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Christentum

I.

Die pietistisch Frommen und die fanatischen Bilderstürmer mögen sich beide wundern, wenn sie erfahren, daß das Christentum in einem Wörterbuche der Philosophie behandelt worden ist; die Frommen, weil ihnen ihr schöner Glaube kein bloßes Wort ist, sondern ein heiliges Erlebnis, die Gottlosen, weil ihnen das historische Christentum kein lebendiges Wort mehr ist, keine Lebensmacht mehr. Mit den Frommen kann ich mich nicht verständigen; auch kämpfen Neid und inniger Besitz mit gar zu ungleichen Waffen, und der Neid wäre auf meiner Seite. Den Gottlosen sage ich: ihr irrt, wenn ihr das Christentum für ein totes Wort haltet; die Christenheit, der die ganze bewohnte Erde umspannende Verein christlicher Menschen, ist wohl zu einer Heuchelei geworden, seitdem es mehrere große, streitende christliche Kirchen gibt, seitdem die weltliche, zeitliche Nationalitätsidee in den Mitgliedern der Volksvereine stärker geworden ist, als der internationale Begriff Christenheit; auch ist das offizielle Christentum, unter dessen Namen die abendländischen Volksvereine meist regiert, die nicht christlichen Völker aber ausgeplündert werden, zu einer noch ärgeren Heuchelei der regierenden Menschen geworden; der alte Glaube im Herzen der Gläubigen wird arg mißbraucht von den schlauen Ungläubigen, die das arme gläubige Volk nur um so leichter regieren; aber der Glaube im Herzen der Gläubigen ist noch vorhanden und ist vielleicht doch nicht wertloser als manche andere Wahrheit, an die geglaubt wird.

Gäbe es aber auch nicht mehr diesen lebendigen Glauben, so verdiente dennoch das Christentum als Weltanschauung oder als Weltgefühl seinen Platz neben den wichtigsten -ismen oder Weltanschauungen der Philosophiegeschichte; hat es doch selbst unter dem Namen des Thomismus die Ontologie und die Psychologie vieler Jahrhunderte beherrscht und den meisten Begriffen, mit denen wir uns zu beschäftigen haben, irgend ein unvertilgbares Merkmal aufgeprägt. Strauß hatte fast recht: wir sind keine Christen mehr. Aber das Christentum lebt dennoch unter uns weiter, und lebt in uns, weil wir die Erben des Christentums sind. Wie nun aber jede Weltanschauung nur Sprache ist, nur in Worten besteht, so auch das Christentum, das in uns und unter uns lebt. Worte aber leben nur so lange, als Bedeutungswandel ihren Inhalt zu ändern vermag. Darum sind die starren Worte, die so gut wie unverändert auf uns gekommen sind, für uns so tot; darum ist das gewandelte Wesen des Christentums heute vielleicht lebendiger, als etwa im rationalistischen 18. Jahrhundert, wo viel mehr vom Christentum die Rede war. Daß der Katholizismus nur widerstrebend und fast immer zu spät den leisen Bedeutungswandlungen des Christentums nachgab, daß Luther, der Präger des Satzes »das Wort sie sollen lassen stahn«, gar nicht wußte, wie sehr er den Bedeutungswandel seines Glaubens förderte, das tut nichts zur Sache.

Der größte Bedeutungswandel vollzieht sich unter unsern Augen, da das Christentum zum neuen Weltgefühl des Sozialismus zu werden sich anschickt. Der als Lehre international ist, nicht als Gefühl, wo er oft in noch engeren Grenzen als den nationalen wirksam wird. Der nicht zu verwechseln ist mit der sozialdemokratischen Partei, deren Hauptwaffe (außer der Not des Volkes) der Religionshaß ist und die heuchelt, wie man eben überall im politischen Leben heuchelt, wenn sie verkündigen läßt, Religion sei Privatsache. Das beglückende Gefühl eines Glaubens ist ein Gemeingefühl zwischen den Menschen und kann gar nicht Privatsache sein.

Die Berufung des Sozialismus auf das Evangelium Jesu Christi, wie wir ihr in Lehrbüchern, in agitatorischen Reden und in Dichtungen begegnen, brauchte darum nicht historisch begründet zu sein; der Bedeutungswandel geht oft seine eigenen Wege. Es ist das Schicksal umwälzender Weltanschauungen, daß in der Folge sich extreme Parteien auf sie berufen; auf Sokrates beriefen sich die streitenden Schulen Griechenlands, auf Hegel beriefen sich Stahl und Strauß; auf die Evangelien glaubten sich alle christlichen Sekten berufen zu dürfen, die ketzerischen wie die orthodoxen. Wir haben von Harnack (Wesen des Christentums, fünfte und sechste Vorlesung) gelernt, wie die Auffassung von Jesus, als dem sozialen Reformator, zu verstehen sei; vielleicht »weil wir ihn nur so verstehen können, ist er so gewesen.« Die Prediger der prinzipiellen Verarmung, der Bettelei, berufen sich zu Unrecht auf Jesus; dennoch bleibt dieses Mißverständnis des Franziskus ein historisches Ereignis. Die Armen, zu deren Anwalte sich Jesus so oft gemacht hat, sind in seiner Sprache die Armen am Geiste gewesen, die nicht teil hatten an der satten Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit der herrschenden Klassen, der Pharisäer und der Priester; natürlich waren diese Armen auch notleidend, gedrückt und elend, aber vor allem waren sie zu arm, um auch nur die geringste Segnung des Kultus kaufen zu können. »So waren sie aufgeschlossen und empfänglich für Gott, und in manchen Psalmen und der ihnen verwandten späteren jüdischen Literatur ist das Wort die Armen geradezu eine Bezeichnung für die Empfänglichen, die auf den Trost Israels warteten. Diesen Sprachgebrauch fand Jesus vor und hat sich ihm angeschlossen.« Ein wirtschaftlich soziales Programm hat Jesus nicht aufgestellt; aber die Brüderlichkeit unter den Menschen und den Zusammenschluß zu einergeistigen Gemeinschaft hat er gelehrt mit seinem Leben und mit seinen Gleichnissen. Darum ist der Bedeutungswandel, der aus Jesus Christus den ersten Lehrer des sozialen Gefühls gemacht hat, soviel historischer und darum ehrlicher als der entgegengesetzte, der sich bei der Polizeilehre einer von Gott gesetzten Obrigkeit auf die Evangelien berufen wollte und will.

II.

Mit einiger Zurückhaltung möchte ich die Frage berühren, ob die Persönlichkeit Jesu mit zu den Entlehnungen, Wundersagen oder gar Lehnübersetzungen zu zählen sei. Diese Zurückhaltung ist nicht Vorsicht oder Feigheit. Hätte die protestantische Christologie etwas Sicheres oder Wahrscheinliches darüber ausgemacht, so sähe ich keinen Grund den Stifter des Christentums wissenschaftlich anders zu behandeln als die römischen Könige, als die bergentrückten Helden, als die griechischen Götter. Die christologischen Untersuchungen haben aber eine Entscheidung nicht herbeigeführt, und unter solchen Umständen verlangt allerdings die Ehrfurcht vor einem der heiligsten Namen, nicht leichtsinnig mit der Hypothese der Nichtexistenz zu spielen.

Die mythologischen Forschungen, die von Brückner ordentlich zusammengestellt worden sind, haben nun Eins ergeben: die Legende vom getöteten und wieder auferstandenen Gottheiland findet sich in den orientalischen Religionen häufiger, als man früher angenommen hatte. Ob diese Götter als Sonnengötter oder als Vegetationsgötter (Frühlingsgötter) aufzufassen seien, das gehört auf ein anderes Feld. Es scheint, daß in Babylonien Tammuz, der Sohn der Muttergöttin Istar, ein solcher Vegetationsgott war, und daß sogar noch das jüdische Karnevalsfest Purim, das die Erlöserin Esther feiert, auf diese babylonischen Geschichten zurückgeht. Es scheint, daß die Feier des phönizischen Adonis, bei der am Tage nach der Totenfeier die Auferstehung des Adonis mit den Jubelrufen »wir fanden ihn, wir freuen uns« begrüßt wurde, eine solche Vegetationsreligion war; die künstlerischen Darstellungen der um Adonis trauernden Aphrodite (bei den Griechen) sollen Vorbilder von Pietà-Bildwerken gewesen sein; Hieronymus, der Kirchenvater, berichtet seltsamerweise von einem Kult-Ort des Adonis zu Bethlehem. In Phrygien wurde Attis, der von einer Jungfrau Geborene, ähnlich gefeiert, wie anderswo Adonis; der Kult wanderte in der Mitte des ersten Jahrhunderts nach Rom. Zur Zeit des Frühjahrs-Äquinoktiums, am 24. März wurde der Trauertag, der dies sanguinis, mit wilder Furchtbarkeit begangen (Begeisterte sollen Selbstentmannung vollführt haben), am 25. wurde die Auferstehung verkündet, und die ausgelassenste Freude brach aus. Anderwärts wurde Attis begraben und zur Auferstehung das Grab geöffnet; die rituellen Worte waren: »Da der Gott gerettet ist, so wird auch euch aus Nöten Rettung werden.« Mit dem Attis-Kult verband sich, unter der Protektion von Julianus Apostata, der Mithras-Dienst, der nach dem Wunsche des Kaisers das Christentum überwinden sollte. Ich bemerke dazu, daß man einen psychologischen Punkt nicht übersehen dürfte; Julianus haßte das Christentum, und darum wird es niemals auszumachen sein, ob wirklich die Christologie aus der Mithras-Legende geschöpft habe oder ob Julianus dem Mithras christliche Züge geschenkt habe. Merkwürdig bleibt viel: der Geburtstag des Mithras ist der Tag der Winter-Sonnenwende, der 25. Dezember; Mithras ist in einer Höhle geboren worden, wie Jesus nach einer alten Überlieferung; Mithras ist der Felsgeborene, und man kennt die Beziehungen des Felsens zu Kephas-Petrus, der übrigens die Attribute der Sonnenanbetung besitzt, den Hahn und den Schlüssel; Mithras ist von einer Jungfrau geboren, ist fleischgewordener Gott, wird Ahriman (Angramainin), den Fürsten der Bosheit, überwinden, er ist der Mittler zwischen Ormuzd (Ahura-mazda) und Ahriman, ist von den Zwölfen, den Göttern des Zodiakalkreises, umgeben und seine Geweihten, die sich Brüder nennen, teilen sich in sieben Grade. Tertullianus selber nennt diese Weihen Sakramente und vergleicht die Stirnsalbung mit der Konfirmation der Christen. Augustinus sagt einmal, Mithras oder Attis (Pileatus, d. h. der mit der phrygischen Mütze; es war eine Art Tiara und ihr Träger hieß Papas) christianus est. Brückner kommt zu dem Urteil: »Der Attis-Kult (er meint den im Mithras-Kult aufgegangenen Attis-Kult) ist von der christlichen Kirche weniger verdrängt als aufgesogen worden.« Osiris in Ägypten war auch so ein Vegetationsgott; er ist identisch mit Serapis, Osiris-Apis; sein zerstückelter Leichnam wurde, in leinene Binden gewickelt, begraben, doch Osiris wurde wieder belebt und richtet die Toten in der andern Welt; auch die Ägypter glaubten: »So sicher als Osiris nicht vernichtet wird, soll ich auch nicht vernichtet werden«.

Dazu halte man fest, daß das neue Testament selbst sich für den Messias-Gedanken immer wieder auf das alte Testament beruft, also auf einen schon vorhandenen Volksglauben, daß besonders der eigentliche Stifter Paulus sein Christusbild nach Möglichkeit unabhängig macht von der Person Jesu. Daß Paulus erst den Gebrauch aufbrachte, den Erlöser auch bei seinem Amtsnamen zu nennen, daß erst seit Paulus der Doppelname Jesus Christus üblich ist.

Auf die möglichen Beziehungen will ich mich nicht einlassen. Daß die drei Tage im Grabe, die der Auferstehung Jesu ebenso vorangehen, wie der Wiederbelebung von Osiris und Attis, mit der dreitägigen Unsichtbarkeit des Mondes zur Zeit des Osterfestes zusammenhängen, mag richtig sein; daß der Tempel Salomonis nach dem des Melkart zu Tyrus erbaut war, daß vor ihm Sonnensäulen standen, die dann bei der kleinen Reformation von Hiskia abgeschafft wurden, ist gewiß richtig und mag wie die Legenden von Simson, Elias (Sonnenwagen), Henoch (lebte 365 Jahre und starb nachher nicht), Josua (der hebräische Jesusname; auch er hatte zwölf Helfer) auf schlecht verdaute Reste eines alten Sonnenkultus im jüdischen Monotheismus hinweisen. Einerlei, unsere Seelensituation, die Seelensituation eines guten Mitteleuropäers ist so beschaffen, daß es uns völlig kalt läßt, ob die alten Juden mehr oder weniger Legenden von ihren Nachbarstämmen entlehnt haben, daß es aber für Millionen mehr als eine Lebensfrage ist, eine Frage nach der Seligkeit im ewigen Leben, daß es auch für die Ungläubigen inmitten der Christenheit vom höchsten Interesse ist, welche Schlüsse man aus den Beziehungen zwischen Jesus und den Vegetationskulten, besonders aus den Beziehungen zwischen dem Auferstehungsfest und der alten Attisfeier (die sich namentlich in der Osterfeier der griechischen Kirche seltsam wiederholt) ziehen will. Ob man nämlich an die Existenz des Helden der Evangelien, eines historischen Jesus Christus, glauben will oder nicht glauben will. Denn auf das Wollen kommt es beim Schließen mehr an, als die formale Logik zugeben wird.

Dreierlei Schlüsse sind gezogen worden. Die katholische Kirche schiebt alle Andeutungen auf einen Gott-Heiland, von einer Jungfrau geboren, gekreuzigt und auferstanden, einem Protevangelium unter, das den Erzvätern vermöge ihrer intimeren Beziehungen zu Gott geworden ist, und glaubt so Wissenschaft und Dogma zu versöhnen. Ein äußerst radikaler Herr aus der Religionswissenschaft hat dagegen die Gilgamesch-Theorie aufgestellt, die mich leider an die Bacon-Theorie einer wahnsinnig gewordenen Shakespeare-Wissenschaft erinnert: Jesus Christus habe mit dem Christentum so wenig zu schaffen wie Shakespeare mit den Shakespeare-Dramen; der babylonische Gilgamesch, über den ein in jeder Beziehung sagenhaftes Epos berichtet, sei das Urbild der evangelischen Geschichten. Zwischen diesen beiden extremen Anschauungen, zwischen dem Jesus des katholischen Dogmas und dem Gilgamesch, liegt ein sehr breites Feld für die Vorstellungen, die einen historischen Jesus annehmen und dennoch seinen Messianismus, seine Auferstehung und sein Richteramt am jüngsten Tage als Entlehnungen aus alten orientalischen Kulten auffassen, aus Sonnenkulten oder Vegetationskulten. Keine historische Wissenschaft wird über so entlegene Vorgänge mehr als ein bischen Wahrscheinlichkeit erreichen können; viel Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß die Weltanschauung des Christentums, insofern sie Religion ist, eine Entlehnung ist, natürlich auch Lehnübersetzung. Das Vaterunser, die Bergpredigt und die köstlichen Gleichnisreden werden wohl für immer persönlich bei Jesu bleiben. Sie sind zu schön, um weniger zu sein als Erlebnis, persönlich erlebte Weisheit eines Heiligen, dessen gleichen wir vergebens suchen.

III.

Ich will hier vom Christentum, wie es als Schöpfung der germanischen und germanisch-romanischen Völker geworden ist und die abendländische Kultur durch Formen, Worte und Rücksichten vorläufig noch beherrscht, gar nichts weiter sagen und nachweisen als das Eine: daß das gesamte Christentum die ungeheuerste Lehnübersetzung oder Kette von Lehnübersetzungen darstellt, die wir im Lichte der Geschichte beobachten können.

