
13. Zugeständnis dieses Rechts von jedem Bürger, ganz besonders aber von Sokrates
Sokrates: Und diese Verschuldungen nun, behaupten wir, werden auch auf dir, Sokrates, haften, wenn du ausführst, was du im Sinne hast, und zwar auf dir nicht am wenigsten unter den andern Athenern, sondern wohl ganz vorzüglich.« - Wenn ich nun fragte: »Weshalb denn das?« - so würden sie mich wohl ganz recht angreifen, wenn sie sprächen, dass ich ganz vorzüglich vor andern Athenern ihnen dies Versprechen geleistet hätte. »Denn«, würden sie sagen, [52b] »hiervon haben wir große Beweise, dass wir sowohl als die Stadt dir Wohlgefallen haben: Sonst würdest du ja wohl nicht so vorzüglich vor allen Athenern immer einheimisch darin geblieben sein, wenn sie dir nicht vorzüglich gefiele. Denn weder bist du je zur Schau der großen Feste aus der Stadt herausgegangen, außer einmal auf den Isthmos, noch sonst irgend wohin anders als nur mit dem Heere ziehend, oder hast sonst eine Reise gemacht, wie andere Menschen, noch auch hat dich jemals Lust angewandelt, andere Städte und andere Gesetze zu sehen, sondern wir genügten dir und unsere Stadt: [c] so sehr zogst du uns vor und gelobtest, uns gemäß dein Bürgerleben zu führen, hast auch überdies Kinder in der Stadt erzeugt, weil sie dir gefiel. Ja auch noch während des Rechtshandels konntest du dir ja die Verweisung zuerkannt haben, wenn du gewollt hättest, und so, was du jetzt gegen den Willen der Stadt unternimmst, damals mit ihrem Willen tun. Du aber tatest damals zwar gar schön, als wärest du gar nicht unwillig, wenn du sterben müßtest, sondern wähltest, wie du sagtest, lieber als die Verweisung den Tod: nun hingegen schämst du dich weder vor jenen deinen Reden, noch scheust du uns, die Gesetze, sondern versuchst, uns zu zerstören, und handelst, [d] wie nur der schlechteste Knecht handeln könnte, in dem du zu entlaufen versuchst gegen alle Verträge und Versprechungen, nach denen du uns versprochen hast, als Bürger zu leben. Zuerst also beantworte uns nur dieses, ob wir die Wahrheit reden, indem wir behaupten, du habest nach unserer Anordnung dein Bürgerleben zu führen uns durch die Tat versprochen, nicht bloß durch Worte, oder nicht die Wahrheit?« Was sollen wir hierauf sagen, Kriton? Sollen wir es nicht einräumen?
Kriton: Wir müssen wohl, Sokrates.
Sokrates: »Ist es also nicht so,« würden sie sagen, »dass du deine Verträge mit uns und deine Versprechungen übertrittst, [e] die du doch nicht gezwungen abgelegt hast, noch überlistet, noch in der Notwendigkeit, etwa dich in kurzer Zeit zu beraten, sondern siebzig Jahre lang, während deren du hättest fortgehn können, wenn wir dir nicht gefielen und du die Bedingungen nicht für gerecht hieltest. Du aber hast weder Lakedaimon vorgezogen noch Kreta, die du doch immer rühmst als wohlgeordnete Staaten, noch irgend einen andern von den hellenischen Staaten oder von den unhellenischen, [53a] sondern weniger hast du dich von hier entfernt als die Lahmen, Blinden und andere Verstümmelten. So vorzüglich vor allen Athenern hat dir die Stadt gefallen, und wir, die Gesetze, also auch. Denn wem würde eine Stadt wohl gefallen ohne die Gesetze? Und nun also willst du doch dem Versprochenen nicht treu bleiben? Wohl wirst du es, wenn du uns folgst, o Sokrates, und du wirst dich nicht lächerlich machen durch deinen Auszug aus der Stadt.