3. Englische Industriezweige ohne legale Schranke der Exploitation

 

Den Trieb nach Verlängrung des Arbeitstags, den Werwolfsheißhunger für Mehrarbeit, beobachteten wir bisher auf einem Gebiet, wo maßlose Ausschreitungen, nicht übergipfelt, so sagt ein bürgerlicher englischer Ökonom, von den Grausamkeiten der Spanier gegen die Rothäute Amerikas 64), das Kapital endlich an die Kette gesetzlicher Regulation gelegt haben. Werfen wir jetzt den Blick auf einige Produktionszweige, wo die Aussaugung der Arbeitskraft entweder noch heute fesselfrei ist oder es gestern noch war.

"Herr Broughton, ein County Magistrate, erklärte als Präsident eines Meetings, abgehalten in der Stadthalle von Nottingham, am 14. Januar 1860, daß in dem mit der Spitzenfabrikation beschäftigten Teile der städtischen Bevölkerung ein der übrigen zivilisierten Welt unbekannter Grad von Leid und Entbehrung vorherrscht ... Um 2, 3, 4 Uhr des Morgens werden Kinder von 9 bis 10 Jahren ihren schmutzigen Betten entrissen und gezwungen, für die nackte Subsistenz bis 10, 11, 12 Uhr nachts zu arbeiten, während ihre Glieder wegschwinden, ihre Gestalt zusammenschrumpft, ihre Gesichtszüge abstumpfen und ihr menschliches Wesen ganz und gar in einem steinähnlichen Torpor erstarrt, dessen bloßer Anblick schauderhaft ist. Wir sind nicht überrascht, daß Herr Mallett und andre Fabrikanten auftraten, um Protest gegen jede Diskussion einzulegen ... Das System, wie der Rev. Montagu Valpy es beschrieb, ist ein System unbeschränkter Sklaverei, Sklaverei in sozialer, physischer, moralischer und intellektueller Beziehung ... Was soll man denken von einer Stadt, die ein öffentliches Meeting abhält, um zu petitionieren, daß die Arbeitszeit für Männer täglich auf 18 Stunden beschränkt werden solle! ... Wir deklamieren gegen die virginischen und karolinischen Pflanzer. Ist jedoch ihr Negermarkt, mit allen Schrecken der Peitsche und dem Schacher in Menschenfleisch, abscheulicher als diese langsame Menschenabschlachtung, die vor sich geht, damit Schleier und Kragen zum Vorteil von Kapitalisten fabriziert werden?65)

Die Töpferei (Pottery) von Staffordshire hat während der letzten 22 Jahre den Gegenstand dreier parlamentarischen Untersuchungen gebildet. Die Resultate sind niedergelegt im Bericht des Herrn Scriven von 1841 an die "Children's Employment Commissioners", im Bericht des Dr. Greenhow von 1860, veröffentlicht auf Befehl des ärztlichen Beamten des Privy Council ("Public Health, 3rd Report", I, 102-113), endlich im Bericht des Herrn Longe von 1863, in "First Report of the Children's Employment Commission" vom 13. Juni 1863. Für meine Aufgabe genügt es, den Berichten von 1860 und 1863 einige Zeugenaussagen der exploitierten Kinder selbst zu entlehnen. Von den Kindern mag man auf die Erwachsenen schließen, namentlich Mädchen und Frauen, und zwar in einem Industriezweig, woneben Baumwollspinnerei und dgl. als ein sehr angenehmes und gesundes Geschäft erscheint.66)

Wilhelm Wood, neunjährig, "war 7 Jahre 10 Monate alt, als er zu arbeiten begann". Er "ran moulds" (trug die fertig geformte Ware in die Trockenstube, um nachher die leere Form zurückzubringen) von Anfang an. Er kommt jeden Tag in der Woche um 6 Uhr morgens und hört auf ungefähr 9 Uhr abends. "Ich arbeite bis 9 Uhr abend jeden Tag in der Woche. So z.B. während der letzten 7-8 Wochen. "Also fünfzehnstündige Arbeit für ein siebenjähriges Kind! M. Murray, ein zwölfjähriger Knabe, sagt aus:

"I run moulds and turn jigger (drehe das Rad). Ich komme um 6 Uhr, manchmal um 4 Uhr morgens. Ich habe während der ganzen letzten Nacht bis diesen Morgen 6 Uhr gearbeitet. Ich war nicht im Bett seit der letzten Nacht. Außer mir arbeiteten 8 oder 9 andre Knaben die letzte Nacht durch. Alle außer einem sind diesen Morgen wieder gekommen. Ich bekomme wöchentlich 3 sh. 6 d." (1 Taler 5 Groschen). "Ich bekomme nicht mehr, wenn ich die ganze Nacht durcharbeite. Ich habe in der letzten Woche zwei Nächte durchgearbeitet."