Die größte Schwierigkeit bei dieser Untersuchung ist ein Umstand, den die Fachgelehrten auf allen Teilgebieten niemals zugeben werden: daß wir nämlich von dem wirklichen Glauben, von den wirklich motivierend wirkenden Religionen der Völker so gut wie gar nichts wissen, auch da nicht, wo die Gelehrten alles zu wissen glauben. Wir wissen so gut wie nichts von der Religion der Griechen, wenn wir nicht mythologische Notizen für Glauben halten wollen, nichts oder wenig vom wirklichen Urchristentum, wenig oder nichts vom wirklichen Glauben der Germanen vor dem christlichen Einfluß. Wir wissen ja nicht einmal, was wir auf die Frage antworten sollen, was etwa heute der wirkliche, motivierend wirkende Glaube der christlichen Völker sei. Nur wer Worte für Wirklichkeiten hält, wird sich vermessen zu wissen oder zu lehren, was das ist, das Katholizismus heißt, was das ist, das Protestantismus heißt, oder gar, was das ist, das man so gern als Christentum zusammenhalten oder zusammenfassen möchte. Ein paar Dutzend Worte aus dem Kreise des jüdischen Messiasglaubens sind vor etwa 1900 Jahren zur Grundlage gemacht worden, verbunden mit einem lebendigen Glauben an den Messias Jesus, ein paar Dutzend Worte sind aus der Volksprache der damaligen Juden in die damalige und lokale griechische Gemeinsprache des neuen Testaments übersetzt worden; diese paar Dutzend Worte sind etwa 400 Jahre später in das von Hieronymus und Augustinus umgeschaffene christliche Latein übersetzt worden, und diese paar Worte sind über die Alpen gekommen und haben mit der Kraft von einem Dutzend Aposteln den Germanen die neue Lehre verkündet. Man soll mir nicht einmal entgegenhalten, daß diese Worte durch das geistige Band eines höheren Begriffs, eben durch das Christentum, geeint und vergeistigt worden wären. Nein, das Christentum hatte und war zunächst nichts als diese Worte. Es ist selbst nur eines dieser Worte, und so will ich gleich vorwegnehmen, durch welche Kette von Lehnübersetzungen der Name herübergekommen ist.

Daß Christus eine Lehnübersetzung des alten Messiasbegriffs sei, sagt ganz schlicht schon das Ev. Johannis (1, 42): Ε ὑρηκαμεν τον Μεσσιαν (ὁ ἐστι μεϑερμηνευομενον ὁ Χριστος); nachübersetzt heißt μεϑερμηνευομενον; im folgenden Verse, wo das Wortspiel steht, Simon werde fortan Petrus heißen (Κηφας ὁ ἑρμηνευεται), heißt es einfacher: übersetzt.

Jesus aus Nazareth hieß als der Stifter der neuen Religion Jesus Christus, genau so wie Gautama der Buddha genannt wurde. Christus, Buddha sind die Appellative des übernommenen Amtes. Maschiach hieß im alten Testament der Gesalbte, der dem winzigen Judenvolke die verkündete Weltherrschaft bringen sollte. Im neuen Testament wird Maschiach bald in der aramäischen Form Messias als Fremdwort beibehalten, bald mit ὁ χριστος übersetzt. Dabei wird von Jesus selbst schon der altjüdische politische Messiasglaube fallen gelassen; bei der Ankunft in Germanien wird versucht zu übersetzen, appellativisch: unser herro der kewihte haltare (dominus noster Jesus Christus), weil sich der Germane bei den sonst beibehaltenen Lautgruppen Messias, Krist wohl gar nichts denken konnte. Doch die Unterordnung unter Rom ließ die Übersetzung von Christus nicht lange dauern; und so war das Christentum und sein Name gerettet.

So fremd war Alles den neuen Völkern, daß auch der Eigenname Jesus oft als ein Appellativum behandelt wurde. Jesus ist der hebräische Name Jeschua, dessen Deutung, wie natürlich bei Eigennamen, nicht so ganz fest steht. Ist Jeschua, wie jetzt vielfach angenommen wird, eine verkürzte Form von Jehoschua, Josua, Gotthilf, dann beruht das Folgende überdies auf einer falschen Übersetzung. Jeschua, Jesus, wurde erklärt als eine Verbalform, die den Retter, den Erlöser, den Siegschenker bedeutete. Im neuen Testament steht unzählige Mal der Eigenname Jesus, aber auch die Lehnübersetzung σωτηρ; das christliche Latein übersetzte dieses σωτηρ mit dem nicht ganz klassischen, aber folgenreichen salvator; die gelehrtere Übersetzung servator1 hatte kein Glück. Die Apostel der Deutschen schwankten nun und nahmen bald Jesus als Eigennamen herüber, bald hielten sie die Lautgruppe für einen Amtsnamen, und übersetzten durch heilant, sowohl wo der lateinische Text Jesus, als auch wo er salvator hatte. Heilan entsprach dem lateinischen salvare nur ungefähr; und was in den deutschen Worten heil, heilsam, heilen noch heute an sanus und sanare erinnert, das ging mit der Lehnübersetzung Heiland wohl zu den germanischen Völkern mit über, in manchen Zug von Kunst und Poesie. Wurde doch sogar das liturgische Wort hosannah (erlöse uns) ebenfalls durch heil si wiedergegeben. Andere Lehnübersetzungen des Eigennamens Jesus wie das schon erwähnte haltare und neriendo (das mit genesen zusammenhängt) setzten sich nicht durch.

So fremd also war sogar den Lehrern der neuen Lehre der neue Gedankenkreis, daß sie nicht einmal die weltüberwindende Kraft des Namens Jesus Christus voraussahen, keinen Sinn dafür hatten, daß sie die Wortfolge dominus noster Jesus Christus so übersetzten, als ob da gestanden hätte: dominus noster unctus salvator.

IV.

Ich habe die Lehnübersetzungen des Eigennamens vorausgeschickt, um damit zu begründen, daß auch der Oberbegriff Christentum nur als ein Wort, meinetwegen als das wichtigste Wort zu den Germanen gekommen ist. Wäre Jesus Christus konsequent mit geweihter oder gesalbter Heiland wiedergegeben worden, wäre der jüdische Eigenname und der griechische aus dem Hebräischen übersetzte Amtsname nicht mit nach Germanien herübergekommen, so hätten wir in Deutschland und dessen Filialländern, weiter in Frankreich und in Spanien das Christentum nicht. Ich meine nicht nur den Lautklang. Man stelle sich vor, heutige Missionare wollten ihre Lehre auf eine Südseeinsel oder nach Japan bringen, ließen aber die Sprachkette mit Rom dadurch zerreißen, daß sie anstatt Jesus Christus unctus salvator ins Japanische oder in die Sprache der Südseeinsel übersetzten. Ich möchte wohl wissen, was dann nach einigen hundert Jahren noch ans Christentum erinnerte.

Ich glaube nicht, daß der Vergleich falsch oder gar für die germanische Welt despektierlich ist. Wie immer sich der Christusglaube in seiner Heimat von innen heraus entwickelt haben mag, die Grundbegriffe oder Grundworte der neuen Religion kamen den Griechen von außen, über die Griechen den Römern von außen. Aber die innere Bewegung hörte in den ersten Jahrhunderten nicht auf, solange nicht, bis die Worte sich zu einem System zusammenschlossen, und dieses System an einer fast staatlichen Organisation, der römischen Kirche, seinen Halt gefunden hatte. Völlig von außen, noch viel äußerlicher, kam nun dieses geschlossene Wortsystem mitsamt der Organisation zu den hochdeutschen Stämmen, um die es sich mir hier handelt. Als ein System von Fremdworten. Andere deutsche Stämme, die Goten, die Franken, die Angelsachsen hatten dieses System von Fremdworten schon vor den hochdeutschen Stämmen importiert. Wir wissen nicht, wie weit die Hochdeutschen durch nachbarlichen Verkehr mit Stammesgenossen und mit Römern auf die neuen Begriffe vorbereitet waren, wie gut oder wie schlecht. Wir wissen ja fast nichts von der deutschen Weltanschauung der vorchristlichen Zeit. Wir können uns nur nicht vorstellen, daß diese Menschen etwa in ihrer Sprache den ethischen Begriff Demut oder den mythologischen Begriff heiliger Geist schon vorgebildet hatten. Und dennoch kam den christlichen Lehrern alles darauf an, für die Worte des Glaubensbekenntnisses, für die Worte des Vaterunsers Übersetzungen, Lehnübersetzungen zu finden, welche den neu zu gewinnenden Deutschen irgendwie verständlich waren. Man mache sich doch den Unterschied gegen eine spätere Zeit einmal klar. Als Luther sein grandioses Werk schuf, die Bibel ins Deutsche übersetzte, da übersetzte er schon in ein christliches Deutsch; die deutsche Sprache war in rund tausend Jahren christlich geworden, so christlich, daß es fast unmöglich ist, uns von dem vorchristlichen Deutsch und seiner inneren Sprachform noch eine Vorstellung zu machen. Die Worte der kirchlichen Organisation, Titel wie Bischof, Priester usw. mußten als Fremdworte herübergenommen werden, um der Einheit der Kirche willen. Die Worte der christlichen Stimmung entstanden durch Bedeutungswandel der Lehnübersetzungen. Die Vulgata übersetzt ἀγαπη mit caritas (oder dilectio), niemals mit amor. Das wäre shocking gewesen. Die althochdeutsche Sprache war nicht so prüde. Sie übersetzte caritas durch minna (amor). Und als später minne durch Liebe verdrängt wurde, war die Bedeutung schon christlich geworden.

Man vergleiche die Invasion der römisch-christlichen Worte mit der späteren Invasion des römischen Rechts, die gewiß eine Hauptschuld trug an der Fremdwörterei im Deutschen, welche wir nicht anders denn als Verhunzung empfinden können. Der Stand der Juristen befand sich wohl dabei. Auch der geistliche Stand hätte sich wohlbefunden, noch wohler die römische Organisation, wenn die christlichen Worte in der vermeintlichen Originalsprache (wenig wußte man zu jener Zeit vom Hebräischen und Griechischen) den hochdeutschen Stämmen hätten aufgedrängt werden können. Denn diesen Hauptpunkt für die Geschichte der Sprache und des Christentums oder für die Geschichte des christlichen Deutsch sollte man nicht übersehen, sollte man bei solcher Betrachtung fest im Auge behalten: die Neubekehrten mußten das apostolische Symbolum und das Vaterunser auswendig hersagen können; auswendig und hersagen, wie heute noch; und nach dem Wunsche der Organisation in lateinischer Sprache auswendig hersagen; das Horrendum wurde gelehrt und geglaubt: zu dem neuen Gotte könnte mit Aussicht auf Erfolg nur gebetet werden in einer der drei Sprachen, in denen die Inschrift des Crucifixus abgefaßt war, auf Hebräisch, Griechisch oder Lateinisch. Hebräisch und Griechisch ging schon gar nicht, also Lateinisch. Aber auch das ging nicht. Das Volk weigerte sich. Kein Geringerer als Karl der Große mußte noch 794 verkünden, Gott dürfe in jeder Sprache angebetet werden, d. h. auch in der deutschen Muttersprache. Aber noch das Mainzer Konzil von 813 stellte das Auswendiglernen des lateinischen Credo und Paternoster als die Regel hin, das deutsche Aufsagen als die Ausnahme. »Et qui aliter non potuerit, vel in sua lingua hoc discat.« Damit hängen die Bibelverbote, d. h. die Ächtung aller Bibelübersetzungen (mit Ausnahme der Vulgata) eng zusammen, die von Gregor VII. bis in die neueste Zeit wiederkehrten.

Also: nach dem Wunsche der römischen Organisatoren das Christentum ein System von fremden Worten, die nachher bestenfalls zu Lehnworten geworden wären; das System von Lehnübersetzungen schon eine Konzession an den Volkswillen, der an dem großen Frankenkönig eine Stütze fand. Ohne diese Konzession vielleicht die ganze Entwicklung nicht, die von den deutschen Mystikern über Luther zu uns führt, und die immer wieder an die deutsch-christlichen Lehnübersetzungen anknüpft. Es kam nicht dazu, daß die hochdeutsche Sprache durch einen romanischen Dialekt verdrängt wurde.

Das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser wurden übersetzt. Wie viel wurde damit gewonnen? Wir wissen nichts. Wir können nur vermuten, daß mit der Übersetzung des Vaterunsers sehr viel, mit der Lehnübersetzung des Credo sehr wenig gewonnen wurde. Auf die deutschen Stämme konnte der inbrünstige Aufschrei der Kreatur im Vaterunser, die Sehnsucht nach dem gemeinsamen Vater im Himmel nicht ganz so wirken, wie auf die Sklaven der griechisch-römischen Kulturwelt; sie verstanden wahrscheinlich die Schuld nicht oder anders, die vergeben werden sollte; aber von der Innigkeit dieses Gebets fiel doch mancherlei auch für den deutschen Beter ab. Christliche Stimmung konnte durch Übersetzung vermittelt werden. Das Credo aber war auch in der Lehnübersetzung nur auswendig zu lernen.

Wenn wir heute zurückblicken und Geschichte schreiben vom Standpunkte der Gegenwart (wie eben Geschichte geschrieben wird), so dürfen wir freilich sagen, daß die Annahme des Christentums durch die germanischen Völker eins der wichtigsten Ereignisse der abendländischen Geschichte war, meinetwegen der Weltgeschichte. Die Ursachen aber dieser Annahme und Aufnahme sind eitel Konstruktionen. Nicht einmal der Boden der Wortgeschichte ist immer fest. Was nun gar über den Charakter und über die Seelensituation der damals neu auftretenden Völker behauptet wird, das wäre auch dann nicht zu beweisen, wenn wir irgend einen alten Bericht besäßen. Die einfachen Grundwahrheiten des Christentums sollen dem unverdorbenen Volke sympathisch gewesen sein; aber wir wissen nicht, was da einfach und unverdorben sagen soll. Wir kennen durchaus nicht das Auf und Ab des Kriegsglücks und der politischen Intriguen, die doch ganz gewiß bald das östliche, bald das westliche Dogma, bald das Heidentum in Germanien begünstigten. Gäbe es historische Gesetze, so hätten auch die unverdorbenen Mexikaner die einfachen Grundwahrheiten der spanischen Eroberer inbrünstig annehmen müssen. Was vollends L. Tobler (Das germanische Heidentum und das Christentum) über die prästabilierte Ähnlichkeit zwischen germanischem Heidentum und christlichen Glaubenslehren vorträgt, das ist doch offenbar Historismus, ist vergleichende Religionsgeschichte aus dem 19. Jahrhundert. Jetzt erst, nachträglich spürt man eine Dreieinigkeit aus der deutschen Mythologie heraus; jetzt erst entdeckt man Ähnlichkeiten zwischen Jesus und dem sanften Balder, (mag auch der Satan wirklich altdeutsche Züge erhalten haben); jetzt erst entdeckt man die Linien des Kreuzes in Thors Hammer. Hätten die Germanen eine so nahe Verwandtschaft zwischen ihrem Glauben und dem neuen Christentum gesehen, sie hätten eher Grund gehabt, ihre Mythologie beizubehalten.

In Wahrheit war der Religionswandel nur ein Sprachwandel. Für unseren fehlerhaften Rückblick mehr organisch, d. h. langsam, bei den Romanen, mehr unorganisch, d. h. sprunghaft, bei Germanen und Slawen. Fremdworte und Lehnübersetzungen taten der Sprache Gewalt an. Wollte die alte Sprache sich dieser Gewalt nicht fügen, oder konnte sie nicht, so wurde die Sprache mitsamt dem Volke noch gewaltsamer ausgerottet. So übrigens wurde das Christentum nach Amerika gebracht.

V.

Bevor ich die wichtigsten Worte in ihrem Übersetzungswandel von Palästina bis zu ihrer Festsetzung zwischen Alpen, Rhein und Donau geordnet hersetze, möchte ich die Etappen der Wanderung noch einmal ganz kurz im Zusammenhange darstellen. Ich werde dabei in diesem ganzen Abschnitt später wesentlich nur dem ausgezeichneten Buche R. v. Raumers folgen »Die Einwirkung des Christentums auf die althochdeutsche Sprache«. (Aus dem Jahre 1845 und doch nicht sehr veraltet.) Raumer ist gläubig und hat ganz andere Ziele als meine sprachkritische Arbeit; und dennoch finde ich bei ihm (S. 158) die in ihrer Naivität merkwürdige Kapitelüberschrift: »Die Übersetzung des Christentums in die lateinische Sprache«. Wir werden noch sehen, wie das auf Augustinus zurückführt.

