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VI

Schreiben und Lesen

Es gibt zwei Arten von Schriftstellern. Solche, die es sind, und solche, die es nicht sind. Bei den ersten gehören Inhalt und Form zusammen wie Seele und Leib, bei den zweiten passen Inhalt und Form zusammen wie Leib und Kleid.

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Das geschriebene Wort sei die naturnotwendige Verkörperung eines Gedankens und nicht die gesellschaftsfähige Hülle einer Meinung.

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Wer Meinungen von sich gibt, darf sich auf Widersprüchen nicht ertappen lassen. Wer Gedanken hat, denkt auch zwischen den Widersprüchen.

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Ansichten pflanzen sich durch Teilung, Gedanken durch Knospung fort.

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Einer Idee ist weit mehr gedient, wenn sie nicht so gefaßt ist. daß sie den geraden Weg in die Massen nehmen kann. Nimmt sie ihn nur durch das Hindernis einer Persönlichkeit, so kommt sie weiter, als wenn sie sich populär macht. Es beweist mehr für ihre Tragfähigkeit, daß sie ein Kunstwerk erzeugen kann, als daß sie in der schmucksten Hülle eines Tendenzwerks zu unmittelbarer Wirkung gelangt. Eine Idee dient entweder einem Werk oder ein Werk dient ihr. Strömt sie in Kunst über, so geht sie im Weltenraum auf und wird auf der Erde zunächst nicht wahrgenommen. Im andern Falle dringt sie aus dem Werk und mündet in den Gehirnen der Gegenwart. Eine Idee aber soll von sich sagen können, sie komme gar wenig unter Leute.

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Die wahren Agitatoren für eine Sache sind die, denen die Form wichtiger ist. Kunst hindert die unmittelbare Wirkung zugunsten einer höhern. Darum sind ihre Produkte nicht marktgängig. Sie fänden nicht einmal dann reißenden Absatz, wenn die Kolporteure riefen: »Sensationelle Enthüllungen aus dem deutschen Sprachschatz!«

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Der Gedanke ist ein Kind der Liebe. Die Meinung ist in der bürgerlichen Gesellschaft anerkannt.

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Was leicht ins Ohr geht, geht leicht hinaus. Was schwer ins Ohr geht, geht schwer hinaus. Das gilt vom Schreiben noch mehr als vom Musikmachen.

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Wer nichts der Sprache vergibt, vergibt nichts der Sache.

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Über Probleme des geschlechtlichen Lebens spreche man nicht auf der Gasse. Man erlebe und gestalte sie; aber man spreche nicht davon. Zum Schutze der Wahrheit darf man heucheln.

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Ein Schriftsteller, der einen täglichen Fall verewigt, kompromittiert nur die Aktualität. Wer aber die Ewigkeit journalisiert, hat Aussicht, in der besten Gesellschaft anerkannt zu werden.

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Warum mutet man einem Musiker nicht zu, daß er gegen einen Übelstand eine Symphonie verfasse? Ich mache schon längst keine Programmusik.

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Daß einer sich der Sprache bedient, um zu sagen, daß ein Minister untauglich ist, macht ihn noch nicht zum Schriftsteller.

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Der Stoff, den der Musiker gestaltet, ist der Ton, der Maler spricht in Farben. Darum maßt sich kein ehrenwerter Laie, der nur in Worten spricht, ein Urteil über Musik und Malerei an. Der Schriftsteller gestaltet ein Material, das jedem zugänglich ist: das Wort. Darum maßt sich jeder Leser ein Urteil über die Wortkunst an. Die Analphabeten des Tons und der Farbe sind bescheiden. Aber Leute, die lesen können, gelten nicht als Analphabeten.

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Die Sprache ist das Material des literarischen Künstlers; aber sie gehört ihm nicht allein, während die Farbe doch ausschließlich dem Maler gehört. Darum müßte den Menschen das Sprechen verboten werden. Die Zeichensprache reicht für die Gedanken, die sie einander mitzuteilen haben, vollkommen aus. Ist es erlaubt, uns ununterbrochen mit Ölfarben die Kleider zu beschmieren?

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Ist Schriftstellerei nicht mehr als die Fertigkeit, dem Publikum eine Meinung mit Worten beizubringen? Dann wäre Malerei die Kunst, eine Meinung in Farben zu sagen. Aber die Journalisten der Malerei heißen eben Anstreicher. Und ich glaube, daß ein Schriftsteller jener ist, der dem Publikum ein Kunstwerk sagt. Es war die höchste Ehre, die mir je erwiesen wurde, als mir ein Leser verlegen gestand, er könne meine Sachen erst bei der zweiten Lesung verstehen. Er zögerte, es mir zu sagen, er wollte nicht recht mit meiner Sprache heraus. Das war ein Kenner und wußte es nicht. Das Lob meines Stils läßt mich gleichgültig, aber die Vorwürfe, die man gegen ihn erhebt, werden mich bald übermütig machen. Ich hatte wirklich lange genug gefürchtet, man würde schon bei der ersten Lektüre ein Vergnügen an meinen Schriften haben. Wie? Ein Satz sollte dazu dienen, daß das Publikum sich mit ihm den Mund ausspüle? Die Feuilletonisten, die in deutscher Sprache schreiben, haben vor den Schriftstellern, die aus der deutschen Sprache schreiben, einen gewaltigen Vorsprung. Sie gewinnen auf den ersten Blick und enttäuschen den zweiten: es ist, als stünde man plötzlich hinter den Kulissen und sähe, daß alles von Pappe ist. Bei den anderen aber wirkt die erste Lektüre, als ob ein Schleier die Szene verhüllte. Wer sollte da schon applaudieren? Jene zischen, ehe die Szene sichtbar wird. So benehmen sich die meisten; denn sie haben keine Zeit. Nur für die Werke der Sprache haben sie keine Zeit. Vor den Gemälden lassen sie es eher gelten, daß nicht bloß ein Vorgang dargestellt werden soll, den der erste Blick erfaßt: einen zweiten ringen sie sich ab, um auch etwas von der Farbenkunst zu spüren. Aber eine Kunst des Satzbaues? Sagt man ihnen, daß es so etwas gibt, so denken sie an die Befolgung der Sprachgesetze.

