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7. Das transzendentale Problem

Zum wesentlichen Sinn des transzendentalen Problems gehört seine Universalität, in der es die Welt und alle sie erforschenden Wissenschaften in Frage stellt. Es erwächst in einer allgemeinen Umwendung jener „natürlichen Einstellung“, in der wie das gesamte alltägliche Leben so auch die positiven Wissenschaften verbleiben. In ihr ist uns die Welt das selbstverständlich seiende Universum der Realitäten, beständig vorgegeben in fragloser Vorhandenheit. So ist sie das allgemeine Feld unserer praktischen und theoretischen Betätigungen. Sowie das theoretische Interesse diese natürliche Einstellung aufgibt und in einer allgemeinen Blickwendung sich auf das Bewußtseinsleben richtet, in dem die Welt für uns eben „die“ Welt, die für uns vorhandene ist, sind wir in einer neuen Erkenntnislage. Jeder Sinn, den sie für uns hat (dessen werden wir nun inne), ihr unbestimmt allgemeiner wie ihr nach realen Einzelheiten sich bestimmender Sinn, ist in der Innerlichkeit unseres eigenen wahrnehmenden, vorstellenden, denkenden, wertenden Lebens bewußter und sich in unserer subjektiven Genesis bildender Sinn; jede Seinsgeltung ist in uns selbst vollzogen, jede sie begründende Evidenz der Erfahrung und Theorie in uns selbst lebendig und habituell uns immerfort motivierend. Das betrifft die Welt in jeder Bestimmung, auch in der selbstverständlichen, daß, was ihr zugehört, „an und für sich“ ist, wie es ist, ob ich oder wer immer seiner zufällig bewußt wird oder nicht. Ist einmal die Welt in dieser vollen Universalität auf die Bewußtseinssubjektivität bezogen worden, in deren Bewußtseinsleben sie eben als „die“ Welt des jeweiligen Sinnes auftritt, so erhält ihre gesamte Seinsweise eine Dimension der Unverständlichkeit bzw. Fraglichkeit. Dieses „Auftreten“, dieses Für-uns-sein der Welt als der nur subjektiv zur Geltung gekommenen und zur begründeten Evidenz gebrachten und zu bringenden, bedarf der Aufklärung. Das erste Innewerden der Bewußtseinsbezogenheit der Welt in seiner leeren Allgemeinheit gibt kein Verständnis dafür, wie das mannigfaltige, kaum erschaut ins Dunkel zurücksinkende Bewußtseinsleben es zu solchen Leistungen bringt, wie es das sozusagen macht, daß in seiner Immanenz irgend etwas als an sich seiend auftreten kann und nicht nur als Vermeintliches sondern als sich in einstimmiger Erfahrung Ausweisendes. Offenbar überträgt sich das Problem auf jederlei „ideale“ Welten und ihr „An-sich-sein“ (z. B. die der reinen Zahlen oder der „Wahrheiten an sich“). Die Unverständlichkeit greift in besonders empfindlicher Weise unsere Seinsart selbst an. Wir (Einzelne und in Gemeinschaft) sollen es sein, in deren Bewußtseinsleben die reale Welt, die für uns vorhanden ist, als solche Sinn und Geltung gewinnt. Wir als Menschen sollen aber selbst zur Welt gehören. Nach unserem weltlichen Sinn werden wir also wieder auf uns und unser Bewußtseinsleben verwiesen, als worin sich für uns dieser Sinn erst gestaltet. Ist hier und überall ein anderer Weg der Aufklärung denkbar als der, das Bewußtsein selbst und die in ihm bewußt werdende „Welt“ als solche zu befragen, da sie eben als von uns je gemeinte nirgendwoher sonst als in uns Sinn und Geltung gewonnen haben und gewinnen kann?

Machen wir noch einen wichtigen Schritt, der das „transzendentale“ (den bewußtseinsrelativen Seinssinn des „Transzendenten“ betreffende) Problem auf die prinzipielle Stufe erhebt. Er liegt in der Erkenntnis, daß die aufgewiesene Bewußtseinsrelativität nicht nur das Faktum unserer Welt angeht, sondern in eidetischer Notwendigkeit jede erdenkliche Welt überhaupt. Denn variieren wir in freier Phantasie unsere faktische Welt, sie in beliebige erdenkliche Welten überführend, so variieren wir uns, deren Umwelt sie ist, unweigerlich mit, wir wandeln uns je in eine mögliche Subjektivität, deren Umwelt je die erdachte Welt wäre, als Welt ihrer möglichen Erfahrungen, möglichen theoretischen Evidenzen, ihres möglichen praktischen Lebens. Diese Variation läßt freilich die rein idealen Welten der Art, die ihr Sein in der eidetischen Allgemeinheit haben, zu deren Wesen ja die Invarianz gehört, unberührt, aber es zeigt sich doch in der möglichen Variierbarkeit des solche Identitäten erkennenden Subjekts, daß ihre Erkennbarkeit, also ihre intentionale Bezogenheit nicht nur unsere faktische Subjektivität angeht. Mit der eidetischen Fassung des Problems wandelt sich auch die erforderliche Bewußtseinsforschung in eine eidetische.