Die Christuslehre knüpft an Worte an, an ein Buch, an das neue Testament. Ob es hebräische oder aramäische Urevangelien gegeben hat, das wissen wir nicht. Von dem lebendigen Einfluß Jesu Christi, in seiner lebendigen Muttersprache, auf seine Jünger wissen wir fast nichts. Sehr viel aber wissen wir von dem Einfluß des Hebräisch-Aramäischen auf die Sprache des neuen Testaments, die nicht klassisches Griechisch, aber auch nicht reines hellenistisches Griechisch ist. Ich folge hier Winers »Grammatik des neutestamentlichen Sprachidioms« (6. Aufl.). Die griechische Gemeinsprache bei den Juden der Diaspora war schon durch den Text der Septuaginta stark beeinflußt worden, der übrigens von Übersetzungsfehlern wimmelt; dazu kamen Worte und Wortformen aus allen griechischen Dialekten. Die Diktion des neuen Testaments wurde durch Hebräismen und Aramäismen, durch Ausdehnung von Bedeutungen, durch Lehnübersetzung von Redensarten und von speziell jüdischen Begriffen stark genug geändert, um den besseren Hellenisten gelegentlich verächtlich zu werden. Selbst Schulausdrücke des Rabbinismus schlichen sich ein. Worte wie scandalum für Anstoß, anathema für das zu Verfluchende und viele andere sind historisch nur zu verstehen, wenn man auf hebräische Texte zurückgeht. Endlich bilden sich die neuen termini technici des neuen Glaubens aus, die griechisch klingen, aber den alten Griechen völlig unverständlich gewesen wären, wie Apostel, Evangelium, Baptisma, Agape. Auf die eigentlich grammatischen Änderungen, wie den jüdischen Gebrauch von Präpositionen, lasse ich mich nicht ein. Die Einsicht in den Verderb der neutestamentlichen Diktion durch die Judensprache ist nicht etwa ein Ergebnis der neuen Philologie; schon Erasmus wußte, daß die Sprache der Apostel unsauber war und von Solözismen wimmelte. Nur über die Schönheit oder Unschönheit dieser Diktion herrschte Streit zwischen den gelehrten Puristen und den frommen Hebräisten; und mag weiter herrschen.

Als das Christentum sich in den Ländern, die man wohl jetzt noch unter dem Ausdruck Levante zusammenfaßt, ausbreitete, schloß es sich der dortigen Verkehrssprache an, die durch Alexander fast eine Weltsprache geworden war. Auch die römischen Herren verhandelten ja dort mit den Eingeborenen in der gemeingriechischen Sprache. Dort entstanden die Schriften des neuen Testaments, die die christlichen Begriffe schon in griechischer Lehnübersetzung aufnahmen. Als das Christentum weiter nach Westen drang, fand es im Latein eine fast noch mächtigere Gemeinsprache vor, zu seinem Heil. Die Septuaginta und das neue Testament wurden unter Hieronymus ins Lateinische übersetzt. Die Vulgata war da.

VI.

Hieronymus war der Mann, der den größten Einfluß gewann auf die Form des christlichen Latein und dann durch die Vulgata auf die Sprachen der christlichen Völker, auf die romanischen wie die germanischen Sprachen. Wer die bildlichen Darstellungen des Hieronymus als eines Wüstenheiligen vor Augen hat, macht sich von diesem Manne eine grundfalsche Vorstellung. Er war kein Römer, war irgendwo an der Grenze zwischen der Steiermark und Ungarn geboren, nahm aber die römische Rhetorenbildung der Zeit ganz in sich auf. Dazu studierte er Griechisch und für seine Lebensaufgabe, trotz eines gewissen Widerwillens, auch Hebräisch. Leidenschaftlich in Sinnlichkeit und Rechthaberei, war und blieb er fern von Askese, vor und nach einigen Versuchen zur Weltflucht. Immer wieder spielen Frauen in sein Leben hinein. Wie in das Leben eines Dichters. Den Rhetor, den Menschen mit der wilden Jugendzeit mag man mit Augustinus vergleichen. Weiter geht die Ähnlichkeit nicht. Augustinus drückte selbstherrlich dem Geiste des Christentums sein Siegel auf und kann mit der Inbrunst seiner Gottseligkeit heute noch einen Atheisten entzücken. Als ein Poet wider Willen. Hieronymus, der unlesbare Heiligenromane schrieb, für das heutige Geschlecht unlesbare, der den großen dogmatischen Geheimnissen gegenüber versagte, hat als ein Beauftragter des römischen Bischofs nur der Sprache der Kirche sein Siegel aufgedrückt.

Auch mit dem Lebenswerke Luthers hat man das Lebenswerk des Hieronymus verglichen. Die Wirkung der Vulgata war vielleicht größer als die der deutschen Bibel, weil Luther nur die neue deutsche Sprache umschuf, Hieronymus aber alle Sprachen des Abendlandes direkt oder indirekt beeinflußt hat. Nur daß Luther mit ungeheurer Sprachkraft und mit eisernem Fleiße etwas Neues formte, Hieronymus dagegen – wie immer wiederholt werden muß – sich auf eine Revision beschränkte, auf die Form keinen Wert legte und mitunter etwas liederliche Arbeit eingestehen mußte. Ein Beispiel nur. Luther erzählt: »und ist uns wohl oft begegnet, daß wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen haben ein einziges Wort gesucht und gefragt; habens dennoch zuweilen nicht funden«. Hieronymus hat nach seinem eigenen Bericht einmal, um nach langer Krankheit doch mit etwas herauszukommen, die drei Salomonischen Bücher in drei Tagen übersetzt. Daher vielleicht die zahlreichen Inkonsequenzen der Vulgata: bald wird dem Sinne nach übersetzt, bald dem Buchstaben nach; bald werden Lehnübersetzungen selbst von Eigennamen gegeben (paradisus voluptatis für ein Garten in Eden), bald werden, beinahe wie später von den Humanisten, Ausdrücke der klassischen Mythologie (Sirenen, Faunen, Lamien) für biblische Begriffe gesetzt; bald folgt er seiner Neigung zu einem eleganten, rhetorischen Latein, bald folgt er in Worten und Konstruktionen schlechtem Vulgärlatein. Nur im Schimpfen auf seine Gegner hält er einen Vergleich mit Luther aus; seltsam genug stehen solche Stellen in den zahlreichen Vorworten der Vulgata.

Der Begriff der Kirche als Heilseinrichtung wurde sehr früh in die Synagoge hineininterpretiert; weil ein unseliger Zufall der Religionsgeschichte die Schriften des alten Bundes zu Bestandteilen der heiligen Schrift der Christen gemacht hatte. Für viele Judenchristen, natürlich aber erst recht für alle Heidenchristen, die weder Hebräisch noch Chaldäisch verstanden, war das alte Testament nur in der Septuaginta vorhanden. Die vielfach falsche Übersetzung der Septuaginta wurde aber allgemein als inspiriert angesehen. Augustinus z. B. wußte recht gut, daß manches in der hebräischen Bibel steht, was in der Septuaginta nicht zu finden ist und umgekehrt; der heilige Geist habe damit zeigen wollen utrosque fuisse prophetas. Damit werden die 70 Dolmetscher zu Propheten gemacht. Origenes verglich die Septuaginta mit dem hebräischen Original, aber (wenn er da ehrlich war) nur um durch Feststellung der Abweichungen den Text der Septuaginta rein halten zu helfen; nebenbei auch um für die Polemik gegen die Juden Material zu liefern. Die inspiratorische Herstellung der Septuaginta wurde nicht dogmatisch ausgesprochen; aber sie ist die geltende Meinung der vorlateinischen Zeit; und in der orientalischen Kirche ist die Septuaginta heute noch der authentische Text des alten Testaments.

Daran, daß auch der hebräische Text, den wir jetzt den massoretischen nennen, seine menschliche Zufallsgeschichte gehabt habe, dachte niemand in der alten Zeit. Wo die Septuaginta mit dem Judentexte nicht übereinstimmte, da sollten die Juden aus Bosheit Fälschungen vorgenommen haben. Jetzt weiß man, daß die Septuaginta an ein- bis zweitausend Stellen besser mit einem alten samaritanischen Pentateuch stimmt, auch mit der Peschito, der vorchristlichen syrischen Übersetzung, als mit dem heute üblichen Judentexte.

Von der Zufalls-Umgestaltung des hebräischen Textes hatte auch Hieronymus keine Ahnung, als er (wie Origenes) der Polemik gegen die Juden Waffen liefern wollte, aber (moderner als Origenes) bei seiner Übersetzung des A. T. auf den hebräischen Urtext zurückging, den er oft genug die hebraica veritas nannte.

Gegen tausend Jahre lang kümmerte sich dann die römische Kirche in ihrer Weltstellung, getrennt von der morgenländischen, nicht um die griechische und die hebräische Sprache, nicht um die beiden Urtexte ihres Gotteswortes. Und wir können es nur einen Zufall nennen, daß fast zu gleicher Zeit im 14. Jahrhundert die Beschäftigung mit dem griechischen wie mit dem hebräischen Original wieder einsetzte. Das Interesse für die griechische Sprache wurde durch die Kreuzzüge, durch die Beziehungen zum lateinischen Kaisertum und endlich durch die philologische Seite der Renaissancebewegung wachgerufen. Das Interesse für die hebräische Sprache galt wieder einer Polemik mit den Juden, die damals in Spanien etwas wie eine national-jüdische Philosophie und Literatur zu schaffen anfingen. Von da schien eine Gefahr zu drohen. Der Papst verordnete im Jahre 1311, daß die Universitäten, die natürlich alle katholisch und von Theologen geleitet waren, Lehrstühle für das Hebräische, das Arabische und das Chaldäische errichteten. Erst im 15. Jahrhundert änderte sich die Anschauung der neuen Gelehrsamkeit derart, daß nicht mehr Übereinstimmung mit dem Original, sondern ein ciceronianisches Latein vom Gotteswort verlangt wurde. Um solcher Ketzerei willen hatte Laurentius Valla zu leiden.

In anderem Zusammenhange habe ich nachzuweisen versucht, in wie ungeheurer Menge hebräische Gedanken und Wortfolgen durch Lehnübersetzungen in die griechische Septuaginta, von da in die lateinische Vulgata und von der Vulgata in die neuen Sprachen der christlichen Völker übergegangen sind. Hier will ich nur darauf hinweisen, daß schon die Septuaginta (neben vielen Stellen einer freien oder auch falschen Übersetzung) sich oft sklavisch an den hebräischen Buchstaben klammert und so häufig eine Lehnübersetzung zustande bringt, die gar nicht mehr griechisch ist, für Platon ebenso schwer verständlich, wie etwa die Vulgata für Cicero gewesen wäre: daß ihre Sprache ein Jargon ist. Judengriechisch, ganz genau verständlich nur dem, der die neuen Worte für neue Vorstellungen nahm. Natürlich wurden die Worte des neuen Jargons mit etwas gefüllt: mit Stimmung, mit Gefühl; es wird aber schwer auszumachen sein, wieviel echte, mystische, religiöse Stimmung mit den Worten verbunden wurde und wieviel tote Echolalie.

Die 70 Dolmetscher mußten Juden sein. Aber auch die lateinische Übersetzung der Bibel, die vor der Vulgata-Revision durch Hieronymus in der Kirche üblich war, die Itala, scheint von einem Juden hergestellt, der hebräisch und die hellenistische Gemeinsprache gut verstand, lateinisch reden aber nur beim Pöbel gelernt hatte. Mir ist es bei all diesen Notizen wahrhaftig nicht darum zu tun, den Juden ein besonderes Verdienst um die Verbreitung des Christentums zuerkennen zu wollen. Nur das möchte ich wiederholen: nicht nur durch Worte und Wortfolgen, nein, als eine Gruppe von Worten und Wortfolgen ist das Christentum zu den abendländischen Völkern gelangt, hat es entscheidenden Einfluß auf die moderne Kultur gewonnen; und diese Worte und Wortfolgen, welche die romanischen, germanischen und slawischen Sprachgebäude in Struktur und Schmuck einander ähnlich machen, waren hebräisch, waren judengriechisch, waren Judenlatein, bevor sie national französisch, national deutsch werden konnten. Und wie nach meiner Lehre Religion überhaupt alterndes oder veraltetes Wissen ist, veraltetes Denken oder Sprechen, so hat in unseren Nationalsprachen der Bibeljargon, soweit er als Bibeljargon noch gefühlt wird, einen archaïstischen Charakter, heute wie von jeher; so mag schon das Vulgärlatein, das Pöbellatein der Itala, das dem oder den jüdischen Übersetzern allein geläufig war, bereits archaïstisch geklungen haben, gegenüber dem feinen Latein der höheren Stände in Rom und in den Provinzen, gegenüber der urbanitas. Als Hieronymus die Revision der Itala vornahm, hat er den verbreiteten Text der Itala bewußt geschont; aber er hätte auch gar nicht anders vorgehen können, weil die neue Weltanschauung sich eben gar nicht anders aussprechen ließ als durch die Worte und Wortfolgen des alten Vulgärlateins, das neues Judenlatein geworden war.

Tausend Jahre ungefähr brauchten von der Zeit des Hieronymus an die neuen Nationalsprachen, um sich geschmeidig genug zu fühlen für eine wissenschaftliche Behandlung der letzten Fragen, d. h. theologischer und philosophischer Vorstellungen. Je unähnlicher die Sprachen dem Vulgärlatein waren, desto länger dauerte der Prozeß; in Frankreich 200 Jahre länger als in Italien, in dem pedantischen Deutschland 200 Jahre länger als in Frankreich; in manchen slawischen Ländern 200 Jahre länger als in Deutschland. Nationale Poesie, soweit sie sich im Gegensatz befand zu der Sprache der Gelehrten, entwickelte sich ganz anders: je ähnlicher die Sprache dem alten Vulgärlatein war, desto später wurde sie als Poeten-Sprache entdeckt.

Und noch eins: in den Ländern des Vulgärlatein, in Hispanien, Gallien und Italien, hing das Volk wortabergläubisch an den traditionellen, archaïstischen Worten und Wortfolgen der neuen Lehre, empörte sich sogar gegen jeden Versuch, die Lehre in besserem Latein vorgetragen zu bekommen. Hieronymus wußte davon zu erzählen. Da scheint es mir denn kein Zufall, daß bei den germanischen Völkern, wo eine solche Andacht zum traditionellen Wort nicht bestehen konnte, der Wunsch nach neuen und guten Übersetzungen stärker war, daß also in diesen Ländern die Bewegung der Renaissance oder des Humanismus zu einem pietätslosen Studium des Gottesworts führte, zur Reformation.

VII.

An anderer Stelle (Vgl. Art. Gotteswort) erzähle ich die Geschichte der Vulgata und wie durch Jahrhunderte der hebräische und der griechische Urtext vom Horizonte der Theologie verschwand. Es war seltene Liebhaberei, wenn einmal ein Lehrer noch Hebräisch oder Griechisch trieb. Für die organisierte Kirche wurde die Vulgata der Urtext. Es war ein neues Latein. Es hatte die neuen Begriffe der christlichen Stimmung und der christlichen Mythologie, ja jetzt im vierten und fünften Jahrhundert schon die des Dogmas aufgenommen, durch Lehnübersetzungen aus zweiter Hand.

Die größte Bedeutung sowohl für Stimmung und Dogma als für das christliche Latein hat Augustinus. Man hat auch ihn, wie den h. Hieronymus, oft und richtig mit Luther in Parallele gesetzt, dachte dabei aber fast nur an ihr Verhältnis zum Dogma, zum paulinischen Christentum. Aber beiden gemeinsam ist auch eine gewisse Verachtung der Schullogik. Und wenn man davon absieht, daß Augustinus nach dem Zeitgeschmack ein Rhetor war und blieb, so ist ihr Einfluß auf die christliche Sprache fast überraschend ähnlich. Von Luther weiß alle Welt, daß er durch seine Bibelübersetzung und durch seine übrigen Schriften der neuen christlich-deutschen Sprache und der neuhochdeutschen Sprache überhaupt feste Form gegeben hat. Fast ebenso schuf Augustinus, wenn auch nicht er allein, die klassische Römersprache zum christ-lateinischen Idiom des Mittelalters um. Für tausend Jahre. Ich habe anderswo schon gesagt, daß dieses scholastische Latein eine lebendige Sprache war; Latein erst dann zu einer toten Sprache wurde, seine Rolle auszuspielen begann, als die Humanisten die Mode aufbrachten, klassisches Latein zu schreiben. Bis zur Zeit des Augustinus empfanden gelehrte Männer die neue christ-lateinische Sprache als barbarisch; jetzt kam es durch die Macht der Gewohnheit so weit, daß die, die mit den heiligen Schriften genährt und erzogen worden waren (quodam modo nutriti educatique), sich mehr über gutes Latein wunderten. (De doctrina christiana II, 15.) Der Rhetor Augustinus war als Prediger nicht gar weit von dem sprachlichen Naturalismus Luthers entfernt.