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In der Sprachwissenschaft muß ein Autor nicht unfehlbar sein. Auch kann die Verwendung unreinen Materials einem künstlerischen Zweck frommen. Ich vermeide Lokalismen nicht, wenn sie einer satirischen Absicht dienen. Der Witz, der mit gegebenen Vorstellungen arbeitet und eine geläufige Terminologie voraussetzt, zieht die Sprachgebräuchlichkeit der Sprachrichtigkeit vor, und nichts ist ihm ferner als der Ehrgeiz puristischen Strebens. Es geht um Sprachkunst. Daß es so etwas gibt, spüren fünf unter tausend. Die anderen sehen eine Meinung, an der etwa ein Witz hängt, den man sich bequem ins Knopfloch stecken kann. Von dem Geheimnis organischen Wachstums haben sie keine Ahnung. Sie werten nur das Material. Die platteste Vorstellung kann zu tiefster Wirkung gebracht werden: sie wird unter der Betrachtung solcher Leser wieder platt. Die Trivialität als Element satirischer Gestaltung: ein Kalauer bleibt in ihrer Hand.

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Der Wortwitz, als Selbstzweck verächtlich, kann das edelste Mittel einer künstlerischen Absicht sein, indem er der Abbreviatur einer witzigen Anschauung dient. Er kann ein sozialkritisches Epigramm sein.

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Beim Witz ist die sprachliche Trivialität oft der Inhalt des künstlerischen Ausdrucks. Der Schriftsteller, der sich ihrer bedient, ist echter Feierlichkeit fähig. Das Pathos an und für sich ist ebenso wertlos wie die Trivialität als solche.

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Die Form ist der Gedanke. Sie macht einen mittelmäßigen Ernst zum tieferen Witz. So, wenn ich sage, daß in ein Kinderzimmer, wo wilde Rangen spielen, ein unzerreißbares Mutterherz gehört.

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Es ist unmöglich, einen Schriftsteller, dessen Kunst das Wort ist, zu imitieren oder zu plagiieren. Man müßte sich schon die Mühe nehmen, sein ganzes Werk abzuschreiben. Worte, die für sich bestehen, sich dem Gedächtnis des Durchschnitts einprägen und darum auch nicht den größten Wert haben, können abgenommen werden. Wie schal und leer wirken sie aber in der neuen Umgebung. Nicht wiederzuerkennen! Ein Witz, der als die naturnotwendige Äußerung eines Zorns entstanden ist, hat manchmal das Unglück, so locker zu sitzen, daß ihn jeder Lümmel abreißen kann, der vorübergeht. Die Blüte läßt sich pflücken und welkt rasch: ob sie nun ein Leser an seinen Hut steckt oder ein Literat an seinen blütenleeren Baum. Zwar müßte man besonders eifersüchtig auf solche Blüten sein. Denn das Publikum weiß nur von diesen. Daß ich ein paar üble Dinge berührt und dazu ein paar gute Witze gemacht habe, weiß mancher. Die besseren kann man nicht zitieren. Gelingt es dem Autor, einander entlegene Zeiterscheinungen, Gegenständliches und Hintergründliches, in einem Zuge so zusammenzufassen, daß der Gedanke ein abgekürzter Essay ist, dient der Sprachwitz selbst pathetischer Empfindung als Kompositionselement, so ist keine Aussicht auf Volkstümlichkeit vorhanden.

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Man muß meine Arbeiten zweimal lesen, um ihnen nahe zu kommen. Aber ich habe auch nichts dagegen, daß man sie dreimal liest. Lieber aber ist mir, man liest sie überhaupt nicht, als bloß einmal. Die Kongestionen eines Dummkopfs, der keine Zeit hat, möchte ich nicht verantworten.

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Man muß alle Schriftsteller zweimal lesen, die guten und die schlechten. Die einen wird man erkennen, die andern entlarven.

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Er beherrscht die deutsche Sprache — das gilt vom Kommis. Der Künstler ist ein Diener am Wort.

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Es gibt Schriftsteller, die schon in zwanzig Seiten ausdrücken können, wozu ich manchmal sogar zwei Zeilen brauche.

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Die Ideensumme eines literarischen Aufsatzes sei das Ergebnis einer Multiplikation, nicht einer Addition.

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Werdegang des Schreibenden: Im Anfang ist man’s ungewohnt und es geht darum wie geschmiert. Aber dann wird’s schwerer und immer schwerer, und wenn man erst in die Übung kommt, dann wird man mit manch einem Satz nicht fertig.

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Ein Buch kann darüber täuschen, ob es die Weltanschauung des Autors bietet oder eine, die er bloß vertritt. Ein Satz ist die Probe, ob man eine hat.

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Einen Aphorismus kann man in keine Schreibmaschine diktieren. Es würde zu lange dauern.

