Das siebente Kapitel
Oben traf K. den Lehrer. Das Zimmer war erfreulicherweise kaum wiederzuerkennen, so fleißig war Frieda gewesen. Es war gut gelüftet worden, der Ofen reichlich geheizt, der Fußboden gewaschen, das Bett geordnet, die Sachen der Mägde, dieser hassenswerte Unrat, einschließlich ihrer Bilder, waren verschwunden, der Tisch, der einem früher, wohin man sich auch wendete, mit seiner schmutzüberkrusteten Platte förmlich nachgestarrt hatte, war mit einer weißen, gestrickten Decke überzogen. Nun konnte man schon Gäste empfangen; daß K.s kleiner Wäschevorrat, den Frieda offenbar früh gewaschen hatte, beim Ofen zum Trocknen ausgehängt war, störte wenig. Der Lehrer und Frieda waren bei Tisch gesessen, sie erhoben sich bei K.s Eintritt. Frieda begrüßte K. mit einem Kuß, der Lehrer verbeugte sich ein wenig. K., zerstreut und noch in der Unruhe des Gesprächs mit der Wirtin, begann, sich zu entschuldigen, daß er den Lehrer bisher noch nicht hatte besuchen können; es war so, als nehme er an, der Lehrer hätte, ungeduldig wegen K.s Ausbleiben, nun selbst den Besuch gemacht. Der Lehrer aber, in seiner gemessenen Art, schien sich nun erst selbst langsam zu erinnern, daß einmal zwischen ihm und K. eine Art Besuch verabredet worden war. „Sie sind ja, Herr Landvermesser“, sagte er langsam, „der Fremde, mit dem ich vor ein paar Tagen auf dem Kirchplatz gesprochen habe.“ – „Ja“, sagte K. kurz; was er damals in seiner Verlassenheit geduldet hatte, mußte er hier, in seinem Zimmer, sich nicht gefallen lassen. Er wandte sich an Frieda und beriet sich mit ihr wegen eines wichtigen Besuches, den er sofort zu machen habe und bei dem er möglichst gut angezogen sein müsse. Frieda rief sofort, ohne K. weiter auszufragen, die Gehilfen, die gerade mit der Untersuchung der neuen Tischdecke beschäftigt waren, und befahl ihnen, K.s Kleider und Stiefel, die er gleich auszuziehen begann, unten im Hof sorgfältig zu putzen. Sie selbst nahm ein Hemd von der Schnur und lief in die Küche hinunter, um es zu bügeln.
Jetzt war K. mit dem Lehrer, der wieder still beim Tisch saß, allein; er ließ ihn noch ein wenig warten, zog sich das Hemd aus und begann, sich beim Waschbecken zu waschen. Erst jetzt, den Rücken dem Lehrer zugekehrt, fragte er ihn nach dem Grund seines Kommens. „Ich komme im Auftrag des Herrn Gemeindevorstehers“, sagte er. K. war bereit, den Auftrag zu hören. Da aber K.s Worte in dem Wasserschwall schwer verständlich waren, mußte der Lehrer näher kommen und lehnte sich neben K. an die Wand. K. entschuldigte sein Waschen und seine Unruhe mit der Dringlichkeit des beabsichtigten Besuches. Der Lehrer ging darüber hinweg und sagte: „Sie waren unhöflich gegenüber dem Herrn Gemeindevorsteher, diesem alten, verdienten, vielerfahrenen, ehrwürdigen Mann.“ – „Daß ich unhöflich gewesen wäre, weiß ich nicht“, sagte K., während er sich abtrocknete, „daß ich aber an anderes zu denken hatte als an ein feines Benehmen, ist richtig, denn es handelte sich um meine Existenz, die bedroht ist durch eine schmachvolle amtliche Wirtschaft, deren Einzelheiten ich Ihnen nicht darlegen muß, da Sie selbst ein tätiges Glied dieser Behörde sind. Hat sich der Gemeindevorsteher über mich beklagt?“ – „Wem gegenüber hätte er sich beklagen sollen?“ sagte der Lehrer. „Und selbst, wenn er jemanden hätte, würde er sich denn jemals beklagen? Ich habe nur ein kleines Protokoll nach seinem Diktat über Ihre Besprechung aufgesetzt und daraus über die Güte des Herrn Vorstehers und über die Art Ihrer Antworten genug erfahren.“