Als Schriftsteller hätte er gern mit den Dichtern klassischen Lateins gewetteifert, als Prediger wünschte auch er dem Volke aufs Maul zu sehen. Die Armen am Geiste sollten ja das Evangelium bekommen und in der Provinz scheint der Einfluß des Vulgärlatein noch stärker gewesen zu sein. Dazu kam noch Unwissenheit in Etymologie, die freilich dem ganzen Altertum gemeinsam war; es ist noch nicht der schlimmste Fall, wenn haereticus mit erraticus erklärt und verwechselt wurde. Salvator scheint lange vulgär gewesen zu sein, bevor es von der offiziellen Kirchensprache offiziell angenommen wurde. Gerade bei Augustinus können wir dieselbe Beobachtung machen wie an der heutigen Kanzelsprache: wo der Redner recht langweilig und orthodox ist, da verfällt er in eine übertriebene Schriftsprache – Schrift in beiderlei Sinne – und wird im Wortgebrauch archaïstisch; Kanzelberedsamkeit ist ihrem Wesen nach archaïstisch; große Wirkungen aber haben die Berthold von Regensburg, die Abraham a Santa Clara usw. immer mit vulgären Worten und Gedanken erreicht. Auch Augustinus greift zu Solözismen, wo es sich um das Heil der unsterblichen Seele handelt. Die Vulgata, die lateinische Bibel, ist allerdings, wie gesagt, von Hieronymus redigiert. Aber der Schöpfer der christlateinischen Predigtsprache ist vor allen andern Augustinus.

Er hat die Übersetzung des Christentums ins Lateinische vollendet. Mit klarem und wissenschaftlichem Bewußtsein. Er forderte, daß die lateinischen Lehrer Kenntnis der hebräischen und griechischen Sprache erlangten; er hebt ausdrücklich die unübersetzbaren Lehnworte wie Amen, Halleluja, Racha, Hosannah hervor. Aber die Kenntnis der beiden Ursprachen sei nicht wegen solcher Kleinigkeiten notwendig, sondern um zwischen verschiedenen Übersetzungen entscheiden zu können. Denn die Übersetzer aus dem Hebräischen ins Griechische (er meint die Siebzig) wären zu zählen gewesen, die Übersetzer ins Lateinische nicht. Wie Einem in den ersten Zeiten ein griechischer Kodex in die Hand fiel und nur ein klein wenig Gewandtheit in beiden Sprachen vorhanden schien, da wurde darauflos übersetzt. (De doctr. christ. II, 11.) Und Augustinus weiß auch schon, daß es Lehnübersetzungen nicht nur von Worten, sondern auch von Redensarten gibt; locutiones saepe transferuntur, quae omnino in latinae linguae usum, si quis consuetudinem veterum, qui latine locuti sunt, tenere voluerit, transire non possunt. Und er verteidigt den neuen Sprachgebrauch gegen das klassische Latein wie nur ein modernster Sprachwissenschaftler. Quid est ergo integritas locutionis, nisi alienae consuetudinis conservatio loquentium veterum auctoritate firmatae? (De doctr. christ. II, 14.)

Wie ähnlich aber die Lehnübersetzung des Christentums aus dem Griechischen ins Lateinische seiner Lehnübersetzung aus dem Lateinischen ins Germanische war, das ist aus hundert Beispielen zu ersehen in Koffmanes »Geschichte des Kirchenlateins«. Natürlich hinkt auch an dieser Vergleichung etwas: als das Kirchenchristentum zu den Deutschen kam, war es im wesentlichen fertig, die deutsche Sprache dagegen (jung gäbe ein falsches Bild) unverbraucht, noch geil in ihrer Schoßkraft; als das Christentum zu den Römern kam, war es noch ganz und gar nicht fertig, war dagegen die Römersprache nach langer Treibhauskultur reif zum Zerfall. Wäre nicht leider selbst die abgegrenzte Untersuchung der Geschichte des Kirchenlateins unter verschiedene Fächer gebracht, man hätte längst beachten müssen, wie im Lautwandel und Bedeutungswandel die beiden Bewegungen zusammentreffen: der Zerfall der lateinischen Vulgärsprache in die neuen romanischen Sprachen, und der Versuch, die untergehende lateinische Sprache für den Kirchengebrauch zu erhalten. Bekannte Eigenheiten der romanischen Sprachen finden wir schon bei den ersten lateinischen Kirchenschriftstellern: Gebrauch von Kasus, die die Grammatik falsch nennt, Ersatz der Kasus durch Präpositionen, Anwendung falscher oder falsch verdoppelter Konjunktionen. So hört z. B. das Verständnis für den Ablativ auf; er verschwindet und wird durch super, in, ab, ex ersetzt. Nachlässige Schreibart und Aussprache ließ im Singular Ablativ und Akkusativ gleich klingen; Präpositionen, die heute fast die ganze Deklination der romanischen Sprachen bezeichnen, traten schon damals ein, und weil sie darüber ihre Bedeutung verloren, mußten ihnen andere zu Hilfe kommen, barbarische Wendungen wie ab ante (jetzt frz. avant) und Bildungen mit einer Doppelpräposition wie adagnoscere. Dabei muß man sich hüten, die Entwicklung als eine einheitliche aufzufassen. Es gab lange Zeit kein Hochkirchenlatein oder wie man es nennen will. Es gab, wie später wieder, den Unterschied zwischen den Büchern, die nach Schriftlatein strebten, und den Predigten, die in allen guten Zeiten der Kirche volkstümlich waren. In Afrika und in Gallien wurde schon frühzeitig das Evangelium gepredigt, wieder in einer etwas anderen Sprache als in Italien. Und aus Afrika kam doch Augustinus.

Aber wie in Deutschland sträubte sich auch in Rom das Nationalgefühl und die Innigkeit des neuen Glaubens dagegen, die neuen Begriffe mit ausländischen Worten auszudrücken. Im 3. und 4. Jahrhundert z. B. wollte Byzanz Italien gegenüber ungefähr so sein Vorrecht wahren, wie später Rom Germanien gegenüber. Und so sehen wir, oft bei den gleichen Worten, die Römer glückliche und unglückliche Versuche machen, die griechischen Fremdworte in ihre Literatursprache oder ihre Vulgärsprache zu übersetzen. Kataklysmus wird zu diluvium, angelus sucht man vergebens durch nuntius oder minister zu ersetzen, diabolus durch malignus, malus oder criminator; evangelizare wollte man mit bene nuntiare oder annuntiare ersetzen. Ekstasis mit amentia, agape durch dilectio, pentekoste durch quinquagesima; die Übersetzung exomologesis wurde noch zur Zeit von Tertullian so gebraucht, magis graeco vocabulo, dann glückte die Lehnübersetzung confessio ebenso wie confiteri für exomologesin facere. So gibt es im Lateinischen wie im Deutschen sehr viele geglückte, noch mehr mißglückte Lehnübersetzungen, besser gesagt: solche die Glück hatten und die kein Glück hatten. Vergessen sind die zahlreichen Übersetzungen der Ketzernamen wie Millenarii für Chiliastae, Serpentini für Ophistae, auch abstinens für Apostata; apparitio ist gegen epiphanias, misericordia gegen elemosyne nicht aufgekommen (Werke der Barmherzigkeit tun hieß einige Zeit operari,2 wovon pratiquer wohl Lehnübersetzung mit starkem Bedeutungswandel); fast anstößig wäre uns heute fabrica für Genesis.

Zu den geglückten Lehnübersetzungen gehört consilium für synodus, Trinität für Trias, missa (sehr alt, offenbar anstatt missio, Entlassung, vielleicht ein Kinderausdruck der Katechumenen); communio gleich communicatio für κοινον bei der Abendmahlsgemeinschaft; sacramentum für alles Heilige neben anderen Modeworten auf mentum; dominicum für κυριακη hat sich wohl in Dom erhalten; aedificare, aus dem neuen Testament übersetzt, besteht noch in unserem erbaulich; ähnlich consummatio = συντελεια in unserem vollenden = sterben; offendiculum blieb nicht siegreich gegen das geläufigere scandalum, lebt aber in unserem Anstoß fort.

Bei dem Zustande der Quellen wissen wir nur viel mehr von den Entlehnungen des lateinischen Christentums als von denen des deutschen Christentums. Aus dem so hoch entwickelten römischen Recht kamen Begriffe ins Christlatein wie advocatus, mediator, instrumentum und testamentum, aus dem militärischen Leben etwa disciplina, tiro, rebellis, auch wohl signare im Sinne von taufen. Auf Volksetymologien, d. h. auf gelehrte Volksetymologien in meinem Sinne, die schließlich doch auch puristischen Wünschen entsprachen, habe ich schon hingewiesen; pascha wurde, trotzdem man das hebräische Wort kannte, willkürlich vom griechischen πασχειν oder vom lateinischen passio hergeleitet. Zu einem noch gröberen Wortunsinne führte Unkenntnis eines einheimischen Wortes; metallum bedeutet auf griechisch, was unterirdisch erforscht wird, auf lateinisch besonders Gold und Silber, dann überhaupt Produkte des Bergbaues; das führte zu der Redensart condemnare ad metallum, wie etwa heute in Rußland zu Sibirien verurteilt wird; ein Fragment hat nun metallum ignis aeterni für den Strafort des ewigen Feuers.

Um endlich die Bilder aufzuzählen, unter denen das Christentum in Italien populär wurde und über Italien nach Deutschland kam, müßte man die gesamte Bibelübersetzung mitsamt den erhaltenen Predigten der ersten Jahrhunderte ausschreiben. Und wenn wir uns gegenwärtig halten, daß Sprachentstehung und Bedeutungswandel immer metaphorisch sind, so gewinnen die Bilder der lateinischen Kirchensprache eine erhöhte Bedeutung für den neuen Glauben, für die neue Weltanschauung. Bei: Schiff der Kirche, Christus am Steuer, dem Meere der Weltlichkeit, der Taube, der Mutter, der Giftschlange, der Herde, dem Hirten und dem Wolfe, den Fallstricken (aus dem Vulgärlatein kam dafür muscipulum auf, die Mausefalle), dem Heilweg, der Pilgerfahrt usw. usw. mochte das Bildbewußtsein noch bestehen bleiben. »Es gibt Vorstellungen, die sich leichter im Bilde als mit strengem Denken vollziehen lassen.« (Koffmane 149.) Bei allen Vorstellungen, die um das Dogma der Trinität drum und dran hängen, mußte das Bildbewußtsein schwinden, und die Worte, die Bilder waren und für Begriffe gehalten wurden, wanderten in genauen Übersetzungen von Volk zu Volk.

Ich möchte diesen kurzen Auszug und Exkurs nicht schließen, ohne darauf hingewiesen zu haben, daß auch in der poetischen Sprache diese Frühzeit durcheinander Anlehnungen bald an die Klassiker, bald an die Vulgärsprache suchte und daß beide Anlehnungen fortgewirkt haben. Es ist bekannt wie etwa ein großes Gedicht, welches die Geschichte von der Schöpfung bis zur Himmelfahrt Christi darstellte, aus Virgilianischen Versen zusammengestoppelt wurde. Selbst antike Mythologie fehlte nicht ganz; aber noch ohne den antichristlichen Zug, den ähnliche Arbeiten in der Zeit der Renaissance hatten. Einmal wurde der Engel, der zu Maria kommt, nach Mercurius geschildert. Aber die frommen Dichter verstanden die klassische Prosodie nicht mehr. Sie machten unaufhörlich Donatschnitzer, schmückten dafür ihre Verse mit Alliterationen und Assonanzen aus und erfanden endlich die neue poetische Form, den Reim, dem wir schon bei Ambrosius begegnen.

Humanisten und Oberlehrer mögen sich über den Versbau dieser altchristlichen Lyrik entsetzen. Wir vernehmen die neue Form eines neuen Geistes. Das einzige, was das lateinische Christentum nicht abgeschrieben oder übersetzt, was es der Welt für bisher anderthalb Jahrtausende als eigene Erfindung neu geschenkt hat, das ist die neue Form, der neue Rhythmus der abendländischen Poesie, die neue Bindung, der Knüttelvers, der bei uns erst seit Opitz allgemein die Bezeichnung Reim (wohl doch von rhythmus) erhalten hat.

VIII.

Lateinisch war der sacrosancte Text, lateinisch sollten nach dem Willen Roms alle Formeln der Sakramente sein, lateinisch das Gebet und die Lehre, lateinisch die Predigt. So wurde schon um der Sprache des heiligen Textes willen die Bildung eines besonderen lateinischen Lehrstandes für die Kirche zu einer Notwendigkeit. Der Klerus mußte lateinisch verstehen, nicht nur in den romanischen Ländern, sondern auch unter den deutschen Stämmen. Die Wirkung der Sakramente, wie der Buße und des Abendmahls ist nicht an das Verständnis der Gemeinde geknüpft, sondern an die Macht oder den Zauber der von einem Priester gesprochenen lateinischen Worte. Die Messe wurde lateinisch gehalten, daran hat auch Karl der Große nichts zu ändern versucht. Auch die Predigt, in der Zeit der Bekehrung wenigstens, wo sie zwischen die missa catechumenorum und die missa fidelium zu stehen kam, war ursprünglich lateinisch. Aber schon früh mußte Gott den Aposteln der Alemannen, der Hessen und der Thüringer die Gnade schenken, außer in der lateinischen auch in der barbarischen Sprache predigen zu können. Noch die Synode von Tours, 813, trifft ausdrücklich die Bestimmung: »Und daß jeder diese Homilien deutlich zu übersetzen strebe in die romanische Bauernsprache oder ins Deutsche, damit alle um so leichter verstehen können, was gesagt wird.« Winfried, den man den heiligen Bonifatius nennt, predigte in deutscher Sprache. Man tut der Tapferkeit und der Bedeutung dieses Mannes keinen Abbruch, wenn man hervorhebt, daß Winfried, der nach seiner zweiten Romfahrt bereits unter dem Namen Bonifatius Bischof geworden war, nach seiner dritten Romfahrt im Auftrage Roms der gefügige Organisator der kirchlichen Provinz Deutschland wurde, der kirchlichen Kolonie Deutschland, wenn man will. Er war nicht der einzige Angelsachse, der an der Christianisierung der hochdeutschen Stämme beteiligt war. Die gesprochene Mundart dieser Angeln mag wunderlich genug geklungen haben. Und einige wenige Spuren der althochdeutsch christlichen termini lassen angelsächsischen Einfluß erkennen.

Diese wortgeschichtlichen Details sollen uns nicht kümmern. Wir wollen ja nur im weitesten Umriß erkennen, wie der Wunsch, diesen Barbaren etwas von der christlichen Lehre und ein klein wenig von der christlichen Stimmung verständlich mitzuteilen, zu Lehnübersetzungen aus dem neuen Latein in die althochdeutsche Volkssprache führte. Nicht die starke Einwirkung dieses Latein auf deutsche Grammatik und Syntax darf uns aufhalten, nicht einmal die tiefergehende Frage, wie die Verbreitung von Schreiben und Lesen gewirkt haben mag, nur mit der Umgestaltung des Wortschatzes haben wir es zu tun, die so gründlich war, daß die hochdeutsche Sprache, der um das Jahr 700 herum noch mühsam Lehnübersetzungen des Credo und des Paternoster abgerungen werden mußten, zu Anfang des 12. Jahrhunderts bereits durch und durch verchristlicht war, so sehr, daß später nur noch gelehrte Forschung versuchen konnte, Trümmer des vorchristlichen Sprachstandes wiederherzustellen.