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Ich habe einmal bei der Korrektur meiner Schriften für die Buchausgabe gesehen, daß ich irgendwo den Konflikt zwischen Naturgeboten und Sexualethik in einem einzigen Satz ausgedrückt habe: »So wachsen die Kinder dieser Zeit heran, wissen nicht, was sie müssen, und wissen so viel, was sie nicht dürfen.« Der Setzer, der den Standpunkt des intelligenten Lesers vorwegnahm, hatte den Satz wie folgt verändert: »So wachsen die Kinder dieser Zeit heran, wissen nicht, was sie wissen müssen, und wissen so viel, was sie nicht dürfen.« Eine ganz verständliche Meinung, bei der keinem Leser der Kopf weh tun wird: sie berührt das Problem sexueller Aufklärung. Und dieses ist viel gefälliger als die andere Anschauung, die auch den Nachteil hat, durch einen Druckfehler zerstört werden zu können.

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Ein Aphorismus braucht nicht wahr zu sein, aber er soll die Wahrheit überflügeln. Er muß mit einem Satz über sie hinauskommen.

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Journalist heißt einer, der das, was der Leser sich ohnehin schon gedacht hat, in einer Form ausspricht, in der es eben doch nicht jeder Kommis imstande wäre.

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Ist es erlaubt, im Quell der deutschen Sprache ein Fußbad zu nehmen? So sollte ein Labetrunk verboten sein!

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Daß sie das Feuilleton lebensfähig erhalten, ist das höchste Kompliment, das man den Literaten von heute machen kann. Wie aber klingt es, wenn man ihnen sagt, daß sie das Leben feuilletonfähig gestalten?

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Feuilletonisten und Friseure haben gleich viel mit den Köpfen zu schaffen.

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Ein Feuilleton schreiben heißt auf einer Glatze Locken drehen.

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Die gefährlichsten Literaten sind die, welche ein gutes Gedächtnis aller Verantwortung enthebt. Sie können nichts dafür und nichts dagegen, daß ihnen etwas angeflogen kommt. Da ist mir ein ehrlicher Plagiator lieber.

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Zuerst schnüffelt der Hund, dann hebt er selbst das Bein. Gegen diesen Mangel an Originalität kann man füglich nichts einwenden. Aber daß der Literat zuerst liest, ehe er schreibt, ist trostlos.

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Der eine schreibt, weil er sieht, der andere, weil er hört.

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In der Literatur gibt es zwei verschiedene Ähnlichkeiten. Wenn man findet, daß ein Autor einen andern zum Verwandten, und wenn man entdeckt, daß er ihn bloß zum Bekannten hat.

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Zu seiner Belehrung sollte ein Schriftsteller mehr leben als lesen. Zu seiner Unterhaltung sollte ein Schriftsteller mehr schreiben als lesen. Dann können Bücher entstehen, die das Publikum zur Belehrung und zur Unterhaltung liest.

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Ich kenne keine schwerere Lektüre als die leichte. Die Phantasie stößt an die Gegenständlichkeiten und ermüdet zu bald, um auch nur selbsttätig weiterzuarbeiten. Man durchfliegt die Zeilen, in denen eine Gartenmauer beschrieben wird, und der Geist weilt auf einem Ozean. Wie genußvoll wäre die freiwillige Fahrt, wenn nicht gerade zur Unzeit das steuerlose Schiff wieder an der Gartenmauer zerschellte. Die schwere Lektüre bietet Gefahren, die man übersehen kann. Sie spannt die Kraft an, während die andere die Kraft frei macht und sich selbst überläßt. Schwere Lektüre kann eine Gefahr für schwache Kraft sein. Leichter Lektüre ist starke Kraft die Gefahr. Jener muß der Geist gewachsen sein; diese ist dem Geist nicht gewachsen.

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In der literarischen Arbeit finde ich Genuß und der literarische Genuß wird mir zur Arbeit. Um das Werk eines anderen Geistes zu genießen, muß ich mich erst kritisch dazu anstellen, also die Lektüre in eine Arbeit verwandeln. Darum werde ich noch immer lieber und leichter ein Buch schreiben als lesen.

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Der wahrhaft und in jedem Augenblick produktive Geist wird zur Lektüre nicht leicht anstellig sein. Er verhält sich zum Leser wie die Lokomotive zum Vergnügungsreisenden. Auch fragt man den Baum nicht, wie ihm die Landschaft gefällt.

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Einen Roman zu schreiben, mag ein reines Vergnügen sein. Nicht ohne Schwierigkeit ist es bereits, einen Roman zu erleben. Aber einen Roman zu lesen, davor hüte ich mich, so gut es irgend geht.

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Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen?

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Der Leser läßt es sich gern gefallen, daß der Autor ihn an Bildung beschämt. Es imponiert einem jeden, daß er nicht gewußt hat, wie Korfu auf albanisch heißt. Denn von nun an weiß er es und kann sich vor den anderen, die es noch immer nicht wissen, auszeichnen, Bildung ist die einzige Prämisse, die das Publikum nicht übel nimmt, und der Ruhm des Tages ist einem Autor sicher, der den Leser in diesem Punkte demütigt. Wehe dem aber, der Fähigkeiten voraussetzt, die nicht nachgeholt werden können oder deren Verwendung mit Unbequemlichkeiten verbunden ist! Daß der Autor mehr gewußt hat als der Leser, ist in Ordnung; aber daß er mehr gedacht hat, wird ihm so leicht nicht verziehen. Das Publikum darf nicht dümmer sein. Und es ist sogar klüger als der gebildete Autor, denn es erfährt aus seiner Zeitschrift, wie Korfu auf albanisch heißt, während jener erst ein Lexikon befragen mußte.

