Papageno und Tamino


Sollte ich nun mit einem einzelnen Prädikate das Eigentümliche der Mozartschen Musik in dem uns hier interessierenden Bestandteile dieser Oper zu bezeichnen suchen, so würde ich sagen: sie ist munter zwitschernd, lebensfroh, liebesprudelnd. Worauf ich nämlich besonderes Gewicht legen muß, ist die erste Arie und das Glockenspiel. Das Duett mit Tamino und nachher mit Papageno fällt gänzlich aus dem Streich des Unmittelbar-Musikalischen heraus. Hört man dagegen die erste Arie mit ganzer Seele, so wird man die hier gebrauchten Prädikate zutreffend finden; und je aufmerksamer man sie hört, desto eher wird man hier zugleich eine Veranlassung finden, sich zu überzeugen, welche Bedeutung das Musikalische hat, wo dieses sich als der vollkommene Ausdruck der Idee offenbart, wo diese also unmittelbar-musikalisch ist. Bekanntlich akkompagniert Papageno seine naturwüchsige Lustigkeit auf einer Rohrflöte. Wie sollte nicht jedes Ohr und Gemüt sich von diesem Akkompagnement bewegt fühlen! Je mehr man sich hinein empfindet und sinnt, je mehr man in Papageno den mythischen (ideellen) Papageno sieht, desto ausdrucksvoller, desto charakteristischer wird man es finden; man wird nicht müde, es wieder und wieder zu hören, weil es ein völlig adäquater Ausdruck für das ganze Leben Papagenos ist. Dieses ist ja nichts weiter als ein solches unaufhörliches, bei allein Nichtstun sorglos fortzwitscherndes: froh und vergnügt, weil hierin sein Leben aufgeht, lustig in seinem Treiben und lustig in seinem Singen. Mit Recht hat man ein sinniges und wohlbedachtes Arrangement darin gesehen, dass Taminos und Papagenos Flöten einander korrespondieren. Und doch welcher Unterschied! Taminos Flöte - wiewohl von dieser das ganze Stück seinen Namen hat - verfehlt ihre Wirkung durchaus. Und warum? Darum, weil Tamino Schlechterdings keine musikalische Figur ist. Das hängt mit der verfehlten Anlage der ganzen Oper zusammen. Tamino wird auf seiner Flöte höchst sentimental und langweilig. Und reflektiert man auf sein ganzes übriges Verhalten, seine Seelenverfassung, so muß man, jedesmal wenn er seine Flöte hervorholt und ein Stück bläst, an jenen Bauern bei Horaz denken: »Rusticus exspectat, dum defluat amnis« (das Bäuerlein wartet, bis der Strom abgeflossen), nur dass Horaz seinem Bauern keine Flöte zum unnützen Zeitvertreib gegeben hat. Tamino geht als dramatische Figur völlig hinaus über das musilkalische Gebiet, sowie überhaupt die moralische Entwickelung, welche sich in dein Stücke vollziehen soll, eine ganz unmusikalische Idee ist. Tamino ist just bis dahin gelangt, wo das Musikalische aufhört; daher wird sein Flötenspiel zu reinem Zeitverderb, bis dass es uns alle Gedanken vertreibt. Gedanken vertreiben, das kann nämlich die Musik vortrefflich, sogar böse Gedanken, wie ja von David erzählt wird, dass er durch sein Saitenspiel König Sauls finstre Laune verscheuchte. Jedoch ließt hierin eine große Täuschung: denn die Musik tut dies nur, sofern sie das Bewußtsein in die Unmittelbarkeit zurückführt und gleichsam einlullt. Das Individuum kann sich also im Augenblick des Rausches glücklich fühlen, wird aber nur desto unglücklicher. Ganz in parenthesi erlaube ich mir eine Bemerkung. Man hat Musik angewendet, Geistesschwache zu heilen, man hat auch in gewissem Sinne seine Absicht erreicht; und doch ist es eine Illusion. Hat der Wahnsinn nämlich nicht einen leiblichen, sondern einen mentalen Grund, so liegt dieser immer in einer Verhärtung an dem einen oder andern Punkte des Innern. Diese Verhärtung muß überwunden werden; man muß aber hierzu einen ganz andern, ja den entgegengesetzten Weg gehen, als denjenigen, der zur Musik führt. Sonst bringt man den Patienten nur noch mehr von Sinnen, wenn's auch anders aussieht.

Was ich von Taminos Flötenspiel gesagt habe, wird nicht mißverstanden werden. Ich will ja keineswegs leugnen, was ja auch wiederholt eingeräumt ist, dass die Musik als Akkompagnement ihre Bedeutung haben kann, indem sie alsdann auf einem fremden Gebiete, nämlich dem der Sprache, auftritt. Die schwache Seite der Zauberflöte ist indes diese, dass das, worauf die ganze Dichtung hinstrebt, die Welt des Bewußtseins ist, ihre Tendenz also Aufhebung der Musik, und doch soll es eine Oper sein. Als Ziel der Entwicklung ist die ethisch bestimmte Liebe, oder die eheliche Liebe gesetzt. Hierin liegt der Hauptfehler des Stückes; denn was jene auch sonst bedeute, moralisch oder bürgerlich geredet, musilkalisch ist sie nicht, vielmehr absolut unmusikalisch.

Die erste Arie hat also in musikalischer Hinsicht ihre große Bedeutung als der unmittelbar-musikalische Ausdruck für Papagenos ganzes Leben und seine Geschichte, welche in demselben Grade, wie Musik deren entsprechender Ausdruck wird, nur in uneigentlichem Sinne Geschichte heißen darf. Das Glockenspiel dagegen ist der musikalische Ausdruck seines Tuns und Treibens, wovon man wieder nur mittels der Musik eine Vorstellung bekommen kann. Diese klingt berückend, lockend, versuchend, gleich dem Spiel jenes Mannes, welchem die Fische stille hielten und zuhorchten.

Die von Schikaneder ihm in den Mund gelegten Repliken sind im ganzen so unsinnig und dumm, dass es fast unbegreiflich ist, wie Mozart mit ihnen das gemacht hat, was jetzt vorliegt. Daß jener Papageno von sich aussagen läßt: »Ich bin ein Naturkind,« und im selben Nu sich selbst zum Lügner macht, diene als ein einzelnes Exempel instar omnium. Als Ausnahme könnten die Textesworte zu der ersten Arie gelten, dass er die Mädchen, die er fängt, in sein Vogelbauer fetze. Sie könnten nämlich, woran aber der Dichter schwerlich gedacht hat, das Unschädliche in Papagenos Tätigkeit bezeichnen, wie wir diese oben angedeutet haben.

Wir scheiden von dem mythischen Papageno. Das Geschick des wirklichen Papageno kann uns nicht beschäftigen. Wir wünschen ihm Glück zu seiner kleinen Papagena, und wehren ihm durchaus nicht die Freude, einen Urwald oder einen ganzen Weltteil mit lauter Papagenos zu bevölkern.


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