Aus der alten Zeit der Lehnübersetzungen besitzen wir viele kleinere und größere Stücke, die sogenannten Glossen, Wörterbücher oder Schulhefte, wie man will, die alle die einzige Absicht verraten, dem Lehrer oder Prediger für die lateinischen termini die neuen deutschen termini zur Verfügung zu stellen. Es sind eher lateinisch-deutsche als deutsch-lateinische Wörterbücher. Den Lehrern war die christ-lateinische Sprache geläufiger als die christ-deutsche; natürlich, denn die christ-deutsche war erst im Entstehen begriffen.

Schlimm genug für die deutsche Sprache, daß die Weltgeschichte bei der Übersetzung des Christentums ins Deutsche den Umweg über Rom machte. Etwas Bastardierendes war bei der Paarung jüdischen und griechischen Geistes herausgekommen. Etwas Bastardartiges, das bis heute noch nicht ganz verschwunden ist, hat der lateinische Einfluß auf deutsche Syntax, Grammatik und den deutschen Wortschatz hervorgebracht. Es sollte nicht sein, daß das Christentum unmittelbar aus der geistverwandten griechischen Sprache zu den hochdeutschen Stämmen kam. Nur wenige Reste einer unmittelbaren Lehnübersetzung aus dem Griechischen werden wir neben griechischen Lehnworten in der nun folgenden Sammlung zu verzeichnen haben.

Neuerdings hat Kluge (Braunes Beiträge 1909 erstes Heft) die ältern und seine eigenen Untersuchungen über die Worte des gotischen Christentums übersichtlich zusammengestellt. Über Kirche, Pfaffe, Heide macht er viel genauere Angaben, als die Zeit von Raumer sie bieten konnte. Kluge rückt auch Taufe, Hölle, Teufel, Engel, ferner die deutschen Namen einiger Wochentage (Samstag, Pfinztag) in gotische Zeit zurück; weist auch sehr scharfsinnig gotischen Einfluß auf barmherzig, Demut, Maut nach, ebenso auf die Lautform Christ und Jude. Für Kluge handelt es sich bei diesen Forschungen hauptsächlich darum, das Alter der sogenannten hochdeutschen Lautverschiebung genauer als bisher zu bestimmen; das Kulturproblem interessiert ihn nur wenig, welches hinter der Tatsache steckt, daß der Arianismus im 4. Jahrhundert auch zu deutschen Stämmen gelangte und später, wie überall im Westen, von der katholischen Kirche unterdrückt wurde. Die Wortforschung hätte da nur die kleine Aufgabe, einige Spuren lateinischen Einflusses auf christliche Worte der Goten zu beachten. Die Geschichtsphilosophie könnte sich mit der Phantasiefrage beschäftigen: wie anders hätte sich das geistige Leben des Abendlandes entwickeln können, wenn anstatt der dogmatischen Lehre von der Wesensgleichheit des göttlichen Vaters und des göttlichen Sohnes eine rationalistische Lehre (der Sohn nur ein Geschöpf Gottes) siegreich geblieben wäre. Für unsern Überblick über die große Übersetzung des Christentums ins Deutsche liefert der gotische Einfluß nur einige Zugaben. Genug daran, zu wissen, daß schon im 4. Jahrhundert einige deutsche Stämme aufhörten, nach christlicher Vorstellung Heiden zu sein.

Der Gegensatz von Christen und Heiden ist gleich ein Musterbeispiel der Wortgeschichte, auf die es mir ankommt. Für die Ungläubigen hat schon das alte Testament den Ausdruck, mit dem das heutige Judendeutsch die Christen beschimpft: Gojim. Im neuen Testament buchstäblich übersetzt: ἐ ϑνη, in der Vulgata: gentes. Als das Christentum im Römerreiche Staatsreligion geworden war, und die Ungläubigen nur noch auf Dörfern lebten (in pagis), entstand der Ausdruck paganus (vom selben Worte auf einem anderen Wege pays, paysan). Beide Bezeichnungen für die Ungläubigen hat das Althochdeutsche, und vorher schon das Gotische, durch Lehnübersetzung übernommen: diota übersetzt gentes und ist wieder verschwunden: heidane (von heida, Campus) übersetzt paganus, war auch zunächst Adjektiv, und ist geblieben. Der Nachweis von Baumer und Kluge, daß das bei Ulfilas einmal vorkommende heithnō (die heidnische Frau) das deutsche Wort bereits geprägt habe, ist fast überzeugend; freilich wäre die nochmalige Übersetzung von paganus nicht so wunderbar wie eine nochmalige Neubildung, und ein volksetymologischer Anklang an ἐϑνη wäre vielleicht nicht ganz auszuschließen.

Ich kann die Vermutung nicht unterdrücken, daß auch paganus auf ein hebräisches Wort zurückgeht; es gibt im Judendeutsch der östlichen Länder heute noch ein sehr beliebtes Schimpfwort, amhorez, das auf den talmudischen Schulausdruck am haërez zurückgeht, wörtlich den Landmann, den Bauer bedeutet, übertragen einen ungebildeten Menschen, einen Idioten (ἰδιοτης, eigentlich Privatmann, wohl Laie). Es spielt in den Judenschulen, wie es scheint, eine ähnliche Rolle, wie asinus in der Polemik des Mittelalters. Die Übereinstimmung mit paganus ist da. Nur fehlte mir das griechische Brückenwort, da eine unmittelbare Übersetzung aus dem Hebräischen kaum anzunehmen war. Aber ἀγροικος bäurisch, grob, ungebildet kommt doch schon bei den alten Lexikographen in dem Sinne von rusticus, paganus vor, im Gegensatz zur ἀστειοσυνη, der Feinheit, der Urbanität (ich kann mir nicht helfen, ich höre aus urbs eine Lehnübersetzung von ἀστυ, die Stadt heraus). Es wäre zu untersuchen, ob ἀγροικος in Alexandrien etwa auch die Bedeutung eines in der neuen Lehre Unwissenden erhielt. Dann wäre die Brücke zu am haërez geschlagen.

Nur noch eins, da ich einmal abgeschweift bin. Diota für gentes ist – wie gesagt – verloren gegangen; aber in einem recht geläufigen neuen Worte, in dem diota drin steckt, ist wohl doch etwas von der alten Bedeutung erhalten geblieben: in dem Worte deutsch. Schon gotisch heißt thiuda Volk; und thiudisks ist bei Ulfilas heidnisch. J. Grimm sagt (Gramm. 3. Aufl. I, 12): »Der Sinn des Wortes ist gentilis, gentilitius, popularis, vulgaris ... aber auch den Nebensinn von heidnisch, barbarisch, den thiudisks wie ἐϑνικος ... im Sinne geistlicher Schriftsteller an sich tragen, darf man nicht abweisen.« Dazu Geiger (Ursprung und Entwicklung I, 451 f.): »So sagt Paulus an jener Stelle, Gal. 2, 14, wo das Wort deutsch in seiner gotischen Form und Bedeutung zum erstenmal auftritt, zu Petrus, der μετα των ἐϑνων, mith thiudom, gegessen hatte: Ε ἰ συ Ἰουδαῖος ὑπαρχων ἐϑνικως ξῃς και οὐχ' ἰουδαïκως, τι τα ἐϑνη ἀναγκαζεις ἰουδαïζειν; was Ulfilas übersetzt: jabai thu Judaius visands thiudisko libais jah ni judaivisko, hvaiva thiudos baideis iudaiviskon? Auch das althochdeutsche diot (Volk) wird, wie Graff bemerkt, ›oft als Heiden den Juden entgegengestellt, besonders im Plural.‹ Man sieht, daß wir es hier bei dem gotischen Plural thiudos mit einem Hebräismus zu tun haben (einer Lehnübersetzung, sage ich); deutsch bedeutet also nichtjüdisch, heidenchristlich ... In der Folge verband sich damit der Nebenbegriff vulgo, vulgaris, von der Sprache.« Luther übersetzt die Stelle: »aber da ich sahe, daß sie nicht richtig wandelten, nach der Wahrheit des Evangelii, sprach ich zu Petro vor allen öffentlich: so du, der du ein Jüde bist, heydnisch lebest, und nicht jüdisch, warum zwingest du denn die Heyden jüdisch zu leben?« Ich glaube nun den alten Sinn von deutsch, den Sinn »volksgemäß, bäurisch, grob« und darum heidnisch herauszuhören aus der sehr alten Redensart ein deutscher Michel, was Grimm mit »ein biederer, gutmütiger, aber unbeholfener, unwissender, geistig beschränkter Mensch« erklärt, schon Stieler aber gar mit »idiota, indoctus«. Diese Bedeutung von deutsch steht freilich im Gegensatz zu der patriotischen (deutsche Treue usw.), die auch bis in die Lutherzeit zurückreicht und der sich selbst Goethe (deutsche Baukunst, der deutsche Baum, das ist die Eiche) nicht völlig entschlug.

Sehr merkwürdig ist, daß auch die alten Worte deutschen, verdeutschen usw. im Sinne von verständlich machen, offenbar auf den ursprünglichen Sinn zurückgehen: volkstümlich ausdrücken, in der Muttersprache. Luther sagt einmal: »wer mit solchem Verstand zum Sakrament gehet, daß er die Wort deutsch oder deutlich im Herzen hat.« Denn auch deuten geht wohl auf dieselbe Vorstellung zurück. Und die bekannte Wortfolge deutsch reden, die schon bei Brant, Eyrer und Sachs vorkommt, heißt zugleich: deutlich und grob reden, im Grunde: ehrlich reden, nur daß die Lateiner und die Franzosen ebenso patriotisch mit gleicher Selbstgerechtigkeit latine loqui und parler à la françoise zu sagen pflegten. Was, wenn übernommen, eine sehr seltsame Lehnübersetzung wäre.

Nicht so einfach ging es bei Übernahme des Begriffs Kirche zu. Kahal, congregatio hominum wurde ins Christlich-griechische übersetzt mit ἐκκλησια oder mit συναγωγε. Die christlich-lateinische Sprache nahm das griechische Fremdwort ecclesia allein auf und verwendete es in den drei Bedeutungen: Gemeinschaft der Gläubigen, Zusammenkunft zum Gottesdienst und gottesdienstliches Gebäude. Die Goten hatten das griechische Fremdwort ἐκκλησια übernommen; das hochdeutsche Kirche kommt, wie man seit dem 9. Jahrhundert fast widerspruchslos lehrt, von κυριακη, domus domini. Die deutschen Lehnübersetzungen, die wir noch kurz erwähnen werden, haben sich nicht durchgesetzt. Wir haben schon erfahren, daß das internationale Fremdwort den Sieg davontrug, so oft es sich um Organisation der Kirche handelte.

Um nun die Hauptbegriffe dieser übersetzten Christenkirche durchzunehmen, müssen wir natürlich zuerst prüfen, wie die christliche Gottheit in die deutsche Sprache kam. Hätte das Christentum den angeblich reinen Monotheismus der Juden übernommen, oder noch gründlicher gereinigt, so wäre das uralte Wort Gott, das zur Übersetzung von deus, ϑεος, elohim (ein Plural) benützt wurde, eine echte Lehnübersetzung, und Schopenhauer hätte recht gehabt, da er, besonders in Briefen, diesen Gott oft den alten Juden nannte. (Über die Etymologie von Gott vergleiche den Artikel: Gott.) Ich übergehe Nebenbezeichnungen, die entweder Fremdwörter waren, wie Jehovah, Zebaoth, oder Lehnübersetzungen, wie das bald verschwundene truhtin für dominus, κυριος, adonai, und das erhalten gebliebene herro für denselben Amtstitel Gottes; ich übergehe das verschwundene der queke Gott und das gebliebene der lebendige Gott für deus vivus, ϑεος ξων (hebr. el chaj) und viele Lehnübersetzungen der Eigenschaften Gottes.

Der neue Gott war eben doch nicht bloß der alte Jude, weil der Monotheismus vorher, definitiv im 4. Jahrhundert, durch die Trinitätslehre beschränkt oder erweitert worden war, wie man will. Diese ganze Dogmengeschichte spricht sich kurz in dem Umstande aus, daß die drei Personen der Dreieinigkeit, jede für sich, auf Vorstellungen des alten Testaments zurückgehen, daß aber die Dreieinigkeitslehre selbst weder sprachlich noch sachlich eine altjüdische Unterlage hat. Abstruse Spielereien einer mystagogischen Literatur, die sich noch Philosophie und noch griechisch nannte, waren die Quellen. Der Obertitel trinitas, τριας, war leicht zu übersetzen; auch die Einheit, die noch immer gewahrt werden sollte. Der Tragelaph, der beide Begriffe verband, Dreieinheit und Dreieinigkeit, entstand erst später. Man erinnere sich aber, welche Kämpfe um die Geheimnisse dieses Begriffs hundert Jahre lang geführt werden mußten, um die Begriffe Person, ὑποστασις, substantia, natura, ὀυσια. Dafür reichten die Köpfe der althochdeutschen Übersetzer nicht aus. Einen Meister Eckart gab es damals nicht. Die Glossatoren begnügten sich mit Lehnübersetzungen, die die Silben wiedergaben. Die Personen der Trinität wurden mit Heiten wiedergegeben, eigentlich Beschaffenheiten, in dessen Endsilben die alten Heiten noch stecken; natura wurde, vielleicht schon mit Ahnung des etymologischen Zusammenhangs, mit kunat wiedergegeben (Kero), oder mit Zugrundelegung von esse mit wesan (Otfried und Notker); oder in wirklicher Lehnübersetzung mit gaburt. Von einer Beschäftigung mit den dogmatischen Haarspaltereien finden sich nur geringe Spuren. Aber die drei Personen der Trinität mußten wohl oder übel übersetzt werden, weil sie einen wesentlichen Teil des Glaubensbekenntnisses ausmachten. (Vgl. Art. Persönlichkeit.)

Die Wiedergabe des Gottvaters durch Vater, wie sie sich aus vielen althochdeutschen Übersetzungen in den Anfangsworten des Vaterunsers erhalten hat, scheint oberflächlich eine echte Übersetzung zu sein und keine Lehnübersetzung in meinem Sinne; denn den Begriff Vater hat es ja wohl in jeder Sprache gegeben. Auch den eines zeugenden Vaters der Götter und Menschen wie Ζε υς πατηρ, wovon Jupiter wohl Lehnübersetzung ist. Aber den althochdeutschen Übersetzern schwebte weder Ζε υς πατηρ noch der vorchristlich germanische Walvater, Heervater vor, sondern doch wohl der jüdische Vater im Himmel, pater coelestis, πατηρ ὁ ὀ υρανιος.

In anderem Zusammenhange werde ich darüber zu berichten haben, wie die dritte Person der Trinität, der heilige Geist, die sklavische Übersetzung von Spiritus sanctus, auf das Psalmistenwort ruach kadesch Jehovah zurückgeht. (Vgl. Art. Geist.)

Ganz selbstverständlich war Erscheinung und Wandel Jesu Christi und sein Leiden und Tod für Verbreitung der neuen Religion unendlich wichtiger als die abstrusen dogmatischen Streitigkeiten um das Verhältnis und um die Verhältnisse der Personen in der Dreieinheit, selbstverständlich nicht nur vor Beginn des Dogmenstreits. Auch darum war es unfruchtbar, die Namen Jesus Christus mit salvator unctus übersetzen zu wollen; man empfand bald sogar den Amtsnamen Christus als einen zweiten Eigennamen; die Eigennamen siegten, nachdem die Geschichte des Trägers erst gefaßt und geglaubt wurde, und nur ein geschärftes Sprachgefühl wird heute noch heraushören, daß Jesus mehr die Person vorstellig macht, wie bei allen pietistischen Sekten und in der Poesie, Christus mehr den Religionsstifter mit den Geheimnissen seines Amtes.

In der Wiedergabe der Christologie müßte man wieder genauer unterscheiden zwischen der Erzählung der eigentlichen Vorgänge und zwischen den Glaubensgeheimnissen. Die schöne und einprägsame Erzählung konnte, wie jede andere, durch Übersetzung herübergenommen werden, auch noch jedes grobe Wunder; die religiösen Geheimnisse erst durch Lehnübersetzung. Geblieben ist die Lehnübersetzung Auferstehung: resurrectio, ἀναστασις (Paulus in Kor. I, 15 scheint den Ausdruck ἀναστασις von der Auferstehung der Toten vorzuziehen, ἐγειρειν, sonst ἐγερσις, von der Erweckung Jesu); ursprünglich hieß es arstandan, ufstandan, ufarstandan, archaïstisch noch erhalten von diesen Verben: Urständ; Urrist, wohl unter angelsächsischem Einfluß von risan, ist wieder verschwunden.