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Wenn man einen seiner mythologisch-politischen Aufsätze liest, lernt man die Bildung mehr hassen, als unbedingt notwendig ist.

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Der tiefgefühlte Mangel an Persönlichkeit schuf den Zustand einer geistigen Feuersnot. Die Ochsen rennen aus dem Stall in den Brand: der Publizist rennt aus dem Stoff in die Bildung. Man hält sich im geistigen Qualm die Nase zu.

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Ein Agitator ergreift das Wort. Der Künstler wird vom Wort ergriffen.

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Gewiß ist die Erwerbung von Persönlichkeit innerhalb einer Partei nicht denkbar. Steht man aber auch außerhalb der Parteien, so kann man doch manchmal der Notwendigkeit nicht entgehen, eine Farbe zu bekennen, die zufällig eine Parteifarbe ist. Das ist fatal, aber als Schriftsteller hat man einen ehrenvollen Ausweg: den Tonfall. Für den Pöbel mag die Meinung die Hauptsache sein, aber man unterscheide sich von ihm durch den Ton, mit dem man die Meinung sagt. Ein Journalist, der jahrelang der Lebensanschauung des Adels hofiert hat, fühlt sich im Rechtsstreit mit einem Adeligen verkürzt und er entdeckt: »Ob der Kläger Moltke oder Cohn heißt, ist einerlei; denn vor Gesetz und Gericht sind alle Bürger gleich.« Das ist bloß wahr, also schlecht. Es ist wahr, aber es ist mit tierischem Ernst gesagt, so, als ob das ganze Gedankenleben des Sagenden in dieser Forderung kulminierte. Ich würde in ähnlicher Lage dieselbe Forderung stellen, doch ich glaube daß mich beim stärksten Nachdruck, mit dem ich’s täte, noch immer eine Kluft von den Gesinnungsgenossen trennte, und zwar so, daß das Gericht zwar zur Einsicht von seiner Ungerechtigkeit käme, aber die Demokratie um meinetwillen Aufhebung der Gleichheit verlangte. Wenn ich eine liberale Forderung stellen muß, so stelle ich sie so, daß die Reaktion pariert und der Fortschritt mich verleugnet. Auf den Tonfall der Meinung kommt es an und auf die Distanz, in der man sie ausspricht. Es ist ein Zeichen literarischer Unbegabung, alles mit gleichem Tonfall und in gleicher Distanz zu sagen.

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Der Diplomat E. wurde einer geschlechtlichen Beziehung zu einem Manne namens Ernst beschuldigt, und der Journalist H. schreibt über die diplomatischen Fähigkeiten jenes Mannes die Worte: »Es fehlt ihm an Sitzfleisch und Ernst.« Hätte Heine diesen Satz geschrieben, so hätte er auch gleich hinzugefügt: natürlich nicht in jedem Sinne der Worte. Es wäre eine niedrige Pointe gewesen, im Stil jener Niedrigkeiten gegen Platen, von denen man kaum begreifen kann, daß sie den literarischen Ruhm ihres Autors nicht erstickt haben. Heine hätte den Witz gemacht, oder er hätte wenigstens sofort gemerkt, daß der ernstgemeinte Satz ein Witz sei, was auf dasselbe schöpferische Verdienst herauskommt. Dem andern H. aber fehlt die Fähigkeit, einen Witz zu machen oder sich auch nur eines witzigen Sinns bewußt zu werden. Nun gibt es nichts, was das schriftstellerische Können empfindlicher bloßstellt als die Möglichkeit, im Leser Vorstellungen zu erzeugen, die man nicht bezweckt hat. Besser nicht zum Ausdruck bringen, was man meint, als zum Ausdruck bringen, was man nicht meint. Der Schriftsteller muß alle Gedankengänge kennen, die sein Wort eröffnen könnte. Er muß wissen, was mit seinem Wort geschieht. Je mehr Beziehungen dieses eingeht, um so größer die Kunst; aber es darf nicht Beziehungen eingehen, die dem Künstler verborgen bleiben. Wer den Diplomaten E. in eine Beziehung zu »Sitzfleisch und Ernst« bringt und nicht merkt, daß er einen Witz gemacht hat, ist kein Schriftsteller. Der andere, der den witzigen Sinn der Wendung betont, flößt mir nicht gerade Respekt ein. Ich hätte es damit so gehalten: die ernste Bemerkung unterdrückt, weil ihr Witz mir aufgestoßen wäre, und wäre mir die witzige eingefallen, sie nicht geschrieben.

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Ein Esel meint, mein Wort über den Stil H’s: »Schwulst ist Krücke«, sei ein Selbstbekenntnis. Gewiß, ich bin manchmal so »schwer verständlich« wie jener. Die Distanz zwischen uns und dem Kaffeehausleser ist eine gleich weite. Nur daß er jenem ungeduldig vorauseilt und die ganze politische Mythologie im Stich läßt, wenn H. mit einem Gedankenminus noch lange nicht fertig ist, und daß es mir gelingt, dem Leser zu enteilen. Es ist der Unterschied zwischen Fett und Sehnen. Daß jenes dem Leser immer noch besser schmeckt, mag sein, aber daß er zwei so verschiedene Körperlichkeiten verwechselt, ist traurig. Sonst räume ich gern ein, daß es Autoren gibt, die vor mir den Mangel voraushaben, daß sie leicht verständlich schreiben. Aber auch diesen Unterschied sind die wenigsten imstande zu erkennen, den Unterschied zwischen einer Schreibweise, in der Gedanke Sprache und Sprache Gedanke geworden ist, und einer, in der die Sprache bloß die Hülle einer Meinung vorstellt. Es ist heute möglich, einen Bildhauer mit einem Schneider zu verwechseln, weil beide Formen schaffen.

