Don Juan nach Byron, Dichtung


Denkbar ist ja freilich eine Auffassung des Don Juan, welche - auch wenn man ihm selbst keine Replik in den Mund geben möchte - desungeachtet sich des Wortes als Mediums bediente. Eine solche Auffassung existiert denn in der Tat, nämlich in Byrons Dichtung. Daß Byron in mehr als einer Hinsicht zur Schilderung eines Don Juan ausgestattet war, ist gewiß; und mißglückte dieses Unternehmen, so lag die Schuld sicherlich nicht an Byron, sondern tiefer. Byron hat es gewagt, Don Juan vor unsern Augen entstehen zu lassen, das Leben seiner Kindheit und Jugend uns zu erzählen, ihn aus dem Gewebe endlicher Lebensverhältnisse zu konstruieren. Hierdurch wird Don Juan zu einer reflektierten Persönlichkeit, welche der Idealität, die in der traditionellen Vorstellung sie umgibt, verlustig geht. Ich will mich hier sogleich darüber erklären, was für eine Veränderung mit der Idee vorgeht. Wird Don Juan musikalisch aufgefaßt, so höre ich die ganze Unendlichkeit der Leidenschaft aus ihm hervortönen, aber zugleich ihre unbeschränkte Macht, welcher nichts zu widerstehen vermag; ich höre die wilde Begier des Verlangens, aber zugleich dessen absolutes Siegesbewußtsein. Verweilt der Gedanke einmal bei einem Hindernisse, so hat dieses mehr die Bedeutung eines Reizmittels, durch welches der Genuß noch erhöht wird, als eines wirklichen Widerstandes, der den Sieg zweifelhaft machen könnte. Ein solches elementarisch bewegtes Leben, dämonisch, mächtig und unwiderstehlich, habe ich in Don Juan. Dieses ist seine Idealität; und dieser kann ich mich darum ungestört freuen, weil die Musik ihn mir nicht als eine Person, ein einzelnes Individuum darstellt, sondern als eine Macht. Wird er als Individuum aufgefaßt, so steht er eo ipso im Konflikt mit einer ihn umgebenden Welt, fühlt den Druck und die gêne dieser Umgebung; als überlegenes Individuum besiegt er sie vielleicht; aber man empfindet bald, dass Schwierigkeiten und Hindernisse hier eine andre Rolle spielen. Sie sind es, mit denen das Interesse sich wesentlich beschäftigt. Sonach wäre Don Juan in die Reihe der interessanten Erscheinungen versetzt. Wollte man ihn hier mit Hilfe schöner Worte als absolut siegreich darstellen, so fühlt man sofort das Unbefriedigende, sofern es einem Individuum als solchem nicht zukommt, an und für sich der Siegreiche zu sein; man fordert dann die Krisis des Konflikts.

Der von dem Individuum zu bekämpfende Widerstand kann entweder ein äußerlicher sein, welcher weniger in dem nächsten Gegenstande, als in der umgebenden Welt begründet ist; oder er liegt in dem Gegenstande selbst. Jener erstere Gesichtspunkt ist es, welcher alle bisherigen Auffassungen Don Juans zumeist beherrscht hat, weil man nämlich an dem Momente der Idee: als Erotiker müsse er an sich siegreich sein, festgehalten hat. Hebt man hingegen die andre Seite hervor, so öffnet sich uns da erst die Aussicht auf eine bedeutungsvolle Auffassung unsres Helden, welche ein Gegenstück zu dem musikalischen Don Juan bilden wird, während jede in der Mitte schwebende Auffassung immer ihre Unvollkommenheiten behält. In dem musikalischen Don Juan würde man alsdann den extensiven Verführer haben, in dem andern den intensiven. In letzterer Gestalt erscheint er dann nicht als ein solcher, der mit einem Schlage, wie im Sturme, sich in den Besitz seines Gegenstandes setzt: er ist viel zu sehr der reflektierende Verführer. Was unsre Aufmerksamkeit hier beschäftigt, ist die Schlauheit, die Arglist, mit der er sich in ein Mädchenherz einzuschleichen, die Herrschaft, die er sich über dasselbe zu verschaffen weiß, die betörende, planmäßige, sukzessive Verführung. Wie viele er verführt hat, bleibt hier gleichgültig: uns nimmt seine Kunst in Anspruch, die Gründlichkeit, die berechnende Verschlagenheit, mit welcher er verfährt. Zuletzt wird der Genuß ein so reflektierter, dass er von dem des musikalischen Don Juan sich wesentlich unterscheidet. Dieser genießt die Befriedigung seines Verlangens; der reflektierende Don Juan freut sich seines gelungenen Betruges, seiner Kriegslist. Der unmittelbare Genuß ist dahin, und was er genießt, ist mehr die Reflexion über den Genuß. Wenn bei Molière die Begierde Don Juans dadurch erwacht, dass er eifersüchtig wird auf das Liebesglück eines andern, so ist dieses etwas, was in der Oper gar keine Stelle finden könnte. Ebenso ist Byrons Don Juan schon darum verfehlt, weil er sich episch ausbreitet, wodurch jene Idealität, die der intensiven Gewalt der Leidenschaft beiwohnt, verloren geht, und höchstens ein psychologisches Interesse an den einzelnen Zügen eines durchgeführten Kunststückes übrig bleibt. Wie tritt uns dagegen der musikalische Don Juan vor Augen! Wo er als Verführer auftritt, da ist's wie ein Handumdrehen, die Sache eines Augenblicks, rascher getan als berichtet. Ich erinnere mich eines Gemäldes, das ich irgendwo gesehen habe: Ein schmucker junger Mensch spielt mit einer Schar von Mädchen, alle in dem gefährlichen Alter, weder erwachsen noch Kinder. Sie unterhalten sich u. a. damit, dass sie über einen Graben springen; er ist ihnen behilflich, indem er sie umfaßt, in die Höhe hebt und sie auf die andere Seite hinübersetzt. Ein artiges Bild! Ich freute mich ebensosehr über den jungen Burschen, als über - die Backfische. Da fiel Don Juan mir ein. Sie laufen ihm selbst in die Arme, die hübschen Mädchen; ebenso rasch ergreift er sie, und ebenso geschickt schwingt er sie hinüber auf die andre Seite der Gruft des Lebens.


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