Beim Worte Auferstehung wird es besonders deutlich, wie vorstellungsreich die übersetzte Erzählung der persönlichen Wundergeschichte, der Auferstehung Jesu, und wie vorstellungsarm, wie sehr nur ein bloßes Wort die resurrectio mortuorum war. Die Auferstehung Jesu, trotzdem nachher die Evangelienkritik gerade an diesem Punkte scharf einsetzen konnte, durfte nacherzählt werden wie irgend ein anderer historischer Bericht. Für die resurrectio mortuorum aber, deren Begriffsentwicklung in den Köpfen der Apostel uns hier nichts angeht, gab es weder bei Juden, noch bei Griechen, noch bei Germanen einen gleichwertigen Glauben. Die Apostel selbst besaßen das Gesicht, die Erscheinung für den Glauben an die Auferstehung Jesu; für die Auferstehung aller Menschen hatten nicht einmal die Apostel mehr als das Wort. Und dieses Wort, zu den Germanen gebracht, stürzte erst die alte Weltanschauung, baute erst alle Furcht und Hoffnung des Jenseits auf, trotzdem alle menschliche Logik an den Versuchen scheiterte, einst den Zustand im Fegefeuer, jetzt den Übergang der Körpermoleküle durch Würmer, Humus, Pflanzen in andere Menschen mit der Auferstehung des Fleisches zusammenzureimen. Die Auferstehung Jesu war eine Göttergeschichte, war Mythologie; die Auferstehung des Fleisches und das folgende Weltgericht war die allerwichtigste Menschenangelegenheit, und war doch nur ein übersetztes Wort.

Für die Jünger Jesu Christi setzte sich die Lehnübersetzung Bote (ἀποστολος) auf die Länge nicht durch. Auch nicht die Lehnübersetzung Meister (eigentlich Lehnwort nach magister) für διδασκαλος, Rabbi. Die Lehnübersetzung von Erlösung, redemptio, λυτρωσις (das Wort Urkauf nämlich und das Verbum arkaufan) machte der freiern Übersetzung Losunga Platz, wenn losan damals nicht doch richtig loskaufen bedeutete, wie lösen an vielen Bibelstellen »durch Opfer an Geld oder Gut loskaufen« (D. W. VI, 1190), und heute noch »ein Billet lösen.«

Eine andere geheimnisreiche Trinität, die von Welt, Engel und Teufel, ist der erhaltenen althochdeutschen Sprache so geläufig, daß es größerer Aufmerksamkeit bedarf, um zu erkennen, wie es nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich fremdes Sprachgut ist. Die Welt, im spätern Mittelalter Frau Welt, ist der Gottheit, von der sie abgefallen ist, entgegengesetzt, feindlich; davon war in der antiken Welt gar keine Rede, schwerlich irgendwie bei den vorchristlichen Germanen. Von den griechischen Ausdrücken scheint αἰων (saeculum) auf jüdische Vorstellungen zurückzugehen, κοσμος (mundus) auf griechische Philosophie, auf Pythagoras. Die beiden lateinischen Worte sind gute Lehnübersetzungen aus dem Griechischen; mundus, gutes Latein, entspricht in jeder Bedeutung dem κοσμος, Schmuck und Ordnung; saeculum, erst im Kirchenlatein, dem αἰων, Generation, Menschenalter. Hier ist eine strenge Lehnübersetzung ins Althochdeutsche nicht gelungen. Mittilgart, aus dem altheidnischen Midgart, bezeichnet zwar mehr den räumlichen mundus, den κοσμος, das bewohnte Stück Erde mitten im Chaos; kann aber gelegentlich auch das zeitliche saeculum, αἰων, meinen, das ganz besonders an die Feindschaft gegen Gott erinnert. Mittilgart ist trotz seiner sprachlichen Schönheit verschwunden. Fairhwus, womit Ulfilas (Marcus 8, 36) κοσμος übersetzt, ist in keinem germanischen Dialekte geblieben; Schmuckhaus, fairhouse hätte christlicher Anschauung besser für den mundus intelligibilis als für den mundus sensibilis gepaßt. Weralt (genau hominum aetas, also αἰων, besonders im verächtlichen Sinne), ist im englischen world und im deutschen Welt erhalten geblieben. Aber die eigentlich christliche Nebenbedeutung von Frau Welt, dem reizenden, nichtswürdigen irdischen Leben des Menschen, des Madensacks, ist doch wieder verloren gegangen. Welt ist aus αἰων wieder ϰοσμος geworden.

Der Bedeutungswandel der christlichen Lehnübersetzungen für ϰοσμος führte zu neuen Lehnübersetzungen. Als die Pythagoräer das Weltganze einen Schmuck oder eine Ordnung nannten, dachten sie wahrscheinlich an die Harmonie des Planetensystems, an diese unsere Welt; als die Lateiner das Wort mit mundus, schmuck, sauber, reinlich übersetzten, dachten sie wahrscheinlich gar nichts selbständig, sie redeten nur nach. Das Christentum erst schuf den Widerspruch zwischen dem Glauben an die Allweisheit und Allgüte des Schöpfers, also dem Optimismus, und der Überzeugung von der Elendigkeit der Welt, dem Pessimismus, der doch auch christlich war. Wäre der Sinn für die Herkunft des Wortes monde, mundus erhalten geblieben, so hätte man zur Zeit Voltaires etwa le monde immonde erfinden können, um den Widerspruch schlagend zu zeigen. Ich möchte auch vermuten, ohne einen Beleg zu besitzen, daß das deutsche Wort Weltgeistlicher ursprünglich einen kleinen Widerspruch enthielt und spöttisch gemeint war; der geistliche Mann gehörte nicht in die Welt.

Unchristlich war der Bedeutungswandel, den Welt, monde usw. im Abendlande erfuhr, seitdem der Gegensatz der sinnlichen und übersinnlichen Welt nicht mehr in Betracht kam. Räumlich oder geographisch gab es eine alte und eine neue Welt; ebenso zeitlich eine neue und eine alte Welt. Die bewohnte Erde hieß die Welt, danach auch die Gesamtheit der Menschen. Weiter die große Masse der Menschen und endlich besondere Gruppen von Menschen. Die Einschränkung auf niedere Klassen (tout mon monde = meine Dienerschaft) scheint über Frankreich nicht weit hinaus gedrungen zu sein. Ganz anders die Einschränkung auf höhere Klassen. Le monde hieß eine Zeitlang etwa soviel wie la cour oder auch la cour et la ville, die Gesellschaft, schließlich auch der Ton, die höflichen Sitten dieser geschlossenen Gesellschaft. Bouhours findet die Redensart avoir du monde, im Sinne von: feinen Schliff haben, verdächtig, will sie verbieten; sie setzte sich aber nicht nur durch, sondern kam mit dem Gebrauche von Welt für gute Gesellschaft auch zu uns. Adelung verzeichnet den Gebrauch und weiß auch schon, daß es eine Übersetzung ist: »praktische Kenntnis der feineren Welt und ihrer Sitten, als ein Abstraktum und ohne Plural und Artikel; eine der neuesten, nach dem französischen monde geformte Bedeutung. Er hat Welt, gute Lebensart. Wenn sie nur mehr Welt hätte.«

Bei dieser Gelegenheit möchte ich aber nicht verfehlen, auf die etymologische Unschuld Adelungs hinzuweisen. Die Übersetzung aus dem Französischen, die er miterlebt, überhört er nicht; den Gleichklang zwischen mundus Welt und mundus rein, zwischen ϰοσμος Welt und ϰοσμος Schmuck hält er für zufällig, stellt mundus mit gemein und Menge zusammen und tadelt Ulfilas wegen seiner schönen Übersetzung fairhwus. Die oben gegebene Etymologie von weralt (schon bei Wachter) nennt er sehr gezwungen. Leibniz wagte die Herleitung von wiren, gyrare, wirbel, also von der Umdrehung der Erde und der Gestirne. Und noch der vortreffliche W. T. Krug, der sich glücklicherweise selten genug auf Etymologie einläßt, denkt bei Welt an walten, verwalten. Ich kehre zu der Trinität von Welt, Engel und Teufel zurück.

Das alte Testament kannte übermenschliche Geister, die von Gott zu Botendiensten gebraucht wurden; auf der Universität wurde mir noch von einem Ordinarius der Logik die Einteilung der Geister in Gott, Engel und Menschen vorgetragen. So ein Bote hieß im alten Testament einfach malach oder malach Jehovah. Die genaue Lehnübersetzung ins Griechische lautete ἀγγελος (legatus, nuntius). Diese griechische Form blieb im Christlateinischen und in allen neueren Sprachen als Lehnwort erhalten. Althochdeutsche Lehnübersetzungen hielten sich nicht. Der Teufel ging als Lehnwort in die Volkssprache über, ist aber auch als Lehnübersetzung namentlich in poetischer Sprache und in der Kanzelsprache lebendig. Der hebräische Satan war nämlich bald als Fremdwort (ὁ σατανας), bald als Lehnübersetzung (ὁ διαβολος) in die Sprache des neuen Testaments übergegangen; dazu war das Fremdwort Beelzebub nach dem mundartlichen baalzebul (deus stercoris), eigentlich baalsebuw (deus muscarum) gekommen. Wir sprechen noch heute vom Satan, von Belzebub, ganz alltäglich in kräftigen Flüchen vom Teufel, διαβολος. Aber auch an Lehnübersetzungen fehlt es nicht: der διαβολος, schon in der Vulgata inimicus, wird mit fiant, altfiant wiedergegeben, was als Feind, alter Feind im Kirchenliede blieb. Auch Höllenhund (inferni canis), der alte Wurm (ὁ ὀφις ὁ ἀρχαιος) wird noch verstanden. Tentator, ὁ πειραζων wird jetzt in der Übersetzung Versucher gut verstanden; die althochdeutsche Übersetzung kostari von kosten, versuchen (selbst ein Lehnwort nach gustare) hätte für uns einen komischen Nebengeschmack. Zur Festhaltung des Begriffs Lehnübersetzung bemerke ich hier, daß in dieser ganzen Reihe von Übergängen die Hölle sich überall vorfand, keine Lehnübersetzung brauchte, auf echter Übersetzung ruhte. Die Juden hatten scheol, die Griechen den Hades, die Römer ihr infernum, die vorchristlichen Germanen ihre Hölle.

Dagegen war allerdings diese Unterwelt als grausame Strafanstalt eine jüdische Vorstellung; in den Hades, in die inferna, wahrscheinlich auch zu hel mußte jeder hinab; in den scheol, in die Hölle, nur wer eine Sünde, eine Schuld zu büßen hatte, Sünde, Schuld, Buße, lauter erzjüdische Begriffe, für die sich in der antiken Welt kaum Näherungswerte finden. Das Begriffspaar Schuld und Buße war ursprünglich rechtlicher Natur. Schuld die eingegangene Verpflichtung, von Sollen; die Richtung auf die Zukunft hat sich in der englischen Konjugation, der Geldcharakter in der Buchführung (Soll) unserer Kaufleute erhalten. Ebenso ging Buße zunächst auf Vergütung durch Geld; Buße ist verwandt mit Besserung, Gutmachung; süddeutsch noch heute Altbüßer = Flicker, wovon noch die Redensarten Lücken büßen = ausbessern, seine Lust büßen = sein Verlangen wie einen Gläubiger befriedigen. Also bedeutete Buße eigentlich einen Schadenersatz. Die vorchristlichen Germanen machten Mord und Totschlag durch Geldbuße wieder gut. Erst das Christentum sah in der Schuld eine unbezahlte Verpflichtung gegen Gott, eine moralische Forderung Gottes, in der Buße die Bezahlung an Gott. Die Kette von Lehnübersetzungen: ὀφειλημα, debitum, Schuld, satisfactio, Buße (μετανοια wird genauer durch Reue, Gram, übersetzt, was das rechtliche Bild ganz verläßt) hat allein das Verhältnis des Menschen zu Gott im Auge. Die Zahlungsmittel sind natürlich von der gleichen Güterordnung wie die Schuld: Glaube (fides, πιστς) eigentlich doch wieder das Gutsagen, das dem Gutschreiben sich nähert und keine reine Lehnübersetzung ist; die Bekehrung, reine Lehnübersetzung des hebräischen schuw, ἐπιστρεφειν, converti; endlich auch die Beichte schon ein christliches Zahlungsmittel, ursprünglich bijiht, die Bejahung vielleicht, sicher die Beredung, frei übersetzt nach confessio, das aber für ἑξομολογησις (Aussagung) steht. Dem entarteten Katholizismus und seinem Ablaßkram war es vorbehalten, Schuld und Buße wieder in das alte Geldverhältnis zurückzuverwandeln. Wer über solche Dinge lachen will, mag sich erinnern, daß in den Hauptbüchern unserer Kaufleute dem uralten Worte für die Schuld, dem Soll, Debet, als Zahlungsmittel das klassische Wort für den Glauben gegenübersteht: Kredit. Geldwerte wurden zu Worten, Worte zu Geldwerten.

IX.

So sind wir über die letzten und tiefsten Stimmungen und Begriffe der neuen Weltanschauung wieder in die Welt zurückgekehrt, zu der auf der Erde organisierten Kirche. Ich habe schon gesagt, daß der Organisation viel daran liegen mußte, in ihrer reichen Kolonie Deutschland zu behuf der Kultivierung oder Ausbeutung die Sprache der römischen Herren einzuführen. Ließen sich die lateinischen Worte des Glaubens, des Gebetes und des Gottesdienstes nicht durchsetzen, weil die Germanen ihre Muttersprache liebten, so drangen doch die Worte des weltlichen Dienstes ein. Sie sind kaum zu zählen: Abt, Altar, Bezirk, Bischof, Dechant, Feier, Gruft, Kanzel, Kapelle, Kelch, Kloster, Kreuz, Küster, Laie, Marter, Messe, Mönch, Münster, Nonne, Orden, Papst, Pfründe, Pilger, predigen, Priester, verdammen, Vesper und viele andere. Aber der Purismus der deutschen Lehrer sorgte doch für eine große Zahl weiterer Lehnübersetzungen; ich erinnere daran, daß z. B. der Zehnte im Griechischen, Lateinischen und Deutschen eine echte Übersetzung ist. Ich erinnere ferner, daß die Wochentage (auf die ich in anderem Zusammenhang zurückkomme) unkirchliche Lehnübersetzungen aus dem Lateinischen waren, und daß die großen Feste Weihnachten und Ostern ganz frei aus der vorchristlichen Zeit herübergenommen, also eigentlich nicht übersetzt wurden.

Von den Lehnübersetzungen der Gebete konnte sich das Vaterunser erhalten; Morgenlob und Abendlob für matutinae (jetzt Mette) und Vesper gingen wieder verloren; ebenso prächtige Lehnübersetzungen für sacramentum, μυστηριον; βαπτισμα, das im Lateinischen als das Lehnwort baptisma beibehalten worden war, wurde mit Taufe direkt übersetzt, wahrscheinlich schon vor der althochdeutschen Zeit. Compater wurde genau durch Gevatter wiedergegeben; coena ebenso genau durch Abendmahl, das heute nur noch die kirchliche Bedeutung hat und in der banalen durch Nachtmahl (norddeutsch auch kirchlich), Nachtessen, Abendbrot übersetzt worden ist; das hübsche Nachtmuos ist leider verloren gegangen. Es ist bekannt, daß die große Flut, das diluvium, genau durch Sintflut wiedergegeben wurde, um später mit christlicher Volksetymologie in Sündflut gewandelt zu werden.