Fernyhough, ein zehnjähriger Knabe:

"Ich habe nicht immer eine ganze Stunde für das Mittagessen; oft nur eine halbe Stunde; jeden Donnerstag, Freitag und Samstag."67)

Dr. Greenhow erklärt die Lebenszeit in den Töpferdistrikten von Stoke-upon-Trent und Wolstanton für außerordentlich kurz. Obgleich im Distrikt Stoke nur 36,6% und in Wolstanton nur 30,4% der männlichen Bevölkerung über 20 Jahre in den Töpfereien beschäftigt sind, fällt unter Männern dieser Kategorie im ersten Distrikt mehr als die Hälfte, im zweiten ungefähr 2/5 der Todesfälle infolge von Brustkrankheiten auf die Töpfer. Dr. Boothroyd, praktischer Arzt zu Haley, sagt aus:

"Jede sukzessive Generation der Töpfer ist zwerghafter und schwächer als die vorhergehende."

Ebenso ein andrer Arzt, Herr McBean:

"Seit ich vor 25 Jahren meine Praxis unter den Töpfern begann, hat sich die auffallende Entartung dieser Klasse fortschreitend in Abnahme von Gestalt und Gewicht gezeigt."

Diese Aussagen sind dem Bericht des Dr. Greenhow von 1860 entnommen.68)

Aus dem Bericht der Kommissäre von 1863 folgendes: Dr. J. T. Arledge, Oberarzt des North Staffordshire Krankenhauses, sagt:

"Als eine Klasse repräsentieren die Töpfer, Männer und Frauen ..., eine entartete Bevölkerung, physisch und moralisch. Sie sind in der Regal verzwergt, schlecht gebaut, und oft an der Brust verwachsen. Sie altern vorzeitig und sind kurzlebig; phlegmatisch und blutlos, verraten sie die Schwäche ihrer Konstitution durch hartnäckige Anfälle von Dyspepsie, Leber- und Nierenstörungen und Rheumatismus. Vor allem aber sind sie Brustkrankheiten unterworfen, der Pneumonie, Phthisis, Bronchitis und dem Asthma. Eine Form des letztren ist ihnen eigentümlich und bekannt unter dem Namen des Töpfer-Asthma oder der Töpfer-Schwindsucht. Skrophulose, die Mandeln, Knochen oder andre Körperteile angreift, ist eine Krankheit von mehr als zwei Dritteln der Töpfer. Daß die Entartung (degenerescence) der Bevölkerung dieses Distrikts nicht noch viel größer ist, verdankt sie ausschließlich der Rekrutierung aus den umliegenden Landdistrikten und den Zwischenheiraten mit gesundren Racen."

Herr Charles Parsons, vor kurzem noch House Surgeon derselben Krankenanstalt, schreibt in einem Briefe an den Kommissär Longe u.a.:

"Ich kann nur aus persönlicher Beobachtung, nicht statistisch sprechen, aber ich stehe nicht an zu versichern, daß meine Empörung wieder und wieder aufkochte bei dem Anblick dieser armen Kinder, deren Gesundheit geopfert wurde, um der Habgier ihrer Eltern und Arbeitgeber zu frönen."

Er zählt die Ursachen der Töpferkrankheiten auf und schließt sie kulminierend ab mit "long hours" ("langen Arbeitsstunden"). Der Kommissionsbericht hofft, daß

"eine Manufaktur von so hervorragender Stellung in den Augen der Welt nicht lange mehr den Makel tragen wird, daß ihr großer Erfolg begleitet ist von physischer Entartung, vielverzweigten körperliche Leiden und frühem Tode der Arbeiterbevölkerung, durch deren Arbeit und Geschick so große Resultate erzielt worden sind."69)

 


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