Die Götter Griechenlands


[1793-1800]

 

Da ihr noch die schöne Welt regieret,

An der Freude leichtem Gängelband

Selige Geschlechter noch geführet,

Schöne Wesen aus dem Fabelland!

Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte,

Wie ganz anders, anders war es da!

Da man deine Tempel noch bekränzte,

Venus Amathusia!

 

Da der Dichtung zauberische Hülle

Sich noch lieblich um die Wahrheit wand -

Durch die Schöpfung floß da Lebensfülle,

Und was nie empfinden wird, empfand.

An der Liebe Busen sie zu drücken,

Gab man höhern Adel der Natur,

Alles wies den eingeweihten Blicken,

Alles eines Gottes Spur.

 

Wo jetzt nur, wie unsre Weisen sagen,

Seelenlos ein Feuerball sich dreht,

Lenkte damals seinen goldnen Wagen

Helios in stiller Majestät.

Diese Höhen füllten Oreaden,

Eine Dryas lebt' in jenem Baum,

Aus den Urnen lieblicher Najaden

Sprang der Ströme Silberschaum.

 

Jener Lorbeer wand sich einst um Hilfe,

Tantals Tochter schweigt in diesem Stein,

Syrinx' Klage tönt' aus jenem Schilfe,

Philomelas Schmerz aus diesem Hain.

Jener Bach empfing Demeters Zähre,

Die sie um Persephonen geweint,

Und von diesem Hügel rief Cythere,

Ach umsonst! dem schönen Freund.

 

Zu Deukalions Geschlechte stiegen

Damals noch die Himmlischen herab,

Pyrrhas schöne Töchter zu besiegen,

Nahm der Leto Sohn den Hirtenstab.

Zwischen Menschen, Göttern und Heroen

Knüpfte Amor einen schönen Bund,

Sterbliche mit Göttern und Heroen

Huldigten in Amathunt.

 

Finstrer Ernst und trauriges Entsagen

War aus eurem heitern Dienst verbannt,

Glücklich sollten alle Herzen schlagen,

Denn euch war der Glückliche verwandt.

Damals war nichts heilig als das Schöne,

Keiner Freude schämte sich der Gott,

Wo die keusch errötende Kamöne,

Wo die Grazie gebot.

 

Eure Tempel lachten gleich Palästen,

Euch verherrlichte das Heldenspiel

An des Isthmus kronenreichen Festen,

Und die Wagen donnerten zum Ziel.

Schön geschlungne seelenvolle Tänze

Kreisten um den prangenden Altar,

Eure Schläfe schmückten Siegeskränze,

Kronen euer duftend Haar.

 

Das Evoë muntrer Thyrsusschwinger

Und der Panther prächtiges Gespann

Meldeten den großen Freudebringer,

Faun und Satyr taumeln ihm voran,

Um ihn springen rasende Mänaden,

Ihre Tänze loben seinen Wein,

Und des Wirtes braune Wangen laden

Lustig zu dem Becher ein.

 

Damals trat kein gräßliches Gerippe

Vor das Bett des Sterbenden. Ein Kuß

Nahm das letzte Leben von der Lippe,

Seine Fackel senkt' ein Genius.

Selbst des Orkus strenge Richterwaage

Hielt der Enkel einer Sterblichen,

Und des Thrakers seelenvolle Klage

Rührte die Erinnyen.

 

Seine Freuden traf der frohe Schatten

In Elysiens Hainen wieder an,

Treue Liebe fand den treuen Gatten

Und der Wagenlenker seine Bahn,

Linus' Spiel tönt die gewohnten Lieder,

In Alcestens Arme sinkt Admet,

Seinen Freund erkennt Orestes wieder,

Seine Pfeile Philoktet.

 

Höhre Preise stärkten da den Ringer

Auf der Tugend arbeitvoller Bahn,

Großer Taten herrliche Vollbringer

Klimmten zu den Seligen hinan.

Vor dem Wiederfoderer der Toten

Neigte sich der Götter stille Schar;

Durch die Fluten leuchtet dem Piloten

Vom Olymp das Zwillingspaar.

 

Schöne Welt, wo bist du? Kehre wieder,

Holdes Blütenalter der Natur!

Ach, nur in dem Feenland der Lieder

Lebt noch deine fabelhafte Spur.

Ausgestorben trauert das Gefilde,

Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,

Ach, von jenem lebenwarmen Bilde

Blieb der Schatten nur zurück.

 

Alle jene Blüten sind gefallen

Von des Nordes schauerlichem Wehn,

Einen zu bereichern unter allen,

Mußte diese Götterwelt vergehn.

Traurig such ich an dem Sternenbogen,

Dich, Selene, find ich dort nicht mehr,

Durch die Wälder ruf ich, durch die Wogen,

Ach, sie widerhallen leer!

 

Unbewußt der Freuden, die sie schenket,

Nie entzückt von ihrer Herrlichkeit,

Nie gewahr des Geistes, der sie lenket,

Selger nie durch meine Seligkeit,

Fühllos selbst für ihres Künstlers Ehre,

Gleich dem toten Schlag der Pendeluhr,

Dient sie knechtisch dem Gesetz der Schwere,

Die entgötterte Natur.

 

Morgen wieder neu sich zu entbinden,

Wühlt sie heute sich ihr eignes Grab,

Und an ewig gleicher Spindel winden

Sich von selbst die Monde auf und ab.

Müßig kehrten zu dem Dichterlande

Heim die Götter, unnütz einer Welt,

Die, entwachsen ihrem Gängelbande,

Sich durch eignes Schweben hält.

 

Ja, sie kehrten heim, und alles Schöne,

Alles Hohe nahmen sie mit fort,

Alle Farben, alle Lebenstöne,

Und uns blieb nur das entseelte Wort.

Aus der Zeitflut weggerissen, schweben

Sie gerettet auf des Pindus Höhn,

Was unsterblich im Gesang soll leben,

Muß im Leben untergehn.


 © textlog.de 2004 • 21.11.2024 16:40:20 •
Seite zuletzt aktualisiert: 21.07.2006 
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