Wir sind bei diesem kurzen Überblick schon vielen Lehnübersetzungen begegnet, die entweder verunglückte Versuche einzelner Glossatoren waren, oder nach kurzem Gebrauch wieder verschwanden. Diese Reihe abgestorbener oder totgeborener Übersetzungen ließe sich bedeutend vermehren. Halla und Saal für templum oder Gotteshaus, kejihtare für confessor im Sinne von martyr, Frontag und truhtinlich tag für dies dominicus, gottspellan für praedicare, vorasago für propheta und voraspel für prophetia, quadchundida für evangelium, furstboto für archangelus, gaventan für converti, wunnigarto für Paradies, ja sogar wist und eowist für substantia und substantia aeterna kommen und gehen. Und das darf man nicht übersehen, wenn man den Wert dieser sprachlichen Untersuchung recht verstehen will: wohl kommen und gehen, bald schneller, bald langsamer die Ausdrücke, weil bald der römische Herr, bald der deutsche Purismus sieghaft ist; aber auch die religiösen Begriffe selbst kommen und gehen, und die Vorstellung von einer ewigen Unveränderlichkeit des Katholizismus ist wirklich unhaltbar. Kurz vor der Übersetzung des Christentums ins Gotische erstehen dogmatisch die Personen der Dreieinigkeit, später kommt (wenigstens in der Mythologie des Volkes) die vierte Person hinzu, die Mutter Gottes. An die tausend Jahre bleiben sie, bis die Freidenker in England, die esprits forts in Frankreich und die Rationalisten in Deutschland die Worte und Begriffe fallen lassen.

Die Rezeption der christlichen Glaubensworte in die deutsche Sprache ist gerade darum so lehrreich, weil in dem jahrhundertelangen Kampfe zwischen den römischen Einheitsbestrebungen und dem deutschen Sprach- oder Volksgeiste dieser siegreich blieb. Nur in verzweifelten Zeiten, wie besonders im 30jährigen Kriege, kam dem Volksgeiste der gelehrte und bewußte Purismus zu Hilfe, der in besseren Zeiten, wie z. B. in der Gegenwart, den Geschmack oft verwirrt hat. Will man aber die ganze Bedeutung eines solchen Kampfes um die Sprache in einem einzigen Bilde, wie durch ein Teleskop, zusammenfassen, so denke man einmal an die Möglichkeit, daß auch die Bevölkerung des Frankenreichs, das jetzt la France heißt, leicht oder zufällig eine deutsche Mundart oder Sprache hätte behalten können, wenn die politischen, historischen und kirchlichen Verhältnisse anders gewesen wären. Die französische Sprache enthält unzählige Worte germanischer Abkunft, ist aber trotzdem ganz gewiß eine romanische Sprache, eine Tochtersprache des Latein geworden, wie man sagt. Als das entschieden war, konnten die gelehrten Schreiber eine Unmasse lateinischer Worte den romanischen Formen der Vulgärsprache hinzufügen, ohne daß jemals ein neufranzösischer Purismus gegen die altlateinische Invasion recht wirksam werden konnte. Höchstens, daß ein echter Dichter wie Molière das ungelehrte Französisch an dem gelehrten mitunter rächte, und so schon im 17. Jahrhundert für das Volkslied gegen die Schreibtischpoesie auftrat.

Eine der wichtigsten sog. Ursachen einer romanischen Frankensprache ist der Sieg des römischen Katholizismus über die Bevölkerung des Frankenreichs, ein Sieg, dessen Folgen selbst in diesen Tagen der Trennung von Kirche und Staat wirksam geblieben sind. Und da ist es wortgeschichtlich sehr beachtenswert (ich entnehme den Hinweis und die folgenden Beispiele H. Lehmanns Buche »Der Bedeutungswandel im Französischen«), daß die lateinischen Worte ihre alte Bedeutung sehr oft in ihrer fränkischen Verunstaltung beibehielten, für die neue kirchliche Bedeutung aber die alte lateinische Form von gelehrten Klerikern wieder hervorgeholt wurde. Der Sieg des römischen Katholizismus war da erst vollendet; vielleicht läßt sich das Äußerliche der französischen Frömmigkeit, das sich so köstlich und naiv in dem Worte pratiquer verrät, zum größten Teil auf die formale Klassizität der französischen Glaubens- und Kirchensprache zurückführen. Nun einige Beispiele für den Bedeutungswandel im christlichen Französisch und für die Bildung von eigentlichen Doppelformen.

Arche (arca) hatte in alten Mundarten den Sinn von Kasten, wurde dann ein Kirchenwort für die Arche Noahs, für die Bundeslade, das Allerheiligste, die Kirche selbst (être hors de l'arche = aus der Kirche ausgestoßen sein), das Unaussprechliche; dann freilich ironisch für die französische académie.

Assomption (assumptio) hatte früher allgemein den alten Sinn der Annahme, Aufnahme, z. B. des Minor im logischen Schluß, heute ist es der Terminus für Mariä Himmelfahrt, für die bildliche Darstellung des Ereignisses und für seinen Kalendertag.

Calice (calix) bedeutet, außer einem seltenen Gebrauch in der Botanik und in bestimmten Techniken, nur noch den Abendmahlskelch.

Cène (coena), einst Nachtmahl überhaupt, jetzt nur noch, wie das deutsche Abendmahl, die christliche Feier des heiligen Abendmahls; bei Protestanten auch die Konfirmation, auch eine bildliche Darstellung des heiligen Abendmahls; auf einem Seitenwege kam das Wort zu der Bedeutung: Fußwaschung.

Chapelet (dim. von chapeau, chapel, chape, cappa, ml. capa), zunächst Kopfschmuck (bailler le chapelet à une fille = unter die Haube bringen), eigentlich schon früh der Blumenkranz als Kopfschmuck, später der Blumenkranz, der Rosenkranz der Jungfrau Maria, endlich jetzt fast nur noch Rosenkranz zum Abzählen der Gebete, pater noster, und danach, wie im Deutschen, ein Ausdruck für die technischen Paternosterwerke.

Ciboire (ciborium), ehemals etwa Altardach oder kleiner Altar, jetzt nur noch das Gefäß für die geweihte Hostie.

Conversion (conversio) Umkehrung, Konvertierung, zumeist aber Bekehrung, insbesondere Glaubensänderung.

Couvent (conventus), jede Vereinigung, aber schon früh die von Mönchen, Kloster.

Guimpe (ahd. wimpel = Fähnlein, Kopfputz) im Altfranzösischen noch allgemein Kopfbedeckung von Männern und Frauen, jetzt besonders Brustschleier der Nonnen.

Lavement (lavamentum) in der Medizin bekanntlich Klystier; metaphorisch: was man im Deutschen ein Brechmittel nennt, ein unangenehmer, lästiger Mensch, in der Kirchensprache Waschung, besonders Fußwaschung.

Merci (merces) im Sinne von Dank (Lohn, unverdienter Lohn, Gnade, trifft nicht ganz zu, aber die Erklärung von merces als der Gnade Gottes für den Opfertod Christi scheint mir auf das Gleiche hinauszulaufen) fast international geworden; im Sinne von Gnade nur noch in bestimmten Redensarten vorhanden, im Sinne von Barmherzigkeit fast veraltet (ein Gebet: aie merci de nous).

Mestier (jetzt métier von ministerium) hat im Altfranzösischen oft den Sinn Gottesdienst, wie ministre noch vielfach den von Priester.

Rançon (redemptio) heißt nur noch Lösegeld; für den kirchlichen Begriff der Erlösung ist redemption wieder eingeführt.

Verbe (verbum) ist außerhalb der Grammatik aus der Sprache verschwunden (einzelne Redensarten wie le verbe haut abgerechnet), weil le Verbe als Lehnübersetzung von Logos der Terminus für die zweite Person der Trinität geworden war; parole (parabola) trat dafür ein. Ebenso verschwand vesper aus der unkirchlichen Volkssprache, weil vêpres für den Vorabend-Gottesdienst eines Festes und für das Vesperläuten in Anspruch genommen war; soir (serus) trat dafür ein.

Die Beispiele könnte man zu mancherlei Lehren ausdeuten. Mir handelt es sich aber hauptsächlich darum, auf den Unterschied hinzuweisen zwischen der Art, wie das Wortgebäude des Christentums nach Frankreich und wie das Wortgebäude des Christentums nach Deutschland kam. Oft schon, auch wohl übertreibend, ist die Tendenz der Worte bemerkt worden, ihren Sinn zu verschlechtern: der pessimistische Zug der Wortgeschichte. Kein Dogma, keine gebotene Unveränderlichkeit kann die Glaubensworte vor diesem allgemeinen Zuge in peius schützen. Man denke nur an blasphemare, das zu dem geringen blâmer wurde; aus honestus wurde nach vielen Umwegen honnête, was jetzt fast nur noch einen unbestraften Menschen bedeutet; villain, ursprünglich im Gegensatz zu höfisch ein Dörfler, Bauersmann, heißt jetzt gemein oder häßlich; die vielen Bezeichnungen für dumm kommen wie simple, einfältig (zum Teil durch Lehnübersetzung) von ehrenden Worten her; albern, mhd. alvaere, hieß im Althochdeutschen noch gütig. Es liegt auf der Hand, daß die althochdeutschen Lehnübersetzungen der christlichen Glaubensworte, weil sie oft Neubildungen waren, lebenskräftiger sein konnten, als die verschlissenen lateinischen Worte, die von Rom der romanischen Vulgärsprache der Franken aufgepropft wurden. Ganz ohne Purismus in diesem Sinne sind die Franzosen, wie gesagt, nicht gewesen; auch ihnen war roman reden lange Zeit soviel wie unser deutsch reden.

(Freilich konnten auch romanisierte Worte herunterkommen; benoît, scheinheilig, und benêt, Dummkopf, gehen auf benedictus zurück, das (hebr. baruch) von Maria und Christus ausgesagt wurde; béat von beatus wurde zu scheinheilig, wie engl. silly, vom altengl. saelig, zu der Bedeutung töricht kam und im Sinne von glücklich veraltet ist.)

Diese Peiorisierung im Bedeutungswandel, die ich lieber Amortisation der Worte nennen möchte, erscheint uns nur auf dem Gebiete des Glaubens besonders groß, weil wir als Kinder angehalten worden sind, gerade diesen Wortschällen Ewigkeitswerte zuzugestehen. Qui pratique, wer ohne Innerlichkeit die Vorschriften der Kirche fleißig übt, der bringt seine Glaubensvorstellungen herunter, wie er die Worte des Gebetes abschleift und wohl auch verschluckt, wenn er oft und schnell den Rosenkranz betet. Ich habe schon erwähnt, weshalb parabole und parabolare zu parole und parler verschlissen wurde. Und nun das Wort, das wie kein anderes den abschüssigen Weg der Glaubensworte beleuchtet, wenn anders die Etymologie Génins richtig ist. Er führt crétin auf chrétien zurück; sei es nun daß christianus den ehrenden Sinn von simplex bekam, und wie simplex und ähnlich innocent den Einfältigen bezeichnete, sei es daß crétin, was nicht nachzuweisen, schon in heidnischer Zeit aufkam und wirklich beschimpfend die Christen meinte. Jedesfalls ist der Einfall von Littré, crétin wegen der angeblich blassen Farbe der Idioten auf das angeblich deutsche Wort Kreidling von Kreide, zurückzuführen, ein arger Schnitzer des Meisters; Kreidling hatte Campe, der oft geschmacklose Purist, frei erfunden, um es anklingend für crétin vorzuschlagen.

X.

Auf andern geographischen Wegen als nach Deutschland kam das Wortgebäude des Christentums, und nicht das ganz gleiche Wortgebäude, nach Rußland. Aber wie in Deutschland wurden die eingeführten Begriffe in eine frische Sprache übersetzt. Ich füge darum einige Bemerkungen über das Christentum der Slawen hinzu, das wir natürlich ebenso als eine ungeheure Lehnübersetzung auffassen können und müssen. Ich folge da der sprachgeschichtlichen Untersuchung von Miklosich, »Die christliche Terminologie der slawischen Sprachen«, die ich nur in wenigen Fällen erweitern konnte.

Über die Seelensituation der Slawen vor Einführung des Christentums wissen wir womöglich noch weniger, als über die der Germanen. Glücklicherweise haben wir uns mit der Umgestaltung der slawischen Grammatik und Syntax durch die neuen Lehrer nicht zu befassen, nur mit der Neubildung von Begriffen durch die neue Lehre. Die Abhandlung von Miklosich (1875) steht auf dem Boden des bisher von mir ausgebeuteten Werkes von R. v. Raumer; Miklosich hat darum auch schon eine Vorahnung von der Bedeutung dessen, was ich Lehnübersetzung genannt habe. »Da die Begriffe des christlichen Glaubens kein angeborenes Gemeingut aller Menschen, sondern eine ganz bestimmte, vom hebräischen Volke ausgegangene Lehre sind, so sind die christlichen Begriffe etwas den slawischen Völkern von außen Mitgeteiltes und die sie bezeichnenden Worte entweder fremd oder, wenn einheimisch, entsprechend umgedeutet« (S. 2). Die Hauptmasse der Begriffe kam aus dem Griechischen, weil die Brüderapostel Konstantin-Cyrillus und Methodius Griechen waren; aber ihre Helfer und Schüler, die das Christentum unter dem Einflusse deutscher Bischöfe in Pannonien und Mähren lehrten, brachten deutsche und vor allem lateinische Elemente mit. Für spätere Zeiten sind polnische Schriften als Vermittler von Fremdworten und Lehnübersetzungen sonst nicht zu übersehen; die Sprache der Verwaltung, des Militärs, des Handels, der Kunst und der Wissenschaft steht im 17. Jahrhundert unter polnischem Einfluß, nicht die Sprache der Kirche. Aber konservativ, wie alles Kirchliche, bewahrt das slawische Christentum, besonders die Liturgie, heute noch von der Adria bis ins nördliche Sibirien Sprachformen, die vor tausend Jahren in Pannonien entstanden sind. Ich beschränke mich auf wenige Hinweise, die kursorisch auf die bunte Zufallsgeschichte der slawischen Etymologien aufmerksam machen können. Aus den vielen slawischen Sprachen will ich zu Beispielen immer diejenige auswählen, die mir entweder am bekanntesten ist, oder die das Verständnis erleichtert.

Heide wurde aus dem lateinischen paganus übernommen: pohan; merkwürdig, daß auch das deutsche haid vorkommt, und daß unser Haidekorn auf Kleinrussisch pohanka heißt. Sollte das Lehnübersetzung aus dem Deutschen sein?

Worte für Christ, christlich usw. behielten, wie überall, die griechische Form, nur daß die Slawen gemütlich den Glaubensgenossen, den einfachen Landmann, die Dienstmagd so nannten; hrišćanluk (serb.) hat aber das türkische Suffix lyk.

Besonders hochmütig klingt ein slawischer Ausdruck für Priester: tschechisch: kněz, ähnlich polnisch, russisch, serbisch und preußisch. Preuß. und lit. Formen lassen vermuten, daß kněz aus dem ahd. kuning stammt und Herr bedeutete. Heute noch heißt im Tschechischen kněz Priester, kniže Fürst. Aus dem Slawischen ist das magy. kenéz entstanden.

Mönch aus μοναχος von μονος, unus; slawische Lehnübersetzung (altslowenisch und russisch) inokҌ.

Der Name für das Kirchengebäude, nicht für die Organisation der Kirche, ist im Slawischen bald Entlehnung aus dem deutschen Kirche (wie wir sahen, selbst ein Lehnwort): církev (tschech.), bald aus dem lateinischen castellum: kostel (tschechisch, ähnlich auch polnisch) oder Lehnübersetzungen für Gebäude (chrám), Bethaus.

Die Einführung des christlichen Kalenders bietet ein weites Feld. Er wurde zuerst bei den Slowenen wohl zur Gotenzeit eingeführt. Die Zählung der Wochentage, vom Montag beginnend, ist wohl griechisch (Dienstag der zweite, Donnerstag der vierte, Freitag der fünfte Tag), aber die Lehnübersetzung Mittwoch in středa (von střed Mitte) scheint wieder auf deutsche Zählung zurückzugehen. (Doch ist umgekehrt wieder das bayerisch-österreichische Pfinztag für Donnerstag, von πεμπτη, griechischen Ursprungs mit deutscher Zählung.) Sonntag, neděle (tschechisch) heißt Ruhetag und mag Übersetzung für ἀπρακτοι ἡμεραι sein.

Feiertag wird mit prazdný den (tschechisch) und ähnlich, leerer Tag, übersetzt.

