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9. Die transzendental-phänomenologische Reduktion und der transzendentale Schein der Verdoppelung

„Wir“ sollten also doppelt sein, psychologisch als wir Menschen Vorhandenheiten in der Welt, Subjekte seelischen Lebens und zugleich transzendental als die Subjekte eines transzendentalen weltkonstituierenden Lebens? Diese Doppelheit klärt sich durch evidente Aufweisung. Die seelische Subjektivität, das konkret gefaßte „ich“ und „wir“ der alltäglichen Rede, wird in ihrer reinen psychischen Eigenheit erfahren durch die Methode phänomenologisch-psychologischer Reduktion. In eidetischer Abwandlung schafft sie den Boden für die rein phänomenologische Psychologie. Die transzendentale Subjektivität, auf die im transzendentalen Problem hingefragt und die in ihm als Seinsboden vorausgesetzt ist, ist keine andere als wiederum „ich selbst“ und „wir selbst“, aber nicht als die wir uns in der natürlichen Einstellung des Alltags und der positiven Wissenschaft vorfinden, apperzipiert als Bestandstücke der für uns vorhandenen objektiven Welt: vielmehr als Subjekte des Bewußtseinslebens, in dem sich diese und alle Vorhandenheit — für „uns“ — durch gewisse Apperzeptionen „macht“. Als Menschen, seelisch wie leiblich in der Welt vorhanden, sind wir für „uns“; wir sind Erscheinendes eines sehr mannigfaltigen intentionalen Lebens, „unseres“ Lebens, worin sich also dieses Vorhandene apperzeptiv mit seinem ganzen Sinnesgehalt „für uns“ macht. Das vorhandene (apperzipierte) Ich und Wir setzt ein (apperzipierendes) Ich und Wir voraus, für das es vorhanden ist, das aber nicht selbst wieder im selben Sinn vorhanden ist. Zu dieser transzendentalen Subjektivität haben wir direkten Zugang durch eine transzendentale Erfahrung. Wie schon die seelische Erfahrung zur Reinheit einer reduktiven Methode bedarf, so auch die transzendentale.

Wir wollen hier so vorgehen, daß wir die „transzendentale Reduktion“ einführen als auf gestuft auf die psychologische Reduktion, als eine weitere an dieser jederzeit zu vollziehende Reinigung und abermals mittels einer gewissen Epoche. Diese ist eine bloße Konsequenz der universalen Epoche, welche zum Sinn der transzendentalen Frage gehört. Fordert die transzendentale Relativität jeder möglichen Welt deren universale „Einklammerung“, so fordert sie auch die der reinen Seelen und der auf sie bezogenen rein phänomenologischen Psychologie. Dadurch verwandeln sich diese in transzendentale Phänomene. Während also der Psychologe innerhalb der für ihn natürlich geltenden Welt die vorkommende Subjektivität auf die rein seelische Subjektivität — in der Welt — reduziert, reduziert der transzendentale Phänomenologe durch seine absolut universale Epoche diese psychologisch reine auf die transzendental reine Subjektivität, auf diejenige, welche die Weltapperzeption und darin die objektivierende Apperzeption „Seele animalischer Realitäten“ vollzieht und in sich in Geltung setzt. Z. B. meine jeweiligen reinen Wahrnehmungserlebnisse, Phantasieerlebnisse usw. sind psychologische Gegebenheiten der psychologischen inneren Erfahrung in der Einstellung der Positivität. Sie verwandeln sich in meine transzendentalen Erlebnisse, wenn ich die Welt, mein Menschsein inbegriffen, durch radikale Epoche als bloßes Phänomen setze und nun dem intentionalen Leben nachgehe, worin die gesamte Apperzeption „der“ Welt, im besonderen die Apperzeption meiner Seele, meiner psychologisch realen Wahrnehmungserlebnisse usw. sich gestaltet. Der Gehalt dieser Erlebnisse, ihr Eigenwesentliches bleibt dabei voll erhalten, wenn schon er nun sichtlich ist als Kern einer vordem psychologisch immer wieder betätigten aber nicht in Rechnung gezogenen Apperzeption. Für den Transzendentalphilosophen, der durch einen vorausgehenden universalen Willensentschluß in sich die feste Habitualität der transzendentalen „Einklammerung“ gestiftet hat, ist auch diese in der natürlichen Einstellung nie fehlende Verweltlichung des Bewußtseins ein für allemal unterbunden. Demgemäß ergibt für ihn die konsequente Bewußtseinsreflexion immer wieder transzendental Reines, und zwar anschaulich in der Weise einer neuartigen, der transzendentalen „inneren“ Erfahrung. Aus der methodischen transzendentalen Epoche entsprungen, eröffnet sie das endlose transzendentale Seinsfeld. Es ist die Parallele zum endlosen psychologischen Feld, sowie seine Zugangsmethode die Parallele ist zur rein psychologischen, derjenigen der psychologisch-phänomenologischen Reduktion. Und wieder ebenso ist das transzendentale Ich und die transzendentale Ichgemeinschaft, gefaßt in der vollen Konkretion des transzendentalen Lebens, die transzendentale Parallele zum Ich und Wir im gewöhnlichen und psychologischen Sinn, wieder konkret gefaßt als Seele und Seelengemeinschaft mit dem zugehörigen psychologischen Bewußtseinsleben. Mein transzendentales Ich ist also evident ›verschieden‹ vom natürlichen Ich, aber keineswegs als ein zweites, als ein davon getrenntes im natürlichen Wortsinn, wie umgekehrt auch keineswegs ein in natürlichem Sinne damit verbundenes oder mit ihm verflochtenes. Es ist eben das (in voller Konkretion gefaßte) Feld der transzendentalen Selbsterfahrung, die jederzeit durch bloße Änderung der Einstellung in psychologische Selbsterfahrung zu wandeln ist. In diesem Übergang stellt sich notwendig eine Identität des Ich her; in transzendentaler Reflexion auf ihn wird die psychologische Objektivierung als Selbstobjektivierung des transzendentalen Ich sichtlich, und so findet es sich als wie es in jedem Moment natürlicher Einstellung sich eine Apperzeption auferlegt hat. Ist der Parallelismus der transzendentalen und psychologischen Erfahrungssphären als eine Art Identität des Ineinander des Seinssinnes aus bloßer Einstellungsänderung verständlich geworden, so auch die daraus sich ergebende Folge des gleichen Parallelismus und des im Ineinander implicite Beschlossenseins der transzendentalen und der psychologischen Phänomenologie, deren volles Thema die doppelsinnige reine Intersubjektivität ist. Es ist dabei nur in Rechnung zu ziehen, daß die rein-seelische Intersubjektivität, sowie sie der transzendentalen Epoche unterworfen wird, ebenfalls zu ihrer Parallele, der transzendentalen Intersubjektivität führt. Offenbar besagt der Parallelismus nichts weniger als theoretische Gleichwertigkeit. Die transzendentale Intersubjektivität ist der konkret eigenständige absolute Seinsboden, aus dem alles Transzendente (darunter alles real weltlich Seiende) seinen Seinssinn schöpft als Sein eines in bloß relativem und damit unvollständigem Sinne Seienden, als den einer intentionalen Einheit, die in Wahrheit ist aus transzendentaler Sinngebung, einstimmiger Bewährung und wesensmäßig zugehöriger Habitualität bleibender Überzeugung.