Mitleid


[F 1204] Mir ist es eine sehr unangenehme Empfindung, wenn jemand Mitleid mit mir hat, so wie man das Wort gemeiniglich nimmt. Deswegen brauchen auch die Menschen, wenn sie recht böse auf jemanden sind, die Redensart, mit einem solchen muß man Mitleid haben. Diese Art Mitleid ist ein Almosen, und Almosen setzt Dürftigkeit von der einen und Überfluß von der andern Seite voraus, er sei auch noch so gering. Dem englischen Pity ist es eben so gegangen und noch ärger, das Adjectivum pitiful ist unser erbärmlich. Es gibt aber ein weit uneigennützigeres Mitleid, das wahrhaften Anteil nimmt, das schnell zur Tat und Rettung schreitet, und selten von empfindsamer Schwermütelei (man verzeihe mir dieses Wort) begleitet wird. Man könnte jenes das Almosenartige und dieses das Mitleid bei Of- und Defensiv-Allianz nennen. Mitscham ist sehr lauter, man fühlt sie, wenn sich ein Malm, den man hochschätzt, aus nicht genugsamer Kenntnis derjenigen, vor denen er sich zeigen will, sich vor ihnen lächerlich macht. Es gibt eine ganz uninteressierte Mitfreude, ich habe sie bei Gatterers Wiedergenesung im Jahr 1778 ganz lauter empfunden. Nämlich ich konnte in diesem Fall nach der gnauesten Untersuchung kein anderes Interesse finden als dieses, dass ein Mann von der größten Rechtschaffenheit, und einer Gelehrsamkeit, die täglich seltner wird, der Welt, der Universität und seiner Familie wiedergegeben worden war, nachdem man ihn schon, nicht etwa totgesagt, sondern die Unmöglichkeit seiner Wiedergenesung medizinisch demonstriert hatte.

 

[J 887] Wenn man Mitleid fühlt, so fragt man nicht erst andere Leute, ob man es fühlen soll.

 


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