welche gut ventiliert seien, diese Krankheit gar nicht vorkomme, während oft genug Arbeiter, die aus gut ventilierten in schlecht ventilierte Gruben übergingen, von ihr ergriffen würden. Die Gewinnsucht der Grubenbesitzer, die die Anlegung von Ventilationsschachten unterläßt, ist also schuld daran, daß diese Krankheit überhaupt existiert. Rheumatismus ist ebenfalls, mit Ausnahme von Warwickshire und Leicestershire, ein allgemeines Übel der Grubenarbeiter, das besonders aus den häufigen nassen Arbeitslokalen entsteht. - Das Resultat aller dieser Krankheiten ist, daß in allen Distrikten ohne Ausnahme die Grubenarbeiter früh altern und nach dem 40. Jahre bald - es ist verschieden nach den verschiedenen Distrikten - arbeitsunfähig werden; Daß ein Grubenarbeiter nach dem 45. oder gar 50. Lebensjahre seine Beschäftigung noch verfolgen kann, kommt äußerst selten vor. Mit 40 Jahren, wird allgemein angegeben, fängt ein solcher Arbeiter an, in sein Greisenalter zu treten. Dies gilt von denen, die die Kohlen loshauen; die Auflader, die fortwährend schwere Blöcke Kohlen in die Kufen zu heben haben, altern schon mit dem 28. oder 30. Jahre, so daß es ein Sprüchwort in den Kohlendistrikten gibt: Die Auflader werden alte Männer, ehe sie junge sind. Daß dies frühe Altern der Grubenarbeiter auch einen frühen Tod herbeiführt, versteht sich von selbst, und so ist denn auch ein Sechziger eine große Seltenheit unter ihnen; ja selbst in Süd-Staffordshire, wo die Gruben verhältnismäßig gesund sind, erreichen nur wenige das 51. Jahr. - Bei diesem frühen Altern der Arbeiter finden wir denn auch ganz natürlich, wie bei den Fabriken, häufige Arbeitslosigkeit der Eltern, die von ihren oft noch sehr jungen Kindern ernährt werden. - Fassen wir nun die Resultate der Arbeit in Kohlengruben nochmals kurz zusammen, so finden wir, um mit Dr. Southwood Smith, einem der Kommissäre, zu reden - daß einerseits durch Verlängerung der Kindheitsperiode, andererseits durch frühes Altern diejenige Lebensepoche, in der der Mensch im vollen Besitze seiner Kräfte ist, das Mannesalter, um ein bedeutendes verkürzt und die Lebensdauer überhaupt durch einen frühen Tod verringert wird. Auch das ins Debet der Bourgeoisie!