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Nur eine Sprache, die den Krebs hat, neigt zu Neubildungen.

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Ungewöhnliche Worte zu gebrauchen, ist eine literarische Unart. Man darf dem Publikum bloß gedankliche Schwierigkeiten in den Weg legen.

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Die Ratten verlassen das sinkende Schiff, nachdem sie sich am Speck den Magen verdorben haben. Das gilt vom Anhang und vom Stil eines gewissen deutschen Publizisten.

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Heine ist ein Moses, der mit dem Stab auf den Felsen der deutschen Sprache schlug. Aber Geschwindigkeit ist keine Zauberei, das Wasser floß nicht aus dem Felsen, sondern er hatte es mit der andern Hand herangebracht, und es war Eau de Cologne.

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Heine hat das Höchste geschaffen, was mit der Sprache zu schaffen ist. Höher steht, was aus der Sprache geschaffen wird.

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Eines der unbedeutendsten und also berühmtesten Gedichte Heinrich Heines beginnt mit der Frage, was die einsame Träne will, die dem Dichter ja den Blick trübt, die, wie er selbst zugibt, aus alten Zeiten in seinem Auge zurückgeblieben ist und die trotzdem durch das ganze Gedicht in ungetrocknetem Zustande konserviert wird. Wiewohl er sich also selbst der Möglichkeit einer klaren Anschauung beraubt hat, ist diesem Lyriker die Plastik der Träne ausnahmsweise gelungen. Ich möchte ihm beinahe nachrühmen, daß er die Poesie des Gerstenkorns gefunden hat.

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Wo weder zum Weinen Kraft ist noch zum Lachen, lächelt der Humor unter Tränen.

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Sentimentale Ironie ist ein Hund, der den Mond anbellt, dieweil er auf Gräber pißt.

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Ich kenne eine Sorte sentimentaler Schriftsteller, die platt ist und stinkt. Wanzen aus Heines Matratzengruft.

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In der Literatur hüte man sich vor den Satzbauschwindlern. Ihre Häuser kriegen zuerst Fenster und dann Mauern.

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Geistige Zuckerbäcker liefern kandierte Lesefrüchte.

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»Gut schreiben« ohne Persönlichkeit kann für den Journalismus reichen. Allenfalls für die Wissenschaft. Nie für die Literatur.

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Warum schreibt mancher? Weil er nicht genug Charakter hat, nicht zu schreiben.

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Witzigkeit ist manchmal Witzarmut, die ohne Hemmung sprudelt.

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Die Beliebtheit Saphirs kannte keine Grenze. Er legte dem Publikum keine Gedanken in den Weg und störte es durch keine Gesinnung. Seine Einfälle waren ein Aufstoßen, seine Poesie war Schnackerl.

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Deutsche Literaten: Die Lorbeern, von denen der eine träumt, lassen den andern nicht schlafen. Ein anderer träumt, daß seine Lorbeern wieder einen andern nicht schlafen lassen, und dieser schläft nicht, weil der andere von Lorbeern träumt.

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Als mir da neulich einer unserer jungen Dichter vorgestellt wurde, rutschte mir die Frage heraus, bei welcher Bank er dichte. Es geschah ganz unabsichtlich und ich wollte den armen Teufel nicht beleidigen.

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Feuilletonisten sind verhinderte Kurzwarenhändler. Die Eltern zwingen sie zu einem intelligenten Beruf, aber das ursprüngliche Talent bricht sich doch Bahn.

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Es gibt seichte und tiefe Hohlköpfe.

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Die Vorstellung, daß ein Journalist ebenso richtig über eine neue Oper wie über eine neue parlamentarische Geschäftsordnung schreibt, hat etwas Beklemmendes. Er könnte sicherlich auch einen Bakteriologen, einen Astronomen und vielleicht gar einen Pfarrer lehren. Und wenn ihm ein Fachmann in höherer Mathematik in den Weg käme, er bewiese ihm, daß er in noch höherer Mathematik zu Hause sei.

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Der Witz der Tagesschriftsteller ist höchstens das Wetterleuchten einer Gesinnung, die irgendwo niedergegangen ist. Nur der Gedanke schlägt ein, dem der Donner eines Pathos auf dem Fuße folgt.

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Der Journalismus denkt ohne die Lust des Denkens. In solchen Bezirk verbannt, gleicht der Künstler einer zur Prostitution gezwungenen Hetäre. Nur daß diese schadlos auch dem Zwang erliegt. Der Zwang zur Lust kann ihr Lust bedeuten, jenem nur Unlust.

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Die Prostitution des Leibes teilt mit dem Journalismus die Fähigkeit, nicht empfinden zu müssen, hat aber vor ihm die Fähigkeit voraus, empfinden zu können.

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Das Publikum läßt sich nicht alles gefallen. Es weist eine unmoralische Schrift mit Empörung zurück, wenn es ihre kulturelle Absicht merkt.

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Daß eine Sache künstlerisch ist, muß ihr nicht unbedingt beim Publikum schaden. Man überschätzt das Publikum, wenn man glaubt, es nehme die Vorzüglichkeit der Darstellung übel. Es beachtet die Darstellung überhaupt nicht und nimmt getrost auch Wertvolles in Kauf, wenn nur der Gegenstand zufällig einem gemeinen Interesse entspricht.