Während K. seinen Kamm suchte, den Frieda irgendwo eingeordnet haben mußte, sagte er: „Wie? Ein Protokoll? In meiner Abwesenheit nachträglich aufgesetzt von jemandem, der gar nicht bei der Besprechung war? Das ist nicht übel. Und warum denn ein Protokoll? War es denn eine amtliche Handlung?“ – „Nein“, sagte der Lehrer, „eine halbamtliche, auch das Protokoll ist nur halbamtlich; es wurde nur gemacht, weil bei uns in allem strenge Ordnung sein muß. Jedenfalls liegt es nun vor und dient nicht zu Ihrer Ehre.“ K., der den Kamm, der ins Bett geglitten war, endlich gefunden hatte, sagte ruhiger: „Mag es vorliegen. Sind Sie gekommen, mir das zu melden?“ – „Nein“, sagte der Lehrer, „aber ich bin kein Automat und mußte Ihnen meine Meinung sagen. Mein Auftrag dagegen ist ein weiterer Beweis der Güte des Herrn Vorstehers; ich betone, daß mir diese Güte unbegreiflich ist und daß ich nur unter dem Zwang meiner Stellung und in Verehrung des Herrn Vorstehers den Auftrag ausführe.“ K., gewaschen und gekämmt, saß nun in Erwartung des Hemdes und der Kleider bei Tisch; er war wenig neugierig auf das, was der Lehrer ihm brachte; auch war er beeinflußt von der geringen Meinung, welche die Wirtin vom Vorsteher hatte. „Es ist wohl schon Mittag vorüber?“ fragte er in Gedanken an den Weg, den er vorhatte, dann verbesserte er sich und sagte: „Sie wollten mir etwas vom Vorsteher ausrichten.“ – „Nun ja“, sagte der Lehrer mit einem Achselzucken, als schüttle er jede eigene Verantwortung von sich ab. „Der Herr Vorsteher befürchtet, daß Sie, wenn die Entscheidung Ihrer Angelegenheit zu lange ausbleibt, etwas Unbedachtes auf eigene Faust tun werden. Ich für meinen Teil weiß nicht, warum er das befürchtet; meine Ansicht ist, daß Sie doch am besten tun mögen, was Sie wollen. Wir sind nicht Ihre Schutzengel und haben keine Verpflichtung, Ihnen auf allen Ihren Wegen nachzulaufen. Nun gut. Der Herr Vorsteher ist anderer Meinung. Die Entscheidung selbst, welche Sache der gräflichen Behörden ist, kann er freilich nicht beschleunigen. Wohl aber will er in seinem Wirkungskreis eine vorläufige, wahrhaftig generöse Entscheidung treffen, es liegt nur an Ihnen, sie anzunehmen: Er bietet Ihnen vorläufig die Stelle eines Schuldieners an.“ Darauf, was ihm angeboten wurde, achtete K. zunächst kaum, aber die Tatsache, daß ihm etwas angeboten wurde, schien ihm nicht bedeutungslos. Es deutete daraufhin daß er nach Ansicht des Vorstehers imstande war, um sich zu wehren, Dinge auszuführen, vor denen sich zu schützen für die Gemeinde selbst gewisse Aufwendungen rechtfertigte. Und wie wichtig man die Sache nahm! Der Lehrer, der hier schon eine Zeitlang gewartet und vorher noch das Protokoll aufgesetzt hatte, mußte ja vom Vorsteher geradezu hergejagt worden sein. Als der Lehrer sah, daß er nun doch K. nachdenklich gemacht hatte, fuhr er fort: „Ich machte meine Einwendungen. Ich wies darauf hin, daß bisher kein Schuldiener nötig gewesen sei; die Frau des Kirchendieners räumt von Zeit zu Zeit auf, und Fräulein Gisa, die Lehrerin, beaufsichtigt es. Ich habe Plage genug mit den Kindern, ich will mich nicht auch noch mit einem Schuldiener ärgern. Der Herr Vorsteher entgegnete, daß es aber doch sehr schmutzig in der Schule sei. Ich erwiderte, der Wahrheit gemäß, daß es nicht sehr arg sei. Und, fügte ich hinzu, wird es dann besser werden, wenn wir den Mann als Schuldiener nehmen? Ganz gewiß nicht. Abgesehen davon, daß er von solchen Arbeiten nichts versteht, hat doch das Schulhaus nur zwei große Lehrzimmer ohne Nebenräume, der Schuldiener muß also mit seiner Familie in einem der Lehrzimmer wohnen, schlafen, vielleicht gar kochen, das kann natürlich die Reinlichkeit nicht vergrößern. Aber der Herr Vorsteher verwies darauf, daß