Unter den Bezeichnungen für Weihnachten gibt es einige Kuriosa. Altslaw. koleda heißt es nur noch bei den Bulgaren; alle nationalen Etymologien scheinen falsch zu sein; Herkunft vom römischen calendae oder griechischen καλανδαι wahrscheinlich, aber die Beziehung auf das Weihnachtsfest wohl nicht nachweisbar. Die heutige Bedeutung, die Miklosich angibt »am Christabend von Haus zu Haus gehend Weihnachtslieder singen« ist mir aus meiner Kindheit nicht bekannt. Uns war koleda, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht: herumgehen und singen zu Epiphanias, die Hauptsache das Einsammeln von kleinen Gaben; und ich werde, ohne die Etymologie vorzuschlagen, die Erinnerung an die deutschen Kurrendejungen nicht los. Vánoce, die tschechische und ähnlich die slowakische Bezeichnung für Weihnachten, sind offenbar sogenanntes Kuchelböhmisch, gelehrt ausgedrückt eine vox hybrida: die zweite Silbe von Weihnacht übersetzt, die erste übernommen. Versuche tschechischer Gelehrten, vánoce ganz slawisch zu erklären, »glaubt man vielleicht heutzutage nicht mehr«. Sie stehen auf der Höhe des klassischen ἀλωπηξ = Fuchs.

Predigen (praedicare) ging vielfach zu slawischen und Nachbarvölkern über, wurde aber schon früh mit kazati, befehlen, umschrieben. Mit der Zurückführung des altslawischen Gottesnamens bog auf Sanskritworte, gebe ich mich nicht ab. Vestigia terrent. Nur wieder zwei Kuriosa. Ein serbisches Volkslied nennt den lieben Gott stari krvnik, den alten Blutvergießer. Und bogatz, von bog, heißt auch reich, der Gegensatz ubohý, nebohý (tschechisch) arm, bedauernswert. Sollte das vielumstrittene Mauschelwort nebbich, das man schon vom Slawischen (ne boha) wie vom Hebräischen und vom Deutschen (Nie bei euch) herleiten wollte, nicht von nebohý stammen? Sinn und Laut decken sich gut.

Die östliche wie die westliche, die griechische wie die römische Kirche nennen sich bekanntlich die katholische, d. h. die allgemeine Kirche. Ebenso halten beide an der Vorstellung fest, daß jede von ihnen allein den rechten Glauben besitze. Der rechte Glaube ist die Orthodoxie, wovon pravověra eine rechte Lehnübersetzung, während pravoslavnnz eine falsche von ὀρϑοδοξος. Beide Kirchen halten aber auch die Fiktion aufrecht, daß sie den Glauben aller Menschen der bewohnten Welt, der οἰϰο υμενη darstellen; seljenaja übersetzt οἰϰο υμενη.

Wort und Begriff Engel ist wie im Deutschen als Lehnwort aufgenommen worden anъgelъ, andĕl; aber auch wie im Deutschen (Bote) findet sich die Lehnübersetzung sel.

Und mit der ewigen Selbstgerechtigkeit, die den eigenen Glauben für den rechten, den fremden für den falschen ansieht, haben sich die Slawen (Tschechen und Serben) Begriff und Wort Aberglaube durch die Lehnübersetzung povĕra aus dem Deutschen geholt.

XI.

Die Übersetzung des römischen Christentums ins Deutsche, die Übersetzung des griechischen Christentums ins Slawische gibt aber ein falsches Bild, wenn man nicht hier und dort in Betracht zieht, wie die Organisation der Zentrale bestrebt war, Glauben und Lehre an unverstandene Worte allein zu knüpfen und den Zusammenhang mit der immerhin verständlichen Gemeinsprache zu zerreißen. Wir haben gesehen, wie Rom es bei den Deutschen lange Zeit durchsetzen wollte, daß selbst das Vaterunser und das Credo in lateinischer Sprache aufgesagt würden. Nicht auf das Verständnis sollte es ankommen, sondern auf die Zauberkraft unverstandener Wortfolgen. Das ist keine vereinzelte christliche Erscheinung. Noch heute sträuben sich orthodoxe Juden dagegen, ihre hebräischen Gebetformeln durch Übersetzungen in die Landessprache unwirksam oder matt zu machen. Im 16. Jahrhundert wurde in deutschen und slawischen Gebieten der Gruß »Gelobt sei Jesus Christus« zum Schiboleth, wer den Gruß aussprach, dem sicherten Päpste Ablaß vom Fegefeuer für fünfzig, für hundert Jahre, eventuell für zweitausend Jahre; die Salzburger Protestanten, die den Gruß verweigerten, wurden blutig verfolgt. »Im Ganzen haltet euch an Worte.« Und ganz konsequent hielt die abendländische Kirche am Latein, die östliche Kirche an der altslawischen Sprache fest. Es klingt paradox und ist doch so: die neue Lehre mußte übersetzt werden, damit das Volk irgend etwas in sein Sprachgedächtnis aufnehmen konnte, aber sie mußte schön unverständlich übersetzt werden. Was wohl zum Wesen der Sprache und der Lehnübersetzung gehört.

Auch wenn das Prinzip der Unverständlichkeit den Organisatoren bewußt gewesen wäre, was gewiß nicht der Fall war, auch dann hätten beide Kirchen von ihrem Standpunkt aus recht gehabt. Beide waren sie rechtgläubige, ökumenische, katholische Kirchen, die einander gegenseitig verfluchten, zu Konstantinopel in der Hagia Sophia, die denn auch bald zu einer türkischen Moschee wurde, ein Wahrzeichen dafür, daß wahrscheinlich der römische Fluch noch kräftiger war als der griechische. Beide Kirchen wären klug gewesen, wenn sie die Zauberei und Unverständlichkeit noch unerbittlicher durchgeführt hätten. Im Abendlande hängt die Übersetzung der heiligen Schriften aufs engste mit dem Protestantismus, also mit der Selbstzersetzung des Christentums zusammen. Im Osten wurde der Versuch, sich der westlichen Reformation anzuschließen, sofort erdrosselt. Und die russische Kirche schuf einen Caesaropapismus, um den sie von Rom beneidet wird. Aber auch in Rußland veröffentlicht Tolstoi Schriften in der Muttersprache, und wenn es so weiter geht, so könnte das Christentum am Ende auch den Russen verständlich gemacht werden.

XII.

Man mag Anstoß daran nehmen, daß ich so in der ungeheuren Erscheinung des Christentums nur eine Gruppe von Worten, von Lehnworten und Lehnübersetzungen sehe. Mag man. Und dazu halten, wie niedrig ich Worte überhaupt einschätze. Ich weiß recht gut, daß hinter allen Worten, die etwas Wirkliches aussprechen, noch etwas anderes steckt, etwas Unaussprechliches. Also auch hinter den Worten des Christentums, soweit es eine Stimmung, ein Gefühl, ein Erlebnis ist, also auch etwas Wirkliches. Man muß unterscheiden zwischen dem objektiven Christentum der Christenheit, von dem gewöhnlich allein die Rede ist, und dem subjektiven Christentum der einzelnen Gläubigen, die gewöhnlich Ketzer sind, wenn ihnen ihr Glaube ein Erlebnis gewesen ist. Das objektive Christentum ist wirklich nur eine Gruppe von Worten, die nicht einmal vor dem Rationalismus standhalten konnten, und die seit Feuerbach mit andern Religionsworten als eine Selbsttäuschung der Menschheit veralten, die durch die neue Disziplin der vergleichenden Religionswissenschaft zu einem neuen Tummelplatz historischer Kleinforschung und folkloristischer Spielereien geworden sind. Das ketzerische christliche Erlebnis ist in Deutschland für den einzelnen Gläubigen durch Hamann und Herder, Hemsterhuis und Jacobi, durch Schleiermacher gegen Leute vom Schlage Lessings und Kants verteidigt worden; diese beiden waren im Herzen keine Rationalisten, aber eine andere als eine rationalistische Sprache beherrschten sie nicht. So steht es um das religiöse Bewußtsein überhaupt. Religion ist objektiv das Verhältnis einer Gemeinschaft, eines Volkes zu Gott; nur daß wir andern an diesen Gott nicht glauben. Subjektiv ist Religion das Verhältnis zu seinem Gott, an den der Einzelne, der der Einzige ist, etwa glaubt. Den er erlebt hat.

Man könnte den Gegensatz von objektivem und subjektivem Christentum, man könnte die Stellung des Wortes zum Christentum ohne jede Konstruktion zurückverfolgen bis zur Zeit, da der Held und Märtyrer auf Erden wandelte. Gewiß doch, gewisser als jemals wieder war sein subjektives Christentum ein Erlebnis, jenseits der Sprachworte. Was aber als Keim des späteren und so ganz andern Christentums um seine Person sich zu regen begann, die objektive neue Lehre derer, die in ihm den Christus sahen, war schon aus Erlebnissen und aus seinen Worten gemischt. Seine Worte, echt, verändert oder gefälscht, gingen durch die Schrift weiter; aber auch der Zauber seiner Persönlichkeit konnte schon auf die weitere Gruppe von Gläubigen, konnte schon auf die nächste Generation nur durch Worte übertragen werden. Der Logos wirkte allein. Und der Logos bemächtigte sich auch seines bittern Leidens, um das furchtbare Erlebnis sowohl zur eindringlichsten Erzählung zu machen, als auch um es dogmatisch zu deuten.

Als der Christenglaube seinen Siegeszug antrat, da erlebten die Gläubigen die beiden einander widersprechenden Lehren: Jesus ist der Messias, Jesus ist bitterlich am Kreuze gestorben. Aus dem Widerspruch der Messiasherrlichkeit und dem Kreuzesjammer gingen logisch die Worte des Dogmas hervor. Logisch, also zufällig. Es gibt ketzerische Sekten, die ein völlig anderes Christentum über die Welt gebracht hätten, wenn sie zufällig siegreich gewesen wären. Es hätte zum Beispiel zu einer Logologie kommen können, anstatt zu einer Christologie. Schöner wäre die neue Lehre dadurch nicht geworden.

Der Rationalismus mißverstand die Religion ethisch; wir sind geneigt, sie ästhetisch mißzuverstehen. Auch das Christentum ist nur eine Gruppe von Worten. Ich habe gelehrt, daß die Sprache ein ganz untaugliches Werkzeug der Erkenntnis sei, aber ein ganz ausgezeichnetes Werkzeug der Kunst. Ich wüßte kein poetisches Werk zu nennen, das es an Schönheit mit der Architektur des christlichen Glaubensbaus aufnehmen könnte. Nur daß die religiösen Worte just seit Organisation der christlichen Kirche wortwörtlich geglaubt, für bare Münze genommen werden wollen. Nur daß die 500 Millionen Christen, welche neben 1000 Millionen Nichtchristen auf der geduldigen Erde leben, in ihrer großen Masse mehr Verständnis haben für bare Münze als für Poesie.

Wollten wir noch einen Blick werfen auf die Versuche der Gegenwart, christliche Organisationen neue Eroberungen machen zu lassen, in Afrika, in China oder wo sonst eine Neuorganisation zu lohnen scheint, so würde uns überall ein schreiendes Mißverhältnis zwischen den großen aufgewendeten Mitteln und den beschämend kleinen Erfolgen entgegentreten. Übereinstimmend berichten die Kenner, und unabhängig voneinander, daß in Afrika, wie in China nur ein kleiner Haufe von Lumpen bekehrt wird. Es ist beinahe so wie im östlichen Europa der Erfolg der Juden-Mission, nur daß da oft reinlichere und auch reine Motive, wie nationaler Sinn, Ehrgeiz usw. mitspielen mögen. Der Vergleich mit den getauften Juden Europas mag die Erscheinung erklären helfen, für die die Scheidung von objektivem und subjektivem Christentum nicht ausreicht.

Auch für gebildete deutsche oder französische Juden ist das objektive, dogmatische, organisierte Christentum eine Lehnübersetzung, noch dazu in leeren Wortschällen. Nur daß der gebildete deutsche oder französische Jude allmählich sehr viel von dem ethischen Christentum des Rationalismus und von dem ästhetischen Christentum der neuesten Zeit in seine Weltanschauung oder in seine Seelensituation aufgenommen hat, oft in wirrem Gemisch. Diese vorbereitete Seelensituation, der vorbereitete Nährboden, fehlt durchaus dem Neger und dem Chinesen; der Neger versteht Ethik und Ästhetik der Christen nicht, man sagt: noch nicht; der Chinese fühlt sich dieser Ethik und Ästhetik überlegen, man sagt: er verstehe sie nicht mehr. Die Missionare kommen den Leuten nun weder mit dem subjektiven Christentum des Erlebnisses, noch auch mit dem objektiven Christentum des heutigen Europa, sondern mit schlechten Lehnübersetzungen eines Christentums vom Jahre 325 oder vom Jahre 1530. Das sind Lehnübersetzungen aus einer toten Sprache. Keine lebendige Sprache läßt sie sich aufdrängen.

Und doch scheint in ganz anderer Form das Christentum einen neuen Eroberungszug zu beginnen und sogar schon nach dem Orient auszudehnen. Es nennt sich nur anders. Unter dem Einfluß der echten Jesuslehre von der gleichen Kindschaft aller Menschen, dann unter dem Einfluß der monarchomachischen Thesen, die doch auch ein Gottesreich herstellen wollten, unter dem Einfluß des ethischen, rationalistischen Deismus, der sich selbst für christlich hielt, ist im Abendlande ein politisches Christentum erstanden, das sich Sozialismus nennt und das wie jeder neue Glaube durch Lehnübersetzung von Volk zu Volk wandert, durch gegenseitige Lehnübersetzung (natürlich unter Beihilfe tieferer, unsprachlicher Triebe) zu einer Organisation erwachsen ist, die heute unter uns die Organisation der großen Kirchen an Macht schon übertreffen würde, fehlte dem Glauben nicht so oft noch die Schönheit.

Und dieser Sozialismus, dieses politische Christentum, schickt sich an, Indien und Japan zu erobern. Es klingt nicht ganz gleich »wir sind alle Kinder Gottes« und »blutige Rache den Unterdrückern«; es dürfte aber doch das gleiche politische Christentum sein, das nach Sibirien von Tolstoi, nach den holländischen Kolonien von Multatuli getragen wird, das unter die Ärmsten von Indien und Japan durch weniger literarische Kanäle gebracht worden ist.

XIII.

Ich bin mir bewußt, in dieser ganzen Darstellung einseitig nur die einzelnen Worte des christlichen Glaubens betrachtet zu haben, unbekümmert um die Wortfolgen oder Sätze, gleichgültig gegen die Stimmung oder die Seelensituation des Bauwerks. Seine Steine habe ich betrachtet. Man mag mir entgegenhalten, daß nach meiner eigenen Lehre der Satz den Worten vorausgehe, der Zeit nach, wie dem Werte nach. Das alles will ich gern zugeben und mehr noch. Das Christentum ist immer noch kein totes Wort, es hätte sonst den Bedeutungswandel zum Sozialismus nicht erfahren können. In einem lebendigen Worte aber steckt immer außer dem Wortschall noch eine Fülle von Obertönen, die begrifflich und wortgeschichtlich kaum zu fassen sind. Also gewiß: ich habe durch Einseitigkeit gesündigt; ich habe einen richtigen Gedanken auf die Spitze getrieben. Es ist mir nur verdächtig, daß das Gefühl der Reue sich nicht einstellen will.

Strauß hat mit aller Bestimmtheit gesagt, daß wir keine Christen mehr sind; bei der Antwort auf die weitere Frage, ob wir noch Religion haben, hat er geschwankt. Ich meine, daß das wahre Bekenntnis, beiden Fragen gegenüber, umgekehrt werden müßte. Ganz bestimmt: wir haben keine Religion mehr. Zögernd: ein bißchen und gewissermaßen sind wir noch Christen. Wir haben das Christentum mit dem Bedeutungswandel. Und weil wir noch Christen sind, wir alle, darum scheuen wir die Vorstellung, daß das Christentum nur aus Worten bestehe.


  1. Ich finde das Wort noch in Hobbes Elementa Philosophica de Cive. Ausg. v. 1668, 18. Kap., VI. S. 168. Mit der merkwürdigen Marginalbemerkung: Unicum articulum »Jesum esse Christum« necessarium esse ad salutem, probatur ex scopo evangelistarum. Es heißt dann von dem Zweck der Evangelisten: Erat per descriptionem vitae Servatoris nostri illum unum articulum stabilire.
  2. operari, vulgär oprare, offenbar nicht ohne Contamination mit offerre hat sich aber deutsch als opfern erhalten; Tertull. wagte noch immolare zu sagen, wofür got. und nord. blotan.