9. Rate und Masse des Mehrwerts
« Zurück 1 |
2 |
3 Weiter »
Wir halten uns nicht beim Detail der Verändrungen auf, die das Verhältnis von Kapitalist und Lohnarbeiter im Verlaufe des Produktionsprozesses erfuhr, also auch nicht bei den weitren Fortbestimmungen des Kapitals selbst. Nur wenige Hauptpunkte seien hier betont.
Innerhalb des Produktionsprozesses entwickelte sich das Kapital zum Kommando über die Arbeit, d.h. über die sich betätigende Arbeitskraft oder den Arbeiter selbst. Das personifizierte Kapital, der Kapitalist, paßt auf, daß der Arbeiter sein Werk ordentlich und mit dem gehörigen Grad von Intensität verrichte.
Das Kapital entwickelte sich ferner zu einem Zwangsverhältnis, welches die Arbeiterklasse nötigt, mehr Arbeit zu verrichten, als der enge Umkreis ihrer eignen Lebensbedürfnisse vorschrieb. Und als Produzent fremder Arbeitsamkeit, als Auspumper von Mehrarbeit und Exploiteur von Arbeitskraft übergipfelt es an Energie, Maßlosigkeit und Wirksamkeit alle frühern auf direkter Zwangsarbeit beruhenden Produktionssysteme.
Das Kapital ordnet sich zunächst die Arbeit unter mit den technischen Bedingungen, worin es sie historisch vorfindet. Es verändert daher nicht unmittelbar die Produktionsweise. Die Produktion von Mehrwert in der bisher betrachteten Form, durch einfache Verlängrung des Arbeitstags, erschien daher von jedem Wechsel der Produktionsweise selbst unabhängig. Sie war in der altmodischen Bäckerei nicht minder wirksam als in der modernen Baumwollspinnerei.
Betrachten wir den Produktionsprozeß unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsprozesses, so verhielt sich der Arbeiter zu den Produktionsmitteln nicht als Kapital, sondern als bloßem Mittel und Material seiner zweckmäßigen produktiven Tätigkeit. In einer Gerberei z.B. behandelt er die Felle als seinen bloßen Arbeitsgegenstand. Es ist nicht der Kapitalist, dem er das Fell gerbt. Anders, sobald wir den Produktionsprozeß unter dem Gesichtspunkt des Verwertungsprozesses betrachteten. Die Produktionsmittel verwandelten sich sofort in Mittel zur Einsaugung fremder Arbeit. Es ist nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. Statt von ihm als stoffliche Elemente seiner produktiven Tätigkeit verzehrt zu werden, verzehren sie ihn als Ferment ihres eignen Lebensprozesses, und der Lebensprozeß des Kapitals besteht nur in seiner Bewegung als sich selbst verwertender Wert. Schmelzöfen und Arbeitsgebäude, die des Nachts ruhn und keine lebendige Arbeit einsaugen, sind "reiner Verlust" ("mere loss") für den Kapitalisten. Darum konstituieren Schmelzöfen und Arbeitsgebäude einen "Anspruch auf die Nachtarbeit" der Arbeitskräfte. Die bloße Verwandlung des Geldes in gegenständliche Faktoren des Produktionsprozesses, in Produktionsmittel, verwandelt letztre in Rechtstitel und Zwangstitel auf fremde Arbeit und Mehrarbeit. Wie diese der kapitalistischen Produktion eigentümliche und sie charakterisierende Verkehrung, ja Verrückung des Verhältnisses von toter und lebendiger Arbeit, von Wert und wertschöpferischer Kraft, sich im Bewußtsein der Kapitalistenköpfe abspiegelt, zeige schließlich noch ein Beispiel. Während der englischen Fabrikantenrevolte von 1848-1850 schrieb
"der Chef der Leinen- und Baumwollspinnerei zu Paisley, einer der ältesten und respektabelsten Firmen von Westschottland, der Kompagnie Carlile, Söhne und Co., die seit 1752 besteht und Generation nach Generation von derselben Familie geführt wird" -
dieser äußerst intelligente Gentleman also schrieb in die "Glasgow Daily Mail" vom 25. April 1849 einen Brief 207) unter dem Titel: "Das Relaissystem", worin u.a. folgende grotesk naive Stelle unterläuft:
"Laßt uns nun die Übel betrachten, die aus einer Reduktion der Arbeitszeit von 12 auf 10 Stunden fließen ... Sie 'belaufen' sich auf die allerernsthafteste Beschädigung der Aussichten und des Eigentums des Fabrikanten. Arbeitete er" (d.h. seine "Hände") "12 Stunden und wird er auf 10 beschränkt, dann schrumpfen je 12 Maschinen oder Spindeln seines Etablissements auf 10 zusammen (then every 12 machines or spindles, in his establischment, shrink to 10), und wollte er seine Fabrik verkaufen, so würden sie nur als 10 gewertschätzt werden, so daß so ein sechster Teil vom Wert einer jeden Fabrik im ganzen Lande abgezogen würde."208)
Diesem erbangestammten Kapitalhirn von Westschottland verschwimmt der Wert der Produktionsmittel, Spindeln usw., so sehr mit ihrer Kapitaleigenschaft, sich selbst zu verwerten oder täglich ein bestimmtes Quantum fremder Gratisarbeit einzuschlucken, daß der Chef des Hauses Carlile und Co. in der Tat wähnt, beim Verkauf seiner Fabrik werde ihm nicht nur der Wert der Spindeln gezahlt, sondern obendrein ihre Verwertung, nicht nur die Arbeit, die in ihnen steckt und zur Produktion von Spindeln derselben Art nötig ist, sondern auch die Mehrarbeit, die sie täglich aus den braven Westschotten von Paisley auspumpen helfen, und ebendeshalb, meint er, schrumpfe mit der Verkürzung des Arbeitstags um zwei Stunden der Verkaufspreis von je 12 Spinnmaschinen auf den von je 10 zusammen!