diese Stelle für Sie eine Rettung in der Not sei und daß Sie daher sich mit allen Kräften bemühen werden, sie gut auszufüllen; ferner meinte der Herr Vorsteher, gewinnen wir mit Ihnen auch noch die Kräfte Ihrer Frau und Ihrer Gehilfen, so daß nicht nur die Schule, sondern auch der Schulgarten in musterhafter Ordnung wird gehalten werden können. Das alles widerlegte ich mit Leichtigkeit. Schließlich konnte der Herr Vorsteher gar nichts mehr zu Ihren Gunsten vorbringen, lachte und sagte nur, Sie seien doch Landvermesser und würden daher die Beete im Schulgarten besonders schön gerade ziehen können. Nun, gegen Späße gibt es keine Einwände, und so ging ich mit dem Auftrag zu Ihnen.“ „Sie machen sich unnütze Sorgen, Herr Lehrer“, sagte K. „Es fällt mir nicht ein, die Stelle anzunehmen.“ – „Vorzüglich“, sagte der Lehrer, „vorzüglich, ganz ohne Vorbehalt lehnen Sie ab“, und er nahm den Hut, verbeugte sich und ging.
Gleich darauf kam Frieda mit verstörtem Gesicht herauf, das Hemd brachte sie ungebügelt, Fragen beantwortete sie nicht; um sie zu zerstreuen, erzählte ihr K. von dem Lehrer und dem Angebot; kaum hörte sie es, warf sie das Hemd auf das Bett und lief wieder fort. Sie kam bald zurück, aber mit dem Lehrer, der verdrießlich aussah und gar nicht grüßte. Frieda bat ihn um ein wenig Geduld – offenbar hatte sie das auf dem Weg hierher schon einige Male getan —, zog dann K. durch eine Seitentür, von der er gar nicht gewußt hatte, auf den benachbarten Dachboden und erzählte dort schließlich aufgeregt außer Atem, was ihr geschehen war. Die Wirtin, empört darüber, daß sie sich vor K. zu Geständnissen und, was noch ärger war, zur Nachgiebigkeit hinsichtlich einer Unterredung Klamms mit K. erniedrigt und nichts damit erreicht hatte als, wie sie sagte, kalte und überdies unaufrichtige Abweisung, sei entschlossen, K. nicht mehr in ihrem Hause zu dulden; habe er Verbindungen mit dem Schloß, so möge er sie nur schnell ausnutzen, denn noch heute, noch jetzt müsse er das Haus verlassen, und nur auf direkten behördlichen Befehl und Zwang werde sie ihn wieder aufnehmen; doch hoffe sie, daß es nicht dazu kommen werde, denn auch sie habe Verbindungen mit dem Schloß und werde sie geltend zu machen verstehen. Übrigens sei er ja in das Wirtshaus nur infolge der Nachlässigkeit des Wirtes gekommen und sei auch sonst gar nicht in Not, denn noch heute morgen habe er sich eines für ihn bereitstehenden Nachtlagers gerühmt. Frieda natürlich solle bleiben; wenn Frieda mit K. ausziehen sollte, werde sie, die Wirtin, tief unglücklich sein, schon unten in der Küche sei sie bei dem bloßen Gedanken weinend neben dem Herd zusammengesunken, die arme, herzleidende Frau! Aber wie könnte sie anders handeln, jetzt, da es sich, in ihrer Vorstellung wenigstens geradezu um die Ehre von Klamms Andenken handle! So stehe es also mit der Wirtin. Frieda freilich werde ihm, K., folgen, wohin er wolle, in Schnee und Eis, darüber sei natürlich kein weiteres Wort zu verlieren, aber sehr schlimm sei doch ihrer beider Lage jedenfalls, darum habe sie das Angebot des Vorstehers mit großer Freude begrüßt, sei es auch eine für K. nicht passende Stelle, so sei sie doch, das werde ausdrücklich betont, eine nur vorläufige, man gewinne Zeit und werde leicht andere Möglichkeiten finden, selbst wenn die endgültige Entscheidung ungünstig ausfallen sollte. „Im Notfall “, rief schließlich Frieda, schon an K.s Hals, „wandern wir aus, was hält uns hier im Dorf? Vorläufig aber, nicht wahr, Liebster, nehmen wir das Angebot an. Ich habe den Lehrer zurückgebracht, du sagst ihm „Angenommen“ nichts weiter, und wir übersiedeln in die Schule."
