VI. Vermischte Einfälle
Weise erdenken die neuen Gedanken, und Narren verbreiten sie.
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Neben dem Denker ein prosaischer Mensch, der ruhig sein Geschäft treibt – neben jeder Krippe, worin ein Heiland, eine welterlösende Idee, den Tag erblickt, steht auch ein Ochse, der ruhig frißt.
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Kadmus bringt die phönizische Buchstabenschrift, die Schriftkunst, nach Griechenland – diese sind die Drachenzähne, die er gesäet; die avozierten geharnischten Männer zerstören sich wechselseitig.
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Es gibt hohe Geister, die über alle materielle Herrlichkeit erhaben sind und den Thron nur für einen Stuhl ansehen, der bedeckt mit rotem Sammet – Es gibt niedere Geister, denen alles Ideale unbedeutend dünkt und denen der Pranger nur ein Halsband von Eisen ist. Sie haben keine Scheu vor der eisernen Krawatte, wenn sie nur dadurch ein Publikum um sich versammeln können; diesem imponieren sie durch Frechheit, welche durch die Routine der Schande erlangt worden.
Die Zeit übt einen mildernden Einfluß auf unsere Gesinnung, durch beständige Beschäftigung mit dem Gegensatz. Der Garde munizipal, welcher den Kankan überwacht, findet denselben am Ende gar nicht mehr so unanständig und möchte wohl gar mittanzen. Der Protestant sieht nach langer Polemik mit dem Katholizismus ihn nicht mehr für so greuelhaft an und hörte vielleicht nicht ungern eine Messe.
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Wir begreifen die Ruinen nicht eher, als bis wir selbst Ruinen sind.
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De mortuis nil nisi bene – man soll von den Lebenden nur Böses reden.
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Kourtoisie
Wenn man einen König prügelt, muß man zugleich aus Leibeskräften „Es lebe der König!“ rufen.
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Es gibt Leute, welche den Vogel ganz genau zu kennen glauben, weil sie das Ei gesehen, woraus er hervorgekrochen.
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Der Giftbereiter muß gläserne Handschuh anziehen.
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Ein Talent können wir nach einer einzigen Manifestation anerkennen – für die Anerkennung eines Charakters bedürfen wir aber eines langen Zeitraumes und beständiger Öffentlichkeit. „Vor seinem Tode“, sagt Solon, „ist niemand glücklich zu schätzen“ – und wir dürfen auch sagen: Vor seinem Tode ist niemand als Charakter zu preisen. Herr ist noch jung, und es bleibt ihm Zeit genug zu künftigen Schuftereien – wartet nur einige Jährchen, er tauft sich in der kirche, er wird der Advokat für Schelmenstreiche – vielleicht aber hat er schon die Muße dazu angewendet, und wir kennen nur seine Taten nicht wegen seiner obskuren Weltstellung.
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Wie kommt es, daß der Reichtum seinem Besitzer eher Unglück bringt als Glück, wo nicht gar das furchtbarste Verderben? Die uralten Mythen vom goldenen Vlies und vom Niblungshort sind sehr bedeutungsvoll. Das Gold ist ein Talisman, worin Dämonen hausen, die alle unsre Wünsche erfüllen, aber uns dennoch gram sind ob des knechtischen Gehorsams, womit sie uns dienen müssen, und diesen Zwang tränken sie uns ein durch geheime Tücke, indem sie eben die Erfüllung unserer Wünsche zu unserem Unheil verkehren und uns daraus alle möglichen Nöten bereiten.
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Wie die Theater mehrmals abbrennen müssen, ehe sie als ganz prachtvoll gebaut hervorsteigen, wie in Phönix aus der Asche, so gewisse Bankiers. Jetzt glänzt das Haus **, nachdem es drei bis vier Mal falliert, am glänzendsten. Nach jedem Brande erhob es sich prunkvoller – die Gläubiger waren nicht verassekuriert.
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„Gebe Gott, was Gottes, dem Cäsar, was des Cäsars ist!“ – Aber das gilt nur vom Geben, nicht vom Nehmen.
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Wie vernünftige Menschen oft sehr dumm sind, so sind die Dummen manchmal sehr gescheit.
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Ich las das langweilige Buch, schlief darüber ein, im Schlafe träumte ich, weiter zu lesen, erwachte vor Langeweile, und das dreimal.