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Ein guter Schriftsteller erhält bei weitem nicht so viele anonyme Schmähbriefe, als man gewöhnlich annimmt. Auf hundert Esel kommen nicht zehn, die es zugeben, und höchstens einer, der’s niederschreibt.

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Das ist kein gutgeführtes Blatt, bei dem der Abfall der Anhänger nicht durch einen Willensakt des Herausgebers geleitet wird. Die Enttäuschung des Lesers darf nicht die Überraschung des Autors sein. Kann er sie seiner Lebensansicht nicht gewinnen, dann mag er lieber materiell an ihrer Empörung, als geistig an seiner Ergebung zugrunde gehen.

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Die bange Frage steigt auf, ob der Journalismus, dem man schweigend die besten Werke zur Beute hinwirft, nicht auch kommenden Zeiten schon die Empfänglichkeit für die sprachliche Kunst verdorben hat.

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Die Flachköpfe siegen auf der ganzen Linie. Diese Erkenntnis umschließt wie eine Mauer, hinter der es einem eben noch erlaubt ist, zu verzweifeln. Aber die Mauer bleibt nicht stehen, sie rückt immer näher. Das ist die Poe’sche Vision von der Wassergrube und dem Pendel. »Nieder, und immer wieder nieder! Ich fand ein wahnsinniges Vergnügen daran, die Schnelligkeit der Schwingungen nach oben und nach unten miteinander zu vergleichen. Zur Rechten — zur Linken, auf und ab, ging es immerfort ... Abwechselnd lachte und heulte ich dazu, je nachdem die eine oder die andere Vorstellung die Oberhand gewann. Nieder, und immer nieder fuhr es mit erbarmungsloser Sicherheit. Es sauste nur noch drei Zoll hoch über meinem Herzen dahin ...« Der Vergleich stimmt nur zum Teil, tröstet ein Freund; denn der Brunnen, an dessen Rand der Gefangene steht — er bedeutet keine Folter, sondern die schöpferische Möglichkeit, all dieser Schrecken Herr zu werden.

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Lichtenberg gräbt tiefer als irgendeiner, aber er kommt nicht wieder hinauf. Er redet unter der Erde. Nur wer selbst tief gräbt, hört ihn.

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Es verletzt in nichts den Respekt vor Schopenhauer, wenn man die Wahrheiten seiner kleinen Schriften manchmal als Geräusch empfindet. Er klagt über das Türenzuschlagen, und wie deutlich wirkt seine Klage! Man hört förmlich, wie sie zugeschlagen werden — die offenen Türen.

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Die alten Bücher sind selten, die zwischen Unverständlichem und Selbstverständlichem einen lebendigen Inhalt bewahrt haben.

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Im Anfang war das Rezensionsexemplar, und einer bekam es vom Verleger zugeschickt. Dann schrieb er eine Rezension. Dann schrieb er ein Buch, welches der Verleger annahm und als Rezensionsexemplar weitergab. Der nächste, der es bekam, tat desgleichen. So ist die moderne Literatur entstanden.

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Der Vorsatz des jungen Jean Paul war, »Bücher zu schreiben, um Bücher kaufen zu können«. Der Vorsatz unserer jungen Schriftsteller ist, Bücher geschenkt zu bekommen, um Bücher schreiben zu können.

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Seitdem faule Äpfel einmal in der deutschen Dramatik zur Anregung gedient haben, fürchtet das Publikum, sie zur Abschreckung zu verwenden.

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Wie die Mörder bei Shakespeare, so treten jetzt der Reihe nach Literaten auf, die Shakespeare morden wollen. Es sind komische Figuren wie jene und sie bleiben unbedankt wie jene. Nur ihre Leistungsfähigkeit ist eine geringere, und zum Schlüsse liegen sie vollends da, wie die Gemordeten bei Shakespeare.

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Revisoren über Shakespeare-Schlegel! Die Flügel, die ein Wort bekommen hat, ihm brechen, das vermag nur ein philologisches Gewissen.

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Ein Hausknecht bei Nestroy wird mit der Last des Lebens fertig und wirft die Langweile zur Tür hinaus. Er ist handfester als ein Professor der Philosophie.

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Es müßte ein geistiger Liftverkehr etabliert werden, um einem die unerhörten Strapazen zu ersparen, die mit der Herablassung zum Niveau des heutigen Schrifttums verbunden sind. Wenn ich wieder zu mir komme, bin ich immer ganz außer Atem.

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Mein Gehör ermöglicht es mir, einen Schauspieler, den ich vor Jahrzehnten in einer Dienerrolle auf einem Provinztheater und seit damals nicht gesehen habe, nachzuahmen. Das ist ein wahrer Fluch. Ich höre jeden Menschen sprechen, den ich einmal gehört habe. Nur die heutigen Schriftsteller, deren Feuilletons ich lese, höre ich nie sprechen. Darum muß ich jedem erst eine besondere Rolle zuweisen. Wenn ich einen Wiener Zeitungsartikel lese, höre ich einen Zahlkellner oder einen Hausierer, der mir Vorjahren einmal ein Taschenfeitel angehängt hat. Oder es ist eine Vorlesung bei der Hausmeisterin. Mit einem Wort, ich muß mich auf irgend einen geistigen Dialekt einstellen, um mich durchzuschlagen. Aber es wird wohl die Stimme des Autors sein.