„Das ist schlimm“, sagte K., ohne es aber ganz ernsthaft zu meinen, denn die Wohnung kümmerte ihn wenig, auch fror er sehr in seiner Unterwäsche hier auf dem Dachboden, der, auf zwei Seiten ohne Wand und Fenster, scharf von kalter Luft durchzogen wurde, „jetzt hast du das Zimmer so schön hergerichtet, und nun sollen wir ausziehen! Ungern, ungern würde ich die Stelle annehmen, schon die augenblickliche Demütigung vor diesem kleinen Lehrer ist mir peinlich, und nun soll er gar mein Vorgesetzter werden. Wenn man nur noch ein Weilchen hierbleiben könnte, vielleicht ändert sich meine Lage noch heute nachmittags Wenn wenigstens du hier bliebest, könnte man es abwarten und dem Lehrer nur eine unbestimmte Antwort geben. Für mich finde ich immer ein Nachtlager, wenn es sein muß, wirklich bei Bar...“ Frieda verschloß ihm mit der Hand den Mund. „Das nicht“, sagte sie ängstlich, „bitte, sage das nicht wieder. Sonst aber folge ich dir in allem. Wenn du willst, bleibe ich allein hier, so traurig es für mich wäre. Wenn du willst, lehnen wir den Antrag ab, so unrichtig das meiner Meinung nach wäre. Denn sieh, wenn du eine andere Möglichkeit findest, gar noch heute nachmittags nun, so ist es selbstverständlich, daß wir die Stelle in der Schule sofort aufgeben, niemand wird uns daran hindern. Und was die Demütigung vor dem Lehrer betrifft, so laß mich dafür sorgen, daß es keine wird, ich selbst werde mit ihm sprechen, du wirst nur stumm dabeistehen, und auch später wird es nicht anders sein, niemals wirst du, wenn du nicht willst, selbst mit ihm sprechen müssen, ich allein werde in Wirklichkeit seine Untergebene sein, und nicht einmal ich werde es sein, denn ich kenne seine Schwächen. So ist also nichts verloren, wenn wir die Stelle annehmen, vieles aber, wenn wir sie ablehnen; vor allem würdest du wirklich auch nur für dich allein, wenn du nicht noch heute etwas vom Schloß erreichst, nirgends im Dorf ein Nachtlager finden, ein Nachtlager nämlich, für das ich mich als deine künftige Frau nicht schämen müßte. Und wenn du kein Nachtlager bekommst, willst du dann etwa von mir verlangen, daß ich hier im warmen Zimmer schlafe, während ich weiß, daß du draußen in Nacht und Kälte umherirrst?“ K., der die ganze Zeit über, die Arme über der Brust gekreuzt, mit den Händen seinen Rücken schlug, um sich ein wenig zu erwärmen, sagte: „Dann bleibt nichts übrig, als anzunehmen. Komm!“
Im Zimmer eilte er gleich zum Ofen; um den Lehrer kümmerte er sich nicht; dieser saß beim Tisch, zog die Uhr hervor und sagte: „Es ist spät geworden.“ – „Dafür sind wir aber jetzt auch völlig einig, Herr Lehrer“, sagte Frieda. „Wir nehmen die Stelle an.“ „Gut“, sagte der Lehrer, „aber die Stelle ist dem Herrn Landvermesser angeboten. Er selbst muß sich äußern.“ Frieda kam K. zu Hilfe. „Freilich“, sagte sie, „er nimmt die Stelle an, nicht wahr, K.?“ So konnte K. seine Erklärung auf ein einfaches „ja“ beschränken, das nicht einmal an den Lehrer, sondern an Frieda gerichtet war. „Dann“, sagte der Lehrer, „bleibt mir nur noch übrig, Ihnen Ihre Dienstpflichten vorzuhalten, damit wir in dieser Hinsicht ein für allemal einig sind; Sie haben, Herr Landvermesser, täglich beide Schulzimmer zu reinigen und zu heizen, kleinere Reparaturen im Haus, ferner an den Schul- und Turngeräten selbst vorzunehmen, den Weg durch den Garten schneefrei zu halten, Botengänge für mich und das