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Fräulein ** bemerkt, daß der Anfang der Bücher immer so langweilig, erst in der Mitte amüsiere man sich, man sollte jemand dafür haben, der für uns die Bücher zu lesen anfängt, wie man Stickerinnen dafür bezahlt, daß sie die Teppiche anfangen zu brodieren.
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Die schöne junge ** heiratet den alten A. Der Hunger trieb sie dazu – sie hatte zu wählen zwischen ihm und dem Tod, der noch magerer und noch grauenhafter. A., sei stolz darauf, daß sie deinem Skelett den Vorzug gab.
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Wenn das Laster so großartig, wird es minder empörend. Die Engländerin, die sonst eine Scheu vor nackten Statuen hatte, war beim Anblick eines ungeheuren Herkules minder schockiert: „Bei solchen Dimensionen scheint mir die Sache nicht mehr so unanständig.“
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In Hamburg hat man die Steuern erhöht wegen der Entfestigung und der Promenaden, die sehr schön sind, wie sich denn Hamburg überhaupt gern ein schönes Äußeres geben will, und Promenaden anlegt, damit der, welcher im Innern der Stadt nichts mehr zu essen hat, während der Mittagsstunden eine Promenade um die Stadt machen kann; – auch Bänke zum Lesen, z. B. eines Kochbuchs, und elegische Trauerweiden.
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Philologie in Handelsstädten
Handwerker oder Philologe soll man werden – man wird zu allen Zeiten Hosen brauchen, und es wird immer Schulknaben geben, welche Deklinationen und Konjugationen gebrauchen.
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Die Britinnen tanzen, als wenn sie auf Eseln ritten.
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Die Affen sehen auf die Menschen herab wie auf eine Entartung ihrer Race, so wie die Holländer das Deutsche für verdorbenes Holländisch erklären.
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E. ist mehr ein Freund der Gedanken als der Menschen. Er hat etwas von Abelard – hat er seine Heloise gefunden?
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** gehört zu jenen Engeln, die Jakob im Traume gesehen und die eine Leiter nötig hatten, um vom Himmel auf die Erde herab zu steigen – ihre Flügel sind nicht stark genug.
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Ehe ** Mystiker wurde, war er ein schlichter, verständiger Mensch.
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Wie Mohammed nur ein Kameltreiber war, ehe ihn der Engel zum Propheten erleuchtete, so war ** zwar nicht ein Kameltreiber, aber ein Kamel selbst, ehe ihm das neue Licht gekommen.
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Der Autor hält sich ängstlich in dem Kreis des Kirchenglaubens, er kennt die Schrecknisse, die außerhalb desselben die begabtesten Geister überwältigt. Er gleicht dem Zauberer, der nicht den Kreis zu überschreiten wagt, wo er sich selbstwillig gebannt und sicher ist.
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Man nennt einen zweiten Duprez – man wird bald Herrn Duprez einen zweiten nennen, so schlecht singt er schon.
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Ob sie tugendhaft war, weiß ich nicht; aber sie war immer häßlich, und Häßlichkeit bei einem Weibe ist schon der halbe Weg zur Tugend.
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Im Dorfe war ein Ochs, der so alt war, daß er endlich kindisch ward, und als man ihn schlachtete, schmeckte sein Fleisch wie bejahrtes Kalbfleisch.
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Sonne und Mond sind die Fußschemel Gottes, ihm die alternden Füße zu wärmen. Der Himmel ist seine grauwollene Jacke, mit Sternen gestickt.
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Mr. Colombe, entdecken Sie uns noch eine neue Welt!
Mlle. Thais, stecken Sie noch ein Persepolis in Brand!
Mr. Jesus Christ, lassen Sie sich nochmals kreuzigen!
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Gefährlicher Gedanke –
Ich hatte ihn out-side of a stage-coach.
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Da und da hatte ich einen großen Gedanken, hab’ ihn aber vergessen. Was mag es wohl sein? Ich plage mich mit Erraten.
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Der Diamant könnte sich etwas drauf einbilden, wenn ihn ein Dichter mit einem Menschenherzen vergliche.
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Nach der Erzählung einer edlen Tat, der Ausruf: Größer als alle Pyramiden, als der Himalaya, als alle Wälder und Meere, ist das menschliche Herz – es ist herrlicher als die Sonne und der Mond und alle Sterne, strahlender und blühender – es ist unendlich in seiner Liebe, unendlich wie die Gottheit, es ist die Gottheit selbst.