_______________
202) Dies Elementargesetz scheint den Herren von der Vulgärökonomie unbekannt die, umgekehrte Archimedes, in der Bestimmung der Marktpreise der Arbeit durch Nachfrage und Zufuhr den Punkt gefunden zu haben glauben, nicht um die Welt aus den Angeln zu heben, sondern um sie stillzusetzen.
203) Näheres darüber im "Vierten Buch".
204) "Die Arbeit einer Gesellschaft, das ist die in der Wirtschaft verwandte Zeit, stellt eine gegebene Größe dar, sagen wir 10 Stunden täglich von einer Million Menschen oder 10 Millionen Stunden ... Das Kapital ist in seinem Wachstum begrenzt. In jeder gegebenen Periode besteht diese Grenze in dem wirklichen Ausmaß der in der Wirtschaft verwandten Zeit." ("An Essay on the Political Economy of Nations", London 1821, p. 47, 49.)
205) "Der Pächter darf nicht auf seiner eigenen Arbeit aufbauen; und wenn er es tut, so wird er meiner Meinung nach dadurch verlieren. Seine Tätigkeit sollte in der Beaufsichtigung des Ganzen bestehen: er muß auf seinen Drescher achten, denn sonst wird bald der Lohn hinausgeworfen sein für Getreide, das nicht ausgedroschen ist; ebenso müssen seine Mäher, Schnitter usw. überwacht werden; er muß ständig seine Zäune nachsehen; er muß aufpassen, ob nichts vernachlässigt wird; das würde der Fall sein, wenn er sich auf einen Punkt beschränken würde." ([J. Arbuthnot,] "An Enquiry into the Connection between the Price of Provisions, and the Size of Farms etc." By a Farmer, London 1773, p. 12.) Diese Schrift ist sehr interessant. Man kann darin die Genesis des "capitalist farmer" oder "merchant farmer", wie er ausdrücklich genannt wird, studieren und seiner Selbstverherrlichung gegenüber dem "small farmer", dem es wesentlich um die Subsistenz zu tun ist, zuhören. "Die Kapitalistenklasse wird zuerst teilweise und schließlich ganz und gar entbunden von der Notwendigkeit der Handarbeit." ("Textbook of Lectures on the Polit. Economy of Nations". By the Rev. Richard Jones, Hertford 1852, Lecture III, p. 39.)
205a) Die in der modernen Chemie angewandte, von Laurent und Gerhardt zuerst wissenschaftlich entwickelte Molekulartheorie beruht auf keinem andren Gesetze. {Zusatz zur 3. Ausg.} - Wir bemerken zur Erklärung dieser für den Nichtchemiker ziemlich dunklen Anmerkung, daß der Verfasser hier von den von C. Gerhardt 1843 zuerst so benannten "homologen Reihen" von Kohlenwasserstoffverbindungen spricht, von denen jede eine eigne algebraische Zusammensetzungsformel hat. So die Reihe der Paraffine: CnH2n+2; die der normalen Alkohole: CnH2n+2; die der normalen fetten Säuren: CnH2nO2 und viele andre. In obigen Beispielen wird durch einfachen quantitativen Zusatz von CH2 zur Molekularformel jedesmal ein qualitativ verschiedner Körper gebildet. Über die, von Marx überschätzte, Teilnahme Laurents und Gerhardts an der Feststellung dieser wichtigen Tatsache vgl. Kopp, "Entwicklung der Chemie", München 1873, S. 709 und 716, und Schorlemmer, "Rise and Progress of Organic Chemistry", London 1879, p. 54. - F. E.
206) "Die Gesellschaft Monopolia" nennt Martin Luther derartige Institute.
207) "Reports of Insp. of Fact. for 30th April 1849", p. 59.
208) l.c.p. 60. Fabrikinspektor Stuart, selbst Schotte, und im Gegensatz zu den englischen Fabrikinspektoren ganz in kapitalistischer Denkart befangen, bemerkt ausdrücklich, dieser Brief, den er seinem Bericht einverleibt, "sei die allernützlichste Mitteilung, die irgendeiner der Fabrikanten, welche das Relaissystem anwenden, gemacht, und ganz besonders darauf berechnet, die Vorurteile und Bedenken gegen jenes System zu beseitigen".
« Zurück 1 |
2 |
3 Weiter »