Fräulein Lehrerin zu machen und in der wärmeren Jahreszeit alle Gartenarbeit zu besorgen. Dafür haben Sie das Recht, nach Ihrer Wahl in einem der Schulzimmer zu wohnen; doch müssen Sie, wenn nicht gleichzeitig in beiden Zimmern unterrichtet wird und Sie gerade in dem Zimmer, in welchem unterrichtet wird, wohnen, natürlich in das andere Zimmer übersiedeln. Kochen dürfen Sie in der Schule nicht, dafür werden Sie und die Ihren auf Kosten der Gemeinde hier im Wirtshaus verpflegt. Daß Sie sich der Würde der Schule gemäß verhalten müssen und daß insbesondere die Kinder, gar während des Unterrichts, niemals etwa Zeugen unliebsamer Szenen in Ihrer Häuslichkeit werden dürfen, erwähne ich nur nebenbei, denn als gebildeter Mann müssen Sie das wissen. In Zusammenhang damit bemerke ich noch, daß wir darauf bestehen müssen, daß Sie Ihre Beziehungen zu Fräulein Frieda möglichst bald legitimieren. Über dies alles und noch einige Kleinigkeiten wird ein Dienstvertrag aufgesetzt, den Sie gleich, wenn Sie ins Schulhaus einziehen, unterzeichnen müssen.“ K. erschien das alles unwichtig, so, als ob es ihn nicht betreffe oder jedenfalls nicht binde; nur die Großtuerei des Lehrers reizte ihn, und er sagte leichthin: „Nun ja, es sind die üblichen Verpflichtungen.“ Um diese Bemerkung ein wenig zu verwischen, fragte Frieda nach dem Gehalt. „Ob Gehalt gezahlt wird“, sagte der Lehrer, „wird erst nach einmonatigem Probedienst erwogen werden.“ – „Das ist aber hart für uns“, sagte Frieda. „Wir sollen fast ohne Geld heiraten, unsere Hauswirtschaft aus nichts schaffen. Könnten wir nicht doch, Herr Lehrer, durch eine Eingabe an die Gemeinde um ein kleines sofortiges Gehalt bitten? Würden Sie dazu raten?“ – „Nein“, sagte der Lehrer, der seine Worte immer an K. richtete. „Einer solchen Eingabe würde nur entsprochen werden, wenn ich es empfehle, und ich würde es nicht tun. Die Verleihung der Stelle ist ja nur eine Gefälligkeit Ihnen gegenüber, und Gefälligkeiten muß man, wenn man sich seiner öffentlichen Verantwortung bewußt bleibt, nicht zu weit treiben.“ Nun mischte sich aber doch K. ein, fast gegen seinen Willen. „Was die Gefälligkeit betrifft, Herr Lehrer“, sagte er, „glaube ich, daß Sie irren. Diese Gefälligkeit ist vielleicht eher auf meiner Seite.“ – „Nein“, sagte der Lehrer lächelnd, nun hatte er doch K. zum Reden gezwungen. „Darüber bin ich genau unterrichtet. Wir brauchen den Schuldiener etwa so dringend wie den Landvermesser. Schuldiener wie Landvermesser, es ist eine Last an unserem Halse. Es wird mich noch viel Nachdenken kosten, wie ich die Ausgaben vor der Gemeinde begründen soll. Am besten und wahrheitsgemäßesten wäre es, die Forderung nur auf den Tisch zu werfen und gar nicht zu begründen.“ – „So meine ich es ja“, sagte K., „gegen Ihren Willen müssen Sie mich aufnehmen. Obwohl es Ihnen schweres Nachdenken verursacht, müssen Sie mich aufnehmen. Wenn nun jemand genötigt ist, einen anderen aufzunehmen, und dieser andere sich aufnehmen läßt, so ist er es doch, der gefällig ist. “ – „Sonderbar“, sagte der Lehrer, „was sollte uns zwingen, Sie aufzunehmen? Des Herrn Vorstehers gutes, übergutes Herz zwingt uns. Sie werden, Herr Landvermesser, das sehe ich wohl, manche Phantasien aufgeben müssen, ehe Sie ein brauchbarer Schuldiener werden. Und für die Gewährung eines eventuellen Gehaltes machen natürlich solche Bemerkungen wenig Stimmung. Auch merke ich leider, daß mir Ihr Benehmen noch viel zu schaffen geben wird; die ganze Zeit über verhandeln Sie ja mit mir – ich sehe es immerfort an und glaube es fast nicht – in Hemd und Unterhosen.