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Bei manchen Schriftstellern steht das Werk für die Persönlichkeit. Bei anderen steht die Person vor dem Werk. Man muß sie sich hinzudenken, ob man will oder nicht. Jedes Achselzucken der Ironie, jede Handbewegung der Gleichgültigkeit.

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Der Dramatiker halte zwischen Bühne und Publikum die Wage. Wenn sich seine Personen zu einem Gespräch niedersetzen, bewegt sich das Publikum, als wollte es sich erheben. Nur die Bewegung auf der Szene sichert die Ruhe im Publikum. Das Niedersetzen auf der Bühne ist der Aufbruch zur Langeweile.

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Mein Blick fiel auf die letzte Seite des Dramas »Jugend«. Wie jung war damals die Literatur! Hänschen wirft sich über Annchens Leichnam mit dem Rufe: »A-us!«. Stünde »Aus!«, hätte es der Darsteller wohl nicht getroffen. In der Tat, der Naturalismus war der Schwimmeister der Unzulänglichkeit. Wenn er ihr nicht den Gürtel des Dialekts gab, hielt er ihr mindestens mit solchen Anweisungen die Stange.

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Es gibt eine bessere Naturwahrheit als die jener kleinen Realität, mit deren Vorführung uns die deutsche Literatur durch zwei Jahrzehnte im Schweiße ihres Angesichts dürftige Identitätsbeweise geliefert hat.

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Die Enge eines Kleinkünstlers stört erst, wenn er ihrer bewußt wird und gegen die Außenwelt sich wendet. Bei P.‹s Wiener Schilderungen, die voll lyrischer Prosa sind, ist mir, als ob ein Einspännerroß die Hippokrene erweckt hätte. An seinen kritischen Sachen merke ich, daß der Musenquell in Böotien entspringt.

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Ein pornographischer Schriftsteller kann leicht Talent haben. Je weiter die Grenzen der Terminologie, desto geringer die Anstrengung der Psychologie. Wenn ich den Geschlechtsakt populär bezeichnen darf, ist das halbe Spiel gewonnen. Die Wirkung eines verbotenen Wortes wiegt alle Spannung auf und der Kontrast zwischen dem Überraschenden und dem Gewohnten ist beinahe ein Humorelement.

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So wie es immer noch neue Gesichter gibt, wiewohl sich der Inhalt der Menschen wenig unterscheidet, so muß es bei ähnlichem Gedankenmaterial immer noch neue Sätze geben. Es kommt eben auch da auf den Schöpfer an, der die Fähigkeit hat, die leiseste Nuance auszudrücken.

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Ein schöpferischer Kopf sagt auch das aus eigenem, was ein anderer vor ihm gesagt hat. Dafür kann ein anderer Gedanken nachahmen, die einem schöpferischen Kopf erst später einfallen werden.

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Eigene Gedanken müssen nicht immer neu sein. Aber wer einen neuen Gedanken hat, kann ihn leicht von einem andern haben.

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Eine neue Erkenntnis muß so gesagt sein, daß man glaubt, die Spatzen auf dem Dach hätten nur durch einen Zufall versäumt, sie zu pfeifen.

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Es gibt Wahrheiten, durch deren Entdeckung man beweisen kann, daß man keinen Geist hat.

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Publizistische Themen: Nicht auf die Größe der Zielscheibe, auf die Distanz kommt es an.

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Es kann mehr Mut und Temperament dazugehören, einen Kärrner anzugreifen als einen König.

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Man kann über eine Null ein Buch schreiben, der man mit einer Zeile zu viel Ehre erwiese.

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Die Lust an der satirischen Gestaltung von Erlebnissen, die objektiv nur wenig bedeuten mögen, habe ich mir nie durch die Furcht benehmen lassen, das Objekt bekannt oder beliebt zu machen. Ich habe immer dem kleinsten Anstoß zu viel Ehre erwiesen.

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Eine kunstlose Wahrheit über ein Übel ist ein Übel. Sie muß durch sich selbst wertvoll sein Dann versöhnt sie mit dem Übel und mit dem Schmerz darüber, daß es Übel gibt.

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Schimpfworte sind nicht an und für sich zu verpönen Nur wenn sie an und für sich stehen. Ein Stilist muß ein Schimpfwort so gebrauchen können, als ob es nie zuvor noch ein Kutscher gebraucht hätte. Die Unfähigkeit sucht ungewohnte Worte. Aber ein Meister sagt auch das Gewöhnlichste zum ersten Mal. So kann eine Drohung mit Ohrfeigen nicht nur als der organische Ausdruck einer Stimmung, sondern sogar wie ein Gedanke wirken. Und der Götz von Berlichingen als Novität.

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Nicht immer darf ein Name genannt werden. Nicht daß einer es getan hat, sondern daß es möglich war, soll gesagt sein.

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Ein armseliger Hohn, der sich in Interpunktionen austobt und Rufzeichen, Fragezeichen und Gedankenstriche als Peitschen, Schlingen und Spieße verwendet.

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Wer Witz hat, kann auch alte Witze machen. Sie sind nie entlehnt: man glaubt ihnen das Gewordene. Auch wenn das Kind aufs Haar einem fremden gleicht, so ist es doch das eigene. Wichtiger als das Kind ist die Geburt.

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Den Witz eines Witzigen erzählen heißt bloß: einen Pfeil aufheben. Wie er abgeschossen wurde, sagt das Zitat nicht.

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Einen Aphorismus zu schreiben, wenn man es kann, ist oft schwer. Viel leichter ist es, einen Aphorismus zu schreiben, wenn man es nicht kann.