“ – „Ja“, rief K. lachend und schlug in die Hände, „die entsetzlichen Gehilfen! Wo bleiben sie denn?“ Frieda eilte zur Tür; der Lehrer, der merkte, daß nun K. für ihn nicht mehr zu sprechen war, fragte Frieda, wann sie in die Schule einziehen würden. „Heute“, sagte Frieda. „Dann komme ich morgen früh revidieren“, sagte der Lehrer, grüßte durch Handwinken, wollte durch die Tür, die Frieda für sich geöffnet hatte, hinausgehen, stieß aber mit den Mägden zusammen, die schon mit ihren Sachen kamen, um sich im Zimmer wieder einzurichten. Er mußte zwischen ihnen, die vor niemandem zurückgewichen wären, durchschlüpfen, Frieda folgte ihm. „Ihr habt es aber eilig“, sagte K., der diesmal sehr zufrieden mit ihnen war, „wir sind noch hier, und ihr müßt schon einrücken?“ Sie antworteten nicht und drehten nur verlegen ihre Bündel, aus denen K. die wohlbekannten schmutzigen Fetzen hervorhängen sah. „Ihr habt wohl euere Sachen noch niemals gewaschen“, sagte K., es war nicht böse, sondern mit einer gewissen Zuneigung gesagt. Sie merkten es, öffneten gleichzeitig ihren harten Mund, zeigten die schönen, starken, tiermäßigen Zähne und lachten lautlos. „Nun kommt“, sagte K., „richtet euch ein, es ist ja euer Zimmer.“ Als sie aber noch immer zögerten – ihr Zimmer schien ihnen wohl allzusehr verwandelt —, nahm K. eine beim Arm, um sie weiterzuführen. Aber er ließ sie gleich los, so erstaunt war beider Blick, den sie, nach einer kurzen gegenseitigem Verständigung, nun nicht mehr von K. wandten. „Jetzt habt ihr mich aber lange genug angesehen“, sagte K., irgendein unangenehmes Gefühl abwehrend, nahm Kleider und Stiefel, die eben Frieda, schüchtern von den Gehilfen gefolgt, gebracht hatte, und zog sich an. Unbegreiflich war ihm immer, und jetzt wieder, die Geduld, die Frieda mit den Gehilfen hatte. Sie hatte sie, die doch die Kleider im Hof hätten putzen sollen, nach längerem Suchen friedlich unten beim Mittagessen gefunden, die ungeputzten Kleider vor sich zusammengepreßt auf dem Schoß, sie hatte dann selbst alles putzen müssen; und doch zankte sie, die gemeines Volk gut zu beherrschen wußte, gar nicht mit ihnen, erzählte überdies in ihrer Gegenwart von ihrer großen Nachlässigkeit wie von einem kleinen Scherz und klopfte gar noch dem einen leicht, wie schmeichelnd, auf die Wange. K. wollte ihr nächstens darüber Vorhaltungen machen. Jetzt aber war es höchste Zeit, wegzugehen. „Die Gehilfen bleiben hier, dir bei der Übersiedlung zu helfen“, sagte K. Sie waren allerdings nicht damit einverstanden; satt und fröhlich, wie sie waren, hätten sie sich gern ein wenig Bewegung gemacht. Erst als Frieda sagte: „Gewiß, ihr bleibt hier“, fügten sie sich. „Weißt du, wohin ich gehe?“ fragte K. „Ja“, sagte Frieda. „Und du hältst mich also nicht mehr zurück?“ fragte K. „Du wirst so viele Hindernisse finden“, sagte sie, „was würde da mein Wort bedeuten!“ Sie küßte K. zum Abschied, gab ihm, da er nicht zu Mittag gegessen hatte, ein Päckchen mit Brot und Wurst, das sie von unten für ihn mitgebracht hatte, erinnerte ihn daran, daß er dann nicht mehr hierher, sondern gleich in die Schule kommen solle, und begleitete ihn, die Hand auf seiner Schulter, bis vor die Tür hinaus.