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Gegenüber dem Schriftsteller ist der Vorwurf der Eitelkeit nicht am Platze. Wenn er schreibt, daß er sich für einen bedeutenden Autor halte, so kann er es in diesem einen Satz beweisen, während den Musiker schon der Versuch zu solcher Programmusik Lügen strafen müßte.

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Geheimnisse vor Einzelnen müssen nicht Geheimnisse vor der Öffentlichkeit sein. Bei dieser sind sie besser aufgehoben, weil man hier selbst die Form der Mitteilung bestimmt. Wem die Form den Inhalt bedeutet, der gibt das Wort nicht aus der Hand. Er kann sich getrost Geheimniskrämerei oder äußerste Schamlosigkeit vorwerfen lassen, oder beides zugleich.

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Ich bin jederzeit bereit, zu veröffentlichen, was ich einem Freunde unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit mitgeteilt habe. Aber er darf es nicht weitersagen.

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Lebensüberdrüssig sein, weil man in seiner Arbeit einen Fehler gefunden hat, den kein anderer sieht; sich erst beruhigen, wenn man noch einen zweiten findet, weil dann den Fleck auf der Ehre die Erkenntnis der Unvollkommenheit menschlichen Bemühens deckt: durch solches Talent zur Qual scheint mir die Kunst vom Handwerk unterschieden. Flachdenker könnten diesen Zug für Pedanterie halten; aber sie ahnen nicht, aus welcher Freiheit solcher Zwang geboren ist und zu welcher Leichtigkeit der Produktion solche Selbstbeschwerung leitet. Nichts wäre törichter, als von Formtiftelei zu sprechen, wo Form nicht das Kleid des Gedankens ist, sondern sein Fleisch. Diese Jagd nach den letzten Ausdrucksmöglichkeiten führt bis ins Eingeweide der Sprache. Hier wird jenes Ineinander geschaffen, bei dem die Grenze von Was und Wie nicht mehr feststellbar ist, und worin oft vor dem Gedanken der Ausdruck war, bis er unter der Feile den Funken gab. Die Dilettanten arbeiten sicher und leben zufrieden. Ich habe oft schon um eines Wortes willen, das die Milligrammwage meines Stilempfindens ablehnte, die Druckmaschine aufgehalten und das Gedruckte vernichten lassen. Die Maschine vergewaltigt den Geist, anstatt ihm zu dienen: so will er ihr den Herrn zeigen. Wann bin ich zu Ende, da das Erscheinen schließlich nicht verhindert werden kann und die ersehnte Cäsur des Schaffens doch nicht bringt? Ach, ich bin mit einer Arbeit erst fertig, wenn ich an eine andere gehe; so lange dauert meine »Autorkorrektur«. So lange währt auch die lobenswerte Narrheit, zu glauben, das Fehlen eines nachgebornen Einfalls werde der Leser merken. Und gegenüber einem Schreiben, das seine Unvollkommenheiten so blutig bereut, hält dieser Leser seine am Journalismus entartete Lesefähigkeit für vollkommen. Er hat für ein paar Groschen ein Recht auf Oberflächlichkeit erworben: käme er denn auf seine Kosten, wenn er auf die Arbeit eingehen müßte? Es stünde vielleicht besser, wenn die deutschen Schriftsteller den zehnten Teil der Sorgfalt an ihre Manuskripte wenden wollten, die ich hinterher an meine Drucke wende. Ein Freund, der mir oft als Wehmutter beistand, staunte, wie leicht meine Geburten seien und wie schwer mein Wochenbett. Den anderen geht’s gut. Sie arbeiten am Schreibtisch und vergnügen sich in der Gesellschaft. Ich vergnüge mich am Schreibtisch und arbeite in der Gesellschaft. Darum meide ich die Gesellschaft. Ich konnte die Leute höchstens fragen, ob ihnen dieses oder jenes Wort besser gefällt. Und das wissen die Leute nicht.

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Ein guter Autor wird immer fürchten, daß das Publikum merke, welche Gedanken ihm zu spät eingefallen sind. Aber das Publikum ist darin viel nachsichtiger als man glaubt, und merkt auch die Gedanken nicht, die da sind.

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Man muß jedesmal so schreiben, als ob man zum ersten und zum letzten Male schriebe. So viel sagen, als ob’s ein Abschied wäre, und so gut, als bestände man ein Debüt.

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Ich beherrsche die Sprache nicht; aber die Sprache beherrscht mich vollkommen. Sie ist mir nicht die Dienerin meiner Gedanken. Ich lebe in einer Verbindung mit ihr, aus der ich Gedanken empfange, und sie kann mit mir machen, was sie will. Ich pariere ihr aufs Wort. Denn aus dem Wort springt mir der junge Gedanke entgegen und formt rückwirkend die Sprache, die ihn schuf. Solche Gnade der Gedankenträchtigkeit zwingt auf die Knie und macht allen Aufwand zitternder Sorgfalt zur Pflicht. Die Sprache ist eine Herrin der Gedanken, und wer das Verhältnis umzukehren vermag, dem macht sie sich im Hause nützlich, aber sie sperrt ihm den Schoß.

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Das älteste Wort sei fremd in der Nähe, neugeboren und mache Zweifel, ob es lebe. Dann lebt es. Man hört das Herz der Sprache klopfen.

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O markverzehrende Wonne der Spracherlebnisse! Die Gefahr des Wortes ist die Lust des Gedankens. Was bog dort um die Ecke? Noch nicht ersehen und schon geliebt! Ich stürze mich in dieses Abenteuer.